Die Kirschknospe welkt

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Quoth
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Beitragvon Quoth » 13.03.2011, 12:25

Die Kirschknospe welkt,
stirbt geschlossen dahin. Sie
mag Kernschmelzen nicht.
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 13.03.2011, 17:10

Hi leonie,
leonie hat geschrieben:Ich gehe davon aus, dass er versucht, seine Betroffenheit/Hilflosigkeit/Wut/seinen Schmerz lyrisch zu verarbeiten. Und dagegen habe ich nichts einzuwenden.

Ich auch nicht, ganz im Gegenteil! Nur leider kann ich persönlich keine Betroffenheit/Hilflosigkeit/Wut/Schmerz hier herauslesen.
Hier wäre m.E. ein Text unter "Kritisches" nicht der falscheste Ort. Aber mit mehr "Fleisch" dran, so dass man das oben Erwähnte herauslesen kann.

Saludos
Gabriella

Quoth
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Beitragvon Quoth » 13.03.2011, 18:52

Hallo alle,
Leonie schrieb:
Mir geht es so, dass ich in den ersten beiden Zeilen einen Schmerz darüber finde, wieviel Leben durch die Katastrophe zerstört wird, dafür steht die Kirschblüte für mein Empfinden. Es wird keinen Grund mehr geben, sie oder irgendetwas zu feiern. Weil der Mensch in seinem Größenwahn es kaputt gemacht hat. Und da ist auch die Wut drin, die für mich mitschwingt.

Ich denke nicht, dass Quoth hier ein Bonmot zum Besten gibt. Ich gehe davon aus, dass er versucht, seine Betroffenheit/Hilflosigkeit/Wut/seinen Schmerz lyrisch zu verarbeiten. Und dagegen habe ich nichts einzuwenden.


Der Ton liegt auf "versucht". Tut mir leid, wenn das jemanden in seinem Empfinden verletzt hat.

Das Wort Kernschmelze hat Ähnlichkeit mit dem Wort Krebs (von Teya neulich gut dargestellt): Man versucht es mit allen Mitteln zu vermeiden. Dem wollte ich mich hier nicht anschließen.

Mit Dank für Befassung

Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Niko

Beitragvon Niko » 13.03.2011, 18:59

hallo quoth und andere,

was ist schlimmer, als solch ein supergau in japan? - nichts! nichts, was man sich auch nur im entferntesten vorstellen könnte. das entrüsten der schreibkollegen kann ich gerade darum nicht nachvollziehen.

hier sucht jemand einen weg für sich, das wirklich unfassbare auf seine art zu verarbeiten. auf einem weg, den er am besten (evtl) kann: das schreiben. und ich finde, man kann nicht darüber streiten, ob das gelungen ist, oder nicht. man kann auch nicht sagen, ob träume richtig sind, oder nicht. sie sind einfach da. individuell und mit nichts vergleichbar. so ist es mit dem verarbeiten auch. und es nutzt nichts, darüber zu sinnieren "was er sich dabei wohl gedacht hat". die stimmung, die situation aus der heraus es geschrieben ist, können wir nicht beurteilen. alles, was wir beurteilen können ist, ob es uns in irgendeiner form erreicht. angesichts solcher katastrophen muss man kein prophet sein, um zu WISSEN, dass weder hähme, noch sonst irgendein negatives gefühl einer situation oder bevölkerungsgruppe gegenüber triebfeder ist. es ist schlicht bestürzung. ICH liese aus dem dreizeiler mehr als 120 zeilen sehr melancholisches und einen hauch von zermürbtheit. und es erreicht mich. wenn ich es auch anders gemacht hätte, so finde ich es berechtigt und nicht schlecht.

