mutter

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 14.01.2007, 23:48

thomas milser
12/I/2007


mutter


morgen hättest du geburtstag

ich kann leider nicht kommen
und mein einziges geschenk
sind meine träume
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 16.01.2007, 01:54, insgesamt 3-mal geändert.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

aram
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Beitragvon aram » 15.01.2007, 14:36

Drücke ich mich verständlich aus?


nee, klara... "ich kann leider nicht kommen" drückt etwas ganz eigenes aus - über das lyr.ich, um das es geht -da stimme ich dir zu.

aram
there is a crack in everything, that's how the light gets in
l. cohen

Klara
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Beitragvon Klara » 15.01.2007, 14:58

nee, klara... "ich kann leider nicht kommen" drückt etwas ganz eigenes aus - über das lyr.ich, um das es geht -da stimme ich dir zu.

wahrscheinlich stimmt das und ich bin nur zu blöd es zu sehen. ich spüre es nur ein bisschen - unter der wohl vermeintlichen "unlogik".

k.

scarlett

Beitragvon scarlett » 15.01.2007, 15:51

Lieber Thomas,

die zweite eingestellte Version reicht m M nach nicht an dein Original heran, zumindest für mich, ich empfinde es so. Deine 1. Version hat etwas Inniges, etwas was man spüren kann, da schwingt sehr viel mit.
Die zweite ist zu nüchtern, ich empfinde sie "telegrammstilartig", der Titel wird beliebig austauschbar.

Das meine, zugegeben nicht sehr maßgeblichen, Gedanken hierzu.

Es ist für mich ein wunderbarer, stiller, nachdenklich-liebe-voller Text, den ich sehr gerne gelesen habe...

Grüße,

scarlett

Max

Beitragvon Max » 15.01.2007, 16:13

Lieber Tom,

für mich ist die zweite version, also die Leonies die stärkere ... Sie ist noch lakonischer, das wirkt in diesem Kontext.

Liebe Grüße
Max

PS: Klara, auch hier in der Lyrikecke darf Logik leben - wieso denn nicht (oder habe ich was falsch verstanden)

Peter

Beitragvon Peter » 15.01.2007, 19:50

Hallo Tom,

existentiell und sprachlich, stellen deine Zeilen einen interessanten Grenzstein auf. Ein Fehl wird, wie mitten im Niemandsland, zur Behausung; eine Leerstelle zur Wohnstätte des Erinnerns. Ich weiß kaum warum, aber ich musste an den Türhüter aus Kafkas "Vor dem Gesetz" denken. Vielleicht, weil du dich im Anhang weigerst, eine Erklärung abzugeben. Wie der Türhüter auch, erahnst du ein Potential. Dem lyr. Ich wird es Träume. Aber in Wahrheit liegen viele Wege oder Weisen darin verborgen. Ich glaube wir hüten alle solche Türen. Besonders jene, die in die Anfänge zurück reichen und uns nochmal, wenn auch perspektivisch verkürzt, einen Einblick erlauben in das Vergangene, sind von großem Wert - aber sie sind ebenso, und das macht das Potential, vernichtend... Vielleicht hat Kafka das erkannt. Ich weiß zum Beispiel nicht, steckt ein Sonnenauf- oder ein Sonnenuntergang hinter den Türen. Wohin bewegt sich das Potential? Ist es wirklich eine Erinnerung, die mir begegnet? Oder sehe ich einer Verwandlung zu, in der die Dinge umgeschrieben werden; ist der Erinnerung zu trauen?

Ich finde aber, eben hier haben wir uns einzulassen. Wo, wenn nicht hier, beginnt Sprache. Oder Existenz. Ich selbst suche immer nach den Türen, weil dahinter noch etwas ist.

Liebe Grüße,
Peter

P.S. In den letzten Tagen hatte ich das Vergnügen, in ein paar deiner Kritiken zu lesen. Leider gingst du ja eben zu dem Zeitpunkt weg, als ich dazu kam. Ich hoffe deine Zeit und Lust erlaubt es dir, dass du jetzt öfters hier bist.

P.

Klara
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Beitragvon Klara » 15.01.2007, 19:55

PS: Klara, auch hier in der Lyrikecke darf Logik leben - wieso denn nicht (oder habe ich was falsch verstanden)

Ach weißt du, Max, wahrscheinlich bin ich nur auf meine Art nachtragend. Vor einiger Zeit wurde ich quasi zurecht gewiesen, in einem Kommentar auf meinen Kommentar zu einem Text (ich weiß nicht mehr wer und was und wie genau), dass Logik und Lyrik nicht die beste Beziehung hätten und dass ich an lyrische Texte weniger logisch rangehen solle, damit sie mich mir besser erschlössen (Subtext: Du Hartholz! Du Dickfell! Du Unsensibel! ,-). Ich zitiere jetzt nicht, sondern gebe aus de rErinnerung sehr frei wider.

