Niko hat geschrieben:die lippen schmälern zuhörenst
gehalten von stachelwortdraht
guten tag,
Niko,
ein wahrhaft spannend gewebter text, an dessen opener ich mich sogleich stacheldrahtartig verfangen habe, weil er in mir ein bild evoziert, das mich wie aus vergangenen tagen ereilt und mir immer noch gänsehaut bereitet. auch jetzt noch, rückblickend.
spannend auch insofern, als ich beim verfassen meiner rezension das wagnis eingehe, etwas völlig anderes in deinen zeilen zu lesen, als von dir gemeint war. doch genau dieser spielraum ist etwas, das auch sehr spannend sein kann und lyrik zu etwas wunderbar lebendigem werden lassen kann.
diese schmalen lippen, die schmerzlich sichtbar für das gegenüber ihrem "träger" verbieten das zu sagen, von dem man ahnt, es wird verletzen. wunden zufügen, als wäre man selbst im stacheldraht schmerzhaft hängengeblieben. ein "
zuhörenst" baut dabei einen immensen druck auf - höchst gelungen, diese formulierung. auch, wenn ich sie mir nach ein paar anläufen erst "erarbeitet" hatte. sie signalisiert, dass da jemand - ein undefiniertes gegenüber - schon längst den punkt übersehen hat, an dem es hätte aufhören sollen mit reden.
sie spiegelt also in meinem empfinden genauso subtil ausgeübt wie das beschriebene geschehen all die "gewalt" die da so schmallippig ausgeübt wird und mehr an verletzendem sagt als tausend worte es je vermochten.
Niko hat geschrieben:die zähne stumpf
das lachen geronnen
in milchigen blicken
das singen der vögel
bedrohlich
laut und vereinzelt
einsam
lese ich als eindringliche beschreibung, wie dieses lippenschmälern und die damit transportierte "verachtung", die das gegenüber straft, einen wahrnehmungsfilter über die umgebung legt. eine metamorphose zum unheilvollen - ausgelöst, weil man gesprochen hat, was das gegenüber nicht hören wollte. plötzlich steht "man" allein - "
einsam". ausgegrenzt, weil man mit dem gesagten nicht zu gesichte steht.
Niko hat geschrieben:wann fällt der mond
aus seinem schein
mE die schlüsselstelle des textes. beschreibt sie doch, was eigentlich geschieht. und gleichsam mit dem mond fällt derjenige in ungnade, der es gewagt hat, dinge auszusprechen, die vermutlich zu wahr waren, um ertragen zu werden. etwas, das verdammt hilflos machen kann. denn einem eisigen schweigen und schmallippigen verschließen kann man kaum etwas entgegenhalten, weil es keine angriffspunkte bietet und sich einem miteinander eiskalt entzieht.
Niko hat geschrieben:dunkelt vieles
in uns
bleibt
über
und über gebeugt
über verse
zu erkennen ist nichts
nur dahinter
entsetzt mich
ein singender vogel
.
die für mich am schwierigsten zu dechiffrierenden zeilen. ich deute sie eher instinktiv und lese in ihnen die gefühle, die dieses schmallippig-werden und seelische strafen auslöst. "
nichts erkennen" - daher ratlosigkeit und hilflosigkeit. etwas wird gebrochen, wenn es so gelungen ist, zum verstummen zu bringen. mundtot gemacht.
der "
singende vogel" mag da wie blanker hohn erscheinen, tut er doch genau das, was "man" eben gerade noch selbst tun konnte, bevor der "
mond aus seinem schein fiel" und erklärt - mir zumindest - das "
entsetzen".
soweit zumindest das, was ich aus deinem text für mich "mache". und das packt ganz ordentlich. nicht zuletzt, weil ich diese schmallippigkeit nur zu gut kennengelernt habe.
genossen wäre also das falsche wort in bezug auf den text. aber ein "sehr gepackt und tief beeindruckt" trifft es wohl.
lieber gruß,
keinsilbig