liebe grüße: niko

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 13.03.2011, 19:52

Hallo,

auf mich wirkt der Text auch eher banal, die Kirschblüte, die geschlossen dahin stirbt, empfinde ich als kitschiges Element, das Wort Kernschmelze dazu genommen macht das ganze für mich moralisch nur scheinbar nah dran, aber eigentlich weit weg vom Geschehen, nicht wirklich dran. Dass das ganze dann noch in einer Versform geschrieben ist, die japanisch ist, potenziert diesen Eindruck nochmal extrem. Für mich geht der Text daher auch nicht auf. Er wirkt wie ein Versuch betroffen sein zu wollen, es nicht zu schafffen und dann eine Haltung einzunehmen, die Betroffenheit suggeriert. Im besten Falle empfinde ich daher die Erzählinstanz des Textes als hilflos.

Festeht allerdings, dass ich es auch nicht besser machen kann.

Ich finde es weiterhin schon wichtig, dass ferdi darauf hinweist, dass die Haltung "sowas geht gar nicht" gefährlich ist. Natürlich kann man sich über etwas empören oder sich an etwas stoßen und dann sagen, dass für einen selbst die Herangehensweise und die Umsetzung gar nicht aufgehen oder auch, dass man "ehtisch" damit seine Probleme hat, aber generalisieren sollte man da nicht.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 14.03.2011, 04:58

Schlimm, wenn die Moralpolizei einem einen Gesetzesverstoß hinten in die Arschtasche ungefragt rein- und rausschiebt, um ihn dann einem vor die Nase zu halten und draufloszuballern.

Jetzt darf man beim Denken an Japan wahrscheinlich auch nicht mehr die Saiten zupfen. Ein jeder schlucke seine Empfindungen. Lasst nichts heraus. Für Gefühlsmitteilungen gibt es Formular 17B. Für Ausdrucksuchende gilt jetzt ein Versammlungsverbot. Die Leitungen sind unterbrochen.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 14.03.2011, 09:32

Vielen Dank an alle, die hier die Freiheit des Wortes verteidigt haben - auch angesichts eines ästhetisch fragwürdigen Textes - Ferdi, Leonie, Niko, Pjotr. Lisa, Du hast die Kitschkeule herausgeholt - aber indem Du einräumst, Du könntest es auch nicht besser, hast Du meinen Text doch immerhin diskutabel gefunden und zudem Ferdis Forderung, keine Zensur auszuüben, unterstützt. Mir lag nur an einer - hilflosen - Geste gegenüber einer von einer wahren Apokalypse (SPIEGEL) betroffenen, mir einschließlich ihres Kirschblütenkults sehr lieben Kultur. Sicherlich sind Schweigen, Verdrängen und Rückzug in den Elfenbeinturm Reaktionen, mit denen man sich weniger angreifbar macht.
Pjotr, Du schreibst:
Für Ausdrucksuchende gilt jetzt ein Versammlungsverbot.
Das stimmt nicht. Vielleicht magst Du - oder mag jemand - da mal hingehen. Auch hier ist Japan!
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 14.03.2011, 09:57

Hallo!

Wenn man die aktuellen Seiten durchschaut, findet man einige Hinweise, dass die von Quoths Gedicht ausgehende Frage auch anderswo gesehen wird. Einige haben auf spiegel.de bestimmt im Live-Ticker dies gelesen:

Eine Tsunami-Karikatur hat in Malaysia Proteststürme ausgelöst. Die Zeitung "Berita Harian" hatte am Sonntag eine Karikatur veröffentlicht, auf der die japanische Science-Fiction-Figur Ultraman vor riesigen Wellen flieht. Am Montag entschuldigte sich das Blatt dafür und reagierte damit auf Hunderte Protestanrufe und -zuschriften. "Wir hatten nicht die Absicht, uns über das Desaster lustig zu machen", teilte die Zeitung mit.

In diesem Zusammenhang bemerkenswert - ganz ohne Wertung - auch Wolfgang Herles bei Anne Will:

Bei einigen versagen jetzt offensichtlich wieder die Kühlsysteme im Kopf.

