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Frühlingsgedanken – „vom Schmalze befreit…“

Verfasst: 01.05.2010, 17:35
von Schwarzbeere
Frühlingsgedanken – „vom Schmalze befreit…“

Die Jahreszeit zum Kopulieren drängt.
Die es noch können, tun es mit Vergnügen,
oder auch ohne. Doch wem reglos hängt
das Glied, dem hilft auch nicht Sich-selbst-Belügen.

Dies zu erkennen fordert Überwindung,
Ein junger Körper braucht kein Viagra,
nur Glycerin zur leichteren Verbindung,
ob vaginal, anal, etcetera…

Vor achtundsechzig galt noch als moralisch,
dass Leistenschmerz belohnte den Getreuen,
dem heut schmerzt nur die Prostata bestialisch.
Soll er, was er vielleicht versäumt, bereuen?

Was man an Liebesflüssigkeit vergossen,
wer fragt danach, wenn alles ist vorbei?
Allein zählt nur, dass jemand es genossen.
Ob Du, ob ich, ist schließlich einerlei!

Verfasst: 01.05.2010, 21:49
von Lisa
Lieber schwarzbeere,

erstmal vielleicht den Kontext zu diesem Text:

viewtopic.php?f=48&p=144096#p144096

Ich denke nicht, dass diese Version des Textes gelunger ist als die letzte - ich glaube auch nicht, dass dies derart gelingen kann, wenn du selbst mit der Herangehensweise nicht zufrieden bist, sondern dich dazu (ironisch) "zwingst".

Diese Anmerkungen/Argumente allerdings finde ich problematisch:

Wie echt die Überlegungen des erzählenden Ichs sind, dürfte freilich für jene, die z.B. den zweiten Weltkrieg kaum oder überhaupt nicht aus eigener Erinnerung kennen - und es geht dabei um die Moral jener Zeit - kaum zu beurteilen sein, sie aber auch nicht interessieren - glücklicherweise!


Ein unterschwelligen Stil mit schmerzvollen geschichtlichen Ereignissen moralisch aufzuwerten und dann eine neue Textversion einzustellen, die die alten Probleme in meinen Augen immer noch aufweist (die nämlich nicht in einem Höflichkeitswahren wurzeln), finde ich komisch.

Ich finde beide Texte gleich stark gehemmt, gleich stark unterdrückt und gleich stark unangenehm.

liebe Grüße,
Lisa

Verfasst: 15.05.2010, 11:23
von Schwarzbeere
Da ich dieser Tage sehr selten einen Schlips trage, nach Jahren im blauen Anzug, weißen Hemden und Krawatte habe ich davon mehr als genug, konnte ich mich auch nicht sofort darauf getreten fühlen. Dann aber kam allmählich die Einsicht, dass meine Art von Humor, typisch österreichisch immer mit ein bisserl Weltschmerz vermischt, bei dem modernen poetischen Publikum ein unangenehmes Aufstoßen hervorrufen könnte, und, vor die selbstauferlegte Wahl gestellt, mich weinend oder schmollend in einen Winkel zurückzuziehen, oder mich mit der Sturheit und Unbelehrbarkeit des Vorgestrigen weiterhin auf dem Pranger der Lächerlichkeit auszuliefern, traf ich die „mutige“ Entscheidung.

Was tun? Ich stelle hier nochmals den Text als Hörfassung ein, und falls dies der erleuchteten Obrigkeit als angemessen erscheinen sollte, dann wäre ich einer Verschiebung in den Bereich des Humors nicht abgeneigt.

Neue Hörfassung

Verfasst: 15.05.2010, 13:10
von Niko
hallo schwarzbeere!
mal fernab von thematischer kritik finde ich das gedicht metrisch wackelig.
Frühlingsgedanken – „vom Schmalze befreit…“

Die Jahreszeit zum Kopulieren drängt.
Die es noch können, tun es mit Vergnügen,
oder auch ohne. Doch wem reglos hängt
das Glied, dem hilft auch nicht Sich-selbst-Belügen.

diese erste strofe ist für mich metrisch das maß aller weiteren verse. und hier finde ich es passend gemacht und flüssig. z1:10-silbig, hebung auf der zweiten silbe, z2:11 silbig, hebung zweite silbe, z3: wie zeile 1, hebung auf erster silbe. aber hier ist es zum lesen nicht unerheblich und gut gesetzt. z4: wie zeile 2.

