Walküre

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 21.06.2011, 22:07

walküre

sprützt ihr
die atzende milch aus der brust
auf den boden dumm
rund wie der kiesel rollt
dumm dumm
brünnhilde genannt werde sie nachtgeschoss

wir zünden eine kerze an
wer falten möchte nur zu:
an die krokodilmama mit den sechs dutzend zähnen
dem hochgespritzten jungbullen mit samenstau
chapeau der taubenbrut die mit spitzesten fingern croissantbrösel frisst
amen? amen

nächte sind das leer
wie ein wüstenkrieg
voll wie ein wüstenkrieg
dabei wollen wir gar keinen krieg mehr
wir brauchen doch nur unseren schatz
wir können ihn domizil nennen
oder regierungsbezirk noch
ein küsschen für den schatz

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 21.06.2011, 23:39

Hallo Franz,

ich finde, hier passt Inhalt und Sound wieder fantastisch zusammen. Frech, schnell, spritzig, wendig, überraschend, elegant, derb ... wie in einem Mantel- und Degen-Film. Ist nicht das erste Mal, dass Dein Stil mich an ältere Epochen erinnert. Mir gefällt diese Verknüpfung.

Und wieder diese skurril verbogenen Wörter. Gleich zu Beginn witzig: "sprützt ihr die atzende".


Ahoi

Pjotr

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 22.06.2011, 22:54

Lieber Franz

bei Walküre kann ich nur hellhörig werden, muss aber arg aufpassen, damit ich nicht selbst ins Wabern komme. Worum geht es dir? Ist das deine Sprache oder die des deutschen Schriftstellers dNiiv (dessen Namen ich immer vergesse) jetzt sofort googeln geht nicht. (anhebender Bocksgesang==). Ich mag das Polemische, Aggressive (anschwellend?) und gleichzeitig verstehe ich nicht. Ich verstehe deshalb nicht, weil für mich Walküre trotz aller Geheimbünde, Codewörter und Wagneriaden immer noch eine recht bewegende Sagengestalt bleibt, eine Mischung aus Artemis und Athene, nur etwas großzügiger gestaltet ... Ich sehe also eine Frau vor mir ... sollte es aber ein kriegerisches Ustensil sein, ist mir perönlich der Zusammenhang nicht klar genug.


sprützt ihr
die atzende milch aus der brust


??? ja, die Sprache ist schön - aber was bedeutet das ---?

auf den boden dumm
rund wie der kiesel rollt
dumm dumm
brünnhilde genannt werde sie nachtgeschoss


eine Waffe --- tut mir leid, wahrscheinlich entgeht mir was ... doch, ich erinnere mich auch an den Film. an die Verwendung der Drei-WalkÜren-Arie und die fallenden Bomben --- (andere hießen Baby, wenn ich mich recht erinnere?

wir zünden eine kerze an
wer falten möchte nur zu:


wer möchte falten und was (die Hände?)


Manchmal denke ich, ich bin nun 40 Jahre von den Alltagsassoziationen der Deutschen weg -- kann ich den Inhalt der Worte überhaupt noch verstehen?


an die krokodilmama mit den sechs dutzend zähnen
dem hochgespritzten jungbullen mit samenstau



der hochgespritzte Jungbulle --- mit Hormonspritzen gezüchtet, hochgezüchtet??


Da seh ich bei Chapeau erst mal gar nix, die Taubenbrut schon eher (Nachklang Brot, sehr schön)

Vor allem sehe ich sehr scharf und verärgert diese Taubenbrut über die Croissantbrösel herfallen ...


amen? amen

Gut, dann folgt das amen in der Kriche


so und nurn strophe 2

nächte sind das leer
wie ein wüstenkrieg
voll wie ein wüstenkrieg
dabei wollen wir gar keinen krieg mehr
wir brauchen doch nur unseren schatz
wir können
ihn domizil nennen
oder regierungsbezirk noch
ein küsschen für den schatz
[/quote]


Seltsam, wie klar und eindringlich jetzt die zweite Strophe sich abrollt. Merci, das ist jetzt alles klar ... man muss sich nur auf den Text einlassen.

Ich sehe den Krieg, ich sehe den Wüstenkrieg, ich sehe den Zusammenhang mit Schatz (Rheingold) und Domizil -- das Schloss das Fafner baut ...und gar ein küsschen ...

Jetzt Wälsungenblut lesen, Wagner hören am liebsten mit einer Inszenierung von Bill Viola ... (((ja, ich weiß, die Waffenindustrie braucht Krieg und wir nicht und all die Länder auch nicht. Die Menschen machen den Krieg, die Vernichtung ...

Dennoch:

Danke für das Lesevergnügen (aber irgendwie musste ich mich doch zu sehr anstrengen, finde ich ... )

liebe Grüße
Renée
Zuletzt geändert von Renée Lomris am 23.06.2011, 03:48, insgesamt 1-mal geändert.

