Bedauernswerter Traumforscher

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 18.04.2006, 15:32

Bedauernswerter
Traumforscher


Du schläfst
Dich davon.

Aus meiner Hand,
meinen Lenden,
meiner Liebe.

Diesen kleinen
Grausamkeiten.

Und ich
stehe da.

Vor deinem
Thalamuspförtchen
aus Stahl.

Am helllichten Tag
und ohne weißen
Tropenanzug.







----
erste Version
Bedauernswerter Traumforscher

Du schläfst
Dich davon.

Schläfst dich
aus meiner Hand,
meinen Lenden,
meiner Liebe.
Meinen kleinen
Grausamkeiten.

Spannst deinen
Rappenhohn
vor den
goldenen Wagen
der auf den
sandigen Spuren
efferenter Bahnen
Richtung Dickicht
gleitet.

Und ich
stehe da.

Vor deinem
Thalamuspförtchen
aus Stahl.

Am helllichten Tag
und ohne weißen
Tropenanzug.
Zuletzt geändert von Lisa am 05.01.2007, 18:36, insgesamt 6-mal geändert.

Last

Beitragvon Last » 18.04.2006, 15:51

Hallo Lisa,
das ist toll, was du da machst. "Du schläfst dich davon" ist schon eine interessante und überaus treffende Formulierung. Dann geht's weiter, die Schlafflucht wird genauer beschrieben, geht dabei bis in die Tiefen der Hirnforschung (Thalamuspförtchen). Soweit ist das lyr. Ich/bist du(???) bereit zu folgen um den Träumer zu fangen, was mutig ist, denn die Ausrüstung fehlt (ohne weißen Tropenanzug) und vielleicht ist einfach der falsche Zeitpunkt an den Verehrten heranzukommen (helllichter Tag). Oder aber du warst sogar schon bei ihm und er schließt dich plötzlich aus, vielleicht der Karriere wegen (???) (Rappenhohn, goldener Wagen).

Wie du siehst, blicke ich noch nicht ganz durch, ich werde noch öfter lesen, vielleicht wird es mir mit der Zeit klarer, vielleicht nicht. Auf jeden Fall hat es Freude bereitet zu lesen und wird es weiterhin. Danke. :smile:

Birute

Beitragvon Birute » 18.04.2006, 16:01

Ohhh Lisa,

das ist nach meinem Geschmack.
Toll!
Darf ich dir von meiner Melodie dazu erzählen?
Ich würde die Lenden einsparen. Sie sind ja eh schon drin, und drei "mein" klingen noch, ein viertes hört sich für mich nach Liste an.
Das "schläfst dich" als Wiederholung.
Ich finde, sie nimmt der ersten Strophe was ihr gebürt.

du schläfst
dich davon


So knapp und doch - super geschöpft.

Wenn die Wiederholung dir wichtig ist, würde ich vielleicht nach der anderen Zweizeiligen auch wiederholen.

Stehe da
vor deinem ...


Nur meine kleine Meinung, so als Feedback. :smile:

Lieben Gruß
Birute

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 18.04.2006, 16:32

Hallo Last und Birute,

danke!! §blumen§

Birute:

Die Lenden sind mir unersetzlich, ich muss in der Liebe immer etwas "männliches" dabei haben...das klingt jetzt seltsam, aber das ist stark in meiner Vorstellung von solcher Art Liebe enthalten, die mich zum Schreiben bringt. Zudem sind sie das einzige Wort, das beschreibt, dass das lyrische Ich ein Mann ist.

Trotzdem kann ich nach mehrmaligem Lesen verstehen, dass vier "Meins" zuviel sind, wenn das letzte der Grausamkeiten auch sowohl einzeln für sich als auch als Bezug auf alle vorgenannten Dinge zu lesen ist (daher der Punkt).
Am ehesten könnte ich auf Liebe verzichten, da das Gedicht ja insgesamt Liebe zum Thema hat...wie wäre denn das?

Mit der Wiederholung: Durch den Absatz habe ich versucht das

Du schläfst
Dich davon.


alleine wirken zu lassen. Solche anschließenden Wiederholungen sind für mich (beim Schreiben) verführerisch, ich mag den Ton, der dabei entsteht.

