Immerrot

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Klara
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Beitragvon Klara » 31.12.2009, 10:39

Immerrot

Die Rose vor meinem Fenster
Die vorher im vergessenen Balkonregal lag
Die du mir hinstecktest, bevor der Winter kam
Ist aus Plastik.

Da lachte ich und küsste dich
Auf deinen starren Mund
Und wartete auf Schnee.

Jetzt zittert sie unterm spitzweißen Hut
Wie eine Alte, wackelt mit dem Kopf
Und ihr roter Kelch
sammelt Eis

[Titel geändert nach Tipp durch Flora - oder Nifl, als Geist?, vorher: Winterbloß]
Zuletzt geändert von Klara am 04.01.2010, 14:21, insgesamt 2-mal geändert.

Klara
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Beitragvon Klara » 02.01.2010, 12:50

ach so... hab's gefunden (und bei der Gelegenheit auch gewählt)

Zum Hut: Es gibt verschiedene Hüte, ein Spitzhut bedeckt nicht zwingend den gesamten Kopf (vgl Zaubererhut), sondern kann so hinten drauf sitzen, Haar (bzw. Plastikblütenblätter) freigeben. Und auch dieser Schnee des Hutes wäre ja Eis, das der Kelch sammeln könnte- hm? Überzeugt mich also nicht, dein Einwand zum Hut :)

Herzlich
klara

aram
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Beitragvon aram » 03.01.2010, 03:44

liebe klara,

ich mag die bewegung des textes, da sind zugleich leichtigkeit, unbestimmtheit, frost; eine art geborgenheit daneben /dazwischen, und ihr gegenteil als offenheit, und eine davon getrennte und damit verbundene wärme.

worüber ich nicht drüberkam, was mich irritierte (als der text noch kommentarlos war) sind drei oder vier stellen, deren unbestimmtheit so brüchig ist, dass sie mich im zweifel bleiben ließ.

allen voran der 'starre mund' - ich rätselte, wer oder was das lyr.du sein könnte - ich kann den ausdruck 'starr' dem mund eines lebendigen menschen (außer vielleicht in der endphase einer polarexpedition ~) nicht vorstellbar zuordnen, 'starre' ist mehr als unbewegtheit, etwas fest gewordenes, ohne bruch nicht bewegbares; läßt mich an an eine figur, puppe oder einen toten denken.

ein anderer, kleinerer bruch ist das 'da', ich will es ständig auf die erkenntnis des 'aus plastik' oder etwas anderes beziehen, aber es läßt sich auf nichts beziehen (ähnlich wie das 'vorher'; das kann ich aber ugs. in der bedeutung von 'erst' lesen und damit noch zuordnen - 'da' plus verb im imperfekt bezogen auf einen vorausgehenden abschnitt im präsens will ich dann auch verbunden lesen, klappt aber nicht, ich falle raus.)

dann das "und wartete auf schnee", ich kann es nicht zeitgleich (d.h. auf das 'da' begrenzt) zum "da lachte ich und küsste dich ..." lesen, stelle es mir ein bisschen länger vor, um es als 'warten' bezeichen zu können.

zuletzt noch das zittern unterm (nicht mit) spitzweißem hut in kombination mit wackeln und sammel-offenem kelch - aber gut, das lese ich als schräges, unvereinbares das hier abgebildet wird.

soweit meine kleine erlebnis-geschichte zu dem text, der mir trotz der mich ganz umsonst ins sinnieren gebracht habenden brüche gefällt und 'schwingt'.

den titel 'immerrot' finde ich passend. das 'vergessene regal' gefällt mir auch.

Klara
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Beitragvon Klara » 03.01.2010, 22:22

Hallo aram,

der starre Mund, ja... du hast mich ertappt bei einem Adjektiv, das mir selbst nicht ganz spontan (aber was wäre schon spontan, wenn es um Plastikrosen geht) durch die Federn ging, nein, durch die Tasten, durch die Finger rutschte, erst war da ein anderes, das wurde gelöscht, ein weiteres erwogen, und am treffendsten für das, was sich da sagen wollte, kam dann "starr" aufs Papier, das noch keines war, sondern nur ein Bildschirm. Und doch ist es nicht ganz das richtige... muss erstmal bleiben, find im Moment kein bessers, kann's aber auch nciht erklären.

