Natürlich

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
moshe.c

Beitragvon moshe.c » 14.04.2008, 19:18

Natürlich

kann man auf einer Allee
fahren
am Tage
oder im Dunklen

zurückschauen
zur Seite
oder nach vorn
und mit der Klingel
seine Präsenz behaupten

wie ein Prinz oder
oder die Tochter
einer Seidenraupe
im Dickicht
eines Maulbeerbaumes
sich einpuppen
zum Abschied

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 14.04.2008, 19:45

Hallo Moshe,

ein neues von Dir. Die ersten beiden Strophen finde ich interessant. Eine Umschreibung des Lebens an sich.

An der dritten Strophe habe ich zu knuspern, aber ich glaube, da ist ein "oder" zuviel drin, oder? :-)

Soweit ein spontaner Eindruck, später vielleicht mehr.

Schönen Abend

Jürgen

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 14.04.2008, 20:10

Nö. :smile:

Da ist kein 'oder' zuviel.

Es ist nur ohne Zeichensetzung.

MlG

Moshe

Max

Beitragvon Max » 15.04.2008, 12:47

Lieber Moshe,

es geht mir ähnlich wie Jürgen.

Strophe 1 und 2 finde ich recht zugänglich. Strophe 3 finde ich metaphorisch sehr abgeschlossen. Der "Maulbeerbaum" ist mir bei Celan schon einmal untergekommen. In seinem Gedicht "Du darfst" heißt es

"sooft ich Schulter an Schulter
mit dem Maulbeerbaum schritt durch den Sommer,
schrie sein jüngstes
Blatt"

Auch da habe ich mich schon nach der metaphorischen Bedeutung des Maulbeerbaumes gefragt ... Kannst Du etwas Licht in die Sache bringen?

Liebe Grüße
Max

Mucki
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Beitragvon Mucki » 15.04.2008, 14:12

Hallo Moshe,

in deinem Gedicht lese ich vom natürlichen Sein, ob Mensch, erwachsen oder Kind, ob sich stark zeigend oder versteckt, um wieder zu erwachsen (aus der Verpuppung).
Der Bezug zum Maulbeerbaum gefällt mir besonders, da er Seidenraupen gebiert.
Einziger Störfaktor für mich in deinem Gedicht sind die vielen "oder".
Klar, die zwei "oder" hintereinander sind verschieden zu lesen, dennoch würde ich hier kürzen. Sie bringen mich beim Lesen aus dem Takt.
Hier:

wie ein Prinz oder
oder die Tochter
einer Seidenraupe
im Dickicht
eines Maulbeerbaumes
sich einpuppen
zum Abschied


Wie wäre, als Idee:

wie ein Prinz
oder das Kind
einer Seidenraupe
...

Saludos
Mucki

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 15.04.2008, 16:13

Lieber Max!

Da ist kein Bezug auf Celan.
Der Maulbeerbaum ist hier eine lebensnotwenige Umgebung für die Tochter der Seidenraupe, die Kennzeichnung einer Atmosphäre und Eigenart.
Aber...: Um der Sache näherzukommen musst du ja nur das Wort Maulbeerbaum zerflücken, also Maul und Beer und Baum, und dann die Assoziation zusammenbauen.

Liebe Mucki!

Ich habe diesmal den Verdacht, daß du daneben liegst. Von einem wiedererwachsen aus Verpuppung ist hier nicht die Rede.

Auch ergeben die 'oder' ein Linie, über die dann gestolpert werden soll.

MlG

Moshe

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 15.04.2008, 17:31

Hallo Moshe,

die dritte Strophe hebt sich von den anderen im Stil ab. Ich lese einpuppen zum Abschied eher als Bild für den Tod.

Aber schlau werde ich nicht ganz draus. Und die "oder" ergeben auch noch eine Linie? Seufz.
Tochter der Seidenraupe scheint wichtig, da sollten wir anscheinend nachdenken. Denn eine Seidenraupe hat keine Tochter, die hat wenn dann nur der Seidenspinner, aber nie die Raupe. Ist die Seide gemeint? Kann nicht sein. Das ergäbe keinen Sinn. Also welche Tochter kann hier gemeint sein?

Nachdenkliche Grüße

Jürgen

Mucki
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Beitragvon Mucki » 15.04.2008, 19:23

Hallo Moshe,

mit dem "einpuppen" hab ich Schwierigkeiten. Ich dachte zuerst, du hättest hier den Vorgang sozusagen umgekehrt. Die Raupen verpuppen sich ja, um danach zu Schmetterlingen zu werden (also entsteht etwas aus der Verpuppung). Du schreibst aber:

sich einpuppen
zum Abschied


Also ist dies wohl als Metapher zu lesen. Jürgen sieht es als Bild für den Tod. Hm, für mich funktioniert das irgendwie nicht :12: Auch die "Oder-Stolper-Linie" ist für mich ein Rätsel.
grübelnde Grüße
Mucki

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 15.04.2008, 20:34

Lieber Moshe,

mir gefällt das wirklich gut. Ich lese Verpuppung als Metapher fürs Lebensende.

Die vielen "oder" zeigen mir, dass es so viele Wahlmöglichkeiten wie Jahre im Leben gibt. Mich stören die nicht, ich finde sie logisch.

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

scarlett

Beitragvon scarlett » 16.04.2008, 17:24

Lieber moshe,

das mag ich!
Läßt sich wunderbar auf ganz verschiedene Situationen beziehen.
Ja, jeder so wie ers mag, der eine laut, der andere still und heimlich, der dritte schottet sich gleich ganz ab. Das Bild der Seidenraupe - fein gewählt.

Dass das zweimalige "oder" sein muss, ist mir klar - erzeugt in meinen Augen Unmittelbarkeit, der "Sprecher" sucht noch während des Sprechens selbst scheinbar nach weiteren Vergleichsmöglichkeiten.

Gern gelesen!

LG,
scarlett


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