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woitek

Beitragvon woitek » 03.08.2007, 06:54

Blick

Durch die Augen des Sohnes,
die Mutter, am Hörer des
Telefons, spricht mit den Toten.
Zuletzt geändert von woitek am 03.08.2007, 07:14, insgesamt 1-mal geändert.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 03.08.2007, 07:08

Hallo Woitek,

ich habe eine inhaltliche und eine web-technische Frage. Was bezweckt der Zeilenumbruch vor "Telefons"? Ist die Courier-Schrift nur bei mir so unleserlich dünn; kann man sie, als Kompromiss, einen Punkt größer machen oder fett gedruckt?

Ich bin jedenfalls neugierig, ich will tiefer in den Text einsteigen.


Cheers

Pjotr

woitek

Beitragvon woitek » 03.08.2007, 07:13

Hallo Pjotr,

Text wird eine Nummer größer gemacht.

"Telefons" springt um Erwartungshaltung des Lesers zu brechen, den unreinen Endreim zu vermeiden und klanglich in der letzten Zeile das "t" am anfang und am Ende zu haben.

Gruß
Woitek

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 03.08.2007, 15:55

Hallo Woitek,

danke für die Hilfe.

Ich weiß nicht sicher, ob Du mit der Assoziation Telefonstimme-Totenstimme spielen willst (siehe "t"), aber ich finde diese Idee reizvoll, weil bizarr. Gefällt mir. Obwohl ich der Einleitung (über "Blick") noch nicht ganz folgen kann ...


Salute

Pjotr

Hakuin

Beitragvon Hakuin » 06.08.2007, 14:51

in diesem fall fände ich eine inhaltliche erläuterung mal interessant,
das umseckdenken ist schon o.k. - finde, hier wird um den kreis gedacht.

salve
hakuin

woitek

Beitragvon woitek » 15.08.2007, 16:39

Hallo Hakuin,

aufrgrund technischer Probleme, in deren Folge ich nicht auf das Internet zugreifen konnte, meine Antwort erst heute.

Kurz zur Entstehensgeschichte:

Erinnerung an die Kindheit...Großmutter mütterlicherseits verstorben Ende November, nach schwerer Krankheit und halbjährlicher Qual bei uns zu hause...vor ihrem Tod ein Telefon erhalten, dass sie nie benutzen konnte...Wir hatten zu dieser Zeit noch keinen Telefonanschluss, doch meine Mutter "telefonierte" täglich (als eine Art Trauerbewältigung) mit der verstorbenen Großmutter, auf eben diesem schwarzen Telefon.

Gruß
Woitek

Ramona_L

Beitragvon Ramona_L » 21.08.2007, 19:21

... mich erschüttert dieser Text und ich muss ehrlich
gestehen, dass ich diese Art Trauerbewältigung furchtbar finde.

Meine ganz persönlichen Gedanken dazu ...

Ramona

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annette
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Beitragvon annette » 21.08.2007, 23:17

Hallo woitek,

nachdem ich Deine Hinweise zur Entstehungsgeschichte gelesen habe, hat sich meine Lesart des Textes deutlich verändert.

Mit dem Wissen um die zugrunde liegende Situation ist das Bild für mich eindeutiger, konkreter, realer: Ich sehe (mit dem Sohn) die Mutter mit der Toten telefonieren - mit einer einzigen, tatsächlich verstorbenen Person.

Vor Deiner Erläuterung hat die erste Zeile viel mehr Gewicht bekommen: Durch die Augen des Sohnes las ich als eine Interpretation, fast eine Vision des Sohnes, der die Mutter mit den Toten sprechen sah. Der Text spricht nicht von einer konkreten Toten, sondern allgemein von den Toten. Deshalb war mein Eindruck, dass der Sohn die Mutter entweder als Medium sieht, das seiner Meinung nach mit Toten Kontakt hatte (allerdings seltsam über Telefon) oder aber dass er die Kontakte der Mutter als in irgendeiner Weise morbide, wenig lebendig ansieht.

Zentral war für mich die Bedeutung der ersten Zeile: Ich las durch die Augen nicht als eine Sinneswahrnehmung sondern mehr als "von seiner Warte aus betrachtet".