Dies zu erkennen fordert Überwindung,
Ein junger Körper braucht kein Viagra,
nur Glycerin zur leichteren Verbindung,
ob vaginal, anal, etcetera…

hier kommt die erste unruhe: z1: zwar 11-silbig, wie parallel in strofe 1 aber mit hebung auf erster silbe. z2: zwar 10 -silbig, aber metrisch sehr vage: ein JUNger KÖrper BRAucht kein viAgra klingt für mich holprig. auch zeile 3 zwar 11-silbig, aber dann holprig: nur Glycerin zur leichteren Verbindung. die letzte zeile dieser strofe wieder in korrekter metrik.

Vor achtundsechzig galt noch als moralisch,
dass Leistenschmerz belohnte den Getreuen,
dem heut schmerzt nur die Prostata bestialisch.
Soll er, was er vielleicht versäumt, bereuen?


z1: wieder metrisch völlig ok, z2: scherst du aus dem 11-10-11-10 silbigen schema aus und nimmst hier ebenfalls 11 silben. z3 ist dann wikrlich schlecht und lässt jedes metrische gefühl (das du sonst in deinen texten sicher anwendest) vermissen. nicht nur, dass es metrisch völlig aus der spur läuft. du wirst hier mit einem mal 12 silbig..die z4 dann wieder 11 silbig. so ergibt sich in dieser strofe ein silbenschema von 11-11-12-11........

Was man an Liebesflüssigkeit vergossen,
wer fragt danach, wenn alles ist vorbei?
Allein zählt nur, dass jemand es genossen.
Ob Du, ob ich, ist schließlich einerlei!


vorab: in zeile zwei würde ein "wenn alles erst vorbei" einem anflugsgefühl von "reim dich, oder ich schlag dich" vorbeugen. "wenn alles ist vorbei" klingt doch ziemlich dem reim geschuldet.
z1: wieder ruhig und flüssige 11-silbigkeit, z2 auch wieder 10 silbig. z3 wieder 11 silbig, z4 wieder ein "rückfall" in die 11-silbigkeit. hier allerdings empfinde ich es nicht als störend, weil in der letzten strofe die metrik ansonsten perfekt ist.

liebe grüße: Niko

Verfasst: 15.05.2010, 18:20
von Schwarzbeere
Lieber Niko,

Da hast du dich aber wirklich hineingearbeitet und mich damit in eine fast peinliche Situation gebracht, da ich dir mit dem Silbenzählen nicht Konkurrenz mache will, vielmehr offen gestehen muss, dass ich immer die Meinung vertreten habe, Hebungen seien in der deutschen Verslehre (im Unterschied zu romanischen Sprachen) wichtig, nicht aber eine vorgegebene und strikt befolgte Silbenanzahl. Genauso betrachte ich den Rhythmus eines Textes als wesentlich und da, für mich, alle sogenannten lyrischen Texte (ich scheue mich immer, das Wort Gedichte für unsere laienhaften Murksereien zu gebrauchen) letzten Endes für die Rezitation bestimmt sind – auch wenn dieses Lesen sich nur im Schädel des Lesenden vollzieht – frage ich jeweils, ob ein Text bei der Lektüre ein Stottern erzwingt oder einen willigen Redefluss gestattet. Da man aber beim Lesen manche Silben kontrahiert, frage ich mich weiter, ob die Silbenzählung sich auf das Schriftbild oder die gesprochene Version beziehen sollte? Wenn du meine Lesung anhörst, trifft dies auf „bestialisch“ zu, das ich dreisilbig ausspreche.

Du hast ja selbst Texte eingestellt, bei denen jede metrische Analyse versagen müsste. So wundert es mich umso mehr, dass du dich hier unter die Kreuzerlzähler einreihst. Hier ist ein Beispiel für einen Text, den ich eben geschrieben und bei dem durch den Wechsel von zwei– und dreisilbigen Versfüßen das arhythmische Herzklopfen hörbar werden soll

Leichter fließt aus den angewinkelten Beinen
das Blut zurück in das dumpfe, stolpernde Herz.
Schon erfrischt sich die Nacht in blinden Wehen,
das dem Erinnern nur träge die Schleier leiht,
bevor mich endlich ein unruhiger Schlaf befreiend
aus meinen Ängsten erlöst.

XxXxxXxXxxXx
xXxXxxXxXxxX
XxXxxXxXxXx
XxxXxxXxxXxX
xXxXxxXxxXxXx
XxxXxxX

Ich danke dir jedenfalls für deine Arbeit an meinem Text und erwidere deine freundlichen Grüße