Am Fenster

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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annette
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Beitragvon annette » 17.10.2007, 22:42

Am Fenster

Ein Rest vom Sommer hat sich im Hinterhof verfangen
ruht sich nun aus, geschützt vor Wind und Straßenlärm
als schaute der Oktober nicht herein
wärmt ein letztes Mal den zögerlichen Ahorn
der hat noch immer keinen Herbstton aufgelegt
doch Frucht und Blätter sind ihm schwer, sein Grün so müde
das späte Licht lässt Spinnenfäden glimmen
der Wein lehnt sich errötend an die Wand
die wilden Gänse lachen über uns und ziehen weiter.

Meine Ernte hängt dies Jahr nicht prall und satt im Baum
verrinnt an ruhelosem Tag in traumloser Nacht
doch ich weiß: Unter Schneehänden wird sie mir reichlich
wärmt mir die Finger in den Taschen wie Maronen
und bindet unverfroren Eisblumen zu einem Strauß.
Später, wenn die Sonne wieder steigt, wird von allem
eine Handvoll geblieben sein für die neue Saat.

Geklapper von Absätzen hallt herauf
rot müssen sie sein, denke ich.
Und wenn die Dämmerung wie Seide herabfällt
ist ein Sommer im Hinterhof verglüht.


Änderungen:
Zeile 3: guckte > schaute nach Vorschlag von Gerda und Caty und rein > herein nach Vorschlag von Lisa
Zeilen 10 und 11: vorher Imperfekt, jetzt Präsens
Zeile 11: vorher: kauerte sich lichtscheu in Astgabeln, hinter die Borke
Zeile 14: zum > zu einem nach Vorschlag von Lisa
Zeile 17: echot > hallt nach Vorschlag von Mucki
Zuletzt geändert von annette am 26.10.2007, 20:47, insgesamt 6-mal geändert.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 21.10.2007, 19:27

Liebe annette,

(keine Kommentare gelesen)

ich wollte schon so gern etwas zu deinem letzten Erzählgedicht schreiben, das mit dem inneren Wald, leider habe ich das aus mangelnder Zeit verpasst...aber nun--obwohl ich auch schon spät dran bin für einen Kommentar, der die anderen Kommentare nicht berücksichtigt, aber sonst shcaffe ich es nicht. Nimm dir einfach, was du brauchst und schmeiß weg, was schon Geklärtes wieder unnütz aufrollt.

Erstmal: Das Sanfte (ohne Druck) deiner Texte finde ich jedesmal wohltuend - ich finde, du bist da in manchen Punkten ein wenig wie Paul Ost (manches ist auch ganz anders, aber der loslassende Ton, den teilt ihr). So auch hier, dass ich mich ganz einlasse auf die Stimmungsbilder, die du erzeugst, ohne dass sie mir eine zu klassische Bedienung oder zu bloß mimetisch erscheinen. Sie wirken nach innen und bereiten die Kraft der letzten Strophe vor, ohne bloßes Instrument zu sein (ja das ist es, du behandelst deine (Natur)bilder gut ,-)...klingt doof, aber das meine ich Ernst!)

Der Text ist in seiner Sprache auch durchaus gut durchkomponiert, es gibt nur zwei Fragzeichen für mich. Das eine ist der Rhythmus, das andere sind einzelne Formulierungen, die vielleicht noch etwas flüssiger sein könnten.

Zum Rhythmus nur allgemein: Ich finde die ersten drei Zeilen kündigen einen Rhythmus an, der dann nicht folgt, der Text erzählt dann eher in "sätzen" (was nicht unlyrisch ist, ich mag das!). Nur wird die Erwartung des Lesers etwas "enttäuscht" durch den Auftakt, finde ich.