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 23.06.2011, 00:51

Hallo Franz,

das ist sicher ein gutes Gedicht. Ich habe allerdings den Eindruck, dass es sich ein wenig zu sehr "herzeigt", sich dem Leser zu stark anbietet... Hm, ne, das trifft es nicht ganz . Aber ich bin gerade auch etwas müde ;-)

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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Eule
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Beitragvon Eule » 23.06.2011, 09:44

Hallo Räuber, ein gelungener Text. Trotz allem Einsatz, Mut und Können bleiben vom großen Auftritt nur Verstrickung, Chaos und Slapstick übrig. Drama, what drama ?!
Ein Klang zum Sprachspiel.

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 23.06.2011, 11:06

Hallo,
danke für die Rückmeldungen.
Pjotr, ein Nachmittag mit guter Laune ist viel wert, manchmal mehr als Wochen Umarbeitung. Atzung kam mit nicht greifbaren Erinnerungen - vielleicht Homer, Ilias in der Voßschen Übersetzung, sowas las ich früher.
Renée, du hast Botho Strauß vor Augen? Von dem kenne ich außer einigen Theaterstücken gar nichts, und diese Stücke klangen für mich recht 'intellektuell verkopft' - ist das hier auch so? (Die Frage ist ernstgemeint, nicht rhetorisch - deine Interpretationsarbeit weist in diese Richtung)
Im nordischen Kontext sind die Walküren deutlich finster, Göttinen des Kriegs und des Sterbens in der Schlacht, Artemis und auch Athene würde ich sehr anders empfinden.
Die Anknüpfung an Wagner ist natürlich zulässig, Frage ist eher, ob die Motive hier auch so verwendet werden (ich habe sie eher trotz Wagner als wegen ihm verwendet - bei 'Schatz' hatte ich mehr Gollum im Ohr als Rheingold; Domizil ist aber schon deutlich anders belegt als Walhall oder die Fafner-Burg, das empfinde ich als vom Text wegführend). Einige der Bilder haben noch andere Konnotationen, als du sie nennst (in der Reihung der "katholischen Dreifaltigkeit" aus Gottesmutter, Sohn und Geist wird letzterer durch die Taube symbolisiert). Dies nur als Ergänzung, ich finde es sehr, sehr hilfreich zu lesen, wie sich bei anderen die Eingliederung eines Textes in die Gedankenwelt vollzieht, hier kennt man ja meistens nur den eigenen Prozeß halbwegs gut

Ferdi: ich sehe schon, dass das Ding recht dick daherkommt, vier Auspuffrohre, verchromter Spoiler etc. Ich könnte das auf das Konto Übermut buchen, andererseits sind Lyriker per Berufung Pharmavertreter, die haben meist einen Hang zu großen Schlitten.

Arne: hier kann ich kaum ahnen, in welche Richtung du den Text liest, irgendwie Richtung Theater. Ich bräuchte hier noch Futter - was z.B. ruft bei dir Begriffe wie "Slapstick" oder das "Können" hervor?
Grüße
Franz
Zuletzt geändert von RäuberKneißl am 23.06.2011, 11:29, insgesamt 1-mal geändert.

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Eule
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Beitragvon Eule » 23.06.2011, 11:23

Hallo Franz, ich dachte auch an die Bayreuther Festpiele mit Wagners "Ring". Die Figuren übertrug ich dann gedanklich auf die Gegenwart und fand mich bei Amy Winehouse wieder. ;-)
Zuletzt geändert von Eule am 23.06.2011, 13:23, insgesamt 1-mal geändert.
Ein Klang zum Sprachspiel.

moonlight

Beitragvon moonlight » 23.06.2011, 13:07

Hallo Franz,
ich habe deine Walküre mit Begeisterung gelesen........besonders weil dein Text sehr fordernd ist.

Liebe Grüße
Moonlight

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 06.07.2011, 00:43

Lieber Franz, ich hatte dir noch eine Antwort zu deinen Fragen versprochen ...

Du schreibst:

Renée, du hast Botho Strauß vor Augen? Von dem kenne ich außer einigen Theaterstücken gar nichts, und diese Stücke klangen für mich recht 'intellektuell verkopft' - ist das hier auch so? (Die Frage ist ernstgemeint, nicht rhetorisch - deine Interpretationsarbeit weist in diese Richtung)


Ja, in der Tat, Botho Strauß. Ich mag ihn sehr und habe ihn mehrfach sowohl auf Französisch als auch auf Deutsch gesehen, seine Theatertexte gehören zu den Besten, die ich kenne. Intellektuell verkopft finde ich sehr gut, Aber das noch um eine weitere Kategorie zu bereichern ist natürlich unsere Absicht, oder? Ich habe nichts gegen den Kopf, ein sehr nützliches Organ, das ziemlich viel aus sich herausholt.


Im nordischen Kontext sind die Walküren deutlich finster, Göttinen des Kriegs und des Sterbens in der Schlacht, Artemis und auch Athene würde ich sehr anders empfinden.


