Bis hierher

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Max

Beitragvon Max » 26.02.2007, 13:43

Liebe Salonisten,

keine Ahnung, ob das hierher passt, aber nun steht es hier ;-)

Liebe Grüße
max



Bis hierher

Verloren
nicht das Leben
(wie schon einige in deinem Alter)
von zwei Elternteilen nur einen
(den früh)
ein Großelternpaar mehr als üblich
keine Geschwister
keine Gefährtin
keine Kinder

Verloren
nicht die Heimat
(wie die Eltern)
nicht die Sprache
(die nur gelegentlich, beinah)
nicht die Arbeit
(auch die
zum Glück
nicht)

Verloren
nur wenige Freunde
(an die du so manches Mal denkst)
selten einen Kampf
(der wichtig war)
etwas Geld
(einmal tat es weh)

Verloren aber
zunehmend
den Weg aus den Augen
und von Zeit zu Zeit auch
die Hoffnung
dass da ein Weg ist
und immer öfter selbst
den Glauben
dass es schon irgendwie
weitergeht


geändert auf Vorschläge von klara, annette und Gerda (siehe deren anmerkungen)
Zuletzt geändert von Max am 28.02.2007, 19:48, insgesamt 2-mal geändert.

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leonie
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Beitragvon leonie » 28.02.2007, 20:52

Lieber Max,

ich muss doch noch einmal widersprechen ud hoffe, es nervt nicht zu sehr. Ich stelle mir jemanden in einer unerträglichen Situation vor. Dann dieser Satz. Er könnte dann doch auch bedeuten, dass es immer so weitergeht ohne eine Veränderung.
Dann wäre das die hoffnungsvolleren Sätze: Es hört einmal auf. Es geht nicht mehr weiter.

Für mich ist der Satz zu unbestimmt und er enthält nicht notwendigerweise einen Hoffnungsschimmer. Deshalb finde ich ihn schrecklich.

Ich hoffe, ich konnte das noch deutlicher machen, was ich meine.

Liebe Grüße

leonie

Max

Beitragvon Max » 03.03.2007, 19:21

Liebe Leonie,

ich verstehe Dich auf der abstrakten Ebene mühelos. Aber ich denke, dass es eigentlich deutlich sein müsste, dass dieser Satz im Kontext des Gedichts nicht so interpretierbar ist, oder?

Liebe Grüße
Max

Max

Beitragvon Max » 04.03.2007, 00:15

PS: Ich meine, der Satz, den ich hier zitiere, heißt doch "es geht schon irgendwie weiter"; es ist doch klar, dass der als Aufmuterung gemeint ist, die ich hier hinterfragen möchte ... oder?

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leonie
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Beitragvon leonie » 04.03.2007, 10:26

Lieber max,

Hm, für mich klingt es so, als ob dieser Satz vom lyrIch zunächst einmal als etwas Positives empfunden wird und es über den Verlust des Glaubens daran eher traurig als froh ist.

Vielleicht habe ich es falsch verstanden. Außerdem scheine ich die Einzige zu sein, der es so geht: Für andere Leser und vor allem für Dich ist es stimmig, das ist das, was wichtig ist!

Liebe Grüße

leonie :-)

Max

Beitragvon Max » 04.03.2007, 14:21

Liebe Leonie,

Hm, für mich klingt es so, als ob dieser Satz vom lyrIch zunächst einmal als etwas Positives empfunden wird und es über den Verlust des Glaubens daran eher traurig als froh ist.


Hm (auch hm), es soll so klingen, dass das lyr. ich das Zitat "es geht immer irgendwie weiter" (das dann im Zitatsinn tatsächlich positiv ist) aufgreift und selbst diese Binsenweisheit im Moment nicht sieht ... (was ja durchaus wahr sein kann bei einem Blick auf den Zustand dessen, was uns als Welt umgibt).

Danke, dass Du das mit mir durchdeklinierst - ich weiß auch manchmal nicht, was ich schreibe :_)

Liebe Grüße
max

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Beitragvon leonie » 04.03.2007, 22:32

Also, ich glaube, mein Problem ist/war?, dass es so klingt, als ob das lyrIch sich danach sehnt, es wieder glauben zu können. Und ich persönlich eben meine, es ist kein Verlust, es nicht glauben zu können, weil es ein schrecklicher Satz ist und kein hoffnungsvoller.

Oh weia, ob man das überhaupt noch nachvollziehen kann????

Liebe Grüße

leonie

aram
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Beitragvon aram » 05.03.2007, 01:38

Max hat geschrieben:und selbst diese Binsenweisheit im Moment nicht sieht

leonie hat geschrieben:es ist kein Verlust, es nicht glauben zu können, weil es ein schrecklicher Satz ist und kein hoffnungsvoller.


lieber max, ich las diese passage von anfang an deiner erklärung konform.

liebe leonie, ich finde du hast schon recht, aber aus einer anderen perspektive - in diesem text geht es darum nicht. allenfalls bezieht er dadurch sein unterschwelliges grauen, dass es eben gar nicht darum geht. es ist ja was da, ein gewisser erfolg, vielleicht äußere sicherheit (arbeit, geld, durchsetzungsvermögen, heimat, sprache, freunde werden direkt oder indirekt genannt), so dass 'irgendwie weitergehen' auch positiv gesehen wird -

so wie ich den text lese deshalb, weil der protagonist im grunde 'bescheiden' ist, je nachdem wo er 'herkommt', kann er in diesem 'irgendwie weitergehen' - das immerhin auch schöne momente zwischendrin bereithalten mag - etwas positives sehen, dass für ihn keineswegs selbstverständlich ist.

der text erinnert mich von der atmosphäre an lars gustafsson ("die kunst, den november zu überstehen") und hat etwas melancholisches.

darüberhinaus lässt es das bild eines bescheidenen (missverständlich; ich finde kein besseres wort) menschen entstehen, der resigniert oder eher hilflos an einen punkt kommt, wo auch das nicht genügt. er muss seine werte neu formulieren, aber so weit ist es noch nicht.

hat mich sehr angesprochen.

liebe grüße,
aram
there is a crack in everything, that's how the light gets in
l. cohen

Max

Beitragvon Max » 05.03.2007, 20:43

Lieber Aram,

herzlichen Dank für Deinen Kommentar, bei dem ich fühle, dass alle Wünsche, die ich mit dem Text verbunden habe (und mehr) wahr geworden sind.

Danke
Max.


Liebe Leonie,

Deine Aversion gegen "Das Leben geht weiter" oder ähnliche Phrasen teile ich ja, nur streifen die, so hoffe ich, mein Thema nur am Rande.

Lieben Dank und liebe Grüße
max

Klara
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Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 05.03.2007, 21:14

Hallo Max,

Arams Begriff "bescheiden" trifft es ziemlich gut.

Ich ändere meine Meinung: Ich finde das Ende nicht mehr enttäuschend - oder jedenfalls nicht enttäuschender als eben die leicht resignative Enttäuschung in der Mitte eines Lebens nun mal enttäuschend ist, ab und an.

Es ist sogar so zielgenau, dass mich nicht mal der mütterliche Reflex ereilt (oje, kann ein Reflex jemanden ereilen - oder nur mich °knirsch°), trösten zu müssen, am besten sofort. Da ist kein Trost, nur Sehen, Wissen und Akzeptieren. Hin-schreiben.

lg
klara


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