Zwischenzeit

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Max

Beitragvon Max » 23.06.2006, 22:03

Hier kommt etwas auf Wunsch von Gerda ....

Dritte Fassung:


Zwischenzeit

Euren Nachgeborenen
bin ich
ein Nachgeborener
Meine Hände bestellen ein junges Feld

Eure Heimat
siedelt Kolonien
nahe meinem Herzen
So fern dem Mutterland
schlägt ihr Puls
leichter

Salzlos ihre Tränen
ohne Kraft
eure alte Wunden zu öffnen

Doch als ich eure bewaldeten Hügel erklomm
ruhte mein fernsüchtiges Auge
in heimatlichen Tälern




_____________________________________________

Zweite Fassung:


Zwischenzeit

Euren Nachgeborenen
bin ich
ein Nachgeborener
Meine Hände bestellen ein junges Feld

Eure Heimat
siedelt Kolonien
nahe meinem Herzen
So fern dem Mutterland
schlägt ihr Puls
leichter

Salzlos
sind ihre Tränen
ohne Kraft
alte Wunden zu öffnen
die ihr nie verzieht

Doch als ich eure bewaldeten Hügel
durchschritt
ruhte mein fernsüchtiges Auge
in heimatlichen Tälern



-----------------------------------------------------------

Alte Fassung (auf Hinweis von leonie geändert):


Zwischenzeit

Euren Nachgeborenen
bin ich
ein Nachgeborener
Meine Hände bestellen ein junges Feld

Eure Heimat
siedelt Kolonien
nahe meinem Herzen
So fern dem Mutterland
schlägt ihr Puls
leichter

Salzlos
sind ihre Tränen
ohne Kraft
alte Wunden zu öffnen
die ihr nie verzieht

Doch als ich die Wälder eurer Hügel
durchschritt
ruhte mein fernsüchtiges Auge
in heimatlichen Tälern
Zuletzt geändert von Max am 26.06.2006, 21:41, insgesamt 4-mal geändert.

Gast

Beitragvon Gast » 25.06.2006, 22:15

Heimat ist gewissermaßen ein Reizthema für viele Menschen, immer noch und schon wieder, da wir ja alle so hübsch ;-) fexibel sein müssen...

Rund 20 Umzüge habe ich hinter mir...
das nur mal vorab.

Dein Gedicht, lieber Max habe ich endlich nach und nach verstanden.
Die Änderung, die leonie vorgeshlagen hat finde ich passend.
Ich habe mir nach lesen des Titels etwas anderesn vorgestellt.
Wieso Zwischnzeit?, handelt es sich nicht eher um Zwischenwelt, Zwischenaufenthalt?
Die "Nachgeborennen" gehen mir schwr über di zunge nun ja...
;-) klingt irgendwie streng und bürokratisch... (Typisch deutsch?)

In der 2. Strophe wechselst du das Personalpronomen.
Du beziehst dich auf Kolonien und das ist für mich nicht recht verständlich, ich fühle mich hin und her geschubst, wer ist nun wer? Wer ist der Heimatlose?
Die Kolonien, können die Tränen doch nicht weinen :???:

Ist das deine Intention gewesen?,
dass der Leser sich nicht orientieren kann?

Für mich ein problematischer Text, der nicht schlüssig scheint.

Liebe Abendgrüße Gerda

Ich schreibe dir noch mal ne PN dazu

Max

Beitragvon Max » 26.06.2006, 09:02

Liebe Gerda,

Du schreibst

Heimat ist gewissermaßen ein Reizthema für viele Menschen, immer noch und schon wieder, da wir ja alle so hübschfexibel sein müssen...


Stimmt, darum auch, aber das ist ja hier nicht gemeint.

Wieso Zwischnzeit?, handelt es sich nicht eher um Zwischenwelt, Zwischenaufenthalt?


