Du hältst es mit den Turmfalken

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annette
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Beitragvon annette » 03.03.2007, 20:08

Du hältst es mit den Turmfalken

Aus einsamer Höhe
siehst du hinab auf die Straßen,
durch die ich gehe,
schmähst die vorwitzige Elster
meidest die gesellige Krähe.

Du bleibst den Festen fern,
auf denen ich dich feiere.
Hängst mir aus sicherer Distanz
Malven in die Wolken,
die ich gerade eben (ich strecke mich)
nicht erreiche.

Zu deinen dunklen Stunden habe ich keinen Zutritt.
Begegnungen nur von langer Hand mit weitem Blick
und gut ausgeleuchtet,
die Gesten vorgeschrieben, die Worte abgezählt,
die Rollen klar verteilt.

Dann fliegst du wieder davon,
wirst meine Berührung
tagelang in deinen Händen halten,*
sorgsam und knauserig,
bis meine Gegenwart aufgebraucht ist.

Und ich bleibe und frage mich,
ob ich dich will,
oder die sein, die du bist.


*geändert nach einem Vorschlag von Paul Ost, vorher:
"doch wirst tagelang / meine Berührungen in Deinen Händen halten
Und die vorletzte Zeile auf Vorschlag von Lisa gestrichen: "das, was du hast,"
Zuletzt geändert von annette am 06.03.2007, 23:28, insgesamt 5-mal geändert.

Gast

Beitragvon Gast » 06.03.2007, 23:59

Liebe annette,

danke dir für die Antwort, ich kann das verstehen, weil du die Metapher von Beginn an intendiert hast.
Ich wollte nur sichergehen... :smile:
Wahrscheinlich werde ich mich daran gewöhnen, je öfter ich das Gedicht lese.
Danke für den Hinweis, ich bin keine Fantasy Leserin, aber ich habe bei meiner suche im Netz unter dem Stichwort "Falkin" Hinweise in diese Richtung gefunden.

Liebe Nachtgrüße
Gerda

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annette
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Beitragvon annette » 07.03.2007, 08:56

Gerda Jäger hat geschrieben:Danke für den Hinweis, ich bin keine Fantasy Leserin, aber ich habe bei meiner suche im Netz unter dem Stichwort "Falkin" Hinweise in diese Richtung gefunden.

Aber wie gesagt: Das war überhaupt nicht mein Gedanke bei diesem Text, ist höchstens unbewusst reingerutscht.
Lieber Gruß, annette

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 07.03.2007, 10:54

Liebe annette,liebe Gerda,

für mich ist der Turmfalke nicht männlich besetzt, nur steigen wohl Assoziationen auf, die vielleicht erstmal in unserer Gesellschaft eher Männern zugeschrieben werden? (Stolz/Versiertheit/Beute machen/Unerreichbarkeit/Unnahbarkeit/Freiheitssdrang/Mut zum Sturz hinab/etc...).

Ich finde aber, dass dies hier zu den Figuren (das lyr. Du) passt und dass das Motiv nicht festgelegt ist, nur auf Männer zu passen. Das gezeichnete lyr. Du passt meines Erachtens genau auf dieses Bild (man könnte durchaus ja auch sagen, dass diese männliche Komponente sogar gar nicht so falsch ist, wegen der Zweifel des lyr. Ich, das sich ja die Frage stellt, ob es nur das will, was das du ist...also den Gegenpol vom weiblichen...). Ich habe dadurch einen bestimmten Typus von weiblichen Wesen vor Augen...

Zudem gibt der Text doch genug Sicherheit...wer genau liest:

Und ich bleibe und frage mich,
ob ich dich will,
oder die sein, die du bist.

kommt um die Eindeutigkeit nicht herum. (was nicht heißt, dass ich mich nicht auch beim ersten Lesen vertan hätte, ich glaube aber nicht, dass dies eine Schwäche und auch nicht die Schuld des Textes ist und zudem glaube ich auch nicht, dass dies am Turmfalken liegt, sondern an Erwartungshaltungen. ich würde aber nicht nur, um diese typischen Erwartungshaltungen zu brechen, um sicherer zu gehen, den text deutlicher gedstalten, das würde ihm, wie ich finde, die Natürlichkeit nehmen. Ich glaube, man darf einen Turmfalken nicht aus einem Gedicht herausschreiben, der ist immer unersetzlich dort! (hihi, das war ein Argument ,was?)

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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annette
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Beitragvon annette » 10.03.2007, 13:47

Lisa hat geschrieben:Zudem gibt der Text doch genug Sicherheit...wer genau liest [...] kommt um die Eindeutigkeit nicht herum. (was nicht heißt, dass ich mich nicht auch beim ersten Lesen vertan hätte, ich glaube aber nicht, dass dies eine Schwäche und auch nicht die Schuld des Textes ist und zudem glaube ich auch nicht, dass dies am Turmfalken liegt, sondern an Erwartungshaltungen.

Ja, Lisa, das denke ich auch. Mir fiel auf, dass einige Kommentatoren (zB Peter und Scarlett) eigentlich alles schon genau richtig verstanden hatten, sie aber bei dem "Rollentausch" der Abhängigkeiten und bei der Durchbrechung der Erwartung eines bestimmten Geschlechtes einfach nicht mit gegangen sind. Sie hatten etwas anderes erwartet und wollten den Text dahingehend verändern. Das fand ich spannend, weil man offensichtlich manchmal nicht das denken kann oder mag, was da steht.

Natürlich frage ich mich an der Stelle, wie weit man gehen darf und wie viele Leseerwartungen man enttäuschen darf, wenn man doch gelesen werden möchte ...

Lieber Gruß, annette


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