Ferdigruß!
Zuletzt geändert von ferdi am 14.03.2011, 10:54, insgesamt 1-mal geändert.
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 14.03.2011, 10:39

Apropos Anne Will:

Wie üblich, zeigte sich Röttgen wieder als klassischer Hohlraum-Rhetoriker. Ein Zeitdieb in jeder Hinsicht; in der Laufzeitverlängerung ebenso wie in der Sprechstunde, wo jede Sendeminute wertvoll ist. Ich wünschte, jemand würde dem, jedesmal wenn er zum Stehlen ansetzt, sofort das Maul stopfen.

Bei Herles kann ich nichts bemerkenswertes feststellen außer unlogische Argumente und Parteielei, die er anderen vorwirft, vorwirft vermutlich deshalb, weil er selbst parteipolitisch denkt. In meinen Augen ist das einer von der Sorte, die Atomenergie nur deshalb befürworten, weil sie grundsätzlich etwas gegen grüngefärbte Leute haben.
Zuletzt geändert von Pjotr am 14.03.2011, 10:48, insgesamt 2-mal geändert.

Gerda

Beitragvon Gerda » 14.03.2011, 10:42

Hallo Quoth,

es geht mir nicht darum, dass du dich nicht äußerst, vielmehr kommt es mir auf das "(Literarische) Wie" an.
Auf mich wirkt die Kirschblütenknospe in diesem Kontext "fremdbenutzt".
Sie ist ein wichtiges Symbol des Kulturkreises, der so schrecklich heimgesucht wird.
Die eigene Betroffenheit literarisch zu äußern und dabei diese Betroffenheit angemessen niederzuschreiben, kann meines Erachtens gerade wegen der Symbolik der Kirschblüte nicht gelingen.
Mag sein, dass ich anders empfinden würde, hättest du einen Prosatext verfasst, in dem die persönliche Erfahrung des Autors gerade mit diesem Kulturkreis einfließt. So wirkt es auf mich zu plakativ.

Ein anderer Aspekt der Kirschblütenknospe, war die Frage: Welkt eine Kirschblüte, wenn sie nuklear verseucht wird?, bzw. was geschieht dann.
Die Wahrscheinlichkeit ist ein "Sterben" nicht nur der Kirschblütenknospe, sondern der gesamten Natur in der Region die betroffen wäre.

Liebe Grüße
Gerda
Zuletzt geändert von Gerda am 14.03.2011, 13:57, insgesamt 1-mal geändert.

Klara
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Beitragvon Klara » 14.03.2011, 13:47

Dichtung, die verstummen muss angesichts von was auch immer, ist keine. Daher mag natürlich aufgrund deiner Gefühlslage so etwas "nicht gehen"; aber die kann nicht erster, und schon gar nicht einziger Maßstab sein.

Hallo ferdi,
ich wüsste nicht, mit welchem Wort ich diesem deinem Diktum - hier oder anderswo - je widersprochen hätte. Meine spontane Reaktion bezog sich auf diesen Text - und auch wenn man nciht verstummen will, wird es erlaubt sein, sogar wenn es mit Gefühlen zu tun hat, "das geht nicht" über eine bestimmte lyrische Ausdrucksweise zu äußern, ohne die Unterstellung serviert zu bekommen, dass man fordere, Dichtung MÜSSE verstummen, auch noch als ganze, und zusätzlich unterstellt bekommen, das man dies als "einzigen Maßstab" anlege und auch noch von anderen verlange. (So unfair argumentierst du doch sonst nicht? Manipulativ vielleicht, auf deine vornehm unterkühlte Art - aber unfair doch nicht?)

Von nichts anderem als meiner Gefühlslage habe ich gesprochen und diesem Gedicht am 13. März 2011 habe ich gesprochen - weder über DICHTUNG noch über allgemeines VerstummenMÜSSEN. Wie käme ich dazu. Brecht oder Adorno brauchst du mir hier deshalb gar nicht unterzuschieben - wären sie ja noch dazu die ersten, die sich selbst widerlegt haben, der eine theoretisch, der andere praktisch.