Das Ganze ist ein Bild, keine Empfindung. Oder vielleicht: Eine gefrorene. Ich weiß nicht. Gar nicht so bedeutungsschwer.

Das "da" ist der Moment der Übergabe der Rose. Eine Überraschung, eine Freude, die um ihre Vergänglichkeit wusste. Ein Trick auch, diese Rose, kein mieser Trick, sondern ein, wie soll ich sagen, bauernschlauer Trick? Aber ein Trick, nehme ich an.
"'da' plus verb im imperfekt bezogen auf einen vorausgehenden abschnitt im präsens will ich dann auch verbunden lesen, klappt aber nicht, ich falle raus."
Das ist wohl ungenau geschrieben, denn das "da" bezieht sich (zeitlich) auf den Moment des Hinsteckens. Ich schau noch mal.

"dann das "und wartete auf schnee", ich kann es nicht zeitgleich (d.h. auf das 'da' begrenzt) zum "da lachte ich und küsste dich ..." lesen, stelle es mir ein bisschen länger vor, um es als 'warten' bezeichen zu können."
Doch doch, das ist wegen des Tricks. (Oje, bin ich zu kryptisch?)

das "vorher" vergessene Regal: bevor die Rose draus genommen wurde. Nun wurde es wieder wahrgenommen - wegen der Rose. Vielleicht gar - aufgeräumt?

Danke fürs genaue Lesen!
klara

aram
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Beitragvon aram » 04.01.2010, 02:11

liebe klara,

danke dir ebenfalls fürs genaue erwägen.

manche deiner anmerkungen zielen auf inhaltliche bezüge, wo ich sprachliche hürden meinte, die vor diesen inhalten aufgebaut sind - ('vor meinem fenster' ist eine orts-, keine zeitangabe, darauf lässt sich 'vorher' schlecht beziehen - aber da kam ich ja wie erwähnt mit einem 'lesetrick' drüber weg)

"'da' plus verb im imperfekt bezogen auf einen vorausgehenden abschnitt im präsens will ich dann auch verbunden lesen, klappt aber nicht, ich falle raus."
Das ist wohl ungenau geschrieben, denn das "da" bezieht sich (zeitlich) auf den Moment des Hinsteckens. Ich schau noch mal.
auf den moment des hinsteckens lässt es sich für mich nicht beziehen, weil das im vorangestellten nebensatz steht und nicht im zwischengestellten hauptsatz - ich kann nur auf diesen beziehen.

- eine auflösung (nur) im sinn der leselogik z.b.:

Die Rose vor meinem Fenster
Die vorher im vergessenen Balkonregal lag
Die du mir hinstecktest, bevor der Winter kam -

Da lachte ich und küsste dich
Auf deinen kalten Mund
Und wartete auf Schnee -

Ist aus Plastik: Jetzt zittert sie unterm spitzweißen Hut
Wie eine Alte, wackelt mit dem Kopf
Und ihr roter Kelch
sammelt Eis



Doch doch, das ist wegen des Tricks. (Oje, bin ich zu kryptisch?)
trick, na dann, ok.-)

(...) Oder vielleicht: Eine gefrorene. Ich weiß nicht. Gar nicht so bedeutungsschwer.
auf solche art kam der text gleich bei mir an. das mochte/mag ich auch an ihm.

Klara
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Beitragvon Klara » 04.01.2010, 08:28

