zwei rehe auf dem eis (aua aua)

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 23.03.2010, 22:47

zwei rehe auf dem eis (aua aua)

wie sind wir bloß

auf diese fläche geraten, auf der du sagst
dass du nicht mehr wüsstest
ob ich die sei, die xyz
und ich nicht mehr zu lügen weiß
um zu beschützen, was uns not tut

bernard, du befürchtest, du hättest kein herz
und fürchtest doch, an eben diesem zu sterben


ich verstehe schon (sagt valentina), es geht um deine angst
es ist ein zögern, ein zittern
und ich übergehe es mit meinem zittern
das sich nur an deinem auftun kann
und darin noch behauptet
es spräche nur davon

dass ich dich kenn


es ist dein zittern
dein zittern

und ich übergehe es


bananenschalengefledder altwäsche krümelreize
salzstangenfraß dickbrotaufstrich
schühchen, kakao & nudelsuff
die manie das richtige foto zu machen
rosagefranzte leberflecke groblustiges haut- und herzgewabbel
verabredete vergewaltigungen

die grausame kleinmütige eindämmung der einzig rettenden schluchtwiesenweite in der brust des anderen
das anzünden seiner bücher, heiligtümer, seiner habseligkeiten
das töten, morden seines innersten

weil der graus der abwesenheit in der anwesenheit nicht auszuhalten ist

die alltäglichkeit (körpereigenes gewebe) ist unheilbar erkrankt

ein schauer aus geilkino
ein schauder, der uns hält

das können wir doch nicht alles sein



mit dem schlüssel möchte ich uns den hals aufschließen
mit dem wasserschlüssel

die ranzigkeit, drüssigkeit, den abstoß der zimmer- und lungenwände fortspülen
wie andere sich den kopf wegschießen
den man sich nicht zu heben traut
woran alles hängt



ich verlange, dass sich das gesicht des täters auftut
ich befehle, dass sein anblick die welt überfällt

die bösartigkeit sitzt in einem schnurrbart


ich weiß das
ich weiß das alles, doch es nützt mir nichts

muss man sich den hals brechen
um einander das gesicht zu halten?

wie sind wir bloß


Änderungen

eindemmung zu eindämmung - danke leo

aram
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Beitragvon aram » 25.03.2010, 12:01

nur kurz - ich plädiere für "(aua aua)" - lese es als meta-kommentar auf die anmutung des vorangehenden.
/ braucht noch paar tage, bis ich mehr (zu) schreiben (ver)mag ~ liebe grüße

Max

Beitragvon Max » 25.03.2010, 19:32

Ich glaube auch, dass das "aua aua" fest zu dem Text gehört - ohne es, bürge schon die Überschrift die Gefahr in eine zu süßliche Richtung zu kippen.


Liebe Grüße
Max

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 29.03.2010, 21:22

Liebe Klara,

habe mich nicht smaller gefühlt beim Antwortschreiben, manchmal kann man Kritik ja auch einfach nachempfinden, mir kam sogar in Anschluss an sie endlich mal eine Idee, was ich probieren könnte!

lieber Max,

danke besonders für den Wurzelabsatz!

liebe keinsilbig,
das ist besonders spannend, was du schreibst, weil ich denke, dass du nicht nur diesen Text von mir erfasst hast, sonder die Funktionsweise von vielen meiner Texte - da gibt es eine ganze reihe, die sind ganz ähnlich angelegt und zu lesen, dass das bei jemanden so ankommt, ist ein richtig tolles Gefühjl, auch wenn ich das bei diesem Text wie gesagt nicht richtig gelungen finde - aber spüren kann man es anscheinend.

Besonders freut mich da die Gegenübersetzung der intellektuellen Leckerlies und den Brüchen - wie du das Zusammenspiel siehst, so ist das nämlich meine Idee (wobei Idee zumindest zum Teil zu hochgegriffen ist, weil das nicht nur bewusst, sondern zum Teil auch über Empfindungen komponiert ist. Ich danke dir!

