Liebe Flora,
dieser Text überschreitet Horizonte. Ich meine damit zwar auch, dass er meinen überschreitet (ich den Text nicht nicht durch und durch verstehe), aber letztlich ist es doch nur positiv gemeint, weil ich das Gefühl habe, umso öfter man hier vorbeikommt und liest, desto mehr Ahnung bekommt man - und wenn etwas den Horizont überschreitet, dann muss sich ja erst einmal ein neuer vor (oder hinter? neben?) einen schieben, und das wäre doch ein großer Prozess.
Anfangen tue ich am Ende
weine dich ruhig
das sagte er
sah nicht fort
.
ich sinke - du steigst
um dich - um mich
wir kehren uns um
kreiseln, verweisen
bis wir uns halten
durch nächte
so leise
dass worte wieder weiter weben als der funken flug
.
sie trägt ein nest aus wirren
darin weich gebettet die glut
und dann arbeite ich mich hinauf, indem ich immer auf dem unteren aufbaue. Ich sehe diesen letzrwn Absatz als eigenständiges Gedicht, aber dann doch nicht, weil meiner Meinung nach alles zuvor gebraucht wird, damit das Ende dann eben anders wirken könnte, als wenn es allein dastände. Ich meine damit, dass ich alle Teile vorher als eine Sprachschaffung lese, die den Raum, in dem der letzte Teil dann gesprochen wird, erst erschafft. Als hättest du hier mal eben eine ganze Sprache erfunden und schlössest an das veröffentliche Grammatik- und Wörterbuch das erste Gedicht an. Und dann ist es ja keine gewöhnliche Grammatik, sondern eine Personen- und Klanggrammatik: Denn in den Strophen zuvor ist das lyr. ich ja allein anwesend, erst (1. "Strophe") mystisch/träumend oder gar erinnernd, dann (2. "Strophe") aus diesem Zustand erwachend wach in einem analogen Zustand, dann wechselt der Erzähler ins Personale (3. teil) und dann folgt noch eine ins allgemein gehobene Frage (reißen wunden...), die eigentlich eine Behauptung ist (4. teil). Die ganzen Teile sind sprachlich/klanglichen miteinander verbunden (, die Satzstellung, die Vokale, am feinsten finde ich: weiter weben -- reißen wunden).
Und mit diesem Vorbau dann klingt der letzte Teil, das eigentliche Gedicht mit einer ganzen Geschichte im Unterton. Erst hier spürt man, wie allein das lyr. Ich tatsächlich ist, wie abhängig vom Du, weil es zugewandt ist, weil es hört, die Schuld, das TRauma, die nötige Kost von Anfang an und bei allem. Sie ist die Nestträgerin, aber nur weil sie zuließ, dass ihr Haar zerwühlt wurde usf. (ich höre an der Stelle auf, das Gedicht sagt es ja dich besser).
Das einzige, was für mich noch fraglich ist, ist die Setzung und damit meine ich sowohl die Formatierung als auch die zeilebreite/Umbrüche - ich frage mich, ob dieser Text nicht durch eine schlichte, breitere Setzung noch viel stärker wirken könnte und beantworte mir diese Frage mit Ja .-).
liebe Grüße,
Lisa