Also Zwischenaufenthalt kommt für mich gar nicht in Frage. Erstens klingt das wie eine Drohung ("ich komme wieder zurück und dann wird die alte Heimat wieder die meine") und das ist nicht gemeint, zweitens ist das Wort mir zu unpoetisch, das käme mir nicht so schnell in ein Gedicht ;-) . Mit Zwischenwelt könnte ich eher leben, aber zum einen wissen wir ja, dass Raum und Zeit eh das gleiche ist und zum anderen ist schon die Zwischenzeit gemeint, nämlich die zwischen einer Generatuion, die nichts mehr von einer alten Heimat weiß und der Generation meiner Väter und Großväter.

Die "Nachgeborennen" gehen mir schwr über di zunge nun ja...klingt irgendwie streng und bürokratisch... (Typisch deutsch?)


Tja, was soll ich sagen: mir nicht ... Bürokratisch finde ich es eigentlich auch nicht, ich weiß nicht ganz wie Du drauf kommst. Und deutsch .. ja, das ganze Gedicht ist irgendwie in Deutsch gehalten ;-) ... Im übrigen gilt dann vielleicht doch Louisas Hinweis: was für Brecht ok war, kann für mich so schlecht nicht sein .

In der 2. Strophe wechselst du das Personalpronomen.
Du beziehst dich auf Kolonien und das ist für mich nicht recht verständlich, ich fühle mich hin und her geschubst, wer ist nun wer? Wer ist der Heimatlose?
Die Kolonien, können die Tränen doch nicht weinen



Ich sehe nicht, dass ich es wechsel (ja, von "Euer" auf "ihr", das liegt daran, dass Unterschiedliches gemeint ist), und gemeint sind tatsächlich die Tränen der Kolonien, der Heimat ... Deinen Einwand
Die Kolonien, können die Tränen doch nicht weinen


würde ich da nicht gelten lassen, sonst kann ich ja ga keine poetischen Bilder verwenden, das meinst Du sicher nicht so.

Ist das deine Intention gewesen?,
dass der Leser sich nicht orientieren kann?


Nein, natürlich nicht, andere Leser haben das Gedicht auch sehr wohl verstanden - sei's drum. Ich schreibe eigentlich nie Gedichte, die nicht verstanden werden sollen, so wie ich davon ausgehe, dass kein Leser ein Gedicht absichtlich nicht versteht.
Für mich ein problematischer Text, der nicht schlüssig scheint.


Schade,

liebe Grüße
Max

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 26.06.2006, 11:26

Hallo,

also unverständlich finde ich dieses Gedicht eigentlich nicht. Wenn ich es mit meinen Texten vergleiche sogar mit einem sehr klaren Erzählstrang versehen

Ich wollte mich in die Diskussion bezüglich des Titels einbringen. Ich finde den Titel nicht nur poetisch, sondern auch in den Inhalt des Gedichts sehr gut bezeichnend. Zudem wird er gleich zu Beginn und am Ende sehr deutlich aufgegriffen und definiert:

Euren Nachgeborenen
bin ich
ein Nachgeborener



Und
am Ende:


Doch als ich eure bewaldeten Hügel
durchschritt
ruhte mein fernsüchtiges Auge
in heimatlichen Tälern


Hier gibt es einige Zwischenzeiten und -räume:

1) Nachgeboren und nachgeborene der nachgeborenen
2) Als ich eure...ruhte mein...
3) Fernsüchtig und heimatlich...

Ich finde das sehr treffend. Und aufgrund der Generationsthematik empfinde ich Zwischenzeit auch als passender als Zwischenwelten oder eine nähere räumliche Bezeichnung.

Das Ich befindet sich in zwischen der Nähe zu den Verwandten, ihrem Leben, ihrem Leid und ihren Weltansichten, spürt diese noch in sich, spürt aber auch die Ferne dessen, was diese Menschen bewegt hat und zugleich die Nähe. Es ist ein leiser Schmerz immer auch ein Nachgeborener zu sein, der trotz Liebe zu diesen Menschen (Nähe) nicht alles verstehen kann und trotz Ferne (das Thema kann ich nicht gleich bewegen) sich ihnen nah wünscht...

So ist es mit Kindern immer und mit Kindern, die Kinder solcher politischen Geschehnisse sind, ganz besonders.