Mit dem zweiten Teil deiner Aussage bin ich natürlich einverstanden, mit dem ersten weniger. Zahlreiche Walküre->Darstellungen versuchen aus ihr etwas gleichzeitig starkes und liebreizendes herauszuholen. Finster ist sie eigentlich erst als sie merkt, dass die schöne Nacht mit "Siegfried" nie wiederkehren würde ... Sie kämpft um "angemessene" Liebe, scheint mir, im Rahmen der Contingences, ihrer Bedingungen, die ihr diesen Kampf auferlegen. Was Finster und was Heiter ist, müsste - die Mythologie betreffend noch einmal analysiert werden, wenn ich mich an die Mythen einiger Helden, Halbgötter und Götter der griech. Mtholgie erinnere, geht es dort sehr finster her ...


Die Anknüpfung an Wagner ist natürlich zulässig, Frage ist eher, ob die Motive hier auch so verwendet werden (ich habe sie eher trotz Wagner als wegen ihm verwendet -

Ja, das habe ich schon gemerkt ... das macht den Text für mich --- bitte nicht falsch verstehen - aber das macht für mich das "typisch Deutsche" solcher Anspielungen aus. Man muss bei Wagner irgend etwas Trotziges in der <Attitüde haben ... Ich wollte, die deutsche Gegenwartsliteratur wäre frei von solchen Rückversicherungen. Leider gibt es den Holocaust ungeachtet der Vorsichtsformulierungen einer zumeist nach 45 geborenen Intellektuellenschicht.

Vielleicht hättest du auf Wagner-Assoziationen dann verzichten müssen ... (ich meine, das hast du nicht getan, und gerade das finde ich sehr gut....)

bei 'Schatz' hatte ich mehr Gollum


wenn man bedenkt, dass Tolkien sein nationalsozialistisches Denken vorgeworfen wird, dann bist du bei Gollum mit Sicherheit geradezu näher an jenem Denken, als dir vielleicht lieb wäre ...

im Ohr als Rheingold;


Domizil ist aber schon deutlich anders belegt als Walhall oder die Fafner-Burg, das empfinde ich als vom Text wegführend).

Ich habe Inszenierungen gesehen, in denen das Domizil durchaus auch eine Fafnerburg sein könnte, eine dieser Inszenierungen, in der aus Fafner ein Ölkönig würde ...

Einige der Bilder haben noch andere Konnotationen, als du sie nennst (in der Reihung der "katholischen Dreifaltigkeit" aus Gottesmutter, Sohn und Geist wird letzterer durch die Taube symbolisiert).


Da hast du allerdings sicher Recht

Dies nur als Ergänzung, ich finde es sehr, sehr hilfreich zu lesen, wie sich bei anderen die Eingliederung eines Textes in die Gedankenwelt vollzieht, hier kennt man ja meistens nur den eigenen Prozeß halbwegs gut


Ich fand es toll, so mit dir diskutieren zu können und hoffe, dass zwischen uns kein Missverständnis entsteht -- ich Äußere hier auf sehr freizügige und vertrauensvolle Art Gedanken zu deinem Text, die deinen Text begleiten, und ihn nicht als alleinige Quelle verstehen. Nur ein Hinweis, wie weit Assoziationen gehen können- Der Leser sagte ein frz, Autor wird zur Erfindung des Kontextes angehalten. ...

liebe Grüße
Renée

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 06.07.2011, 20:47

Hallo Renée,
danke für den erneut sehr ausführlichen Kommentar. Ich wollte nicht abstreiten, dass man die Bilder auf Wagner beziehen kann, nur anmerken, dass sie nicht daher kamen. Eine typisch deutsche Abgrenzung mag dass sein, aber sie rührt eher daher, dass ich, obwohl mir sein Musik nichts sagt, in mehr Wagner-Opern war als Ohrenärzte für gut heißen können - vielleicht weil so viele Wagner-Opernkarten verschoben werden ("Willst du sie, ich hatte ganz vergessen, das meine Schwiegermutter an dem Abend Geburtstag hat...")
Gollum als der Mephistophele in Tolkiens Heldenreise ist hier trotz allem ein bißchen Kult geworden. Die nächsten Folgen werden ja gerade gedreht (vom Hobbit).
Danke und Grüße
Franz

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 06.07.2011, 22:05

Hallo!

Renee, zu deinem "wenn man bedenkt, dass Tolkien sein nationalsozialistisches Denken vorgeworfen wird": Manchmal sagt das Vorgeworfene mehr über die geistige Gesundheit der Vorwerfenden aus als Sinnhaftes über das, dem da vorgeworfen wird... So ein Schmarrn, da würde ich an deiner Stelle nichts drauf geben :-)

Ferdigruß!
Zuletzt geändert von ferdi am 06.07.2011, 22:43, insgesamt 1-mal geändert.
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

eve
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Beitragvon eve » 06.07.2011, 22:41

danke! auch meine meinung.

eve


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