Angelei

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Peter

Beitragvon Peter » 28.03.2008, 11:04

Eben so ein paar Worte
in die Luft geworfen, fielen
mir einfach wieder vor die Füße.

Keine Tauben unterwegs.

Vielleicht zur Mittagszeit.

Wir sind Brieftauben-Angler.
Man sieht uns an den
Horizonten.
Unsre Angelschnüre
wirbeln durch die Luft.
Diese Kämme der langen Wälder
sind unsre Strände.

 
 
 

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 28.03.2008, 13:06

Lieber Peter,

da hast du aber eine tote Taube fliegen gemacht (denn ich bin noch, wie sag ich, schlimmer (?) in der Wahrnehmung solcher Tage, denn: keine Tauben unterwegs kann auch heißen, dass sie tot zu Boden fallen, das ist vielleicht der unterschiedliche Umgang damit, die wahrnehmung was und wie die Tauben sind, fliegen sie nicht).

Mich erfasst das sofort, es trifft für mich eine Empfindung so treffsicher und doch sanft und zwar doppelt: denn es geht ja um das Wortefinden, allgemeinplatzsprachlich das Schreiben. Dann aber liegt darin als zweites (weil das erste so zugegeben wird) für mich auch der Schmerz, wieso man überhaupt schreibt (sich den Tauben zuwendet). Das kann ich allerdings nicht begründen, für mich ist da nur eine Schwingung, die beides sagt. Die Wäder, die Kämme der Wälder, die Angelei (das: elei wirkt klanglich Wunder!), für mich sind das genau die richtigen Bilder. So wie das Vorbeiziehen von Draußen an Zugfenster auch erst Landschaften erzeugt (Landschaft ist eines meiner neuen Lieblingsworte, seit ein Kind von dem Garten zuhause von einer Landschaft sprach).

Ich könnte mir diesen Text auch etwas weiter gesetzt vorstellen (in word&Co geht das sicher abgestimmter):

Angelei


Eben so ein paar Worte

in die Luft geworfen, fielen

mir einfach wieder vor die Füße.


Keine Tauben unterwegs.


Vielleicht zur Mittagszeit.


Wir sind Brieftauben-Angler.

Man sieht uns an den

Horizonten.


Unsre Angelschnüre

wirbeln durch die Luft.

Diese Kämme der langen Wälder

sind unsre Strände.


Diesen Text kann ich mir vor jedem anderen Text als Vorwort vorstellen oder anders: dieser Text muss in allen Texten enthalten sein, damit es ein guter Text ist.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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annette
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Beitragvon annette » 28.03.2008, 16:22

Hallo Peter,

einer der Tage, an denen die Tauben nicht anbeißen - und Worte ohne Wirkung bleiben.
Das Brieftauben-Angeln ist unsere Bestimmung, lese ich. Und wie Riesen sitzen wir in dieser Landschaft, in die wir unsere Angeln auswerfen. Mir scheint, diese Landschaft aus Horizont und Waldkamm haben wir erst mit unseren Worten selbst geschaffen und so ausgedeutet, dass wir nun dort Tauben locken, ködern und fangen können.

Es sind Brieftauben, nach denen wir angeln. Vielleicht, um mit unseren Worten wiederum Worte zu ernten. Vielleicht suchen wir das geschriebene Wort oder den Kontakt zu anderen.

Mir gefällt sehr das Eingangsbild: dass die Worte unverrichteter Dinge wieder vor die eigenen Füße fallen, eben wirkungslos bleiben und das ganz unübersehbar vor unseren Füßen.
Und schön lakonisch das Vielleicht zur Mittagszeit.

Lisa spricht von "Schmerz", für mich ist der Ton eher etwas spöttisch, oder wenigstens ironisch, wenn der Text von unseren Worten und unseren Bemühungen erzählt. In jedem Fall ist es sanfter Spott, der das Ich mit einschließt und mich zum Schmunzeln bringt.