Hallo aram,
(ich glaub, ich hab was falsches geschrieben gestern)
Der zeitliche Bezug des "da" ist natürlich (bzw. nicht "natürlich" sondern "grammatisch") die Plastik-Rose, klar. Das Lachen bezieht bezieht sich demnach streng grammatik-chronologisch auf das - Präsens - Plastik-Seiens der Rose - und dürfte mithin nicht im Imperfekt stehen. Nun dachte ich (wenn ich überhaupt "gedacht" habe, worüber ich mir aber nicht sicher bin und jetzt erst, durch dich anregenderweise quasi gezwungen, sozusagen rückwirkend Rechenschaft ablege), dass ich mich aus der von dir monierten Ungenauigkeit herausschummeln könnte, indem ich das aufs "da" Folgende zwar in die Vergangenheit setze, und demnach streng genommen aus der Zeit ausbrechen lasse (du hast wohl Recht, dass das grammatisch falsch ist), aber semantisch dadurch die zwei Bezüge hinbekäme - das Lachen über den Akt des Hinsteckens - UND (auch: WEIL) übers Plastik. [Weil das ja, in gewisser Weise, lächerlich ist. Selbstironisch, und doch zärtlich, und vielleicht auch vergeblich, weil eine Plastikrose keinen Geruch, kein Gewachsenes (keine Vergangenheit, kein Werden), kein LEBEN und keine andere Aussage (oder: Bedeutung) hätte als die, dass sie aus Plastik ist und sich deshalb selbst nicht über den Weg traut. Von Menschenhand bzw. Maschinen hergestellt, in Massenproduktion für die kitschige, postkartenreproduzierbare Ewigkeit der dadurch ad absurdum geführten, aber auch ent-ktischten Liebe?] Eine kleine, unwichtige Geste, beiläufig ungemeint, und doch geschehen (gemacht).]

So wäre das "da" die Einleitung nicht nur zur Erheiterung über das immerwährende Präsens (der Rose), gegen das die popelige Vergangenheitsform des Lachens niemals ankäme - und ein Moment der Heiterkeit IN dieser Gegenwart UND Vergangenheit - einer Heiterkeit, die sogleich gebrochen wird, in Zweifel gezogen durch das Starre, durch das - ewige? - Warten, auch auf eine Vergängnlichkeit, auf eine Tatsächlichkeit, die in Plastik wohl niemals eintreten können würde. Weil das in der künstlichen "Natur" der Plastikrose liegt: die eigene semantische Unmöglichkeit sozusagen.

- Oha, jetzt hab ich mich wohl vergaloppiert... -

Vielleicht ist das Ganze eher ein Gedankenspiel denn ein Gefühl. In offenbar falscher Grammatik - ärgerlich...

Herzlich
klara

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 04.01.2010, 11:35

Hallo Klara,

ich finde deine nachträglichen Erklärungen schön... habe/hatte aber mit dem "da " und den Zeiten überhaupt kein Problem, es ist multibezüglich richtig für mich. :-)

Ich war jedoch überrascht, dass mich das "vorher" seither nicht gestört hat, obwohl es sich mit dem "vor" beißt und außerdem redundant ist, oder?

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

aram
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Beitragvon aram » 04.01.2010, 13:12

hallo klara,

es ging und geht mir weniger um korrekte oder modifizierte grammatik, als darum, wie weit ich als leser die bezüge (noch) verstehen kann.

"da lachte ich" bezieht sich auf einen zeitpunkt - "die rose ist aus plastik" bezieht sich auf einen dauernden zustand.
mir ist egal ob das richtig oder falsch ist, ich kann bloß das eine nicht auf das andere beziehen, im klartext:

ich versteh erst mal nix. ich bin irritiert. ich rätsle, was gemeint sein könnte.

ich lese wieder, suche; irgendwann finde ich damit ab, dass es nichts zu entdecken gibt, was den 'schrägen' bezug auflösen oder erhellen würde, außer eine holprige ausdrucksweise. die passagen, die meine sofortige aufmerksamkeit fesseln, bergen keinen hintersinn, außer den, den sie indirekt ausdrücken.

dabei erfasse ich trotzem ganz gut die intention - die nachträglichen erläuterungen sagen mir nicht viel neues, genau solche erklärungen habe ich mir (zwangsläufig) auch schon gegeben, als ich mir gedanken über den hintergrund der formulierungen machte, um erfassen zu können.
d.h. deine intention kam nicht unmittelbar beim lesen des textes bei mir an, sondern auf der metaebene, bei (im besten fall gleichzeitiger) betrachtung, worauf die sprachlich abweichenden eigenheiten wohl zurückzuführen sein könnten.

die sprache als 'unbemerktes' medium im hintergrund fällt aus und wird ersetzt durch bewusstes reflektieren - ich muss analytisch lesen, damit die 'beiläufige geste' des autors ankommen kann, muss als leser arbeit auf die verstehbarkeit des textes verwenden.

