Sehnsucht
Umfallende blätterstreuende
Zeit mit magischen Zeichen
Vom jährlichen Zauberspektakel
Zeugen geschwundener Herrlichkeit.
Ich bin in unserem Haus, Viellieber.
Verwünscht deine Tage fern diesem Ort
Verwünscht meine Jahre unterm
Gierenden Septembermond. Abgetrennt
Von mir in fremden Welten du.
Sehnsucht
Gut, Smile, ich will versuchen, dir halbwegs zu erklären, warum ein Gedichtschreiber dem Leser das Schreiben eines Gedichts erschweren sollte: Es sind eigennützige Gründe, nämlich: Da hat sich ein Mensch hingesetzt, sich Zeile für Zeile buchstäblich abgerungen, und dann kommt so ein Überflieger und urteilt sekundenschnell. Ohne Zweifel hat er den Text tatsächlich "gelesen", jedes einzelne Wort. Aber willst du das als Schreiberin, stellst du dir so die Aufnahme deines Gedichtes vor? Du willst doch was ganz anderes: Du willst, dass deine Gefühle und Gedanken, die du beim Schreiben empfunden hast, vom Leser nachempfunden werden, er soll sogar weiterdenken können als du selbst. Hundertprozentig wirst du das niemals erreichen, denn der Leser fügt hinzu, was er selbst mitbringt: Wissen, aktuelle Gefühlslagen, Erfahrungen (mit Fachwort: Differenzerfahrung). Und dabei kann es passieren, dass er ein gänzlich anderes Gedicht liest, als du selbst geschrieben hast, obwohl er dieselben Wörter gelesen hat. Und dann fühlst du dich vielleicht missverstanden, verteidigst deinen Text, erklärst, erläuterst (das ist das, was hier als Textarbeit rangiert). Aber im Grunde deines Herzens hat es wenig Sinn, denn du selbst bist davon überzeugt, dass du selbst die einzig mögliche Art und Weise gefunden hast, was dich bewegt, in Worte zu fassen (abgesehen von offensichtlichen Fehlern, dafür muss man immer offen sein). Das jedenfalls ist meine Erfahrung nach dem Lesen zahlreicher Diskussionsfäden, und das ist aber auch ganz normal und hat überhaupt nichts mit Kritikresistenz zu tun.
Selbstverständlich muss jedes lyrische Mittel dem Gedicht dienen. Tut es das nicht, merkt es der Leser, und das Gedicht kann nicht wirken. Aber wie gesagt, ein Gedicht wird immer von zweien geschrieben: dem Autor und dem Leser. Nun kann es passieren, dass der Leser selbst zuwenig Erfahrung hat, das Gedicht gibt ihm nichts. Das sagt natürlich noch gar nichts aus über das Gedicht, nur, dass es bei diesem Leser nicht gewirkt hat.
Du hast recht: Jede Gedichtform hat ihre Berechtigung, wenn es ihr gelingt, Inhalt zu transportieren und im Leser durch das Wie etwas auszulösen. Nun ist es aber so, dass seit einiger Zeit beobachtet wird, dass wir Gedichtschreiber uns eher rückwärts wenden, was lyrische Ausdrucksformen angeht, als dass wir versuchen, neue Formen zu finden, die unserem gegenwärtigen Lebensgefühl auch entsprechen. Oftmals, und das ist eben nicht nur in diesem Forum der Fall, wird so geschrieben (übrigens nicht nur in der Form, auch Haltungen werden aus der Mottenkiste gekramt), als lebten wir im 19. Jahrhundert. Angeblich gilt, was einmal galt, für allezeit - aber nur für das Grundsätzliche, und das wurde bereits von den Griechen und noch früher formuliert. Das 20. Jahrhundert war ausgesprochen progressiv und reich an lyrischen Formen, sie werden von den meisten Schreibern negiert, ich vermute, weil sie gar nicht bekannt sind. Die gegenwärtige Lyrik ist zu einem großen Teil romantisch verklärt, alles wird aufs "Gefühl" gesetzt, jeder schreibt, wie und was ihm das Gefühl eingibt, oftmals wird unerträglicher Kitsch produziert, ohne dass es überhaupt noch bemerkt wird. Aber ein Text besteht nicht aus Gefühlen, sondern aus Wörtern, die in einer bestimmten Art und Weise eingesetzt werden. Man muss sich also notgedrungen mit dem Handwerk beschäftigen, wenn man schreibt. Die reichsten Erfahrungen sammelt man bei wirklich guten Dichtern vergangener Zeiten, aber auch der Gegenwart. Deshalb ist es verdammt nötig, soviel Lyrik wie möglich zu lesen neben dem eigenen Schreiben. Aus diesen Gründen halte ich es auch wirklich für wichtig, sich mal die Entwicklung der Lyrik über die Jahrtausende hinweg anzusehen, besonders aber die des 20. Jahrhunderts. Ein bisschen Hintergrundwissen und Handwerk hat noch nie geschadet, denke ich. Das kann man sich aneignen, es gibt ausreichend Literatur zu diesen Themen, man muss ja nicht gleich einen Lehrgang belegen. Was man dann letzten Endes in sein Gedicht einbringt - nun, darüber schweigt Herr Pegasus. Liebe Grüße Caty
Selbstverständlich muss jedes lyrische Mittel dem Gedicht dienen. Tut es das nicht, merkt es der Leser, und das Gedicht kann nicht wirken. Aber wie gesagt, ein Gedicht wird immer von zweien geschrieben: dem Autor und dem Leser. Nun kann es passieren, dass der Leser selbst zuwenig Erfahrung hat, das Gedicht gibt ihm nichts. Das sagt natürlich noch gar nichts aus über das Gedicht, nur, dass es bei diesem Leser nicht gewirkt hat.
