Seite 1 von 1

Hirngespinst

Verfasst: 10.06.2012, 14:11
von Eule
Hirngespinst (Version 2)


Läufst um so
viele Tage
auf eckigen Rädern

Lädst Bilder im
Knochenformat

Nicht konvertierbar
auf längere Sicht

Der Einbaum Eigenbau
im Trockendock

vierseitig symmetrisch
wahlweise



Hirngespinst


Läufst um so
viele Tage
auf eckigen Rädern

Lädst Bilder im
Knochenformat

Nicht konvertierbar
auf längere Sicht

Der Einbaum Eigenbau
im Trockendock vierseitig
symmetrisch wahlweise

Verfasst: 10.06.2012, 17:00
von Jürgen
Hallo Eule,

am "veralteten" Hirngespinst wieder und wieder scheitern. Jemand, der "Out of Time" ist und mit der Realität nicht Schritt hält. So verstehe ich das Gedicht.

So ganz überzeugt mich der Text nicht. Er wirkt auf mich überladen, insgesamt eher gewollt. Formulierungen wie "auf längere Sicht" oder "Einbaum Eigenbau im trockendeck vierseitig symmetrisch wahlweise" wirken auf mich jeden falls so.

Ein Eindruck halt

Schöne Grüße

Jürgen

Verfasst: 10.06.2012, 23:10
von Mucki
Hallo Eule,

ich sehe da jemanden, der Röntgenbilder angesehen hat ("Bilder im Knochenformat") und diese nicht aus dem Kopf bekommt, sie zermürben das LI.
Einzig die letzte Strophe mit dem Einbaum erschließt sich mir (noch) nicht.

Lieben Gruß
Gabi

Verfasst: 11.06.2012, 00:39
von RäuberKneißl
Hallo Eule,

eventuell ist Trockendock gemeint (statt Trockendeck?) - in jedem Fall ist das Mini-Schiff (noch) nicht in Betrieb. Bei vierseitig denkt der Mathematiker natürlich sofort an einen Tetraeder, die restliche Menschheit stellt sich vermutlich unter Vernachlässigung von Stirn und Fußseite eine Kiste vor, handgehobelt, im Western schlicht symmetrisch, in hiesigen Breiten zum Fußende verjüngt. Auch mich brachte das "Knochenformat" und die fehlende Perspektive als 'längere Sicht' in diese Ecke.
Ähnlich unwillig wie das Schiff im Trockendock tun die eckigen Räder ihren Dienst. Aber es sind sehr disparate Bilder für ein so kurzes Gedicht, zumal sie durch den Titel noch ins Irreale geschoben werden -ich habe mir mehr einige Stücke zusammengesammelt, die der Texter vor Augen gehabt haben könnte, als dass der Text selbst mich geführt hätte. Ich könnte mir vorstellen, dass die Konzentration auf eine Bildkonfiguration (entweder Boot oder eckige Räder) und etwas mehr inhaltliche Substanz mich besser erreichen würde.

Grüße
Franz

Verfasst: 11.06.2012, 01:44
von Niko
für mich, eule, wäre nach der dritten strofe schluss.
dein text erfährt seine berechtigung durch die vielseitige betrachtungsweise.
für mich ist es eine eigenbetrachtung, ein zustandsbericht der (derzeitigen) lebenssituation.

Läufst um so
viele Tage
auf eckigen Rädern


für mich die absolut stärkste strofe. sagt mir, dass das leben nicht rund läuft meistenteils.

Lädst Bilder im
Knochenformat


auch diese strofe gefällt mir sehr. alles, was lyrich in sich aufnimmt, bleibt abgemagert, abgespeckt, reduziert auf ein minimum hängen. das leben fühlt sich entzaubert an.

Nicht konvertierbar
auf längere Sicht

erklärt die vorangegangene strofe. meiner meinung nach überflüssig. man kann die bilder nicht für sich übersetzen, nicht ego-kompatibel machen.

Der Einbaum Eigenbau
im Trockendeck vierseitig
symmetrisch wahlweise


das vertrackte an dieser strofe ist eine völlig unpassend scheinende metapher, die so gar nicht zum rest des textes passen will. und dann ist diese metapher auch noch so verschroben undurchsichtig, dass ich als leser schnell aufgebe. und es mich etwas enttäuscht, zum schluss hin so rausgeworfen zu werden. dazu gleich in der ersten zeile ein verunsichern. ist es ein enbaum, dem du den namen eigenbau gibst? ist es ein einbaumeigenbau oder einbaum-eigenbau? die von dir gewählte formulierung empfinde ich als falsch und / oder sehr verwirrend. und bei so einem schachtelgedönse mit kryptischem hintergedanken tötlich. dann fang ich gleich an zu überlegen, ob du nicht doch eher "trockendock" meinst.
für mich könnte das letzte gerne fehlen. das vorangestellte finde ich dagegen sehr gut!

liebe grüße: niko

Verfasst: 11.06.2012, 07:53
von birke
Hallo Eule,

mir gefällt das sehr gut.

Ich lese von einem Du, das Ecken & Kanten hat, und damit zwangläufig "aneckt".
Den (selbst gebauten, selbst gewählten?) "Einbaum" interpretiere ich als eine Art Einsamkeit, die dieses "Anecken" natürlich auch mit sich bringt.
Und zum Schluss lese ich aber auch eine Art "Versöhnung" oder Harmonie durch die "wahlweise Symmetrie", die es dann wohl auch zuweilen gibt.

Beim Titel bin ich mir nun nicht so sicher, wie ich ihn mit meiner Interpretation in Einklang bringe - vielleicht, dass sich das LyrIch fragt, ob das Bild vom Du nur ein "Hirngespinst" ist? Oder das "Du" ist überhaupt nur ein Hirngespinst? Hmmm ...

Vielleicht lieg ich auch völlig daneben. :-)

Auf jeden Fall stimmt dein Text nachdenklich, regt an zum Hinterfragen und Weiterdenken.

Gern gelesen!

Liebe Grüße
Diana

Verfasst: 11.06.2012, 08:07
von Eule
Danke für Eure Kommentare !

@Jürgen: Habe versucht, das "Hauptgespinst" am Gedichtsende etwas aufzusdröseln. Warum hier etwas gesponnen wird, bleibt offen. Im Trockendock wird repariert und vorbereitet.

@Gabrielle: Deine Leseversion gefällt mir gut. Vielleicht ist der Einbaum nun zugänglicher.

@ Niko: Danke für Deine vielen Gedanken. Ohne diese wäre mir der Schreibfehler in der letzten Strophe wohl kaum aufgefallen. Auf das Hauptgespinst kann der Text aber nicht verzichten.

@ birke: Eine feine Interpretation. Solche Gespinste können vielfältige Funktionen aufweisen und wie oft wundert sich der aufmerksame Beobachter dann über das "Garn" der Anderen. :-)