furor

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Mucki
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Beitragvon Mucki » 24.11.2008, 01:02

.
Endfassung:

furor

als älteste von uns
trotzte ich dir
es war meine verdammte aufgabe
mein verhängnis
wollte meine schwestern schützen
vor deiner kälte
vor deinem stahl
konnte nicht halten
was ich mir versprach
brach durch mit aller kraft

und du
konntest nicht einmal
still sterben




vorher geändert in : zerbrach mit aller wucht

1. Fassung:

furor

als älteste von uns
trotzte ich dir
es war meine verdammte aufgabe
mein verhängnis
wollte meine schwestern schützen
vor deiner kälte
vor deinem stahl
konnte nicht halten
was ich mir versprach
brach durch mit aller kraft
und du konntest
nicht still sterben


© Gabriella Marten Cortes
Zuletzt geändert von Mucki am 26.11.2008, 11:42, insgesamt 2-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 24.11.2008, 23:06

Liebe Elsie,
Also ich lese da eine Tochter, es könnte das DU Mutter oder Vater sein, es gibt leider auch Mütter aus Stahl und mit Kälte. Jedenfalls ein Elternteil, vor dem die/der Erstgeborene die Geschwister schützen will. Dies Last ist es, an der das LI zerbricht, denn LI ist ja auch nur ein Kind. (starkes Thema für das moderne Familienaufstellen übrigens).

ja, ein Elternteil. Ob Mutter oder Vater gemeint ist, spielt m.E. gar keine Rolle.
Ich glaube, dass dies eines der häufigsten Themen bei Familienaufstellungen ist, was ja auch irgendwo logisch ist. Ich hab es jedenfalls bei Familienaufstellungen, an denen ich selbst teilnahm, immer wieder erlebt bei verschiedenen Teilnehmern.
In der 2. Fassung ist das Ende anders. Deutlicher. Ob es das bessere ist, weiß ich jetzt nicht.

Kann ich auch noch nicht sagen. Auf jeden Fall ist so ganz klar, dass LI scheitert. Und ich möchte das nicht missverstanden wissen, da man "brach durch mit aller kraft" auch positiv lesen kann und das möchte ich vermeiden.
"zerbrach mit aller wucht" ist sehr gängig, das stimmt. Hast du vielleicht eine Idee, wie ich es anders ausdrücken könnte und es dennoch klar bleibt?

und du
konntest nicht einmal
still sterben
<- den Teil finde ich hier besser als in F 1. Ich denke mir das so, dass der Elternteil sogar noch im Tod gemein ist?

Genau das! Gemein und laut!
Danke dir!
Saludos
Mucki

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 25.11.2008, 09:58

Liebe Mucki,

du hast recht. Kraft ist etwas positiv besetztes, ja.

Vielleicht: zersplitterte in tausend Stücke?

LG
ELsie
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.11.2008, 11:01

Liebe Elsie,

"zersplitterte in tausend Stücke" ist mir zu theatralisch und zudem auch sehr gängig. Ich habe gerade nachgedacht über:

"zerbrach bei aller kraft"

Das würde es, glaube ich, ganz gut treffen. Das Zerbrechen ist drin aber auch das "Kraft". Das Wörtchen "bei" ist hier entscheidend. Es zeigt, dass LI trotz aller Kraft zerbricht. Und die Kraft ist hier weder negativ noch positiv besetzt, sondern zeigt auf, dass LI mit vollem Einsatz kämpfte (wenn auch vergeblich). Was meinst du dazu?
Saludos
Mucki

Nachtrag:
Außerdem drückt dieses "bei aller Kraft" auch unterschwellig aus, dass LI sich dessen bewusst ist, finde ich.

jondoy
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Beitragvon jondoy » 25.11.2008, 23:06

hallo mucki, hab es mir durchgelesen, auch die kommentare.

den titel würde ich auf keinen fall ändern, furiosa fänd ich persönlich schrecklich.

Und ich möchte das nicht missverstanden wissen, da man "brach durch mit aller kraft" auch positiv lesen kann und das möchte ich vermeiden.


Ich hab diese Zeile beim ersten Mal positiv gelesen, wenn du das vermeiden willst, darst du m.E. das keinesfalls so schreiben.

was ich mir versprach zerbrach mit aller wucht


mich persönlich hat beim ersten Lesen das wort Wucht gestört, ich weiss nicht warum, weil es mir so groß vorkam, ich kann es nicht in Worte fassen, ich würde es anders nennen, vielleicht mit aller härte, nein, auch nicht, ich hab mich gerade hineinzufühlen versucht und es getestet, es hat mir auch nicht getaugt, vielleicht mit aller gewalt, nein auch nicht, mit aller wut, das passt eigentlich gar nicht, trotzdem würde es mir im moment am nächsten kommen,
der ausdruck
"zersplitterte in tausend Stücke"
wäre mir auch absolut zu theatralisch.

