wenn man nur sicher wäre

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 10.09.2009, 13:17

 

wenn man nur sicher wäre


dass die schale süße birgt

hab keine sorge
wir lassen uns
baumeln

solange die sonne
unter unsere kleider kriecht
ist doch kein gedichteter herbst
wir tragen die trauer
in ihrer zeit
jetzt leben wir uns fleckig
und wenn wir schrumpeln
dann nicht allein


wie die äpfel im keller?
ja.

noch schmecken wir
wie himbeern mit tau
aus dem garten
rufst du
nach zitronensprudel und butterbroten
und mir
klingt das so sommrig

ich hör mich hungrig an dir


 

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 10.10.2009, 20:07

Hallo Carl,

was da doch für ein erstaunlicher Prozess in Gang kommt, wenn man miteinander ins Gespräch kommt, ins Zuhören gerät und sich darauf einlässt. Das ist spannend, weil es sich ja auch aufs Lesen der Texte auswirkt (wie man das beurteilt, sei jetzt mal dahingestellt). Ähnlich wie bei deiner Beschäftigung mit Hölderlin, wenngleich er eben leider nicht mehr selbst für sich sprechen und darauf eingehen kann. Ich habe zumindest den Eindruck, dass ich so langsam einen „verständnisvolleren“ Zugang zu deinen Thesen und deiner Herangehensweise bekomme.
Den Grundgedanken, die Bewegung in diesem Gedicht hast du sehr schön herausgelesen und nachvollzogen. Es freut mich, dass es so deutlich für dich ist, denn das waren mir hier ein Anliegen und ein Versuch. Und ich kann den Bezug zu den einzelnen Punkten den du hergestellt hast gut nachvollziehen. Was ich nach deinem Kommentar nicht einschätzen kann, ob das Gedicht nun etwas mit dir „gemacht“ hat, oder du es nur zwangsgelesen ;-) hast, aufgrund unserer Diskussion.
die dinge sind nämlich nicht an sich so oder so, sondern sie werden auch so, wie man sie sieht

Ja. Und Worte können das Sehen verändern.
es ist das erste und einzige gedicht, dass ich von dir, Flora, bisher gelesen habe. anlass dazu war eine diskussion in einem andern faden, wo es (für mich im hinterkopf) um die frage nach dem impliziten du oder dem riskierten ich ging und ich wollte deine position dort an einem gedicht von dir verifizieren.
und siehe da, ich wurde fündig

Ich nehme mal an, dieses „lesen“ meint nicht das alltagssprachliche Lesen. (Sonst müsste ich ja davon ausgehen, dass du meine Texte grundsätzlich aus einer Negativerwartung heraus, oder Gleichgültigkeit schon gar nicht anklickst, oder eben hier nur sehr selektiv liest.) Das hieße dann, wenn ich deiner Theorie folge, dass es zwischen uns einfach kaum Schnittpunkte/Berührungspunkte gibt. Das kann natürlich sein, ich fände es aber Schade, wenn man da wirklich so gebunden wäre an das eigene Erleben, Sein, Wahrnehmungssystem, die Vorlieben (personenbezogen, sprachlicher und inhaltlicher Art) und das Fremde, Ungewohnte, Andersschreiben, andere Sehen gar nicht annehmen und wertschätzen (lernen) könnte. Wenn man sich nicht auch auf Texte einlassen könnte, bei denen es nicht Liebe auf den ersten Blick ist. Eigentlich möchte ich da offener sein, ob es gelingt, weiß ich gar nicht. Ich werde mich da in Zukunft mal genauer beobachten, kann aber denke ich sagen, dass es für mich meist mit dem Klang zu tun hat, mit der Sprache und weniger mit dem transportierten Inhalt, ob ich erst einmal aufmerksam werde und mich spontan darauf einlasse, oder nicht. (Auch in den Kommentaren und Diskussionen.) Aber ich finde es oft auch interessant zu ergründen, warum ein Text eben nichts mit mir macht. Vielleicht lesen wir uns ja in Zukunft auf die eine oder andere Art öfter, würde mich freuen. Ich danke dir jedenfalls für dein Entgegenkommen und Verifizieren... und puuuh, bin ich froh, dass mein Text mir nicht widersprochen hat. ;-)

liebe Grüße
Flora

carl
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Beitragvon carl » 13.10.2009, 18:58

liebe Flora,

freut mich, dass die bewegung deines gedichtes bei mir angekommen ist!
und ja, das gedicht macht was mit mir (und mit andern, wie sie selbst bezeugen).
das "einzige" gedicht ist keine implizite kritik: ich "lese" hier aus zeitgründen nur sehr wenig.

liebe grüße, carl

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 31.10.2009, 17:31

Liebe Flora,

ich wollte hier schon längst vorbeigekommen sein. Da carl schon mehr als ein tagewerk vollrichtet hat, darf ich einfach nur etwas kleines sagen: ich möchte dazu ein Wort von Max aufgreifen, was er verwendete, um deinen Text zu beschreiben und zwar "hymnisch". ich stimme dem zu, obwohl ich dieses Wort eigentlich nicht rein positiv hören kann, aber in Kombination mit diesen Alltagsdetails wie den "Äpfeln im Keller" ist es einfach ein einnehmendes Gemisch, was den Zauber weckt, ohne den...

