frühling

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Herby

Beitragvon Herby » 23.11.2009, 15:30

frühling

kein licht
zwischen unseren worten
winter
schweigt aus jeder silbe

spiegel
glatt unsere Blicke
rau
gereift alle nähe

eine alte frau
gießt die azaleen
auf der spanischen treppe

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noel
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Beitragvon noel » 23.11.2009, 17:03

herrlich die naturbilder als metaphern

nur die letzte zeile bricht mich aus dem bild
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel

Lydie

Beitragvon Lydie » 23.11.2009, 18:05

Hallo Herby,

Mir gefällt das sehr. Stimmung, Wort-Metapher-Spiel, die alte Frau mit ihren Azaleen passt für mich zur "sozialen Stimmung". Sehr schön.

Herzlichst,

Lydie

scarlett

Beitragvon scarlett » 23.11.2009, 18:36

Lieber Herby,

die alte Frau als Sinnbild für die Sprachlosigkeit, die sich zwischen LI und LD eingestellt hat. Ein Indiz auch dafür, dass die Beziehung zwischen LI und LD nicht erst eine seit eben gestern ist.
Sie gießt ihre Azaleen - weil sie hofft, dass damit ein Stückchen Frühling auch für sie zurückkehren wird. Sie lässt sich nicht beirren. Sie tut ganz einfach, was sie wohl schon immer getan hat, wissend, dass das die Voraussetzung für erneutes Blühen ist.

Ich finde es ganz wunderbar, wie du hier die Bilder verwoben hast, auf jede Erklärung verzichtend, einfach nur zeigend.

Sehr leise, sehr berührend, vollkommen stimmig in sich ruhend!

LG

scarlett

wüstenfuchs

Beitragvon wüstenfuchs » 23.11.2009, 19:21

Hallo Herby, gefällt mir auch sehr gut.
Gerade die letzte Zeile druchbricht gekonnt den Rhythmus, fast wie in manchen traumwandlerischen Haikus.

Und die alte Frau ist ein gutes Symbol,

Viele Grüße
Fux

Herby

Beitragvon Herby » 23.11.2009, 22:01

Liebe noel, lydie, scarlett, lieber Fux,

eure positiven Rückmeldungen, euer Lob freut mich umso mehr, als ich den Text mit einiger Unsicherheit hierhin entlassen habe. Danke!

noel, du schreibst:

nur die letzte zeile bricht mich aus dem bild


Es würde mich interessieren, woran es liegt. Ist sie schlicht überflüssig oder hat sie "nur" die falsche Lokalität. Oder sind es sprachliche Gründe?

Herzliche Grüße und eine gute Woche euch allen,
Herby

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 24.11.2009, 09:26

Hallo Herby,

das finde ich sehr gelungen... nur an zwei Stellen hänge ich ein wenig fest. Die Zeilensetzung mit ihrer eigenen kleinen Dramatik funktioniert für mich in der ersten Strophe gut, in der zweiten erscheint es mir jedoch nicht aufzugehen. Der Winter kann sich auf die Worte und die Silben beziehen, glatt-raue Blicke beißt sich aber für mich. Auch der Spiegel kommt mir zu betont, aufzeigend daher.
Würde etwas fehlen, wenn du es so setzt:

spiegelglatt unsere blicke
die nähe rau gereift


Die spanische Treppe wirft mich völlig aus dem Winterbild, ich weiß gar nicht, wie ich plötzlich dahin gekommen bin, finde im Text auch keinen Anhaltspunkt, bin erst mal erstaunt. Ich musste das erst auf mich wirken lassen... Ist dieser empfundene Winter, die Lichtlosigkeit vielleicht nur eine „hausgemachte“ Illusion? Wäre der Frühling in den Worten, Blicken, der Nähe da, zu entdecken, wenn man ihn nur sehen, begreifen, nähren/gießen würde? Weiß die alte Frau mit ihrer Lebenserfahrung davon und lächelt leise (weise)?
Das wäre ein schöner Gedanke, der das Gedicht in eine ganz andere, warme Richtung wendet.
(Braucht es den Artikel vor den azaleen?)

liebe Grüße
Flora

aram
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Beitragvon aram » 24.11.2009, 09:53

lieber herby,

ein schöner text, in dem mich die bezüge sehr ansprechen, die über repräsentationssystem und wortlaute gebildet werden - die verbindung mit visuellem, der vokal "i" -

licht, winter, silbe, blicke. dazwischen klingen die worte an, die den wandel zu rau / gereift und nähe schon ahnen lassen.

der nochmalige wandel zu azaleen und treppe und der titel des textes machen ihn für mich ruhig und ungreifbar zugleich.

einzig spanisch kommt mir spanisch vor - mit den letzten worten wird der ganze text unversehens nach rom 'verlegt', an einen der bekanntesten touristenpunkte der stadt, und es bleibt ganz unklar, ob/wie das geschehen an diesen ort zu beziehen ist. ich frage selten so direkt, aber hier interessiert mich dein bezug - was fehlt aus deiner sicht an


frühling

kein licht
zwischen unseren worten
winter
schweigt aus jeder silbe

spiegel
glatt unsere Blicke
rau
gereift alle nähe

eine alte frau
gießt die azaleen
auf der treppe


-? (vermutlich gibt es da etwas, und dann muss spanischen auch drin bleiben - schade nur, dass es dreisilbig ist - ein zweisilbiges wort würde das ende ruhig machen, weniger aufbrechen.)

danke,
sehr gern gelesen.



edit: gut, dass ich spanisch mal probeweise rausnahm, denn sehe ich nun nochmal auf den text, fehlt es mir, warum auch immer, plötzlich ungemein .-) - vielleicht gelingt es dem text ja, all die touristen zu vernichten, einen ort neu zu schaffen - den es damit gleichzeitig nicht mehr gibt (es ließe sich dann mit diesen worten nicht mehr auf diesen, bekannten ort beziehen) d.h. im befreienden schaffen zu nichten - interessant. {gern gelesen - mr. spock}

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leonie
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Beitragvon leonie » 24.11.2009, 10:47

Lieber herby,

gestern als ich den Text zum ersten mal las, dachte ich "Wow". Das hält sich...