Ist etwas holprig ausgedrückt, ich hoffe, der Unterschied ist nachvollziehbar.
Wenn es Dir wichtig ist, dass die Ursprungs-Situation im Text aufgehoben bleibt, würde ich auf jeden Fall "mit der Toten" (oder "mit einer Toten"?) sagen.

Meine Version:

Der Sohn sieht die Mutter
am Hörer des Telefons
mit einer Toten sprechen.

Wobei Du wahrscheinlich das letzte Wort (und nicht nur das) mit viel Bedacht gesetzt hast.

Ein sehr anregender Text (mit und ohne Erläuterung)!
Grüße - annette

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Beitragvon annette » 21.08.2007, 23:22

@Ramona: Warum findest Du diese Trauerbewältigung so furchtbar? Das Gespräch mit der Mutter finde ich eine sehr direkte, "gesunde" (sorry, schreckliche Formulierung) Art, sich mit dem Verlust auseinander zu setzen. Und dass dazu ein Instrument notwendig ist, finde ich nachvollziehbar. Wenn man mit jemandem sprechen will, den man nicht sehen kann, ist ein Telefon hilfreich, weil man beim Telefonieren das Gegenüber nie sieht. Oder hab ich was missverstanden?

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 22.08.2007, 11:53

Lieber woitek,

deine Erläuterungen sind in diesem Falle auch für mich für einen Kommentar wichtig.
Ich denke, annette hat gut eingekreist, wie es dem Leser ergeht.
Ich finde ihre Version allerdings reizloser, ich würde vielleicht nur das Ende wie sie sagt variieren, das finde ich gut:

Blick

Durch die Augen des Sohnes,
die Mutter, am Hörer des
Telefons, spricht mit der Toten.

Es ginge vielleicht auch

Großmutter

Blick durch die Augen des Sohnes,
die Mutter, am Hörer des
Telefons, spricht mit der Toten.

oder ein ähnlich verweisender Titel? Aber das Teelfonkabel, was sich durch die Familie zieht in der Trauer...ist eigentlich gut...@bisheriger Titel..vielleicht daher so?


Blick

Durch die Augen des Sohnes,
die Mutter, am Hörer von Großmutters
Telefon, spricht mit der Toten

oder


Blick

Durch die Augen des Sohnes,
die Mutter, am Hörer von
Großmutters Telefon, spricht mit der Toten.

oder so etwas...~~ richtige Variante vielleicht noch zu finden.

Ich würde hier auch den Text etwas mehr für den Leser öffnen, was das konkrete Erzählen angeht....in diesem Fall..


Ramona: Ich teile annettes Unverständnis - natürlich kann solch eine Trauerbewältigung ins Pathologische abdriften, wenn man "davon nicht mehr lassen kann"; aber erst einmal ist es doch eben eine Art, damit klar zu kommen, und wenn für einen erschöpflich und erträglich, dann auch doch angemessen. Das Unheimliche daran ist glaube ich Kondensat aus der eigenen Angst und ein "das tut man nicht", was nur von anderen antrainiert ist, aber keinen eigenen Erfahrunshorizont besitzt.


Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Hakuin

Beitragvon Hakuin » 22.08.2007, 12:08

hallo woitek,

wenn das der kontext ist:

vor ihrem Tod ein Telefon erhalten, dass sie nie benutzen konnte...Wir hatten zu dieser Zeit noch keinen Telefonanschluss, doch meine Mutter "telefonierte" täglich (als eine Art Trauerbewältigung) mit der verstorbenen Großmutter, auf eben diesem schwarzen Telefon.

und hierin soll obiges abgebildet werden:

Durch die Augen des Sohnes,
die Mutter, am Hörer des
Telefons, spricht mit den Toten.

...dann ist die frage, für wen du es schreibst.
als nichtkontextwissender ein nichtzuleistender transfer.

die setzung:

Durch die Augen des Sohnes,
die Mutter,
am Hörer des Telefons,
spricht mit den Toten.

würde die inhaltliche lesart untestützen, nicht zum verstehen führen.


kein anschluss
mutter spricht
ins jeseits

...

wie wäre der versuch, deinen klartext mehr ins gedicht zu gießen:
das unangeschlossene telefon, was ja omas ist, mit dem nun oma im jenseits erreicht wird.

salve
hakuin


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