Herbstlich

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Amanita
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Beitragvon Amanita » 08.10.2012, 10:31

Herbstlich

Der süße Wein aus
deinen Worten wird
morgen schal sein
mich betrüben
wenn ich das Altern
nicht mehr halten kann

Lass mich noch einmal
tanzen, vor dir, mit dir
im Gleichmaß deiner Worte
lass mich den Schwarzburgunder
im Überfluss der Abendstunde
kosten

Herby

Beitragvon Herby » 08.10.2012, 20:20

Hab deinen Text heute morgen schon gelesen, Amanita, und es geht mir jetzt, beim abermaligen Lesen, nicht anders als heute früh: ich hab Probleme mit der ersten Strophe, genauer gesagt mit der Zeitangabe "morgen". Das Bild des Weins, der dann schal sein wird, geht für mich in Ordnung, aber das Altern dann, also am nächsten Tag, nicht mehr halten zu können, irritiert mich. Altern ist doch ein Prozess, der sich unter normalen Umstünden, über Jahre, Jahrzehnte, hinzieht. In der ersten Strophe deines Gedichts klingt es für mich jedoch so, als habe es sich aufgestaut und bahne sich nun plötzlich, quasi eruptiv seinen Weg.
Die zweite Strophe finde ich dann wieder wunderschön, sie stellt fast ein Gedicht im Gedicht dar. Besonders die drei letzten Verse haben es mir angetan, wie mich überhaupt die Grundstimmung deines Textes sehr berührt.

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 08.10.2012, 20:37

Hallo Amanita,

erstmal: der Text ist wunderschön. Das Weinbild trägt für mich.

Ich hab leider ein Problem mit der Stelle "wenn ich das Altern nicht mehr halten kann". Bitte nicht falsch verstehen. Vielleicht liegt das Problem bei mir. Aber mit der Formulierung etwas nicht mehr halten können, assoziere ich derart etwas anderes als das Intendierte, dass sie für mich so nicht funktioniert. Wie gesagt, ein Eindruck von mir. Andere sehen die Formulierung vielleicht unproblematischer.

Ansonsten finde ich das Gedicht sehr schön. Gerne gelesen.

Schöne Grüße

Jürgen

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 08.10.2012, 20:45

Huch, jetzt sinds zwei! Denen ich erstmal danke.

Herby, morgen ist nicht wortwörtlich der nächste Tag, klar. Hast Du ein anderes Wort?

Jürgen, halten = (eigentlich) anhalten, ich habe die Formulierung so gewählt, weil eben auch Hilflosigkeit mitschwingt. Ich kann dich (z. B. ein Kind) nicht mehr halten, du bist mir zu schwer ... so auch.
Wenn die Stelle zu doof ankommt, bin ich dankbar für Alternativvorschläge!

Niko

Beitragvon Niko » 08.10.2012, 21:10

was mich bei diesem text fasziniert, amanita, ist die melodie und der sprachrhythmus. und inhaltlich ist der text ganz nach meinem geschmack. ich mag das sehr. und ich würde nichts verändern. aber auch rein gar nichts!

liebe grüße: niko

Herby

Beitragvon Herby » 08.10.2012, 21:18

Ich hab schon überlegt, es ganz wegzulassen:

Der süße Wein aus
deinen Worten wird
schal sein
mich betrüben
wenn ich das Altern
nicht mehr halten kann

Zumindest für meine Ohren würde sich dadurch weder am Klang noch am Sinn etwas ändern.

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 08.10.2012, 22:04

O danke, Niko (jetzt bin ich allerdings etwas irritiert, war schon halbwegs am Weiterbasteln :)

Also mit morgen gefällt es mir doch besser, Herby; ich bin noch unsicher. Vielleicht gibts ja noch mehr Meinungen oder Vorschläge.

poeta

Beitragvon poeta » 09.10.2012, 06:56

hallo Amanita,

mir ergings so wie herby, durch "morgen" und "nicht mehr halten können" klingt es für mich, als habe sich das altern aufgestaut und der dammbruch stünde unmittelbar bevor.
außerdem assoziiere ich "nicht mehr halten können" mit einer vollen blase, was vielleicht mein problem ist. doch denke ich gehen Jürgens gedanken in eine ähnliche richtung.

etwas in der art???