(um missverständnisse zu vermeiden: verstehbarkeit , nicht verständlichkeit -- als ob ich bei glatter schneefahrbahn in ein auto mit sommerreifen steige und es irgendwie schaffe, am randstein entlang und über die kreuzung tastend zum supermarktparkplatz zu schlittern, und wieder zurück - die verhältnisse waren nicht fahrbar, aber - ich bin einkaufen gefahren. )

darüber habe ich dir feedback gegeben, das ist alles. andere mögen den text ganz anders lesen, weil sie mit ganz anderem wahrnehmungsfilter an texte rangehen.

liebe grüße!
Zuletzt geändert von aram am 04.01.2010, 14:23, insgesamt 1-mal geändert.

Klara
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Beitragvon Klara » 04.01.2010, 14:20

Hallo,

Flora, "vorher" steht auf dem Prüfstand... (hab übrigens neulich nochmal mit großer Begeisterung "Das Mädchen mit Schnittlauchlocken" gelesen - gedruckt noch überzeugender wirkend...)

aram, danke für deine nochmalige Erläuterung eines Nicht-Verständnisses bzw. einer Nichtbeziehbarkeit, kam alles mehr oder weniger so an wie geschrieben, dennoch bleibt die Grammatik (resp. "richtig" und "falsch") für mich durchaus ein Argument bei Texten... ;)

(bei Glatteis hülfe ggf., den Sommerwagen stehen zu lassen und Milch und Eier zu Fuß bzw in Winterstiefeln einholen zu gehen ;))

Diesen deinen Leseeindruck "die sprache als 'unbemerktes' medium im hintergrund fällt aus und wird ersetzt durch bewusstes reflektieren - ich muss sehr analytisch lesen, damit die 'beiläufige geste' des autors ankommen kann, muss als leser arbeit auf die verstehbarkeit des textes verwenden." kann ich nicht nachvollziehen, oder nur als individuellen, wie du ja auch dazu sagst. Vielleicht bin ich auch einfach zu blöd, dich zu verstehen? Dein Nichtverstehen nicht zu verstehen? deinen "Wahrnehmungsfilter" zu begreifen?

Grüß euch!
klara

aram
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Beitragvon aram » 04.01.2010, 14:30

Klara hat geschrieben:kann ich nicht nachvollziehen


Klara hat geschrieben:(bei Glatteis hülfe ggf., den Sommerwagen stehen zu lassen und Milch und Eier zu Fuß bzw in Winterstiefeln einholen zu gehen ;))
ich kaufe selten eier, nie milch, der supermarkt ist über die straße gut zu fuß erreichbar, und auf dem wagen sind winterreifen.-)
Zuletzt geändert von aram am 04.01.2010, 14:34, insgesamt 1-mal geändert.

Klara
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Beitragvon Klara » 04.01.2010, 14:33

selbstverständlich meinte ich die milch, die eier und den sommerwagen mindestens so metaphorisch wie du ;)

(an unserem sind allwetterreifen oder wie das heißt, und ich fahre aus feigheit und eingeredeter einparkunfähigkeit nicht nur bei glatteis so gut wie nie...)

Klara
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Beitragvon Klara » 04.01.2010, 14:34

...dafür aber bei jedem wetter fahrrad, und das kann dann knifflig werden...

Klara
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Beitragvon Klara » 04.01.2010, 14:35

... gibt es auch winterreifen für fahrräder? ...
... automatische enteiser...?
... schneeeis-zwischen-schutzblech-und-reifen-bremsklotz-wegmacher?...

Klara
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Beitragvon Klara » 04.01.2010, 14:35

pardon für all die ots, mir war grad so übermütig zu mute, da kann man schon mal ausrutschen

aram
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Beitragvon aram » 04.01.2010, 14:37

ich bin etwas langsam und schwer von begriff, aber ich gebe mir analytische mühe.


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