Natürlich könnte man es an dieser Stelle auch streichen, das stimmt. Die Wiederholung am Ende von "stehe da" würde mich aber eher verleiten :grin: . Ich hatte das auch schon in der Feder, da mir das Gedicht aber insgesamt schon recht lang geraten ist, dachte ich: Nein, halt dich lieber zurück :smile: . Ich habe es jetzt mal gesetzt.

Hier für andere dann noch eine zweite Version zum Vergleich:


Du schläfst
Dich davon.

Schläfst dich
aus meiner Hand,
meinen Lenden.
Meinen kleinen

Grausamkeiten.

Spannst deinen
Rappenhohn
vor den
goldenen Wagen
der auf den
sandigen Spuren
efferenter Bahnen
Richtung Dickicht
gleitet.

Und ich
stehe da.

Stehe vor deinem

Thalamuspförtchen
aus Stahl.

Am helllichten Tag
und ohne weißen
Tropenanzug.

Last:

danke auch dir...ich denke nach dem Lesen deiner Worte, dass du den "Ton" des Gedichts verstanden hast. So konkrete Vorstellungen wie "wegen der Karriere" habe ich (leider) so gut wie nie...meist (wenn man das verraten soll) handeln meine Gedichte von Menschen, die zu sehr lieben...manchmal aus Frauen (blauer), hier aus Männersicht (rot).

Dabei denke ich in himmelweiten Allgemeinheiten, die zugleich schrecklich persönlich sind, ein Graus also :shock: :-$ :-$ . Es liegt also eher an den beiden Charakteren in diesem Gedicht, warum die Frau sich davon schläft...etwas Unvermeidbares sozusagen. Vielleicht sie eine kühle Blonde, vielleicht er ein krummfedriger Kranich...vielleicht ist Liebe auch immer so.

Du siehst, ich mag auch nicht wörtlich über meine Texte sprechen, nötig scheint es aber doch :grin:

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 18.04.2006, 16:46

oder so?


Bedauernswerter Traumforscher

Du schläfst
Dich davon.

Aus meiner Hand,
meinen Lenden,
meiner Liebe.

Diesen kleinen
Grausamkeiten.

Spannst deinen
Rappenhohn
vor den
goldenen Wagen
der auf den
sandigen Spuren
efferenter Bahnen
Richtung Dickicht
gleitet.

Und ich
stehe da.

Vor deinem
Thalamuspförtchen
aus Stahl.

Am helllichten Tag
und ohne weißen
Tropenanzug.

ja so, das übernehme ich :grin:

Birute

Beitragvon Birute » 18.04.2006, 16:58

Jaaaa Lisa!
Das hat was!
In der Rappenhohn-Strophe kommt man kaum zum Luftholen.
Könntest du dich damit anfreunden sie umzubauen?
Vielleicht:

Spannst deinen
Rappenhohn
vor den
goldenen Wagen -
Der gleitet
sandige Spuren
efferenter Bahnen
Richtung Dickicht.


oder so.

Und, stell dir mal

Du schläfst dich davon

als Titel vor. Macht neugierig, oder?

Lieben Gruß
Birute

PS. Frauen haben doch auch Lenden, oder?

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Beitragvon Lisa » 18.04.2006, 17:54

Hallo Birute,
ich denke auch, dass auch Frauen Lenden haben (dass man das Wort für sie verwenden kann). Aber tut man das? Ich glaube, ich würde eher von Hüften (wenn auch biologisch nicht treffgenau) sprechen...oder irre ich mich?!?

Den Titel möchte ich so lassen, da ich, wo endlich mal ein Mann Thema meines Gedichts ist, einen etwas bildlich-ironisch-"leichten" Titel geben kann. Außerdem wird sonst der Forscher nicht mehr aufgegriffen.