Du hast recht: Jede Gedichtform hat ihre Berechtigung, wenn es ihr gelingt, Inhalt zu transportieren und im Leser durch das Wie etwas auszulösen. Nun ist es aber so, dass seit einiger Zeit beobachtet wird, dass wir Gedichtschreiber uns eher rückwärts wenden, was lyrische Ausdrucksformen angeht, als dass wir versuchen, neue Formen zu finden, die unserem gegenwärtigen Lebensgefühl auch entsprechen. Oftmals, und das ist eben nicht nur in diesem Forum der Fall, wird so geschrieben (übrigens nicht nur in der Form, auch Haltungen werden aus der Mottenkiste gekramt), als lebten wir im 19. Jahrhundert. Angeblich gilt, was einmal galt, für allezeit - aber nur für das Grundsätzliche, und das wurde bereits von den Griechen und noch früher formuliert. Das 20. Jahrhundert war ausgesprochen progressiv und reich an lyrischen Formen, sie werden von den meisten Schreibern negiert, ich vermute, weil sie gar nicht bekannt sind. Die gegenwärtige Lyrik ist zu einem großen Teil romantisch verklärt, alles wird aufs "Gefühl" gesetzt, jeder schreibt, wie und was ihm das Gefühl eingibt, oftmals wird unerträglicher Kitsch produziert, ohne dass es überhaupt noch bemerkt wird. Aber ein Text besteht nicht aus Gefühlen, sondern aus Wörtern, die in einer bestimmten Art und Weise eingesetzt werden. Man muss sich also notgedrungen mit dem Handwerk beschäftigen, wenn man schreibt. Die reichsten Erfahrungen sammelt man bei wirklich guten Dichtern vergangener Zeiten, aber auch der Gegenwart. Deshalb ist es verdammt nötig, soviel Lyrik wie möglich zu lesen neben dem eigenen Schreiben. Aus diesen Gründen halte ich es auch wirklich für wichtig, sich mal die Entwicklung der Lyrik über die Jahrtausende hinweg anzusehen, besonders aber die des 20. Jahrhunderts. Ein bisschen Hintergrundwissen und Handwerk hat noch nie geschadet, denke ich. Das kann man sich aneignen, es gibt ausreichend Literatur zu diesen Themen, man muss ja nicht gleich einen Lehrgang belegen. Was man dann letzten Endes in sein Gedicht einbringt - nun, darüber schweigt Herr Pegasus. Liebe Grüße Caty
Caty hat geschrieben: Die gegenwärtige Lyrik ist zu einem großen Teil romantisch verklärt, alles wird aufs "Gefühl" gesetzt, jeder schreibt, wie und was ihm das Gefühl eingibt, oftmals wird unerträglicher Kitsch produziert, ohne dass es überhaupt noch bemerkt wird.
Und das ist genau, was ich nicht nur bezweifle sondern abstreite! Die Texte, die gedruckt werden, die für "druckwürdig" erachtet werden (von wem? von den Lesern? nein, von den Verlagen!) sind z T meilenweit vom Empfinden des Lesers entfernt. Deshalb wird auch so wenig Lyrik verkauft wie nie zuvor. Warum? Weil es die Leser satt haben, sich auf irgendwelche "Gehirnakrobatik" einzulassen, weil sie einfach glauben, für die meisten Gedichte eh "zu blöd" zu sein, weil man sie das glauben läßt. Jeder, der nicht über ein halbwegs fundiertes Wissen verfügt, sei es über lyrische Tradition, über Stilmittel über --- was weiß ich was noch, ist einfach nicht in der Lage zu folgen. Und: nachem aber vorwiegend nur "Schweres" gedruckt wird, muß der Leser einfach glauben, daß das nichts für ihn ist.
Wenn ihn was erreicht, seelisch, gefühlsmäßig anrührt, dann ist das gleich wieder Kitsch und hat keinerlei "Berechtigung" in den edlen Spähren der Poesie.
Was soll ein Leser mit mit den Palindromen eines Oskar Pastior? Wie soll er - gefühlsmäßig - Zugang dazu finden? Keine Chance!
Deswegen, Caty, bin ich nicht deiner Meinung, was gerade die "gegenwärtige" Lyrik angeht.
NIx für ungut,
scarlett, mit lieben Grüßen
Hallo Caty,
danke für deine ausführliche Antwort. Ich denke wir gehen sehr unterschiedlich ans Schreiben heran.
