manchmal schmeckt alles nur noch nach ranzigem fett

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 17.05.2006, 01:00

thomas milser
08/IX/1990


machmal schmeckt alles nur noch nach ranzigem fett




[align=justify]kurz bevor du dir die zahnbürste in den mund schieben willst klatscht die zahnpaste runter und zerschellt im waschbecken ohrenbetäubender lärm kleine rote und grüne bläschen der wut zerplatzen vor deinen augen der tag beginnt ganz nach deinem geschmack du klemmst dir die zehen unter der kühlschranktür die du besonders elegant zuwerfen wolltest sie schrappt die oberste hautschicht ab genau da wo´s guttut du tritts den küchenstuhl weg als ob er an allem schuld wär´ und noch bevor du dich voller wut aufs bett schmeißen kannst stößt du dir den ellbogen an der türklinke der schmerz reißt dich ´rum und lässt dich einsacken mit pisse in den augen und hass auf alles und vor allem auf dich selbst du sitzt zusammengekauert im flur während alles um dich rum in flammen aufgeht und irgendwo in einem puff in paderborn ein pariser platzt[/align]
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 16.09.2006, 18:16, insgesamt 1-mal geändert.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 18.05.2006, 10:20

* :read2:

Vorallem dieser Satz:


du sitzt zusammengekauert im flur während alles um dich rum in flammen aufgeht und irgendwo in einem puff in paderborn ein pariser platzt

ist eine wunderbare Abwandlung der platzenden Tube in HH oder dem umfallenden Sack Reis in China.

Gefällt mir wieder einmal, aber gehört das nicht in Prosa? Leider kenne ich diese Zustände sehr gut. Besonders beim Staubsaugen geht auch bei mir alles in Flammen auf, wenn man sich dann noch stößt (frag nicht warum, ich weiß es nicht).

Ich finde, der text könnte ruhig (stilistisch) noch wilder gestaltet werden, du versuchst ja (meiner Meinung nach) die Wirkung eines Wut-Domino-Falls zu beschreiben...


warum machst du eigentlich bei einigen deiner Texte so große Absätze zwischen überschrift und Text?

Liebe Grüße,
Lisa

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.05.2006, 10:45

Liebe Lisa,

vielen lieben Dank für Deine Anmerkungen. Der sprichwörtliche Sack Reis ist wohl die treffende Stimmung, und 'Wut-Domino' finde ich unschlagbar. §blumen§

Jaja, die Sache mit der Kategorie 'Prosa' hatte mir Kollege Herby auch schon per PN anheim gelegt (Hi Herby, vielleicht nächstes Mal lieber hier posten, dann sehen es alle). Ich tu mich allgemein schwer mit dem Einsortieren (hab nämlich kaum Ahnung von Literaturtheorie, haha), ich habs aufgrund der fehlenden Interpunktion als experimentell empfunden.

Wie ich den Text noch wilder machen sollte, wüsste ich jetzt so ad hoc nicht, das muss ich mal sacken lassen. Ich könnte mir vielleicht eine Variation vorstellen, die dann aber schon leicht ins Surreale rüberschwappen müsste. Hm, mal sehen.

Der Zeilenabstand ergibt sich daraus, dass ich die Seiten aus meinem (zwar unveröffentlichen, aber eigentlich fertigen Buchentwurf) herauskopiere, und das ist eigentlich vom Layout her schon fertig durchgestaltet. Und auch bei jeder Textform ein bisschen anders. Ist das störend oder so?

Gruß, Tom.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 18.05.2006, 10:52

Hallo Tom,

"störend" ist das nicht, man vermutet nur einen Sinn dahinter, den der einzelne Text für sich wohl nicht hat :razz: (oder technisches Unvermögen :mrgreen: :-$ )

Eine surreale Variation (schöner Buchtitel!) fänd ich spannend!

Das mit der kategorie habe ich verstanden...hm..es ist experimentell UND keine lyrik, oder?

Wie wäre es, in andere Prosa? ich könnte im Untertitel experimentell hinzufügen. ´So eine Einordnung beurteilt ja auch nicht den Text, sondern hilft nur, sich thematisch im Salon zu orientieren. Manche meiner "Liebesgedichte" sind eigentlich gar keine :grin:

Liebe Domino-grüße,
Lisa
ps: Es gibt irgendeinen Autor, der in deinem Stil schreibt und sehr bekannt ist. Ich komme nicht drauf. Die männlichen Hauptfiguren sind ein ähnliches Gemisch aus Rechtschaffenheit, Cholerik und kindlicher Liebe wie ich es in deinen Figuren lese. Kommt in deinem Buch eine rothaarige Frau drin vor? DANN bist du der Ghostwriter, ich bin sicher :cool:

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.05.2006, 11:46

Liebe Lisa,
Sinn ist da schon hinter. Zum Beispiel beim Text 'Hunger' ist die Streckung Gestaltungsabsicht. So wie hier der Absatz ('Leere') und der Blocksatz ohne Interpunktion (Verdichtung). So lange es nicht übersteigert ist oder gar zum Selbstzweck wird, halte ich eine unterstützende Gestaltung (Layout) für durchaus angebracht.
Außerdem ist Gestalten ein wesentlicher Bestandteil meines Berufes, ich kann gar nicht anders.