Gruß - annette

Perry

Beitragvon Perry » 28.03.2008, 17:21

Hallo Peter,
ich finde auch, dass dein Text sehr gelungen das beschreibt, was Poesie ausmacht, mit Worten nach Antworten zu angeln.
Wenn du am Text arbeiten möchtest, würde ich ein "... fielen sie mir ..." vorschlagen und eventuell statt der Strände Ufer nehmen, denn am Meer sind wohl eher Möwen statt Tauben unterwegs. Gern gelesen!
LG
Manfred

Max

Beitragvon Max » 28.03.2008, 21:44

Lieber Peter,

mir gefällt die Originalität des Bildes/der Bilder.

Schon die Eingangsparabel des in die Wort geworfenen Wortes, das hinunterfällt (tot denkt man sich sofort hinzu) ist stark. Ich habe es so noch nie gesehen und weiß doch gleich, was gemeint ist - das gefällt mir daher sehr.

Schön auch wie die Assoziationskette von den Worten zu den Tauben weitergeht - dann die Idee der vermutlich vergeblichen Brieftaubenangelei ... das sind Bilder, wie aus einer anderen Welt, aber sie sind es eben doch nicht, sonst könnten sie die unsere nicht so trefflich beschreiben.

Soollte ich entscheiden zwischen Lisas schmerzlicher und Annettes ironischer Lesart, so fiele meine Wahl auf einen getrockneten Schmerz.

Liebe Grüße
Max

jondoy
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Beitragvon jondoy » 29.03.2008, 00:02

Hallo Peter,

hab das Gedicht schon heute mittag gelesen,

"das sind Bilder wie aus einer anderen Welt", hat Max geschrieben,
das find ich sehr treffend.

in meinen augen ist der text auf leichte Weise selbstironisch,
das Lyrische Ich lacht über sich und die welt,
fühlt sich fröhlich melancholisch

"Eben so ein paar Worte
in die Luft geworfen, fielen
mir einfach wieder vor die Füße."

(poesie),

Keine Tauben unterwegs.

Vielleicht zur Mittagszeit.

Wir sind Brieftauben-Angler.
Man sieht uns an den
Horizonten.
Unsre Angelschnüre
wirbeln durch die Luft.

(gefühlte Zeit- und Ortsangaben),
("Man sieht uns an den Horizonten",
dieser Satz gefällt mir besonders gut,
seine Sicht ist fast schon spiegelverkehrt)


Diese Kämme der langen Wälder
sind unsre Strände

wie der Satz gemeint ist, versteh ich nicht ganz,
für mich klingt er nicht richtig,
ich würde den Satz spontan so formulieren:

"Die Kämme der langen Wälder
sind unsre Strände."

So wär das Bild für mich stimmig.

Viele Grüße,
jondoy

Peter

Beitragvon Peter » 29.03.2008, 14:01

Danke für diese feinen Kommentare.

Lisa, an dieser zweiten Schwingung hab ich überlegt, ob sie nicht zu gewichtig wird. Sie entsteht ja auch durch das einzelne Absetzen der Wörter, vor allem an ...Horizonten, wie ich finde. Aber ich wollte dann doch auf das Verzagte hinaus. Ebenso beim Titel: Angelei. Finde ich aber schön, dass du das Vermehrte darin siehst ("elei wirkt klanglich Wunder"), so hat ichs (ein bisschen) im Auge.

Die andere Setzung wäre gut, aber sie nimmt doch den Zwischenzeilen, wie ich finde, das Aufschauen. Da eben die anderen enger gesetzt sind, kommt meinem Verstehen nach etwas Horizonthaftes auf.

Diesen Text ein Vorwort aller Texte zu nennen, ist ein großes Lob.

Annette, hallo. Danke für dein Nachgehen des Textes, finde ich immer spannend zu lesen. Dass da Riesen sind, leuchtet mir ein. Auch diese Haltung: Worte zu schreiben, zu geben, um Worte zu erhalten. Derzeit lese ich von Marc Aurel die Selbstbetrachtungen, deshalb vielleicht das Stoische?

Perry, die Strände möchte ich belassen, da sie (mich) an Meer erinnern, und Ufer eher an Flüsse oder Seen. Das "sie" aber wäre zu überlegen. Oder es müsste an die erste Zeile ein Komma? (Würde mich aber rhythmisch stören.)

