am gleis nr. 8

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 24.03.2008, 14:33

 
am gleis nr. 8


wir berühren. punkte
erzählen. staublichter
ein gesicht
sonnenwinde. ins dunkle
der gereichten hand

(sehen


 
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Niko

Beitragvon Niko » 24.03.2008, 14:48

hi smile!
auf die bahn bezogen würde ich "nr" streichen. ein zug kommt doch nicht an gleis nr. 8 an sondern an gleis 8.
bei der sonnenwinde bleib ich ein wenig hängen. meinst du wind und sonne, oder ist die pflanze gemeint? es will nicht so recht in meine lesart passen. also ich stelle mir den abschied oder die ankunft am bahnhof vor. die begegnung zweier sich liebender menschn. oder liege ich jetzt neben dem gleis?

lieben gruß: Niko
Nachtrag: komme auch mit der interpunktion nicht ganz klar. zumindest fehlt mir dann am schluss ein Punkt. oder hinter "hand" vielleicht. und auch hinter "sehen"

Max

Beitragvon Max » 25.03.2008, 23:18

Liebe Smile,

was mir gefällt: Dass Du die kurze Form beinahe experimentell nutzt. Die eigensinnige Interpunktion, besonders die geöfnete Klammer, die für mich mit der geöffneten Hand harmoniert und die man ja bei Gelegenheit in einem anderen Gedicht schließen könnte.

Mit der oder Sonnenwinde(n) habe ich die gleichen Schwierigkeiten wie Niko. Ist es die Pflanze, so frage ich mich unwollkürlich: Was tut die da? Ist es ein Sonnewind, so denke ich, es wäre höchste Zeit den Strahlenanzug herauszuholen. Ginge es nicht auch ohne sie?

Liebe Grüße
Max

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 26.03.2008, 11:04

Hallo Niko, Max

(ich antworte euch mal gemeinsam, da sich einiges überschneidet.)

Niko, ich versuche mal die "nr." zu verteidigen. .-) Zum einen brauche ich sie klanglich, weil der Titel sich sonst anhört, wie die Durchsage eines Bahnhofsprechers und zum anderen sage ich das wirklich :-). Es sollte aber auch den Fokus auf die 8 lenken, weil sie ja keine zufällige ist.

Mit Sonnenwinde meinte ich diese hier http://de.wikipedia.org/wiki/Sonnenwind.
Weil ich hier sowohl den Aspekt der Störung der Kommunikation über die Entfernung, als auch die durch diese Winde erzeugten Polarlichter interessant fand. Und das Wort ist doch auch in sich selbst genial, oder?
Max, da nur davon erzählt wird, braucht man glaube ich keinen Strahlenanzug. Ich kann nicht auf sie verzichten. ;-)

Die Punkte habe ich dort eingesetzt, wo die Zeilen sowohl in sich als auch zeilenübergreifend gelesen werden können (sollen .-))
wir berühren
wir berühren punkte
punkte erzählen

(Entstanden ist dieses Gedicht unter anderem aus den Gedanken über eine Dokumentation über das "Lormen", die ich sehr spannend fand, auch in Hinblick auf die Schwierigkeiten im Kommunizieren und Verstehen der Welten, Sichtweisen zwischen "Sehenden"/"Hörenden"
http://de.wikipedia.org/wiki/Lormen )

Max, deine Leseweise der geöffneten Klammer finde ich sehr schön, das hatte ich mir so gedacht, und dass aus der Hand das Sehen entsteht, ein Öffnen.

Liebe Grüße smile
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 26.03.2008, 20:02

Hallo smile!

Mich überzeugt dein Text ebenfalls sehr, gerade auch wegen dieser gelungenen Verwendung der Interpunktion, die den Inhalt bestens unterstreicht und gleichzeitig aufblättert.

Sonnenwinde irritieren mich garnicht: Ein Gesicht öffnet sich und zeigt Licht und Wärme und Erkennen bis zu Erkenntnis.
(Gestern hatte ich eine Begegnung, die ich gut und gerne als Mondwind bezeichnen könnte im sehr positiven Sinne: Eine Frau wie eine mildwarme Vollmondnacht im Sommer.)

Mit bestem Gruß

Moshe

scarlett

Beitragvon scarlett » 26.03.2008, 20:17

Liebe smile,

die sonnenwinde sind für mich das highlight des Textes! Ich kann darin sehr viel sehen - man zerlege nur mal das Wort in seine Bestandteile! Hach, was sind da für Konnotationen drin!

Die Interpunktion - eigenwillig, aber das ist ja auch der Text, somit geht sie mit dem Inhalt konform.

Gern gelesen!

LG,
scarlett

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 27.03.2008, 08:50

Hallo moshe, scarlett,

danke fürs mögen, gerade der Sonnenwinde. :-) Das freut mich sehr.

liebe Grüße smile
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)


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