Ich lese ein Frühlingsbild, das im Kontrast steht zur vereisten Beziehung und möglicherweise die Hoffnung auf einen Aufbruch gibt.
Ich finde, die spanische Treppe sollte unbedingt drin bleiben, sie lässt das Ganze zu einer Geschichte im der Phantasie des Lesers werden (zumindest in meiner).

Liebe Grüße, schön, so einen starken Text hier von Dir zu finden.

Liebe Grüße

leonie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 24.11.2009, 13:40

Lieber Herby,

ich tue mich ein bisschen schwer mit deinem Gedicht, zumal es unter dem Titel "Frühling" steht. Die ersten beiden Strophen sind für mich reine "Winterbilder". Nur die dritte Strophe "spricht" von Frühling.
Hier findet m.E. deshalb eine starke Zäsur statt. Die spanische Treppe (in Rom) verstärkt diese Zäsur. Ist es ein Wunschdenken, eine andere Verortung, ein Versetzen des Winterdenkens in den Frühling? :12:

Saludos
Mucki

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noel
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Beitragvon noel » 24.11.2009, 17:09

aram hat es gut in worte gefasst...
die azaleen passen in das motiv der hoffnung
aber warum nach solch unbestimmten metaphern--> die spanische treppe...
riß mich vom genießen ins grübeln & das stört mich
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel

Max

Beitragvon Max » 24.11.2009, 21:53

Lieber Herby,

das finde ich einen deiner sehr starken Texte. Natürlich lädt Dein Wortspiel mit "spielglatt" und "Raureif" auch mich zum spielen ein - aber letztendlich würde ich die Worte genau so stehen lassen.
Das gefällt mir.

Liebe grüße
Max

Herby

Beitragvon Herby » 25.11.2009, 00:06

Hallo in die Runde,

dann will ich mal sortieren...

Liebe Flora, noel, lieber aram

da ihr alle drei über die spanische Treppe "stolpert" ;-) , wende ich mich mal der Einfachheit halber an euch zusammen. Aram, du hattest völlig Recht, da steckt was dahinter. Ich hatte vor langer Zeit das Glück, fast 8 Jahre als Reiseleiter hauptsächlich in Rom zu arbeiten, und die Spanische Treppe mit ihrem Azaleen"teppich" im April/Mai ist seither für mich der Inbegriff des Frühlings geworden. Ich habe für mich den Text auch einmal ohne "spanisch" geschrieben und es fehlte mir ganz entschieden etwas (da ging es mir dann wie dir, aram).

Was du schreibst, Mucki, ist richtig: es findet eine Zäsur nach der zweiten Strophe statt, die aber gewollt ist. Ohne jetzt zuviel aufzudröseln, der von dir verwendetete Begriff "Wunschdenken" geht schon ín die richtige Richtung.

Flora, du fragst:

Ist dieser empfundene Winter, die Lichtlosigkeit vielleicht nur eine „hausgemachte“ Illusion? Wäre der Frühling in den Worten, Blicken, der Nähe da, zu entdecken, wenn man ihn nur sehen, begreifen, nähren/gießen würde? Weiß die alte Frau mit ihrer Lebenserfahrung davon und lächelt leise (weise)?


Damit bringst du mich etwas in die Bredouille, da ich nicht gut im Erklären eigener Texte bin. Nur soviel: wenn der Text für dich diese Lesart hergibt, ist das doch OK. Intendiert hatte ich diese Richtung allerdings nicht; dafür hätte der Text dann, glaube ich, anders geschrieben werden müssen.

(Braucht es den Artikel vor den azaleen?)


In diesem Falle ja.

Der Winter kann sich auf die Worte und die Silben beziehen, glatt-raue Blicke beißt sich aber für mich.


Hier scheint mir ein Missverständnis vorzuliegen, da sich das "rau" nicht mehr auf die Blicke, sondern auf die Nähe bezieht. Jedenfalls hatte ich mir das sprachlich so vorgestellt. Im Moment tue ich mich noch schwer, deiner Setzung zu folgen, sie kommt recht fremd vor.

Liebe leonie, lieber Max,

es freut mich sehr, dass euch mein Text zusagt. Euch allen danke ich herzlich für eure Auseinandersetzung mit dem Gedicht und für eure interessanten Rückmeldungen.

Herzlichst
Herby

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 25.11.2009, 08:43

Lieber Herby,

Ein besonders schöner Text ist das für mich.
Der Frühling hilft nicht gegen die Kälte, die Sprachlosigkeit, das Aneinandervorbeischauen, die sich einschleichen trotz Nähe und Vertrautheit.

Der einzige Lichtblick ist die Erinnerung des LI an Wärme durch das römische Bild. Vielleicht hat LI damit einen Ausweg entdeckt, wieder seinen/ihren eigenen Weg zu gehen, die Kälte damit zu beenden.

Daher finde ich den Ortsbezug gelungen, es ist ein Wegdriften vom DU darin.

Liebe Grüße
ELsa
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