Die lange atemlose Stelle, ja, da grübelte ich auch schon. Ich lies es dann stehen, weil ich mir die Bewegung des Wagens fließend (aus einem Guss) vorstellte...und mir die Wirkung von "Bahnen" auf "Wagen" gefiel. Aber vielleicht überwiegt das Unwohlgefühl...

wie wäre denn:

Spannst deinen
Rappenhohn
vor den
goldenen Wagen.

Auf sandigen Spuren
efferenter Bahnen
gleitet er
Richtung Dickicht



Liest sich der ganze Text dann insgesamt nicht zu stockig?

Danke für all deine Hilfe, das macht Freude :grin:
Lisa

Birute

Beitragvon Birute » 18.04.2006, 18:06

Ich find, da stockt nix. :smile:
Mir machts auch Freude.

Birute grüßt

Max

Beitragvon Max » 18.04.2006, 20:50

Liebe Lisa,

ich finde das Gedicht insgesamt sehr stark. Es hat sehr neue frische Bilder und schafft eine Atmosphäre der Traurigkeit. Das sich-davon-schlafen am Anfang allein ist schon eine sehr gute Schöpfung, die Liebe und die Lenden so alliteriert zu sehen ist mir auch neu! Den Rappenhohn muss ich noch auf mich wirken lassen - aber ich würde die Strophe dort nicht brechen. Wenn das inhaltlich für Dich eine Einheit ist, muss der Leser da durch: Neun Zeilen ohne Lauftholen wird er ja wohl gerade noch schaffen (bei Thomas Bernhard darf er ein ganzes Buch über keinen Atem schöpfen).

Alles Liebe
Max

Louisa

Beitragvon Louisa » 19.04.2006, 17:59

Hallo Lisa.

Der Hut ist gezogen, die Pistole schweigt.

Sehr viele, neue, frische, feine Bilder! Wunderbar! Das beflügelt meine Fantasie...mein Gott, sie müsste sich langsam in anderen Atmosphären befinden :sad: .

Aber: Was ist ein "Rappenhohn" ? Was ist ein Rappen? Ist eine Verbindung zu "Happen" möglich?

-Ich bin ratlos.

Der weiße Tropenanzug und ganz besonders der Anfang ist wunderbar!

Ich glaube es handelt sich um eine alte zerbrochene Liebschaft. Da hat einer zu wild im Traumdickicht gerodet...oder?

Ist ja auch nicht so wichtig. Es ist einmal wieder fabelhaft. Sehr dicht außerdem...wie die neuen Fugen meines Badezimmers (ich schweife wieder ab).

Forschende Grüße, Louisa

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Beitragvon Lisa » 20.04.2006, 10:31

Hallo Louisa,

ein Rappe ist ein schwarzes Pferd :grin:

Aber ich überlege, ob ich die Passage mit dem goldenen Wagen und dem Rappen nicht insgesamt umstrukturiere...hm..( :sad: :-s ).

Deine Gedanken zu dem Text sind schon ganz richtig...nur ist die Beziehung noch nicht zerbrochen, sondern bricht in jedem einzelnen Augenblick...falls man das irgendwie verstehen kann :cool:

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Beitragvon Lisa » 24.05.2006, 13:22

Nur ein Update: Der Mittelteil dieses Gedichts ist ersatzlos gestrichen! (siehe Erstfassung)

Liebe Grüße,
Lisa

Es heißt jetzt:

<center>Bedauernswerter
Traumforscher


Du schläfst
Dich davon.

Aus meiner Hand,
meinen Lenden,
meiner Liebe.

Diesen kleinen
Grausamkeiten.

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stehe da.

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aus Stahl.

Am helllichten Tag
und ohne weißen
Tropenanzug.

Max

Beitragvon Max » 24.05.2006, 15:13

Liebe Lisa,

ich finde, dass das Gedicht durch das Stzreichen deutlich an Stringenz gewonne hat (und wünschte mir eine solche Stringenz von dem Vortrag, in den ich nun wieder gehen muss).

Liebe Grüße
Max

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 24.05.2006, 18:00

Durch die Kürzung eindeutig besser.
Vielleicht sogar noch aussagekräftiger (manchmal ist weniger tatsächlich mehr).

Gruß
Frank


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