Lieber Max, finde ich ein sehr feine Wahrnehmung des Gedichts. "Bilder, wie aus einer anderen Welt", ich hatte auch wirklich diesen Eindruck selbst im Schreiben. (Woher nur? und schwierig zu sagen. - Ohne dass es komisch klingen soll: Das Schreibensgefühl war, einem Archaischen zu begegnen, nur eben nicht historisch oder linear, sondern parallel: hinüber zu schauen: archaisches Jetzt.

Hallo Jondoy, am "Diese Kämme..." bin ich am Überlegen. Ich verstehe, wie du meinst. Eigentlich könnte man "Die Kämme..." schreiben. Was mich an "Diese" festhalten lässt ist der Zeig, der dann fehlen würde. Mit "Wir sind Brieftauben-Angler..." beginnt eine Vorstellung/ Einladung an den Ort, und am Ende sehe ich in "Diese Kämme..." eine getreckte Hand. Würde mir dann fehlen. Aber ich denk drüber nach.

Euch allen Danke und liebe Grüße,
Peter

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 30.03.2008, 11:51

Lieber Peter,

Ein Gedicht, das wieder nicht nur von etwas spricht, sondern sich irgendwie selbst verwirklicht. Ich gehe einfach mal hinein und erzähle.
(Obwohl es unverwechselbar deinen Klang trägt, scheint es sich mir vom Tenor her doch sehr von deinen anderen Texten zu unterscheiden, oder zumindest für mich ein anderes Lesen möglich zu machen.)

Da erzählt Jemand von einer anderen Welt und nimmt einen mit hinein. Eigentlich weiß man, dass sie einem fremd sein müsste und doch ist sie es nicht. Das Gedicht scheint jeden Leser an seinem eigenen Horizont abzuholen, in seiner Stimmung und die Worte sagen für jeden so, wie man sie hören kann. Für mich wird hier eine alte, vertraute Weise hörbar. Schon der Titel „Angelei“ ist ein singendes Wort, ein Windspiel, wie der Klang einer Glockenboje in der Hafeneinfahrt. Ich sehe ein Leichtigkeit und eine in sich ruhende Gelassenheit, die sich in diesem Klang spiegelt.
Da werden Worte in die Luft geworfen und sie fallen. Und ich habe das Gefühl, dass das gar nicht weiter schlimm ist, man kann sie ja wieder aufheben, es war nur noch nicht die richtige Zeit. Der Blick wandert ruhig am Himmel entlang, es sind eben noch keine Tauben unterwegs, vielleicht später, zur Mittagszeit. Fast sehe ich da ein leises Lächeln in einem weisen, wettergegerbten Gesicht.
Und dann tauchen da Horizonte auf, an denen scheinbar unerreichbar entfernt die Angler sichtbar werden. Wie ihre Angelschnüre durch die Luft wirbeln, in der Sonne sieht man sie manchmal aufscheinen, wie ein Blinzeln des Himmels. Da ist ein Wir und ein Uns. Gehört man dazu? Ist man selbst auch ein Angler?
Und ich denke daraus entsteht diese zweite Ebene, dieser Schmerz. Aus diesem sichtbaren Alleinstehen und der Unerreichbarkeit der Horizonte der Anderen. Und es braucht die Worte und die Tauben, die sie mit in die Luft nehmen und hinübertragen können, die den Weg zwischen den Horizonten finden.
(Doch sagt es nicht auch, dass das ein unwirklicher Wortort ist, an dem man zwar gesehen werden kann, aber nicht sich aufhält?
Ich dachte, dass es wohl Scheinriesen sein müssen, und je näher man ihnen kommen würde, desto menschlicher wäre ihre Erscheinung.)
Ich sehe zwei Horizontlinien, die sich gegenüberliegen, wie die beiden einzelnen Zeilen. Und man sieht, sie gehören eigentlich zusammen, es wäre ganz leicht, man müsste sie nur zusammensetzen, vielleicht sich drehen und sehen, dass es am Ende doch eine Linie ist, an der entlang man gehen könnte, sich begegnen.
Und dann vollzieht das Gedicht, die Worte beinahe unbemerkt genau diese Annäherung, in dem es auf die Wälder zeigt. Man steht plötzlich nebeneinander und schaut hinüber. Und wenn diese Kämme der langen Wälder unsre Strände sind, dann ist die Luft das Meer und ich sehe, wie sie die Wipfel bewegt, höre das Rauschen der Brandung und die Glockentöne der Bojen wieder. Ein Ankommen im gemeinsamen Sehen durch die Worte.