Zum aua aua: Ich kann die verschiedenen kleinen Details, warum der Titel auch aua aua heißen muss, natürlich nicht offen legen, weil sie erklärt zu eindimensional werden, aber Max hat einen grund von mir genannt. Zudem stecken in diesen beiden Worten für mich auch die beiden Rehe und das ganze referiert auch auf das Schmerzpingpong, wie leonie es ja auch beschrieb usf. - kurzum: es ist mir lieb an der stelle und ich mags immoment nicht ändern.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 31.03.2010, 11:27

Hallo Lisa,

Sprache und Inhalt greifen hier sehr stimmig für mich ineinander, denn jeder Kritikpunkt, den ich anbringen wollte, zeigte einfach wieder zurück auf den Text. Ich würde daher sagen, der Text wirkt auf mich, wie er ist, ein in sich abgeschlossenes System, ein ausgeklügeltes und festgesprochenes Vorstellungsbild, in dem die Dinge sind, wie LIch sie "weiß", und wie es sich darin eingenistet hat. Ich als Leser stehe betrachtend (teilweise kopfschüttelnd) außen vor. Die gezeigten Widersprüche sind Teil dieser Welt und führen nicht hinaus, sondern nur zu einem weiterkreiseln in ihren ausgelegten Mustern.
Interessant finde ich, dass du schreibst, dass du selbst darin eine Rebellion siehst. In dem Ansatz des "Verwortens", "Aussprechens", "Aufschließen des Halses"? Das fände ich in sofern schwierig, als das ja im Gedicht zumindest teilweise geschieht, da wird benannt, aber trotzdem entsteht daraus keine andere Blickrichtung. Ich sehe keinen ernsthaften Ansatz zum Ausstieg, weder auf Textebene, der ja am Ende auch wieder an seinen Anfangspunkt zurückkehrt, noch in der Haltung des LIch. (Vielleicht habe ich dich da aber auch falsch verstanden.)
Was mich tatsächlich ärgert, und irgendwie möchte ich es auch so lesen, dass es das soll, ist diese Behauptung, die über das LIch hinaus ragt in diesem "wir". Und dann eben auch als Reaktion darauf Sätze wie diese in Keinsilbigs Kommentar:
keinsilbig hat geschrieben:"das alles können wir sein" lautet die antwort.

keinsilbig hat geschrieben:ein großartig gelungener spiegel des mensch-seins ist dieser text.

Wenn der Text das erreichen möchte, scheitert er bei mir.

Von der Gestaltung her, stört mich das (aua aua), zumindest an dieser Stelle, weil ich den Eindruck habe, dass es erst später hinzukam/kommt, zu einer anderen Stimmung, bzw. dem zweiten Abschnitt gehört. Ich habe mir die einzelnen Abschnitte aus denen der Text für mich besteht für mich getrennt und es wirkt tatsächlich dann anders auf mich, weil es nicht mehr diese Hinein- und Übersteigerungs-Spirale zeigt, sondern Brüche entstehen, einzelne Ansätze, Versuche, es damit eher von verschiedenen Momenten sprechen würde, die ganz unterschiedliche Stimmen und Stimmungen tragen. (Ähnlich deinem Text "Die Liebkosung der Gebisse..." an den es mich erinnert hat.)

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 31.03.2010, 21:15

Liebe Lisa,

Hier wurde schon dazu kommentiert, sicher Fundiertes, Bedenkenswertes, aber du kennst mich ja mittlerweile,
vielleicht bin ich nicht so genau, lese HIER jedenfalls nicht mit dem Kopf sondern mit dem Gefühl, und finde diese
Liebesqual, diese Hilflosigkeit, nichts, aber auch gar nichts gegen das Schwinden der Liebe im Alltagsscheiß tun zu können, eine Sterbenstraurigkeit, Angst, keiner da, den man zum Täter machen kann, denn es ist das Leben, die Zeit, die kaputtmacht.

BIs zu dem unten zitierten Abschnitt ist der Text eine Erzählung vom erstaunten Entlieben. Ein Intro mM zum detaillierten Ausbruch der Gefühle.

bananenschalengefledder altwäsche krümelreize
salzstangenfraß dickbrotaufstrich
schühchen, kakao & nudelsuff
die manie das richtige foto zu machen
rosagefranzte leberflecke groblustiges haut- und herzgewabbel
verabredete vergewaltigungen

die grausame kleinmütige eindämmung der einzig rettenden schluchtwiesenweite in der brust des anderen
das anzünden seiner bücher, heiligtümer, seiner habseligkeiten
das töten, morden seines innersten

weil der graus der abwesenheit in der anwesenheit nicht auszuhalten ist
Dieser Teil ist mir so nah!

die alltäglichkeit (körpereigenes gewebe) ist unheilbar erkrankt
genau.

ein schauer aus geilkino
ein schauder, der uns hält

das können wir doch nicht alles sein
Doch! Ist ja so. Rückblickend.

mit dem schlüssel möchte ich uns den hals aufschließen
mit dem wasserschlüssel

die ranzigkeit, drüssigkeit, den abstoß der zimmer- und lungenwände fortspülen
wie andere sich den kopf wegschießen
den man sich nicht zu heben traut
woran alles hängt
Nun, das möchte man gern tun in diesem Fall des Niedergangs der Liebe, Sehr gelungen.

ich verlange, dass sich das gesicht des täters auftut
ich befehle, dass sein anblick die welt überfällt

die bösartigkeit sitzt in einem schnurrbart

ich weiß das
ich weiß das alles, doch es nützt mir nichts
Nein, es nützt nix.

muss man sich den hals brechen
um einander das gesicht zu halten?

wie sind wir bloß
Das ist die große Frage. Immer schon, immer wieder ...