Der süße Wein aus
deinen Worten wird
dann schal sein
mich betrüben
wenn sich das Altern
nicht mehr übersehen lässt



Wie auch immer, interessante herbstlich verknüpfung! :smile:

liebe grüße,
poeta

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Beitragvon Amanita » 09.10.2012, 07:40

Hallo poeta, dank' auch Dir fürs Lesen und für Deine Vorschläge. Gut; wenn eine Änderung dem Ganzen besser täte... :

Der süße Wein aus
deinen Worten wird
künftig schal sein
mich betrüben
wenn ich das Altern
nicht mehr abwehren kann



Also mit dem "aufgestauten" Altern, das sehe ich wirklich so ähnlich. Ich meine nämlich zu beobachten, dass das Altern eher in Schüben "kommt", als dass es ein langsamer Prozess ist. Daher bin ich vom morgen noch nicht ganz weg :)

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birke
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Beitragvon birke » 09.10.2012, 09:27

hallo amanita,

also, ich hab weder mit dem "morgen", den (das!) ich selbst auch oft als metapher für die zukunft verwende, außerdem macht dein "schubweiser" gedanke durchaus sinn, noch mit dem "halten des alterns" probleme, im gegenteil ... für mich ist das bildlich ganz stark. würde ich unbedingt so lassen ... so meine meinung. :smile:
sehr schön dann im anschluss die zweite strophe, die so wunderbar überbordet, ein versuch, das altern doch so lange wie möglich aufzuhalten, im zaum zu halten oder zumindest die zeit bis dahin auszukosten, gefällt mir sehr gut.
und ja, der text fließt, was die idee des tanzes zu den worten gut unterstützt.
gern gelesen!

liebe grüße
diana
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

https://versspruenge.wordpress.com/

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 10.10.2012, 00:36

Hallo Amanitia,

ich finde, dein Text leidet ziemlich unter dem "Lass mich noch einmal" - das ist für mich Kitsch in Reinform (google doch mal - "Lass mich noch einmal" Gedicht -, ich glaube nicht, dass du dich in diese Reihe gestellt wissen willst). Zudem dein Text ohnehin diese heutzutage oft anzutreffende "Weihestimmung" heraufzubeschwören sucht, die ja ihren Wert hat, aber eben auch ganz schnell umkippt.

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 10.10.2012, 09:12

Hallo ferdi, hast sicher recht, und nein, in diesen Verein will ich nicht.

Weihestimmung? Verstehe ich nicht vollständig, klingt aber natürlich auch nicht gut.

Und, was tun? Verwerfen? Hach ja...

scarlett

Beitragvon scarlett » 10.10.2012, 10:25

hallo amanita,

mir sagt dein gedicht zu, ich habe weder ein problem mit dem morgen noch mit dem halten, im gegenteil letzteres ist ungewöhnlich und lässt allein schon aus dem grund aufmerken.

ferner finde ich, dass die zusammenstellung der worte in deinem text ungewöhnlich genug ist, um sich von dem "verein" wie du es genannt hast, abzusetzen.

das einzige, das mich wirklich stört und das meiner meinung nach in einem so kurzen text vermieden werden sollte, ist dieses:

Der süße Wein aus
deinen Worten wird


im Gleichmaß deiner Worte

/es sein denn, man macht ein stilmittel draus, diese absicht kann ich aber hier nicht erkennen/


gruß,
monika

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Beitragvon Amanita » 10.10.2012, 21:20

Danke, liebe Monika.

Schade, dass Dich das doppelte deine Worte stört - ich hatte sie schon bewusst doppelt eingesetzt, deine Worte, die mich berauschen und mich tanzen lassen; und beides wird bald, wie auch immer, vorbei sein -


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