Und immer wieder Liebe

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Schwarzbeere
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Beitragvon Schwarzbeere » 30.12.2007, 17:48

Immer wieder Liebe

Und immer wieder in Gedichten Liebe,
als gäbe es auf dieser Welt nichts als
Geschlechtsverkehr, bei dem man bestenfalls
verwirrt, verdummt wie unbekümmert Diebe,

die nächtlich sich in leere Häuser wagen,
Gedanken unterdrückt, wenn sie uns sagen,
dass alles Dreschen, Süßholzraspeln, Reizen
am Ende Spreu nur schafft, indes der Weizen

gedeiht allein im Wahn, der Phantasie,
da längst der Liebe Dünger ausgeräumt.
Die Augen schließt der Dichter und erträumt,
was niemals war noch wird zum Vis-à-vis.
Zuletzt geändert von Schwarzbeere am 01.01.2008, 22:07, insgesamt 5-mal geändert.

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 30.12.2007, 18:07

liebe ist der schönste wahn von allen. das fleischliche vergeht, der wahn nicht.

ein gedicht in schönen versen, das melancholisch stimmt.

chiqu.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 31.12.2007, 22:32

Lieber Schwarzbeere!

Das wird man nicht hören und sehen wollen.

So eine Botschaft... :eek:

:daumen:

Moshe

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Schwarzbeere
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Beitragvon Schwarzbeere » 01.01.2008, 17:23

Danke, Chiquita,

Es ist diese Melancholie, die sich im positiven Falle einstellen sollte, anderenfalls steht die volle Armada an Reaktionen zur Verfügung, die dem so Reagierenden aber nach der ersten Verärgerung eher nur einen schalen Nachgeschmack hinterlässt.

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Schwarzbeere
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Beitragvon Schwarzbeere » 01.01.2008, 17:24

Ja, lieber Moshe,

Du hast freilich Recht, wenn du sagst bzw andeutest, als eine Variante zu Morgensterns « nicht sein kann, was nicht sein darf… », dass man die Ernüchterung nicht vor die Ekstase setzen soll, weil diese sich dann leicht verkrampfen könnte! Also schließe die Augen, versiegle die Ohren und …?

Na ja, das beschreibe ich ja in meinem Textchen als das Verhalten des Pœten, eines Gœthes, der seine Verstakte mit den Fingern auf dem Rücken Friederikens abklopfte – sicherlich eine böswillige Erfindung stuhlverstopfter Germanisten, aber auch die Logorrhœn echter oder steckengebliebener Pubertanten, die unsere Welt (und die Gedichteforen!) mit Phantasmen aus dem Ektoplasma ihrer Gefühlseruptionen bevölkern.

In Wien freilich singt man « wenn man älter wird, ein wenig kälter wird… » und so sollte man (z.B. ich!) vielleicht auch großzügiger sein und jenen, die den schönen Wahn genießen, mit freundlichen Verstehen und nicht mit Lächeln oder Hohn begegnen, was doch nur als Neid verstanden wird.

aram
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Beitragvon aram » 01.01.2008, 19:08

hallo schwarzbeere, sehr schön - der text nimmt in stil, rhythmik und ausdruck locker die hürde der endgereimten verse (was zwar selbstverständlich sein sollte, sonst hätten sie ja keinen sinn, de facto aber - gar nicht mal nur auf dem reimgedicht-niveau des salons - eher die ausnahme darstellt)

auch thema, wortwahl und umsetzung gefallen mir.

kritische anmerkungen:

- der titel spießt sich mit der ersten zeile - da er ein 'auszug' daraus ist, würde ich diesen weiter reduzieren und das "und" streichen - im titel hat es ohnehin keine funktion, wenn es anschließend in der 'durchführung' steht - duktus und ästhetik des einstiegs gewännen sehr durch die streichung.

