Wiedersehen

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 18.04.2006, 21:52

Wiedersehen

Jetzt sitzen wir wieder hier
Mit den Schrammen auf unserer Seele
Vergeblich versuchst du die Risse zu kitten,
dein Gesicht spiegelt, wie alt ich bin

Was machst du? Abgestandene Frage.
Ich ziehe Erfolge
aus meinen Hosentaschen.
Du lachst
Und was ist mit deinen Träumen?

Plötzlich glimmt es in deinen Augen
wie früher
mein Herz stolpert, steht still
ich nehme ein Taschentuch,
wische den Puder aus deinem Gesicht
und wünschte, es wären die Jahre,
eingegraben,
die später darin
dunkel schimmern.

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leonie
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Beitragvon leonie » 20.04.2006, 11:20

Hilfe!!

Was bedeutet dieses Schweigen? Soll ich das Ganze in Ablage "P"
verschwinden lassen?

Eine etwas verunsicherte leonie

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 20.04.2006, 16:45

Hallo Leonie,

nein bestimmt soll dieser Text nicht in Ablage p. verschwinden!


Ich finde einige Stellen, Bilder, in denen du erzählst sehr treffend (im zweifachen Sinne)
Besonders:

dein Gesicht spiegelt, wie alt ich bin

Ich ziehe Erfolge
aus meinen Hosentaschen.

mein Herz stolpert, steht still
ich nehme ein Taschentuch,
wische den Puder aus deinem Gesicht
und wünschte, es wären die Jahre,
eingegraben,
die später darin
dunkel schimmern.

Die Verbindung von tatsächlicher und bildlicher Sprache, die Verwebung finde ich gelungen.


). Allerdings finde ich nicht unbedingt, dass es sich um einen lyrischen Text handelt, eher um einen lyrischen Prosatext. Dadurch wird es schwieriger auf die Form einzugehen, da für mich zwar kein Text klar lyrisch oder frei sei muss, aber ich keine Orientierung habe, wo der Text hinführen soll...was seine Art ist...hast du da eine Vorstellung?

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leonie
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Beitragvon leonie » 20.04.2006, 20:59

Hallo Lisa,

danke für Deine Rückmeldung!

Zur Formfrage: Ich habe im letzten Jahr eine Werkstatt mit einem Schriftsteller und Dichter mitgemacht, der diese Art von Texten immer als "Erzählgedicht" bezeichnete. Ich finde, das trifft es ganz gut. Es erzählt eine Geschichte verdichtet...

Kannst Du damit was anfangen?

Liebe Grüße

leonie

Last

Beitragvon Last » 21.04.2006, 00:13

Hallo leonie,

dein Gedicht hat etwas Unbestimmbares an sich. Ich bin sehr unsicher, was passiert. Sind die beiden Personen ein und die selbe Person, die sich im Spiegel betrachtet, während sie sich abschminkt?
Dann würde alles einen Sinn ergeben. Es geht jedenfalls um Entfremdung, wahrscheinlich sich selbst gegenüber. Vielleicht sogar Midlife-Crisis, deswegen die ersten Falten?
Dein Schreibstil hilft mir in meiner Verunsicherung der Bedeutung gegenüber nicht bedeutend weiter. Zum Beginn noch klar und interessant, verliert er gegen Ende diese Wirkung.
"Plötzlich glimmt es in deinen Augen
wie früher
mein Herz stolpert, steht still
ich nehme ein Taschentuch,
wische den Puder aus deinem Gesicht
und wünschte, es wären die Jahre,
eingegraben,
die später darin
dunkel schimmern."
Den Schluss konnte ich syntaktisch nicht ganz entschlüsseln, vielleicht solltest du lieber zwei Sätze daraus machen, dann wird es einfacher.

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leonie
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Beitragvon leonie » 21.04.2006, 10:25

Hallo Last,

danke für die Rückmeldung. Ich hatte beim Schreiben zwei Personen vor Augen. Diese Treffen, wo man einander wirklich nur noch die Erfolge präsentiert und die Sehnsüchte und Träume (und das Feuer darin) von früher völlig vergessen scheinen. Die Diskrepanz zwischen dem, was man war, werden wollte, geworden ist, die Erkenntnis, dass vieles nicht mehr rückgängig zu machen ist...
Aber Deine Interpretation gefällt mir auch.
Ich mag Gedichte, die offen sind nach dem Motto: "Mein Gedicht sagt dir, was es weiß. Es fragt dich, was du weißt." (leider weiß ich nicht, von wem das ist, ich habe es nur als Zitat einmal gehört und mir gemerkt).
Den Schluss werde ich überdenken...