Die einzelnen Formulierungen:


Am Fenster

Ein Rest vom Sommer hat sich im Hinterhof verfangen
ruht sich nun aus, geschützt vor Wind und Straßenlärm /rhythmisch schöner mit der silbe, aber schon starkes Füllwort?
als schaute der Oktober hier nicht rein (das rein empfinde ich als unschön...man könnte das sicher etwas variieren, irgednwo eine silbe klauen und aus dem rein ein hinein machen? würde sich poetisch lohnen, finde ich
wärmt ein letztes Mal den zögerlichen Ahorn
der hat noch immer keinen Herbstton aufgelegt
doch Frucht und Blätter sind ihm schwer, sein Grün so müde
das späte Licht lässt Spinnenfäden glimmen
der Wein lehnt sich errötend an die Wand
die wilden Gänse lachen über uns und ziehen weiter. (das über uns ist schön doppelsinnig)

Meine Ernte hing dies Jahr nicht prall und satt im Baum (hier mehreres, was schräg zusammenklingt, wie ich finde: Ernte..ich glaube, man kann das zwar auch für Baumfrüchte sagen (besser wäre aber Lese?), zusammen mit dem prall und satt aber (das satt sagt man doch eher von Gras oder Getreide, klingt die Zeile insgesamt dissonant. Warum nicht Frucht statt Ernte?
kauerte sich lichtscheu in Astgabeln, hinter die Borke kauern ist das Verb, was mir zu stark personifiziert im Vergleich mit den anderen Verben, zum beipsiel, dass der weihn sich errötend an die wand lehnt ist sehr dicht am sinnlichen etc., darum wirkt das bild toll, aber kauern finde ich ein wenig deftig in anwendung auf "ernte", der personifizierungsgrad ist ungleich stärker und dadurch wirkt die stelle zu psychologisch dramatisiert, ich würde ein anderes, der Ernte näheres Verb verwenden..
doch ich weiß: Unter Schneehänden wird sie mir reichlich
wärmt mir die Finger in den Taschen wie Maronen
und bindet ganz unverfroren Eisblumen zum Strauß. zu dem Erzählstil des Textes passt ein "zu einem" besser als ein "zum" finde ich
Später, wenn die Sonne wieder steigt, wird von allem
eine Handvoll geblieben sein für die neue Saat. muss es nicht bleiben heißen? @tempus? wenn es nicht muss, fände ich trotzdem, dass es den Optimismus in der zunehmenden Kargheit des Bildes stärken würde

Geklapper von Absätzen hallt herauf
rot müssen sie sein, denke ich.
das finde ich eine ganz tolle bewegung des txtes, zu dieser beobachtung und auch, das : rot müssen sie sein, denke ich - der Wunsch ist so schön offen gehalten
Und wenn die Dämmerung wie Seide herabfällt (gleitet?)
ist ein Sommer im Hinterhof verglüht.

Schönes Ende dann nochmal...

Ja...für mich eindeutig ein gelungener Text...die vielen Einzelanmerkungen seien mir verziehen,

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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annette
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Beitragvon annette » 22.10.2007, 21:57

Liebe Lisa,

danke für Dein sehr aufmerksames Lesen! Und für Dein Statement zu meinen Naturbildern im Allgemeinen.

(ja das ist es, du behandelst deine (Natur)bilder gut ,-)

Danke - das Kompliment gefällt mir sehr!

Zum Rhythmus nur allgemein: Ich finde die ersten drei Zeilen kündigen einen Rhythmus an, der dann nicht folgt,


Ein gewisser Bruch im Rhythmus ist beabsichtigt, allerdings erst nach der ersten Strophe, also wenn den Naturbildern die Innenschau folgt. Wenn tatsächlich schon ab Zeile 4 der Rhythmus wechselt, muss ich die erste Strophe noch mal überarbeiten.

ruht sich nun aus, geschützt vor Wind und Straßenlärm /rhythmisch schöner mit der silbe, aber schon starkes Füllwort?


