frag nicht

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 04.01.2007, 22:35

der trübe blick, der spott

was ist geschehen?

die zerbrochene scheibe

wann war das?


frag nicht!

erzählst Du es nicht?

sie hat es gewusst

sie hat es gesehen

was?

den sturz, den trüben blick
der geist ganz woanders
das nachthemd beschmutzt
wenn ich die straße langlief
immer wusste ich, wenn
etwas war

das haus?

es steht nicht mehr

und sie?

bei ihr konnte ich sein
sie fragte nicht
sie wusste

und jetzt?


frag nicht

wer trägt sorge?


ich bin nicht schuld

wer gibt acht?


bitte

pandora

Beitragvon pandora » 07.01.2007, 13:15

herr o.,

auskunft verweigern kann ebenfalls recht unterschiedlich motiviert sein. (schlichtes unvermögen aufgrund physischer/psychischer ursachen...selbstschutz/verdrängung...taktik/diplomatie...)
ich glaube, wenn man energie investiert, muss man sich der eigenen verfassung sicher sein und möglichst die gründe für die auskunftsverweigerung ahnen. (mindestens: ahnen. besser: kennen)

p.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 07.01.2007, 14:59

Liebe Frau Pandora,

eben darum stellt sich doch das Problem für unser fragendes lyrisches Du nur, weil es fragt. Wenn es aber die Gründe nicht ahnen kann, sollte es sich überlegen, ob es dem lyrischen Du nicht vielleicht erlauben sollte, zu schweigen.

Ich sehe, wir haben ja doch zu einer gemeinsamen Deutung des Gedichts gefunden. Wenn auch über unzulässige mäeutische Schleichwege. Mit Ihrer anfänglichen Auskunft, der Text lasse Sie noch zu sehr allein, könnten Sie durchaus Recht haben.

Grüße

Paul Ost

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 08.01.2007, 14:28

Lieber Paul,

das erste, was ich dachte, das ist formal und sprachlich aber ein GANZ anderer Text von dir, ohne dass dies hieße, eins von beiden gefiele mir besser oder schlechter. Ich weiß nicht, ob in den vielen Diskussionen schon die Vermutung gemacht wurde, dass der Text vielleicht ein Selbstgespräch ist? Dass "sie" etwas personifiziertes Inneres ist? Das wäre meine "hilflose" Antwort, wenn ich versuchte, den Text in die Reihe anderer Paultexte einzuordnen.
Mein Gefühl sagt mir aber, dass es nicht so ist. Für mich atmet der Text ganz anders. Auf jeden Fall scheint mir, dass "sie" für das lyr. ich Sorge getragen hat und das durch eigene Hilflosigkeit (Krankheit und/oder Tot) nicht mehr kann. Das fragende Du scheint mir dagegen ein eher abstraktes, so als fragte sich das Ich: "Und nun?" Was ohne sie?". Sich selbst verweigert man da ja gerne die Antwort (auch um zu hoffen oder aus Hilflosigkeit).

was den "tatsächlichen Vorfall" des Gedichst betrifft, bin ich nicht mal sicher, ob im Mittelteil (der trübe Blick, der Sturz, sich auf sie bezieht oder sie nur beobachtet?) Aber da gebe ich mich wohl zu sehr den Spekulationen hin. Ich glaube schon, dass diese Passagen wirklich genommen gelesen werden sollen und nicht übertragen, ich kann sie aber nicht völlig entschlüsseln, aber das ist auch nicht Zweck des Gedichts. Es ist fast als schreckte jemand aus einem Albtraum auf und der, der neben ihm liegt, fragt nach und der Träumer bittet nicht weiter zu drängen, weil der Traum (seine gesetzmäßigkeiten) sowieso nie ganz erzählet werden könnten und damit auch nicht die Angst/Sorge. So in der Art haben die Romantiker das Innere ja oft anhand von (Alb)träumen beschrieben, da sfür jeden andern zugängliche (außer es gibt einen, der das alles miterlebt hat auch, wenn man den aber verliert, kann keiner mehr fragen). Mich erinnert dein Text an so etwas.

So oder so finde ich den Text sehr intensiv, sehr reduziert und schlicht und konsequent. Wobei pans Frage/Einwand sicher seine Berechtigung hat. Und sei es nur, damit dieses Gegenhalten nur nicht aufhört. Es ist schon wichtig, dass, und sei es nur durch fragen, (natrülich vom "richtigen" Gegenüber) etwas aufgefangen wird.

ich habe das sehr gern gelesen...
Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 09.01.2007, 21:31

Liebe Lisa,

dieser Text ist ein wenig anders, weil ich bei Dir gestohlen habe! (Nicht zum ersten Mal! :pfeifen: ).

Spannend ist dabei, dass Du nun - ähnlich wie bei Deinem Schattenbaum - von einem inneren Zwiegespräch - auszugehen scheinst. Daran hatte ich nicht gedacht, was natürlich nicht heißen muss, dass das nicht eine passende Lesart sein kann.

Für mich handelt es sich hierbei um einen Dialog. Wobei eben die eine Person (kursiv) völlig im Ungewissen darüber ist, was nun die andere Person bewegt. Klar wird nur, dass letztere gewissermaßen die Aussage verweigert (oder gar ... um Worte ringt?).

Grüße

Paul Ost

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 10.01.2007, 11:29

Lieber Herr bald im Wald,

dass das Thema ein bisschen ähnlich ist, habe ich schon gemerkt, aber ich halt das für Einbildung (ach, schon zwei mal bestohlen, ich muss berühmt sein! ;-)).
Ja, ich dachte mir schon, dass ich mit dem inneren Monolog (zumindest primär @Autorintention) falsch liege, aber man kann es durchaus so lesen. Kennst du "Reklame" von Bachmann, daran hat es mich erinnert:

wohin aber gehen wir
ohne sorge sei ohne sorge


Bei dem Gedicht ist auch nicht auszumachen, ob die Gegenstimme eine äußere ist (zum Beispiel aus dem Radio oder Mitmenschenkanon) oder eine (schon) (ver)innerlich(t)e - daher meine Idee des inneren Monologs von einem Menschen, der etwas nicht teilen kann und mich sich selber ringt sich etwas nicht einzugestehen.

So oder so, ich kann den Horizont des Textes sehr gut verstehen und denke, dass er viele Zustände in Menschen trifft (auch wenns Pans Frage sich immer an den text anschließen sollte).

Liebe Grüße,
Lisa
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Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 10.01.2007, 16:34

Liebe Lisa,

wenn man dem Gedicht letztlich eine "moralische" Stoßrichtung geben möchte, dann wäre Frau Pandoras Frage sicher angemessen. Irgendwann habe ich mal lange darüber diskutiert, ob ein Gedicht von Wilde, bei dem am Ende eine Prostituierte beschrieben wird, nun sozialkritisch ist - was ja gegen Wildes eigenen Ästhetizismus verstoßen hätte - oder schlicht beschreibt, um an der Schönheit des Häßlichen Gefallen zu finden.

Grüße

Paul Ost


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