Ich weiß nicht: Hat Logik in der Lyrik was zu suchen? Ist off topic,und ich hab keine Antwort außer die: Gefühle und Logik sind keine Geschwister, aber wenn man Gefühle verständlich ausdrücken will, sollte man (zum Beispiel) im Bild bleiben, oder es nur "logisch brechen" oder Unlogisches klar darstellen - was weiß ich. Im obigen Fall irre ich möglicherweise, weil ich da vielleicht einfach nicht mitkomme (icih Hartholz! Ich Dickfell! Ich Unsensibel! ,-), habe ich ja schon eingeräumt...

:-)

Klara

Maija

Beitragvon Maija » 15.01.2007, 22:23

Hallo Thomas,

Tiefe Sehnsucht spürt man in deinen Worten und das gefällt mir gut. Zum Glück gibt es noch Träume und ein paar Sonnenstrahlen erwärmen unsere Seele.

Gruß Maija

Niko

Beitragvon Niko » 15.01.2007, 23:08

hi tom!
mir lässt der text raum. es lässt zum einen die möglichkeit des todes der mutter. für mich aber auch den bruch mit ihr. auch das kann ich darin lesen. kombiniert und separat.
drum gefällts mir.
einen echten lieben gruß: Niko, mutterlos

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 16.01.2007, 01:53

@ alle:

Im Innern bleibe ich bei meiner ersten Version. Die andere hätte lyrisch auch ein Berechtigung, aber eben nicht meine. Die Worte, die ich schrieb, sind für mich stimmig. Ende.

@ peter: Ich freue mich sehr, dich kommentierender Weise unter meinem Text zu finden. Ich habe deine Texte bislang verfolgt, ja, ich saß sogar in der Jury, die dich in den Salon einließ (wie anmaßend), wenngleich ich gestehen muss, das ich solch intellektuellem Grad nicht unbedingt gewachsen bin. Ich habe jetzt den Dostojewskij durch, und Kafka ist der nächste. Ich bin noch nicht so weit. Dass dich meine Rezensionen beeindruckt haben, ist ein großes Lob, von dem ich gar nicht weiß, wo ich es hinstecken soll... ich zitiere hier deinen letzten Satz, weil er so wohlwollend ist, dass ich mich zu erröten anschicke:

Ich finde aber, eben hier haben wir uns einzulassen. Wo, wenn nicht hier, beginnt Sprache. Oder Existenz. Ich selbst suche immer nach den Türen, weil dahinter noch etwas ist.

Etwas Schöneres habe ich selten unter meinen Texten gefunden. Danke dafür, Peter. Ich hoffe , irgendwann mal etwas ähnlich Tiefempfundenes unter deine Texte schreiben zu können, gleichwohl, die Formulierung will mir mir nicht leichtfüßig über die Lippen... du schreibst fernab jeglicher Erklärbarkeit... für mich jedenfalls... ich kann bislang nur lesen und staunen...

@ Klara: Deine Kritik hatte ich im Ansatz schon nicht verstanden, allein deshalb, weil ich kein Französisch kann. Ich weiß nicht, was du meintest... Logik hin oder her... sorry...

@alle: Entgegen mancher Meinung lösche ich jetzt Version 2 wieder. Es ist nicht das, was ich sagen wollte. Es transportiert etwas anderes, was meiner toten Mutter nicht gerecht wird. Einige von Euch haben das erkannt. Meine erste Version mag unlyrischer sein, vermeindlich weniger gefeilt, aber an diesen Gefühlen gibt es nichts zu feilen. Ich freue mich, dass du, Scarlett, und andere das ebenso sehen.

@ Niko: Nein, einen Bruch hat's nie gegeben. Der Bruch war, als sie Mutter knirschend in einen Plastikmüllsack eingereißverschlusst haben. Vgl. Hierzu: Schlaf ein. Da zerbrach etwas. Etwas endgültiges.

Ich war wieder nicht auf dem Friedhof, hab keine Blumen hingebracht. Wozu auch, das Grab meiner Mutter wurde ein paar Tage zuvor geschändet. Der Ort der Trauer ist kein Stück Erde mit einer Urne darin, der Ort der Trauer ist immer in einem selbst. In den Träumen.