- die aussage der ersten strophe ist widersinning und bestimmt nicht so intendiert, wie sie da steht - die (in diesem fall inhaltlich) notwendigen zäsuren stimmen nicht mit den formalen der strophengliederung überein.
(als gäbe es auf dieser Welt nichts als / Geschlechtsverkehr, bei dem man bestenfalls /verwirrt, verdummt wie unbekümmert Diebe, - die zäsur müsste sinngerecht nach "geschlechtsverkehr" erfolgen, nicht nach "diebe")

- der ausdruck "vis à vis" scheint ebenfalls widersinnig - zwar passt er vom duktus ausgezeichnet, dem inhalt nach gehe ich aber davon aus, dass das bedichtete objekt gar kein vis à vis ist, kein gegenüber von angesicht zu angesicht. (der dichter hält die augen geschlossen, er sieht ein imaginiertes vis à vis - zu diesem wird wahr, was er erträumt, darin besteht ja der traum - nur zum echten gegenüber, das eben keines ist, nicht.)

insgesamt finde ich den text sehr ansprechend.
ich sehe zwar aus deinem kommentar, dass du dich mit seiner vordergrund-aussage offenbar 100prozentig identifizierst, lese es selber aber etwas anders, d.h. ich lese sehr wohl die frustration des lyrischen 'erzählers', die ihn dazu bringt, diese position zu wählen - für mich ist gerade das eine klare stärke des gedichtes - die melancholie bleibt, unangetastet.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 01.01.2008, 22:05

Lieber Schwarzbeere!

Nichts werde ich verschließen oder versiegeln!

Sondern lachen über das, was man mir in Weimar zu Zeiten der DDR über Goethe erzählt hat. Ich erinnere mich wieder an die glänzenden Augen der Damen, die so genau bescheid wussten, und dem Besuch aus dem Westen über ihren Dichter aufklären konnten.

Welche Logik wird immer wieder aufgewendet von Einhörner, um das in den Griff zu bekommen, und du alter Fuchs sitzt in deinem Nest und schreibst dann da so raus....

Fein.

Füchse fressen Tauben in Weintraubensoße, oder braten auch schonmal ein Stück vom Rindvieh in einem netten Sud mit einem Bordeaux. Jahjah.

Ich weiß ja, daß du ne Spanne vor mir bist, aber dennoch würde es mich freuen, wenn du ein wenig mehr die Youngster kommentieren würdest, :mrgreen: , vielleicht auch mich?

Fragender Moshe

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Schwarzbeere
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Beitragvon Schwarzbeere » 01.01.2008, 22:47

Danke, Aram,

Für deine präzisen und überlegten Kommentare.

Ich habe keinerlei Probleme mit dem Streichen des « und » im Titel, das ich nur verwendete, um die so oft gebrauchte Wendung « und schon wieder, und schon wieder » d.h. vielleicht bilde ich mir nur ein, sie schon so oft gehört zu haben, als Leseanreiz zu gebrauchen, was ja an sich schon ein Schwächezeichen sein dürfte. Ich habe gleich diese Änderung vorgenommen..

Der Konflikt zwischen Zäsuren und Versgliederung? Ich habe diesen Text in einer freien Form und relativ schnell geschrieben, dann verhalten und beschlossen, eine strengere Gliederung und Reime zu verwenden, um die Verdaubarkarkeit der Aussage durch eine gefälligere Form zu erhöhen. Der Reim als/falls kam von ungefähr (das mit Geschlechtsverkehr gereimt werden kann) und, da ich ja immer meine Texte gelesen haben will bzw. beim Schreiben laut lese, fand ich, dass eine Pause nach dem Ende der 2. Zeile, also dem « als » durchaus effektvoll sein kann.

Deine Überlegungen zum Vis-à-vis sind interessant , wenn ich auch glaube, dass hier verschiedene Interpretationen des vorgegebenen Textes logisch und denkmöglich sind. Es hängt wohl davon ab, wie man die Satzelemente einander zuordnet.
– der Dichter erträumt sich ein Vis-à-vis, das nie Realität war noch sein wird
– der Dichter erträumt etwas, das niemals ein Vis-à-vis war noch sein wird
In der zweiten Version wird nichts über die Essenz des Erträumten ausgesagt, außer dass es nie etc.

Ich reise morgen für den ganzen Jänner nach Österreich und bin dort in meinen Internetverbindungen eher sprechbehindert, also kann ich die akustische Illustration meiner Zäsurrechtfertigung, falls notwendig, erst viel später erbringen.


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