21. dezember 1999

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
carl
Beiträge: 850
Registriert: 31.03.2006
Geschlecht:

Beitragvon carl » 14.12.2006, 12:51

21. dezember 1999

zwischen wolkenriffen treiben gestirne
und in bäumen nistet mondlicht
als das jahr nicht enden mag
in schwarz oder weiß wie
ein leben -
und kehrt doch wieder.

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 20.12.2006, 21:55

Lieber carl (und moshe),
ja ich habe mich wohl zu blöd ausgedrückt - ich wollte keine Fehler aufdecken, sondern zum einen sagen, dass

"Mondlicht" mag verbraucht sein Lisa.
Aber was für einen Ersatz gibt es für den Mond?


Na, das zu schaffen ist ja gerade "unsere" Aufgabe, ich in meinen und du in deinen, egal ob Landei oder nicht :-), daher kann ich leider keine Abhilfe schaffen. Bei mir bewirkt das Mondlicht in diesem Gedicht "nichts mehr", obwohl das in den Bäumen nisten eigentlich sehr stark ist. Das ist zum Beispiel anders als dein Gedicht (ich glaube, es war das Totenbuch), in dem du das Wort Delphin gebraucht hast - was für mich auch ein "gefährliches" Wort ist, in deinem Text aber durch den Kontext so eingefangen und aufgefangen wurde, dass es eine ganz eigene Kraft hatte und ich es einfach umwerfend fand.
Das genau aber passiert hier mit dem Mondlicht nicht.

Wie wäre denn:

und in bäumen nistet das Licht der nacht
?

das a, b, c, d war sicher auch albern, sollte aber nur deutlich machen, dass bei mir die Assozation dadurch verhindetr wird (und damit das Verständnis), dass ich den SATZ, der der Zeile zugrunde liegt nicht lesen kann, auch dann nicht, wenn er mehrdeutig ist. Ich kriegs nicht zusammen und das wollte ich anmerken, weil dadurch das gedichtende für mch eben nicht funktioniert, ohne dass das was mit Intellekt und Geigen zu tun hätte ;-).


Der Jahreskreis, die Zeitenwende, endet, wie ein Leben endet: eindeutig.
Oder eben in diesem Fall nicht.
Es geht jedenfalls um alles oder nichts.
Was ist daran nicht zu verstehen?


Für mich ist die Grammatik nicht zu verstehen. Gelesen hieße das doch:

als das jahr nicht enden mag und kehrt doch wieder.


ich kann das nicht "richtig" lesen und daher nicht aufnehmen. Mag an mir liegen, aber ich kanns nicht.

ich könnte lesen:

zwischen wolkenriffen treiben gestirne
und in bäumen nistet mondlicht
als das jahr nicht enden mag
in schwarz oder weiß wie
ein leben -
und doch wiederkehrt


Wie gesagt ein guter Text
Liebe grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

carl
Beiträge: 850
Registriert: 31.03.2006
Geschlecht:

Beitragvon carl » 21.12.2006, 08:36

Hallo Lisa,

Danke, jetzt verstehe ich erst, was Du meinst...
Musss noch darüber nachdenken.

....

so, jetzt habe ich wieder 'ne halbe Stunde:
"als das jahr nicht enden mag... obwohl es doch wiederkehren wird."
so müsstes es gramatisch korrekt heißen?
Bzw. verkürzt "und doch wiederkehren wird".

Zu dem Mondlicht eine Frage an alle:
Wer findet das "mondlicht" in "in den bäaumen nistet mondlicht" noch verbraucht?
Ein kurze Rückmeldung (auch ohne Begründung) würde mich intressieren...

