Bald kehrt Orion zurück

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Lydie

Beitragvon Lydie » 21.09.2009, 09:37

Bald kehrt Orion zurück,
der Sommer dahin,
mein Herz atmet Herbst
und Jährung.

Ring um Ring,
frei war ich
zwischen Sekunden
im Licht,

Schwimmer im Fels,
quellaufwärts
durchschneid ich,
Blindheit und Band.

Benutzeravatar
ferdi
Beiträge: 3260
Registriert: 01.04.2007
Geschlecht:

Beitragvon ferdi » 21.09.2009, 11:49

Hallo Lydie!

Schöner Text :-) Die letzten vier Zeilen finde ich rhythmisch interessant... Wie würdest du "quellaufwärts" lesen? Wenn ich die vier Zeilen mal eben zu einer zusammenfasse (nur aus optischen Gründen), dann könnte so was als Schema rauskommen:

— v v — / v — v / v — v / — v v —

Oder, noch langsamer:

— v v — / v — — / v — — / — v v —

Egal, welche Version man bevorzugt (ich persönlich die zweite, weil das v — — in der Bewegung gut zum quellaufwärts passt), beide klingen sehr gut und sind auch sehr geordnet, was natürlich einen kleinen (und passenden?!) Bruch mit dem Anfang des Gedichts bedeutet? (Natürlich nur nach meinen etwas absonderlichen Maßstäben ;-))

Das Komma hinter durchschneid ich ist bewusst gegen die Grammatik gesetzt?!

Ferdigruß :-)
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Benutzeravatar
leonie
Beiträge: 8896
Registriert: 18.04.2006
Geschlecht:

Beitragvon leonie » 21.09.2009, 15:56

Liebe Lydie,

ich mag den Ton des Gedichtes, aber ich habe noch an den Bildern zu knabbern.

Die erste Strophe finde ich ganz wunderbar. Der Orion, für uns das Wintersternbild, der Himmelsjäger, bald kehrt er zurück.
Das lyrIch atmet Herbst und Jährung, nimmt es körperlich auf, spürt es in und an sich selbst.

Ring um Ring lässt mich deshalb zunächst an die Jahresringe eines Baumes denken. Hier werden sie aber auch als Bild für eine Art Gefangenschaft gebraucht, aus der das lyrIch nur kurz entfliehen kann (zwischen Sekunden, indem es sich aus der Zeit stielt?).

Im Licht, dass die Flucht scheinbar ermöglicht, ist es dann "Schwimmer im Fels". ich muss da an die Fische denken, die stromaufwärts wandern, Lachse zum Beispiel, hin zur Quelle.

Die Blindheit könnte ich noch im Kontrast zum Licht sehen. Aber das Band ist mir rätselhaft...Oder habe ich die Ringe falsch interpretiert und es sind die Ringe einer Reuse?

Vielleicht liege ich völlig daneben, aber ich merke, dass sich die Bilder nicht zusammenfügen wollen und das macht es mir schwer, den Text als Einheit zu lesen.

Liebe Grüße

leonie

Benutzeravatar
noel
Beiträge: 2666
Registriert: 04.08.2006

Beitragvon noel » 21.09.2009, 16:56

der erste absatz scheint klar
aber ich versuche ihn zu den beiden letzteren
semnatisch zu verknüpfen

Bald kehrt Orion zurück,
der Sommer dahin,
mein Herz atmet Herbst
und Jährung.


die jahreszeit spricht vom werdenden vergehen, natürlich, ohne schmerz & wertung... aber auch das herz atmet herbst
mir scheint es ein hinweis auf eine liebe(?) zu sein, die im vergehen ist.

Ring um Ring,
frei war ich
zwischen Sekunden
im Licht,

hier scheinen mir zwei bilder verwoben.
die ringe als jahresringe, als zeiteinheit & die ringe, die man
austauscht in alle ewigkeit, amen.
das LYRi war frei, frei in der zeit & in der beziehung

Schwimmer im Fels,
quellaufwärts
durchschneid ich,
Blindheit und Band.

dann ist da das LYRi, dass das vermeintlich ewiglich band durchschneidet, das sehend wieder zu den anfängen schwimmt, an dem man noch "FREI" war.
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel

Max

Beitragvon Max » 21.09.2009, 18:15

Liebe Lydie,

es geht mir ähnlich wie Leonie und ähnlich wie bei Deinem letzten Gedicht, wobei ich hier besser folgen kann. Der Klang Deines Gedichts ist sehr schön und ich kann dem Gedicht gut bis zu Strophe 3 folgen

Schwierig finde ich vor allem

Schwimmer im Fels,
quellaufwärts
durchschneid ich,
Blindheit und Band.


wobei ich mich frage, wie ein Schwimmer 'quellaufwärts' und im fels sein kann .. ich stellte mir eigentlich jemanden vor, der im Fels zur Quelle schwimmt, aber ist das "quellaufwärts" - in jedem Fall ist dies ein anderes Bild als das, was in den letzten Zeilen zum Einsatz kommt ...

Liebe Grüße
Max

Lydie

Beitragvon Lydie » 04.10.2009, 18:32

Hallo Ferdi, Leonie, Noel und Max!

Ich vergesse weder eure Kommentare, auf die ich noch antworten möchte, noch dieses Gedicht (bald kehrt ja Orion zurück). Versuche mich gerade nun tatsächlich in Ferdi's Klang- und Rhythmuswelt einzuarbeiten. Das ist mir ein echtes Anliegen. Und Arbeit.

Liebe Grüße,

Lydie

Lydie

Beitragvon Lydie » 04.10.2009, 22:18

Hallo Ferdi,

Also mit dem Komma: eigentlich müsste da ein Doppelpunkt hin. Es ist ein Gedicht mit einem für meine Verhältnisse komplexen, langen Enstehungsprozess und gerade die letzte Zeile hatte es dabei in sich, und gerade dieses "durchschneid ich, Blindheit und Band". Ich habe das Komma ganz bewusst gesetzt, fast wie ein Maler, wie um zu sagen, dass dieses einander nicht einfach so flüssig oder folgerichtig im Bild folgt, dass es im Grunde um eine Art Abnabelungsprozess geht. Der Doppelpunkt war mir da zu "glatt". Ich freu mich, dass du gerade an den letzten vier Zeilen hängengeblieben bist. Sie haben mich am meisten gekostest und sind mir am liebsten.

Lieber Gruß,

Lydie


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 12 Gäste