[Adorno: "Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch"
Brecht: die finsteren Zeiten..., in denen "ein Gespräch über Bäume fast schon ein Verbrechen ist".)

klara

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 14.03.2011, 14:33

Hallo Klara!

Ich fand es nicht so toll, wie du, statt über Quoths Gedicht zu sprechen, lieber über deine Gefühle geredet hast - und sie zum Maßstab erhobst. Das ist unfair dem Text gegenüber. Und das finde ich immer noch.

"Unterkühlt" bin ich nicht; ich kippe nur nicht jedem, der nicht schnell genug auf den Bäumen ist, mein Gefühlsleben in den Schoß. Was hierzulande als gutes Benehmen gilt.

Brecht und Adorno hast du dir untergeschoben - mich damit in Verbindung zu bringen, wirft immerhin ein interssamtes Licht darauf, wie du "manipulativ" zu verstehen scheinst.

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 14.03.2011, 14:45

Hallo Ferdi,
ferdi hat geschrieben:Ich fand es nicht so toll, wie du, statt über Quoths Gedicht zu sprechen, lieber über deine Gefühle geredet hast - und sie zum Maßstab erhobst. Das ist unfair dem Text gegenüber. Und das finde ich immer noch.

sehe ich anders. Klara hat - unter Bezugnahme auf das Gedicht von Quoth (sie hat ja auch Stellen daraus genannt) - geschrieben, was das bei ihr ausgelöst hat. Und das finde ich in Ordnung.
Warum sollte man hier nicht äußern dürfen, wenn einen etwas wirklich betroffen, ja Angst macht?

Saludos
Gabriella

Gerda

Beitragvon Gerda » 14.03.2011, 15:08

Hm, liebe Gabi,

ich habe auch ein Problem damit, hier die eigenen Ängste und Gefühle im Zusammenhang mit der Katastrophe (hier stimmt das Wort), zum Gegenstand des Fadens zu machen.
... sehe es ganz ähnlich wie ferdi, verstehe durchaus Klara, aber hier geht es um ein Gedicht.
Für die Angstbewältigung dann doch lieber ins Blaue Café.

LGG

OT ... bei allem Mitgefühl gegenüber Japan ... es gibt weltweit viele (von Menschen verursachte) Katastrophengebiete, Krisenherde etc. (Ich sage nur Lybien).
Mir scheint, daran denkt kaum noch jemand ....
Das hat jetzt auch nichts mit dem Gedicht zu tun, aber damit, dass man die eigene Gefühlslage prüfen könnte.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 14.03.2011, 16:35

Gerda hat geschrieben:aber hier geht es um ein Gedicht.

Auslöser für die Gefühle/Ängste ist doch hier das Gedicht und vor allem dieser Satz:

Sie mag Kernschmelzen nicht.
Gerda hat geschrieben:Für die Angstbewältigung dann doch lieber ins Blaue Café.

Dann müssten wir etliche Fäden im Café oder sogar eine "Angstecke" aufmachen.

Das finde ich übertrieben.
Wir sind doch keine Roboter. Es gibt eben immer mal Texte oder Sätze, die einen persönlich richtig treffen.
Und da dann, im Faden, in dem der Auslöser gesetzt wurde, darüber zu schreiben, finde ich legitim.

Wenn es - unabhängig von Texten - Situationen aus dem aktuellen Weltgeschehen gibt, die einem Sorgen machen, dann ist ein neuer Faden sicher angebracht. Oder, wenn jetzt auf Klaras posting hin etliche weitere persönliche Bekenntnisse zur Katastrophe in Japan gekommen wären, dann hätte auch ich gesagt: stopp, bitte eigenen Faden dafür öffnen.

Saludos
Gabriella


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