(Ich hatte beinahe den Eindruck, als sei es die andere Geschichte, die andere Seite vom „Deut“.)

Es ist schwer, etwas konkretes Textbearbeitendes zu sagen, doch: bitte nichts ändern. ;-)

liebe Grüße smile
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Peter

Beitragvon Peter » 31.03.2008, 19:37

Liebe Smile,

das ist sehr besonders, wie du das Gedicht aufhebst, es prosaisch zum Leuchten bringst. Das wünscht man sich (ein Weltleuchten aus einem Kieselstein).

Wie ihre Angelschnüre durch die Luft wirbeln, in der Sonne sieht man sie manchmal aufscheinen, wie ein Blinzeln des Himmels.


Mir fehlen etwas die Worte, Smile.

Aber würde sagen: Deine Antwort ist Mittagszeit!

Und werde das Gedicht so belassen, wie es ist.

Hab lieben Dank,
Peter

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leonie
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Beitragvon leonie » 02.04.2008, 12:00

Lieber Peter,

das habe ich schon ganz oft gelesen.

Und, smile, Dein Kommentar: Ich habe selten eine so tolle Interpretation gelesen, unfassbar. Du kannst das ausdrücken, was beim Lesen in einem vorgeht, ich finde oft kaum Worte dafür, weil es für mich irgenwie hinter der Sprachebene liegt. Das ist fast ein kleines Wunder, wie Du das hier gemacht hast.

Also, Peter, ich finde mich in diesem Kommentar sehr wieder und ich denke, das spricht für Dein Gedicht.

Komisch, da ist für mich ein ganz kleiner Wermutstropfen, das ist der, dass die Brieftauben gezähmte Tiere sind. Ich wünschte, wir könnten Raubvögel angeln. Falken. Es kommt mir vor, als sei das der Schmerz des Dichters. Auch, wenn das ein anderes Thema ist...

Liebe Grüße

leonie

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Beitragvon jondoy » 02.04.2008, 13:16

was da steht, im letzten Kommentar,

Zitat: "Ich habe selten so eine tolle Interpretation gelesen".

Das ist genau das, was ich mir auch gedacht habe, als ich das las.
Ich wollte nur nicht noch mal schwärmen.

Beim Lesen der Passage vom (menschlichen) Scheinriesen hätte ich mich beinahe nicht mehr zurückhalten können, schließlich schießen mir da Assoziationen aus einer seltsamen Wüste durch den Kopf, dabei ist es nur so leicht wie ein Kieselstein miteingeflochten, oder allein nur die Beschreibung des einen Wortes "Angelei", die Sprache, wow, einfach nur fein,

Peter

Beitragvon Peter » 02.04.2008, 21:40

Liebe Leonie,

interessanter Gedanke, dein Wermutstropfen. Aber vielleicht gibt es ja nächste Angler an den nächsten Horizonten, die wirklichen Jäger, und sie schicken sich die Brieftauben zu, und haben das wirkliche Meer vor Augen. Ich würde es glauben, wenn es so wäre. (Die Brieftauben wären also von der Wirklichkeit gezähmt.)

Smiles Kommentar ist auch für mich ein großer Eingang, zum Einatmen.

Liebe Grüße,
Peter

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Beitragvon leonie » 02.04.2008, 22:17

Lieber Peter,

für mich wäre das eigentlich Wunder, wenn man die Falken angeln könnte. Die ungezähmten.

Allerdings weiß ich nicht, ob sie das blieben, wenn es "Wirklichkeit" würde. Denn dann findet ja eine Verwandlung statt. Zur Zähmung?

Hm, da muss ich noch ein Weilchen drüber nachdenken...

Liebe Grüße

leonie


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