Liebe Grüße

leonie

Gast

Beitragvon Gast » 21.04.2006, 10:55

Hallo Leonie, mir ist es mit dem Schluss deines Gedichts so ergangen wie auch Last...
Der Schluss ist nicht schlüssig. ;-)
Eingegrabene falten haben bei uns im Sprachgebrauch etwas von "Sorgenfalten", warum wünscht das lyr. Ich,

es wären die Jahre,
eingegraben,
die später darin
dunkel schimmern.


Geht es um die Spurensuche der gemeinsamen Jahre, um Vergangenheitsbewältigung?, oder gar um den Wunsch, nach gemeinsamen Jahren, der nie erfüllt wurde...
Weißt du der Angfang erinnert eigentlich an ein Klassentreffen, irgendwie passt das Ende dann allerdings nicht...
Freiraum für den Leser ist bei Lyrik immens wichtig.
Nur sollte Lyrik nicht beliebig sein.

Liebe Grüße
Gerda

Louisa

Beitragvon Louisa » 21.04.2006, 14:28

Das ist auch ein wundervolles Gedicht. Sehr schöne, nie gelesene Bilder.

Ich persönlich weiß auch nichts daran auszusetzen. Wunderbar!

Nur vielleicht: Am Anfang. Das ist mir etwas ungenau. Alle anderen Bilder sind sehr speziell, aber wir "sitzen hier" ist so allgemein.
Wenn Du erzählen könntest wo gesessen wird, ist es für mich besser.

Ansonsten fabelhaft.

LG, Louisa

Iris

Beitragvon Iris » 21.04.2006, 15:15

Hallo, mit den Falten, daß "weiß" ich so: das Eingegrabene sind die Spuren, die gelebtes Leben hinterläßt und wenn sie an der Stelle nicht entstehen konnten oder können aus gemeinsamem Lebensgang, so läßt das uns fremd. Der Wunsch danach ist noch da im Aufglimmen.
Vielleicht ließe es sich, wenn es das ist, noch deutlicher und klarer rüberbringen.

LG Iris

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 21.04.2006, 17:42

Nicht erschrecken, leonie,
ich bin jetzt absichtlich mal prosaisch und profan:

Alte Liebe rostet...

lese ich als Konsequenz.

Da sind zwei, die mal liiert waren, es ist schiefgegangen, sie haben sich aus den Augen verloren, beim Wiedersehen nach langer Zeit (Zufall, Absicht?) kommt der Seelenmüll hoch, und der Wunsch "wäre es nicht schöner gewesen, es wäre anders gekommen, wir wären zusammengeblieben?" kommt hoch - symbolisiert in den "gewünschten Lebensfalten".

Ist zwar ein sinnloser Gedanke und Wunsch, aber emotional nicht von der Hand zu weisen - dennoch irgendwie sentimental...

Will ich es böse interpretieren, müßte ich sagen: LyrIch, na, da hst du wohl dein Leben vergeigt (trauerst einem nicht gelebten Leben nach, während du ein ungewolltes lebst).
Will ich nett formulieren, würde ich sagen: die beiden können es ja noch mal probieren, zwar unter anderen Vorzeichen, aber immerhin...

So wie du es beschreibst atmet das Ganze etwas sehr Resignatives.
Da auch nicht wirklich Kommunikation stattfindet und jeder für sich bleibt ist es für mich lediglich ein "Spotlight", daß auf zwei Menschen geworfen wird - von dem LyrDu weiß ich gleich gar nix, das LyrIch finde ich nicht so symphatisch (außerdem projiziert es die eigenen kaputten Erinnerungen/Wünsche in das LyrDu - ob das LyrDu das überhaupt ähnlich sieht bleibt unbeantwortet).