Naja, und rothaarige Frauen gab es schon in meinem Leben (yeah!), und gewiss kommt irgendein Erlebnis mit so einer Dame mal in einem Gedicht vor, aber dass sie als solche (also namentlich 'rothaarig') in meinen Texten auftauchten, ist mir jetzt nicht bekannt. Da müsste ich mal blättern... :cool:

Schö-hö!

carl
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Beitragvon carl » 18.05.2006, 18:23

Hallo Thomas, wie wärs mit

kurz bevor du die
zahnbürste in den mund schiebst klatscht
die zahnpaste runter zerschellt
im waschbecken ohrenbetäubender lärm
kleine rote und grüne bläschen wut platzen
vor deinen augen der tag
ganz nach deinem geschmack
du klemmst dir die zehen unter
der kühlschranktür
die du elegant zuwerfen willst sie
schrappt die hautschicht ab genau
da wo´s guttut
du tritts den küchenstuhl weg weil
er an allem schuld ist und
bevor du dich voll wut aufs bett schmeißt
stößt du den ellbogen an der türklinke
der schmerz reißt dich ´rum
lässt dich mit pisse in den augen
einsacken und
hass auf alles und
auf dich selbst vor allem und
du sitzt zusammengekauert im flur als
um dich alles in flammen aufgeht
und irgendwo im puff bei paderborn
ein pariser platzt...

Textverteilung muss noch besser überlegt werden, aber der Dominoeffekt könnte stärker rauskommen: jede Zeile ein Schlag!!!

Kompliment, Carl

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.05.2006, 19:08

Jo Carl, wird klar. Könnte man so bestimmt ausfeilen. Vielleicht sogar die Verben noch konfuser verteilen, also die typische Satzstellungen aufheben, als Collage gewissermaßen.

Es wird noch Texte vom Tom geben, wo dieses Prinzip Gestaltungsansatz ist. (Ich soll ja nicht so viel auf einmal posten) :grin:

Als ich den hier schrob (er ist immerhin von 1990) hätte ich am liebsten ein Blatt Papier gehabt, das nur 2 Zentimeter hoch ist und 3 Meter50 lang, wo alles nebeneinandergereiht in einer Zeile steht (deswegen hier Blocksatz ohne Satzzeichen). Beim Vortrag bräuchte es einen Austerntaucher, der in der Lage ist,
allesohnezwischendurchLuftzuholenundganzmonotonineinemAtemzug vorzulesen :shock: .

Ich bin nur im Moment so lyrikfaul, laul sozusagen, sonst würd ich da mal ne Variation zu formen. Vielleicht andermal...

Besten Dank jedenfalls, der Tom.

carl
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Beitragvon carl » 18.05.2006, 20:16

hallo Tom,

deine setzung hat was antemloses ohne punkt und komma aber bei meiner version ist noch mehr passiert als zeilenbruch:
vielleicht kann mans auch satz umbau lichtschneller machen?

aber lass es ruhig noch 10 jahre abhängen!

gruß, carl

aram
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Beitragvon aram » 12.08.2006, 13:26

hallo tom,

den text finde ich stark und gut.
blocksatz ohne satzzeichen passt für mich.
dass der titel sehr gut kommt, erlebe ich jedesmal, wenn ich in die 'experimentelle lyrik'-übersichtsseite aufmache.

trotzdem denke ich schon seit monaten :_), dass er ohne "nur noch" wohl noch besser wäre - trägt zwar ein wenig aussage, die ist aber ohnehin klar > somit füller.
komischerweise bin ich mir aber trotzdem nicht sicher.

was meinst du?
was sagt nifl ? ;-)

fragende grüße, aram

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 12.08.2006, 13:31

Hi Aram.

'Nur noch' ist resignativer, findest du nicht? Da bin ich mir ziemlich sicher :o)

Ich hab davon ne Lesung vorbereitet; demnächst in diesem Lichtspielhaus.

Danke dir aber. Guter Geschmack, der Junge. huahuhahuahhuahhuahuhu.

Lustig grüßt der Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 04.09.2006, 23:02

Lieber Thomas,

habe diesen Text, der aus dem Leben gegriffen zu sein scheint, gerade gelesen und frage mich jetzt, ob es in Paderborn überhaupt einen Puff gibt? Ein wunderschöner Satz.

Grüße

Paul Ost

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 04.09.2006, 23:06

Hi Paul,

ne einfache Aliteration, aber ich befand mich in der Nähe von Paderborn... Detmold-Hiddessen ist nicht allzu weit weg... Und Puffs gibts vermutlich überall, obwohl ich noch nie in einem war...

Dank dir, Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 04.09.2006, 23:09

Lieber Thomas,

Paderborn ist anders. Deshalb las ich Deinen Satz eher als Oxymoron, denn als Alliteration.

Grüße

Paul Ost

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 16.09.2006, 18:15

Ich habe ein paar Jahre in der Nähe von Padernborn gelebt, Paule. Detold. Auch Deadmolch genannt. Unter uns (Studi-)Ruhrpöttlern wurde der schöne Satz geprägt: "In Paderborn sitzt der Vadder vorn!" Ist das nicht nett?

Tom.
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