Ich lese das übrigens in deinen letzten Texten als deine große Kunstfertigkeit und das gefällt mir sehr.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 04.11.2009, 23:30

Hallo Lisa,
*lach* vor lauter diskutieren, hab ich ganz vergessen hier noch danke zu sagen. :blumen:
Aber ich rätsle auch noch ein wenig an den ... .-)

liebe Grüße
Flora

aram
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Beitragvon aram » 22.03.2010, 20:56

liebe flora,

vor monaten als ich hier nicht zum kommentieren kam, aber zwischendurch reinguckte, bin ich über diesen text gestolpert, und war davon so angetan, dass ich jetzt nochmal danach suchte.

obwohl ich mir das vergnügen, deine über die jahre entstandenen texte mal direkt neben/hintereinander zu betrachten, noch nicht gemacht habe, hatte ich beim ersten lesen dieses textes gleich den eindruck: wow - etwas eigenes und sehr klares kommt bei mir an - frühere deiner texte wirkten auf mich vergleichsweise etwas 'stilistisch angepasster/versuchter - tastender - flexibler ausprobiert - tausch-/veränderbarer'.

(eigenartigerweise kann man texte ja nicht 'autorlos' lesen; selbst wenn man den autor nicht kennt und nichts weiß, transportieren texte so etwas wie einen 'autoren-bewusstseins-aspekt' (der nicht unbedingt 'ich-aspekt' ist) - zumindest sobald sie einer zeit/ einem kulturkreis zuordenbar sind, die bis zu einem gewissen grad vertraut sind)

ich hoffe, das ist jetzt nicht zu persönlich und vergleichend - die rückmeldung, wie der text auf mich gewirkt und wie er mich angesprochen hat und anspricht, wollte ich nicht vorenthalten.

wobei es mir schwer fällt, dieses 'freie - ganz klare - in sich ruhende - beantwortende ohne 'vernichtung' von fragen', das hier für mich ausstrahlt, am text festzumachen. ich finde ihn hymnisch-erdig, in anlehnung an max.

(für mich einer der texte, die 'bleiben' - und natürlich bin ich zugleich auch auf solche neugierig, die 'ganz anders' sein mögen als dieser.)

liebe grüße.
Zuletzt geändert von aram am 22.03.2010, 21:01, insgesamt 1-mal geändert.

Klara
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Beitragvon Klara » 22.03.2010, 21:01

Hallo Flora
(danke, aram, dass du kommentiert hast, dadurch bin ich auf diesen Text aufmerksam geworden, der mir damals durchgerutscht ist, als ich kaum hier las)

DAS IST JA SO SCHÖN!

Und ich lese eine Antwort auf das Küken, das wir da gerade so zerreißen, das arme Dinge - quasi vorgezogen, die Antwort ;)

Dieser Text ist stärker.

Er muss sich nicht rechtfertigen, sein zu dürfen

(der andere tut es, weil das wohl sein Behuf ist)

sondern ist.

Herzlich
klara

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 23.03.2010, 10:40

Hallo aram,

das war sehr interessant für mich zu lesen und ist mir in keinster Weise zu nahe getreten. Ich war erst etwas überrascht, aber dann eigentlich doch nicht... Das ist eine wichtige Rückmeldung für mich. Dank dir!

Hallo Klara,

Und ich lese eine Antwort auf das Küken, das wir da gerade so zerreißen, das arme Dinge - quasi vorgezogen, die Antwort ;)
Ja, wenn ich das gewusst hätte, wie brutal ihr seid, hätte ich euch das Küken nicht vorgesetzt. :o)) Nein, quatsch... aber dass du dieses hier als "Antwort" liest finde ich wirklich spannend.

Dieser Text ist stärker.

Er muss sich nicht rechtfertigen, sein zu dürfen

(der andere tut es, weil das wohl sein Behuf ist)

sondern ist.
Ja, die Texte sind auch für mich sehr unterschiedlich, auch vom Schreibmoment kommen sie aus ganz verschiedenen Ansätzen. Und ja, das Küken will etwas (auf)zeigen, dieser hier ist einfach. Ob das Stärke ausmacht, oder das darauf Einlassen können... interessante Frage. Und *freu* dank dir fürs "schönfinden"... tut gut. .-)

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)


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