Über die Stelle mit den Tränen und den Kolonien mag ich noch einmal nachdenken. Natürlich ist es als poetisches Bild erlaubt, es ist aber auch ein großer Sprung. Wie wäre denn „Flüsse“ statt Tränen? Könnte man dann nicht noch Tränenwasser assoziieren? Oder: Der Regen, der auf ihnen niedergeht ist ohne Kraft...so etwas vielleicht? Dann wäre das Bild in sich stimmiger.

In meinen Augen ein starkes Gedicht, das ein Thema hat, welches über das Ich hinausreicht, was ich sehr gut finde und was nicht leicht ist. Ich habe ein solches Gedicht noch nicht geschrieben.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

aram
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Beitragvon aram » 26.06.2006, 11:53

hallo max!
sorry hab jetzt nicht alle kommentare gelesen - kam vor ein paar tagen über das "verzieht" nicht drüber - jetzt denke ich das ist wohl schreibfehler?
aram

Max

Beitragvon Max » 26.06.2006, 13:31

Liebe Lisa,

dasnke für das Lob, aber sicher hast Du solch ein Gedicht schon geschrieben :grin: :smile: - denk nur an dein letztes hier!
Liebe Grüße
Max

Max

Beitragvon Max » 26.06.2006, 13:33

Lieber Aram,

"verzieht" ist als Imperfektform von "verzeihen" gemeint - soll nichts mit verziehen zu tun haben :grin: - wird es dann deutlicher?

Liebe Grüße
Max

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Beitragvon Lisa » 26.06.2006, 13:52

Lieber Max,
ich meinte ein gedicht, das über mich hinausreicht! :grin:
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

aram
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Beitragvon aram » 26.06.2006, 14:07

Max hat geschrieben:"verzieht" ist als Imperfektform von "verzeihen" gemeint

max, vielen dank für deine freundliche handreichung, um von der leitung zu steigen :-)
...warum ich das nicht verstand ist aber auch klar: "Salzlos / sind ihre Tränen" im präsens - müsste im bezug doch perfekt stehen ??
aram

Max

Beitragvon Max » 26.06.2006, 14:17

Lieber Aram,

hm, das mit der Tempuskonstellation muss ich mir nochmal überlegen, einerseits hast Du recvht, dass ich als vorzeitge Form zum Präsens wohl Perfekt verwenden sollte, andererseits ist die Handlung in der Vergangenheit schon abgeschlossen - das lyr. Ihr kann nicht mehr verzeihen (z.B weil es schon tot ist). Da sieht man mal, wie unsicher man selbst in der Muttersprache bezüglich des Tempursgebrauchs wird (kein Wudner, dass nur noch das Plusquamperfekt überlebt;-))

Liebe Grüße
Max

Birute

Beitragvon Birute » 26.06.2006, 14:36

Lieber Max,

ich klicke mich nun schon zum zwanzigsten Mal hierher.
Dein Gedicht ruft mir ins Sein.

Das Gefühl, das ich am Schluss beschreiben möchte ist das einer erstaunlichen Vertrautheit, obschon man die Landschaft nie zuvor real gesehen hat.


Mein Daddy wurde im Krieg, 17jährig von den "Deutschen" gezwungen, von Heute auf Morgen seine Heimat Litauen zu verlassen. Er musste in den Krieg und kam hierher. Nach 50 Jahren bin ich mit ihm in seine alte Heimat gefahren, und deswegen weiß ich ganz genau, was du sagen willst. Es ist faszinierend. Ich möchte dir aufzeigen, wie es bei mir ankommt. Okay?

Zwischenzeit

Den Titel finde ich genial!

Euren Nachgeborenen
bin ich
ein Nachgeborener
Meine Hände bestellen ein junges Feld


Das Bild gefällt mir auch sehr, aber die Nachgeborenen, und gleich doppelt, die kommen wirklich schwer rüber.
Ich mag dir eine Anregung dazu geben. Vielleicht gefällt dir ja die Richtung?

Euren Nachkommen
bin ich geboren
Meine Hände bestellen ein junges Feld

oder

Euren Nachgeborenen
bin ich Kind
Meine Hände bestellen ein junges Feld


Meine Hände bestellen ein junges Feld

Das Bild finde ich wunderbar. Ich beneide dich fast drum.