Der Ausdruck von dir
"zerbrach bei aller kraft"

würde zwar vom Sinn her wohl am richtigsten sein, aber er wirkt auf mich einen Tick zu sehr nachgedacht, zu überlegt, wie eine mentale Sekunde dazwischen, da kommt für mich die ursprüngliche (unvermittelt dem gegenüber stehende) kraft aus den ersten zeilen nicht mehr raus, find ich, hört sich für mich an wie ein ergebnis, schon zu sehr analysiert, nicht mehr spontan.

meine gedanken dazu.

als ich den text das erste mal las, war für mich sonnenklar, die schützt sie vor ihrer mutter. Durch das lesen der kommentare bin ich überhaupt erst auf die Idee gekommen, dass dies auch ein vater sein könnte.

zu grüßen hätt ich jetzt beinah vergessen,
stefan

Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.11.2008, 23:18

Hallo Stefan,

danke dir für deinen Kommentar. Das war wichtig für mich. Du hast Recht. Dieses "bei" ist zu überlegt. Aber ich glaube, jetzt hab ich das richtige Mittelding gefunden:

zerbrach mit aller kraft

Das trifft es genau, finde ich.
Saludos
Mucki

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 25.11.2008, 23:23

Liebe Mucki,

zerbrach mit aller kraft

gefällt mir bisher auch am besten.

Man könnte vielleicht auch:

was ich mir versprach
zerbrach mich mit aller kraft


Lieben Gruß
ELsie
Schreiben ist atmen

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.11.2008, 01:23

Danke dir, liebe Elsie,

ich schlaf noch ne Nacht drüber, doch ich glaube auch, dass es
"zerbrach mit aller kraft" sein wird, da sich das "was ich mir versprach" auf das "konnte nicht halten" bezieht.
Buenas noches
Mucki

Last

Beitragvon Last » 26.11.2008, 09:11

Hallo Mucki,

obwohl zu viele Köche den Brei schnell verderben können melde ich mich noch einmal zur zweiten Fassung.

Zunächst waren mir beide Veränderungen des Schlussteils nicht so recht.

"und du konntest/ nicht sill sterben": Ich habe das in der Form nicht postiver gelesen, als in der neuen. Aber in dieser ersten Form steckte etwas, was mich besonders reizte: Kausalität. Hier trug das "und" diesen Chrakakter der Folgerung. Ein Hauch von "deshalb" schwang ihm mit, der in der neuen Version verloren geht.
So wurde die Lesart geöffnet, die eben ein lyr. Ich präsentiert, dass zwar über den Tod hinaus Vater oder Mutter etwas vorhält, aber auch die wechselwirkung der Handlungen einsieht. Und was noch mehr in den Vordergrund rückt, erkennt, dass zur Lösung des Problems beide gehört hätten und es nun diese offene Wunde weiter mit sich rumtragen muss. Diesen Umstand erst hält sie Vater/Mutter wiederum vor.

"was ich mir versprach/ brach durch mit aller kraft": Das war einfach angenehmer zu lesen. es wurde eine Spannung aufgebaut, die dann in den letzten Versen entladen wurde, ohne das dieser das aus sich selbst heraus tut.
Ich denke das liegt am Rhytmus: "brach durch" bedeutet, dass ich mit einer betonten Silbe in die Zeile gehe. Das wirkt kraftvoll. "mit aller kraft" wurde dann etwas als Nachhall dieses Einstiegs gelesen. Evtl. spielte da auch die Häufung von a-Lauten in den betonten Silben mit (brach, aller, kraft).
"... versprach/ zerbrach mit aller wucht": Hier starten wir unbetont und der Reim versprach/zerbrach veranlasst mich eine Pause im Lesen zu machen, die nicht da ist. Der Vers marschiert regelmäßig durch bis zum Ende, es folgt immer eine betonte Silbe auf eine unbetonte. So kann das Attribut hinter (zer)brach eigentlich nur stören. Hier könnte ich mir eine Streichung vorstellen:

...
was ich mir versprach
zerbrach mit aller wucht



LG
Last

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.11.2008, 11:47

Hallo Last,

danke dir. Mir ist jetzt, aufgrund deines Kommentares, klargeworden, dass das "brach durch mit aller Kraft" bleiben muss. Das Wort "Wucht" war mir ein Dorn im Auge. Und "brach durch mit aller Kraft" kann man auf beide Arten lesen. Einmal als Erfolg des LI, aber eben auch als Zerbrechen des LI, unterstützt durch das "einmal" im letzten Absatz.
Ich hab jetzt oben die Endfassung eingestellt. So ist es stimmig für mich.
Saludos
Mucki

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 26.11.2008, 17:45

Liebe Mucki,

Passt! :-)

Mir gefällt es so auch am Allerbesten.

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.11.2008, 19:19

danke dir, liebe Elsie,

so ist es auch für mich rund. ,-)
Saludos
Mucki

Max

Beitragvon Max » 28.11.2008, 20:27

Liebe Mucki,

meine Eindruck ist sehr nahe an dem, was Last schreibt.

Insgesamt würde ich von dem, was den Text ausmacht, die Story, gerne mehr sehen. Ich mag nicht raten, was da steht, sondern will wissen. Insofern ist der Text auch eigentlich kein Gedicht für mich, sondern eine verhinderte Erzählung, die ich lieber voll entfaltet sähe.

Liebe Grüße
max

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 28.11.2008, 20:28

Stimmt, das habe ich auch gleich gedacht, dass da ein Plot schimmert - der eine ganze Geschichte braucht und füllen kann!
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 28.11.2008, 21:07

Hallo Max und Lisa,

Last schrieb:
Last hat geschrieben:Aber sehe die Stärke des Textes in der Erschaffung der Erzählfigur, die sich als die älteste Schwester herausstellt. Sie reflektiert ein ganzes Bündel von Ereignissen, von der Jugend bis zum Tod desjenigen Elternteils, das ihren Widerstand provozierte, ein Kampf, den lyr. Ich nicht gewinnen konnte. Das lyr. Ich bekommt also sehr wohl ein Profil, das mich auch emotional an den Text bindet.
Das faszinierende an dieser Emotion ist, dass sie wie der Text etwas unklar bleibt. Es werden lediglich Grenzen gesteckt, innerhalb denen es sich finden lässt. Du öffnest einen Raum zwischen Kraft, Wut, Stolz, Trotz, Schwäche, Scham, Verantwortungsbewusstsein, Versagensangst, Rechtfertigung, Reue, Vorwurf und Bedauern. Diesen unklaren Raum, der seinem Wesen nach immer etwas wage bleiben muss, dessen Eindeutigkeit eine Täuschung ist, diesen Raum sehe ich als den Ort, wo sich unsere Seele befindet. Ja, als unsere Seele selbst.
Vor diesem Hintergrund empfinde ich den Text als sehr stark, weil er eben -für mich- dieses transportiert.
Die Kürzung auf das Wesentliche bedeutet hier eben nicht, das wesentliche Ereignisse in form von lyrischen Bildern abgespult werden. Der Text erklärt im Gegensatz dazu die Reflektion für unabhängig von den ihr zu Grunde liegenden Ereignissen, solange man im Raum der Reflektion bleibt, hat sie ihr Eigenleben.


Woraufhin ich schrieb:
Gabriella hat geschrieben:Du beschreibst genau das, was ich intendierte. Ich wollte aus der Sicht des LIs die verschiedenen Emotionen von Wut, Verantwortungsgefühl, Ohnmacht und Enttäuschung ausdrücken, ohne jedoch das kausale Ereignis zu benennen (das kann und soll sich der Leser selbst dazudenken) und ohne konkrete Bilder einzuflechten, wobei die Wut und der aussichtslose Kampf hier im Vordergrund stehen.
...
Am Wichtigsten ist für mich der letzte Part, in dem die ganze Wut des LIs verborgen ist.

Und das ist nach wie vor so.
Natürlich könnte ich hergehen und eine ganze Geschichte erzählen mit allen gemeinen Details und reichlich bildhaften Worten, einen Prosatext daraus machen. Aber darum geht es mir hier nicht.
Außerdem, Max, ein "Rategedicht" o.ä. ist das hier sicherlich nicht. Jeder kann sich denken, dass es hier um einen großen Konflikt geht zwischen LI und einem Elternteil. Und ganz genau zu wissen, um was es geht, ist m.E. nicht erforderlich und auch ganz bewusst nicht so von mir gewollt.

Saludos
Mucki


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