Hat aber durchaus eine Funktion: Es soll den Leser mit in den Moment holen, den das Ich erlebt. Das Verfangen im Hinterhof ist vorher passiert, jetzt, im Moment des Textes, ruht der Sommer sich aus.

als schaute der Oktober hier nicht rein (das rein empfinde ich als unschön...man könnte das sicher etwas variieren, irgednwo eine silbe klauen und aus dem rein ein hinein machen? würde sich poetisch lohnen, finde ich


Und schon geschehen!

Meine Ernte hing dies Jahr nicht prall und satt im Baum (hier mehreres, was schräg zusammenklingt, wie ich finde: Ernte..ich glaube, man kann das zwar auch für Baumfrüchte sagen (besser wäre aber Lese?), zusammen mit dem prall und satt aber (das satt sagt man doch eher von Gras oder Getreide, klingt die Zeile insgesamt dissonant. Warum nicht Frucht statt Ernte?


Prinzipiell sagt man doch auch bei Äpfeln und Birnen „Ernte“ und nicht „Lese“, oder? Bei „satt“ hab ich in erster Linie an die rote Farbe eines reifen Apfels gedacht, also nicht an Getreide. Ich wollte schon im Bild des Baumes bleiben, das bereits skizziert ist – wenn auch nicht beim Ahorn. Frucht steht übrigens kurz davor schon. Und „Ernte“ ist mir wegen der Implikationen ganz wichtig: Es ist nicht nur das Ergebnis, der Ertrag, sondern auch die Arbeit der Ernte, die Zeit der Ernte.
Schwierig - Ich werde über diese Zeile noch nachdenken.

kauerte sich lichtscheu in Astgabeln, hinter die Borke kauern ist das Verb, was mir zu stark personifiziert im Vergleich mit den anderen Verben,


Du hast völlig recht – hier werde ich ändern müssen.

und bindet ganz unverfroren Eisblumen [color=#4000FF]zum Strauß. zu dem Erzählstil des Textes passt ein "zu einem" besser als ein "zum" finde ich


Hab ich übernommen.

Später, wenn die Sonne wieder steigt, wird von allem
eine Handvoll geblieben sein für die neue Saat. muss es nicht bleiben heißen? @tempus? wenn es nicht muss, fände ich trotzdem, dass es den Optimismus in der zunehmenden Kargheit des Bildes stärken würde


Hmm, ich finde das „wird geblieben sein“ so schön, weil es den Ergebnischarakter betont. Irgendwie ist in dem Moment alles andere vorbei und vergessen (der Winter, die Kälte) - geblieben ist der neue Anfang. Klingt zu umständlich mit dem Tempus?

Ja...für mich eindeutig ein gelungener Text...die vielen Einzelanmerkungen seien mir verziehen,


Nein, sie seien Dir nicht verziehen, sondern vielmals gedankt! :)
Ich werde eine überarbeitete Version einstellen, wird aber einen Moment dauern.

Liebe Grüße - annette

Klara
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Beitragvon Klara » 22.10.2007, 22:27

Hallo,

das find ich einfach nur schön und gelungen und rund.

Nichts zu meckern .)

Lieber Gruß
Klara

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annette
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Beitragvon annette » 26.10.2007, 20:57

Erstmal noch lieben Dank an Klara für das Lob - und an leonie, die ich anfangs unterschlagen habe - sorry!

Ich habe jetzt insbesondere auf Lisas Anmerkungen hin nochmal die ersten zwei Zeilen der zweiten Strophe überarbeitet.
Zunächst habe ich sie ins Präsens gestellt, was ja auch viel stimmiger ist. Herbst ist gerade jetzt, und die Ernte sollte in vollem Gange sein.

Die erste Zeile der zweiten Strophe habe ich nach einiger Überlegung unverändert gelassen. Für mich stimmt das semantisch gut: die Ernte (zB Äpfel und Birnen) hängen prall und satt im Baum.
In der von Lisa zurecht bekrittelten Zeile 11 habe ich die Ernte ent-personifiziert.

Habt alle nochmal vielen Dank für Eure Hilfe!
Viele Grüße - annette


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