Könnte eine Art Szene einer Erzählung sein/werden - als erzählendes Gedicht für sich alleinstehend allerdings hat es zu wenig Substanz, meiner Meinung nach.

Gruß
Frank

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Beitragvon leonie » 21.04.2006, 19:40

Danke erstmal für alle Rückmeldungen. Das muss ich erstmal sacken lassen und dann sehen, was ich damit anfange.
Nochmal zu Dir, Frank, ich hatte nicht an Menschen gedacht, die einmal eine Liebesbeziehung hatten. Ich habe das bei Wiedersehenstreffen schon oft erlebt, dass es nur noch um "Erfolge" geht und nicht mehr um das, was früher einmal wichtig war, Ideale, Träume, was man besser machen wollte.
Das Feuer wiederzufinden, was einmal dafür da war, das war so die Idee.
Gerda, die Falten, stehen für so eine Art Patina aus Gewöhnung, Resignation, Desillusionierung, die, denke ich, jeder im Lauf des Lebens erlebt.
Wenn man die Sehnsucht danach wieder spürt, ist das ein erster Schritt, sich nochmal aufzumachen, denke ich. Für mich war es eher das, Sehnsucht, nicht Resignation.

So substanzlos finde ich das nicht.

Irgendwie auffällig, dass die positiven Rückmeldungen eher von Frauen (außer Dir, Gerda), die kritischen eher von Männern kamen.

Wie gesagt, ich lasse es ein Weilchen "sacken".

Liebe Grüße

leonie

Gast

Beitragvon Gast » 21.04.2006, 22:42

Hm, meine Rückmeldung, war aber doch nicht negativ, kritisch ja...

Also Kritisch heißt ja nicht implizit negativ...

...wolte ich nur mal anmerken, denn Franks Ausführungen kann ich so nicht folgen.

Abendgerdanken

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leonie
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Beitragvon leonie » 21.04.2006, 22:48

Liebe Gerda,

entschuldige, Du hast recht, negativ und kritisch ist ein großer Unterschied, und ich erlebe Deine Rückmeldungen, die ich so lese, wirklich als kritisch und nicht negativ. Im Gegenteil, oft sind sie sehr konstruktiv.

Liebe Grüße

leonie

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 21.04.2006, 23:29

Hallo Leonie und Franktireur,

vor langer Zeit habe ich zwar mal Literatur studiert, aber warum nun der eine Text für ein Gedicht gehalten wird, der andere aber nicht, konnte mir keiner meiner gelehrten Professoren erklären.

Immerhin gibt es ja von Handke ein Gedicht mit dem Titel: Mannschaftsaufstellung des *Mist hab' ich jetzt vergessen*. Der Text besteht nur aus den Namen von Spielern. Ohne Zweifel handelt es sich auch dabei um ein Gedicht.

Als ich übrigens dein Gedicht gelesen habe, Leonie, entstand vor meinem inneren Auge das Bild von zwei alten Freundinnen, die sich lange nicht gesehen haben. (Gewissermaßen die weibliche Variante der Sparkassenwerbung).

Den plötzlichen Auftritt der alten Leidenschaften, die hinter zahllosen Kompromissen verloren gegangen sein mag, finde ich regelrecht schön.

Als Leser, Franktireur, liest man gleichsam immer sich selbst mit in den Text hinein. Ich kann nicht erkennen, warum "Ich" und "Du" in diesem Gedicht ein Ex-Paar sein sollten.

Auch der Schluss gefällt mir sehr gut. Der Wunsch, das Dunkle im Taschentuch möchten die Jahre sein, ist doch sprachlich gelungen.

Außerdem lassen mich die dunklen Jahre an eines meiner Lieblingsgedichte denken:

Nacht ohne dich,
Wer wird mein Herz bewahren?
Der Mond verblich,
Die Vogelwolken fahren,
Vorüberstrich
Ein Schwarm von schwarzen Jahren.

Aber da wären wir ja wieder bei der Liebe angelangt, um die es in deinem Gedicht, Leonie, vielleicht gar nicht geht?

P.S.: Ich lese gerade die Antwort von Leonie an Franktireur. Damit ist mein Kommentar schon überholt. Ich sollte wohl ins Bett gehen.

Gute Nacht!

Paul Ost


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