Ich danke euch allen für diese wunderbare Anteilnahme.

Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Max

Beitragvon Max » 16.01.2007, 09:08

Liebe Klara,

da off-topic kurz zrurück: klar, das hatte ich mir gedacht, aber wenn wir auf die Logik in der Lyrik verzichten (vielleicht auf ihre eigene Logik), dann bleibt nur Willkür.

Liebe Grüße
Max

Klara
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Beitragvon Klara » 16.01.2007, 11:59

@ Klara: Deine Kritik hatte ich im Ansatz schon nicht verstanden, allein deshalb, weil ich kein Französisch kann. Ich weiß nicht, was du meintest... Logik hin oder her... sorry...

macht nix, nich so wichtig (auch wenn französisch oder nicht nichts damit zu tun hat)

k

Last

Beitragvon Last » 17.01.2007, 01:20

Hallo Thomas,

dein Gedicht ist so wie wenn man eine Grußkarte für jemand Nahestehenden schreibt. Man meint so viel auf einmal, dass es in Floskeln endet. Floskeln sind aber nicht das richtige Wort. Denn hinter jeder dieser Zeilen stehen Erinnerungen, die so persönlich sind, dass sie 'unsichtbar' bleiben und doch erfassen lassen, dass jedes gewählte Wort von tiefster Ehrlichkeit geprägt ist.

LG
Last

Cornelia

Beitragvon Cornelia » 20.01.2007, 17:01

Hallo Thomas,

mich berührt vor allem Deine Erklärung zu dem doch sehr persönlichen Text

....es ist ein sehr langes Gedicht......kommt bei mir an als - es blieb so vieles ungesagt

leider kann ich nicht kommen.... bist Du sonst immer persönlich gekommen.....ist Deine Mutter noch nicht lange fort?

Dein einziges Geschenk sind Träume......aber die bleiben - reichlich und wichtig


.....so kamen Deine Worte bei mir an

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 20.01.2007, 23:02

Hi Last, das Bild mit der Grußkarte ist ein sehr gutes... das ist ein schöner Kommentar von dir.

Hi Cornelia, ja, wie immer bleibt vieles ungesagt, wenn Gevatter Tod durchs Haus marschiert ist.
Obwohl ich Gelegenheit hatte, Abschied zu nehmen. Über Monate hinweg. Aber so richtig kann man das nie. Weil die Worte fehlen. Seltsamerweise habe ich direkt, nachdem ich ihr die Augenlider geschlossen hatte, das Gedicht 'Schlaf ein' geschrieben, was mir irgendwie die Kraft gab, die ganze Prozedur hinterher durchzustehen. Todesurkunde unterschreiben, die Leichenschänder mit dem Plastiksack ins Haus lassen, den schwarzen Wagen davonrollen zu sehen, die unendliche Leere danach, Freunde und Bekannte anzurufen, den Vater zu stützen, für den auch ein monatelanges Leiden zuende ging, Einäscherung und Beisetzung zu organisieren. 'Der Tod hat Angst vor kleinen Hunden' ist wenig später entstanden. Und jetzt nach Jahren das hier.

Der Todestag jährt sich zwar bald schon zum vierten Mal, aber wenn man seine Mutter 40 Jahre lang fast täglich gesehen hat (meine Eltern wohnten mein ganzen Leben lang in der direkten Nachbarschaft, und es verging kaum ein Tag, an dem wir nicht am Nachmittag zusammen aßen), dann verblasst das Bild nicht so schnell. Und seltsamerweise beginnen sich erst seit kurzem die Träume zu häufen, in denen sie mir ganz nah ist.
Es ist tröstlich, wenn einem inmitten der ganzen Ohnmacht immer noch das Schreiben bleibt. Und noch tröstlicher ist es, wenn sich dann so viele Menschen da hineinzuversetzen suchen, wie ihr alle das hier mit euren fühlenden Worten tut.

Tom.

edit: Dafür, dass ich ganz oben ankündigte, dies hier nicht kommentieren zu wollen, wundere ich mich gerade selbst über meinen Wortschwall. Es scheint, als sei Trauer eine verdammt lange Geburt.

edit 2: Und ganz besonders freut mich, dass ich dieses Gedicht wörtlich im Kopf behalten habe (wie auch 'der tänzer'), obwohl ich genau an dem Abend, an dem ich die beiden in mein Notizbuch geschrieben hatte, dieses verlor. Wie war das mit dem Verlust, der am Ende zu einem Gewinn führt?
Ist der Tod eines geliebten Menschen auch so wie der Verlust eines schwarzen Seelenbuches?
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)


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