Eure Heimat
siedelt Kolonien
nahe meinem Herzen
So fern dem Mutterland
schlägt ihr Puls
leichter


Eine Eins plus!

Salzlos
sind ihre Tränen
ohne Kraft
alte Wunden zu öffnen
die ihr nie verzieht


Auch super, einzig das "verzieht", ..., aber mir fällt auch nicht wirklich ein passendes Synonym ein. "vergabt" klingt auch doof, ist aber nicht so doppeldeutig. Ich würde es so lassen.

Doch als ich eure bewaldeten Hügel
durchschritt
ruhte mein fernsüchtiges Auge
in heimatlichen Tälern


Da ist es. Ich weiß genau, was du meinst.
Doch Hügel durchschreitet man nicht wirklich.
Ich habe kein Prob mit den bewaldeten Hügeln, sondern mit dem Durchschreiten.
Vielleicht:

Doch als ich eure Hügel erklomm
die Wälder durchschritt
ruhte mein Auge
auf heimatlichen Tälern


Ich habe es mir oft laut vorgelesen. Das fersüchtige muss für mich nicht zur Erklärung sein.

So, ich hoffe, du betrachtest mich jetzt nicht als Zerpflückerin.
Das möchte ich nämlich nicht sein.
Dein Werk gefällt mir auch wie es ist sehr sehr gut!!!

Lieben Gruß
Birute

aram
Beiträge: 4509
Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 26.06.2006, 14:39

lieber max,

...hm, "die ihr nie verziehen habt" fände ich da keineswegs unpassend - du meinst das wäre inkorrekt, weil nicht mehr änderbar? - empfinde ich nicht so, kenne auch keine diesbezügliche 'regel' (...sonst bliebe wirklich nur noch pqp .... brr (schüttel))

dann die letzte strophe - weshalb hier plötzlich imperfekt und nicht präsens? - versteh ich auch nicht so recht - ginge doch wunderbar, oder?
(vielleicht deutet das imperfekt auf dein persönliches erleben - im gedicht selbst kann ich jedoch keinen inhaltslogischen bezug finden)

liebe grüße,
aram

Birute

Beitragvon Birute » 26.06.2006, 14:43

Ich nochmal.

Von euch nie verziehen

vielleicht?

Birute

Gast

Beitragvon Gast » 26.06.2006, 14:46

Hallo Max, nicht traurig sein, ich arbeite mich durch die Kommentare, insbesondere den von Birute immer besser in den Text ein...
Danke allen und dir

LGG

Max

Beitragvon Max » 26.06.2006, 16:53

Liebe Birute,

danke für Deine langen Hinweise.
Du schreibst:

Das Bild gefällt mir auch sehr, aber die Nachgeborenen, und gleich doppelt, die kommen wirklich schwer rüber.
Ich mag dir eine Anregung dazu geben. Vielleicht gefällt dir ja die Richtung?

Euren Nachkommen
bin ich geboren
Meine Hände bestellen ein junges Feld

oder

Euren Nachgeborenen
bin ich Kind
Meine Hände bestellen ein junges Feld


Hm, mir scheint, dass die Nachgeborenen der Nachgeborenen nicht wirklich ankommen. Wenn ich es ändern müsste (irgendwie mag ich es), wäre mir

Euren Kindern
bin ich ein Nachgeborener


am liebsten. Was denkst Du/denkt Ihr?

Das "verzieht" scheint auch noch in der Diskussion zu sein, mir schiene "verziehen habt" möglich und vielleicht ist dessen Behäbigkeit besser als das wenig eindeutige "verzieht"? Ich weiß es nicht ...

Dein

Doch als ich eure Hügel erklomm
die Wälder durchschritt
ruhte mein Auge
auf heimatlichen Tälern


finde ich gut. Vielleicht würde ich aber eher

Doch als ich eure Hügel erklomm
als ich Eure Wälder durchschritt
ruhte mein Auge
auf heimatlichen Tälern


Nun bin ich gespannt!

Liebe Grüße
Mix, Mäx, Max


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