Sehr gern gelesen! Und ich mag auch das "aua aua" hier, es stimmt dazu.

Liebe Grüße
ELsa
Schreiben ist atmen

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 05.04.2010, 21:37

Liebe Flora,

Ich würde daher sagen, der Text wirkt auf mich, wie er ist, ein in sich abgeschlossenes System, ein ausgeklügeltes und festgesprochenes Vorstellungsbild, in dem die Dinge sind, wie LIch sie "weiß", und wie es sich darin eingenistet hat. Ich als Leser stehe betrachtend (teilweise kopfschüttelnd) außen vor. Die gezeigten Widersprüche sind Teil dieser Welt und führen nicht hinaus, sondern nur zu einem weiterkreiseln in ihren ausgelegten Mustern.


Ja, ich denke, um diese Darstellung ging es genau.

Zu der Rebellion ist die Frage: Kann man nur von einer Rebellion sprechen, wenn sie gelingt? Und was bedeutet gelingen? Eine Rebellion ist ja keine Revolution, vom Gefühl her ist das Wort für mich eben gerade aus einer Bewegung einer Minderheit/dem kleineren Anteil her motiviert - das heißt: es kann (letztlich) nichts Neues aus ihr entstehen ( na ja, das ist jetzt ein bisschen platt). Worin die Rebellion besteht: Schon aus den Punkten, die du genannt hast, aber ich würde auch auf die Sprachebene gehen.

Mal schauen - wie gesagt: ich glaub, ich hab es mit sowas etwas über - ob das Neue dann noch mehr Kopfschütteln bei dir verursacht oder weniger, das sehen wir ja dann :smile: :pfeifen:


liebe Elsa,

ich glaube, wir sind uns von der Herzhaltung her oft sehr ähnlich an Rolle&den unentschlüsselbaren Rest im Bereich Liebeslyrik - jedenfalls ist es unter anderem deshalb immer so schön, deine Kommentare zu lesen (völlig unliteraturwissenschaftlich also :-) ). Musste gerade mal so raus.
Hab mich sehr gefreut!

liebe grüße,
Lisa
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 06.04.2010, 13:21

Hallo Lisa,

Zu der Rebellion ist die Frage: Kann man nur von einer Rebellion sprechen, wenn sie gelingt? Und was bedeutet gelingen? Eine Rebellion ist ja keine Revolution, vom Gefühl her ist das Wort für mich eben gerade aus einer Bewegung einer Minderheit/dem kleineren Anteil her motiviert - das heißt: es kann (letztlich) nichts Neues aus ihr entstehen ( na ja, das ist jetzt ein bisschen platt).
Für mich ist Rebellion als Begriff am ehesten mit Pubertät verbunden. Gelingen würde dann für mich wohl bedeuten, dass man daran wächst, dass es eine Entwicklung gibt, dass man nicht in dieser Phase, der Rebellion, dem K(r)ampf stecken bleibt. Rebellieren heißt für mich auch, dass man wirklich etwas bewegen möchte, einen Raum öffnen, in dem Entfaltung und Verstehen und auch Neues, Veränderung möglich wird, vielleicht auch, dass man eine Vision hat.
Ich habe schon eher den Eindruck, dass das Gedicht in diesem Kontext das Feste, das Gesetz(te) wäre und der Leser sich dann daran reiben und widersprechen muss, um eine Bewegung hineinzutragen, etwas aufzubrechen.
Mal schauen - wie gesagt: ich glaub, ich hab es mit sowas etwas über - ob das Neue dann noch mehr Kopfschütteln bei dir verursacht oder weniger, das sehen wir ja dann
*lach* Ich werde dann berichten. ;-)

Liebe Grüße
Flora
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 06.04.2010, 20:55

Liebe Flora,

wenn ich mein psychologisches Halbwissen richtig erinnere, sind nach gängiger Theorie die Abläufe in der Pubertät durchaus als Anpassung zu verstehen, auch wenn es oft nicht danach aussieht .-). Dass man aber, wie du schreibst, wirklich etwas bewegen möchte, das würde ich sofort unterschreiben und diesen Willen sehe ich hier auch im Text - nur heißt wollen ja nicht unbedingt, dass dies gelingt oder die Bewegung stimmig/ratsam/befreiend ist.

liebe Grüße,
Lisa
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