Denn, Lisa, für mich steckt dahinter ein Problem, das sich mit Stadt/Land nicht klären lässt.
Es ist schon schlimm genug, dass es im Deutschen nicht "die Mond" und "der Sonne" heißt.
Konkreter: Du scheinst mir aus dem, was Du auch weiter oben schreibst, keine Beziehung zum Mond zu haben (es geht nicht um das "Licht der Nacht" oder des "kommenden Tages").
Du musst natürlich auch keine Beziehung zum Mond haben.
Aber wenn Schönheit im Auge des Betrachters entsteht, dann entsteht auch die Abnutzung im Ohr des Hörers und ist keine objektive Tatsache. Sie zeigt lediglich. dass eine Beziehung verlorengegangen ist.
Meist auch eine konkrete Erfahrung, die dahinter steht.
Oder eine Beobachtung.
"Willst Du froh im Abendrot dich baden: hinweg ist's, und die Erde ist kalt und der Vogel der Nacht schwirrt unbequem vor das Auge dir."
Ein heutiger Leser würde an diesen Zeile evtl. den "Vogel der Nacht" gut finden, die Aussage als altertümlich verdreht und eher mäßig. Ich bringe das Beispiel, weil "Vogel der Nacht" eben nicht mit Deinem "Licht der Nacht" korrespondiert, wie es als Genitivmetapher (auch verbraucht) in beiden Fällen scheint.
Es fehlt die konkrete Erfahrung, die das Bild erst zur Metapher werden lässt:
Wenn Du den fernen Horizont (Abendrot) betrachtest, stellt sich das Auge auf "unendlich" ein, was auch eine bestimmte Stimmung fördert. Wenn dann plötzlich eine Fledermaus ins Blickfeld gerät, versucht das Auge zu seinem Schutz rasch zu akkomodieren. Man zuckt zurück, ist irritiert, kann plötzlich die Entfernungen nicht mehr abschätzen.
Erst durch diese Erfahrung des "Vogels der Nacht" bekomt die Strophe ihren Sinn.
Dem Schritt von einer genauen Beobachtung zu einer Gedichtzeile, die ihren Ursprung immer noch in sich trägt, findest Du bis Celan. So circa. Ich kenne mich ja auch nicht genau aus. Die konkrete Poesie ist bereits eine Reaktion auf das Abreißen von lyrischer Sprache und Kontext, sodass der Wahrheitsgehalt nur gefühlig wird. Oder einem eben zum Hals raushängt.
Weiteres Beispiel:
"Ihr holden Schwäne, und trunken von Küssen tunkt ihr das Haupt ins heilg nüchterne Wasser."
Was für ein Pathos! Was für eine willkürliche Kombination von gefühlsüberladenen Satzbestandteilen, die für sich genommen (also "konkret") keinerlei Beziehung zueinander haben!!
So unsere heutige Reaktion.
Aber das sind wir selbst: wir haben die Beziehung verloren, kombinieren frei nach Gefühl, das wir dann sparsamer dosieren. müssen, und unterstellen, auch die "andern" hätten keine konkrete Situation, von der sie abstrahieren.
Ich kenne jedenfalls keinen Hölderlin-Interpreten, der in Tübingen "gesehen" hat, wie ein Schwan beim Trinken sein eigenes Spiegelbild im Wasser küsst, in dem sich auch der Himmel spiegelt.
Sicher, der Tonfall ist immer noch nichts für uns, aber:
das als Schlüssel ergibt doch wohl einen ganz anderen Kontext zu dem Bild von den "holden Schwänen"!?
Und jetzt zum "Mond":
Es geht um "Gestirne" (dazu zählt der Mond) nicht um "Licht". Die Cineplex-Leuchtreklame habe ich seinerseits bewusst übersehen. Nicht weil ich sie nicht für lyrikfähig halte (siehe "Frage - nach dem Regen") sondern, weil sie nicht Thema ist.
Gestirne wie "der Schwan" sind Archetypen. Ich sehe ihn immer fliegen als "Sternbild das nicht bleibt". Daran änder mein Wissen nichts, dass 1970 die Röntgenquelle in Cygnus X1 als 1. Schwarzes Loch identifiziert wurde.
Der Mondgöttin huldige ich (unbewusst) schon mein ganzes Leben (ich habe z.B. zuerst gemerkt, dass ich kurzsichtig wurde, als ich den Mond nicht mehr scharf sehen konnte).
Was an weiblich-intuitiver Energie im "Schoß der Nacht" rüberkommt, ist Mond.
Nebenbei bemerkt, das ist auch "Weihnachten".
Die Phase, in der noch unerkannt das Neue entsteht.
Kein Wunder, dass wir "heutigen" damit nix mehr anfangen können.
Deshalb kann ich nicht schreiben "und in bäumen nistet der mond". Die "Mondin" finde ich trotz alledem albern.
Das konkrete ild dahinter: Misteln (beleuchtet vom Mond, mit Blättern) in kahlen (Dezember-) Pappeln.
Soll ich das vielleicht mehr ausführen?
Denn wenn Du so nonchalant sagst, da müssen wir als Dichter mal eben was Neues finden für die psychische Dimension von "Mond", dann sagst Du: ich erfinde mal eben einen Archetyp neu.
Das will ich sehen! In echt...

Liebe Grüße, Carl


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 11 Gäste