Ich gehöre sicherlich zu der Fraktion, die gerne auch gelegentlich romantisch verklärt schreibt. Bewußt. Dies wurde auch schon von anderen im Forum "beanstandet" oder angemerkt. Ich wußte nur seither nicht, dass ich auch mal in Mode bin.
Wenn ich dich das noch fragen darf: Deine eingestellten Gedichte sind vom Aufbau und den verwendeten lyrischen Mitteln nahezu identisch, soweit ich gesehen habe, jedoch nicht inhaltlich. Denkst du, dass du für dich selbst eine Art des Schreibens gefunden hast, mit der du alles optimal vermitteln kannst? Müssen alle Gedichte eines Autors die gleiche Handschrift aufweisen, oder sollte es hier nicht auch möglich sein, sich verschiedener Stilmittel zu bedienen? Eben diese Vielfalt der Formen auch beim eigenen Schreiben einzubringen?
liebe Grüße smile
danke für deine ausführliche Antwort. Ich denke wir gehen sehr unterschiedlich ans Schreiben heran.
Ich gehöre sicherlich zu der Fraktion, die gerne auch gelegentlich romantisch verklärt schreibt. Bewußt. Dies wurde auch schon von anderen im Forum "beanstandet" oder angemerkt. Ich wußte nur seither nicht, dass ich auch mal in Mode bin.

Wenn ich dich das noch fragen darf: Deine eingestellten Gedichte sind vom Aufbau und den verwendeten lyrischen Mitteln nahezu identisch, soweit ich gesehen habe, jedoch nicht inhaltlich. Denkst du, dass du für dich selbst eine Art des Schreibens gefunden hast, mit der du alles optimal vermitteln kannst? Müssen alle Gedichte eines Autors die gleiche Handschrift aufweisen, oder sollte es hier nicht auch möglich sein, sich verschiedener Stilmittel zu bedienen? Eben diese Vielfalt der Formen auch beim eigenen Schreiben einzubringen?
liebe Grüße smile
Scarlett, du hast zu einem gewissen Teil recht. Modeautoren wie Pastior, von dem vorher kaum jemand etwas wusste, höchstens Insider, vergehen (er hatte irgendeinen Preis gekriegt, deshalb die Drucklegung), auch wenn damit sicher irgendwann irgendwelche Diplomanden gequält werden. Nicht davon rede ich. Wenn man sich aber den Trend z. B. in Anthologien ansieht, dann sieht es schon wieder anders aus. Man kann die Veröffentlichung durch Verlage nicht als Maßstab nehmen. Geh mal in irgendeine renommierte Buchhandlung an das Regal Lyrik, es ist erschreckend, da ist nämlich überhaupt kein Trend auszumachen, wenn es hoch kommt, findest du Wilhelm Busch, manchmal Benn, dann lange Zeit gar nichts, vielleicht noch Erich Fried. Moderne Lyrik, damit meine ich Lyrik der Gegenwart, findest du überhaupt nicht. Da sind die Buchhändler viel zu vorsichtig. Ich beziehe mich auf Untersuchungen, die ich da und dort in Literaturzeitschriften gefunden habe, meist von Literaturwissenschaftlern. Aber nichts gegen wahres Gefühl, es geht um das Gefühlige. Caty
Smile, ich will in meinen Gedichten gar nicht alles optimal vermitteln. Und was heißt "alles"? Ich habe ein Thema, und damit befasse ich mich. Das machst du doch nicht anders, oder? Selbstverständlich bildet sich mit der Zeit bei jedem Schreiber eine gewisse Art und Weise zu schreiben heraus, die man als "Handschrift" bezeichnet. Auf einen Blick kannst du z. B. ein Goethe- von einem Heine-Gedicht unterscheiden, und das nicht nur, weil der eine Klassik und der andere Romantik geschrieben hat. Was gibt es dagegen einzuwenden, was ist schlecht daran? Das passiert bei längerem Schreiben mit jedem Schreiber. In der "Handschrift" drückt sich ja auch indirekt eine Weltsicht aus, nicht nur das blanke Vermögen, Gedanken formulieren zu können. Das sollte jedem zugestanden werden, denke ich. Das macht doch die Literatur so spannend, dass sie so vielfältig ist. Natürlich gibt es Handschriften, die mir als Leserin gefallen, andere gibt es, die gefallen mir weniger, weil sie mich nicht ansprechen. Das ist so, seit es Schamanen gibt, jeder hat die alten Geschichten auf seine Weise an seine Zuhörer herangetragen. Befremdet bin ich dann, wenn ich die Handschrift eines Schreibers nicht erkenne, dann fehlt für meine Begriffe diesem Text etwas, die Persönlichkeit des Autors. Wobei ich bei mir festgestellt habe, dass das stilistische Herangehen an einen Text auch immer mit dem Thema zu tun hat. Oder meinst du, dass ich sehr oft das Enjambement einsetze? Das ist eine Stilfigur, und je mehr Stilfiguren ein Gedicht aufweist (ich benutze ja nicht nur diese Figur), desto farbiger wird ein Gedicht. Caty
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