Vor Zeiten

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Perry

Beitragvon Perry » 09.07.2007, 16:15

Faul lag der Tag
in Gänseblümchen

Von Westen drohten
dunkle Riesen

Mutter steckte Wetterkerzen
ins gefaltete Gebet

Mit Donnerschritten
kamen sie

stießen Blitze
ins Gemäuer

bis Asche fiel
auf unsere Häupter

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 10.07.2007, 13:35

Lieber Perry,

da sind für mich tolle Formulierugnen drin, vor allem gleich die ersten beiden Verse! Die sind für mich sprachlich einen Genuss. Auch finde ich, dass der text sich leicht in Bildern bewegt, ohne zuviel zu wollen und doch erzählt.

Ich glaube aber, er möchte, was die Setzung angeht, noch etwas freier sein dürfen?

So vielleicht ~~ ?



Vor Zeiten

Faul lag der Tag in Gänseblümchen
von Westen drohten dunkle Riesen

Mutter steckte Wetterkerzen, ins gefaltete Gebet

Mit Donnerschritten kamen sie, stießen Blitze ins Gemäuer
bis Asche fiel; auf unsere Häupter


Man könnte auch überlegen, weil rhythmisch feiner angebunden und auch inhaltlich interessant ob man die letzten beiden Verse nicht zusätzlich tauschen könnte:

Vor Zeiten

Faul lag der Tag in Gänseblümchen
von Westen drohten dunkle Riesen

Mutter steckte Wetterkerzen, ins gefaltete Gebet

bis Asche fiel; auf unsere Häupter
mit Donnerschritten kamen sie, stießen Blitze ins Gemäuer


~ nur so Ideen.

Ein Text, der fürm mich auf feine Art "anreißt", was einem "anderen", der der Leser ja ist, nur schwer zu erzählen ist.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Perry

Beitragvon Perry » 10.07.2007, 16:38

Hallo Lisa,
freut mich, dass dich meine Kindheitserinnerungen ansprechen konnten.
Deine Formulierungsvorschläge werde ich gerne überdenken. Weil der Text in einer übertragenen Ebene auch von Krieg spricht, brauche ich den beschrieben Ablauf. Den Krieg habe ich zwar selber nicht erlebt, möchte ihn aber als Steigerung kindlichen Ausgeliefertseins gegenüber den dunklen Mächten mit impliziert haben.
Danke und LG
Manfred

Trixie

Beitragvon Trixie » 10.07.2007, 17:08

Hallo Manfred!

Ich kann die Setzung nachvollziehen! Es sind wie einzelne Passagen, die wieder die nächste Passage hervorrufen an Erinnerungen. Es ist wie eine gleichmäßige Kette, das finde ich in Ordnung! Klar, man kann spielen, aber so finde ich es auch "richtig". Ich finde es an sich originell mit traditionell vermischt und es spricht mich an! Der Krieg ist hier nicht unbedingt im Vordergrund, aber es schön, wenn man da noch eine zweite Interpretationsebene so offen vor sich hat!

Liebe Grüße
Trixie

PS: Den Titel find ich toll! Das wollt ich auch noch sagen, und zwar völlig ohne Begründung. Er hat mich dazu gebracht, das Gedicht überhaupt anzuklicken, ganz spontan!

Perry

Beitragvon Perry » 10.07.2007, 20:23

Hallo Trixie,
danke, dein Komm trifft meine Intention hundertprozentig.
Das "Vor Zeiten" gab mir den nötigen Abstand, um diese Zeilen loslassen zu können.
LG
Manfred

lagunkel

Beitragvon lagunkel » 11.07.2007, 22:26

Lieber Perry,

ich musste ganz arg schlucken, als ich deinen Text las. Ich hatte sofort ein schrecklich beklemmendes Gefühl und Bilder von zebombten Städten und weinenden Kindern im Kopf.
Das hat mich irgendwie ganz unerwartet getroffen jetzt.

Ich finde es wahnsinnig gut gezeichnet, dieses Idyll am Anfang. Gerade Gänseblümchen sind hier unabdingbar, finde ich - es gibt da, glaub ich, keine passendere Blume.
Ab Strophe kann nur noch Unheil kommen und das Ende ist so zweideutig.
Grandios.

Das gehört in den Leuchtkasten!

ganz berührte Grüße

Rebekka

Perry

Beitragvon Perry » 12.07.2007, 10:49

Hallo Rebekka,
ein wenig stecken diese (Kinder)Ängste wohl in allen von uns. Im Alter gelingt es uns nur leichter sie zu verdrängen.
Freut mich, dass dir die Zeilen gefallen haben. Das Gedicht steht übrigens auch in meinem neuen Gedichtband, der gerade gedruckt wird. Sobald er ausgeliefert wird, werde ich ein wenig was dazu im Forum schreiben.
Danke und LG
Manfred

Gast

Beitragvon Gast » 12.07.2007, 22:38

Lieber Perry,

das gefällt mir sehr gut, ich werde von der Stimmung des Gedichts eingefangen.
Was die Setzung angeht so würde mich Lisas eher ansprechen, allerdings nicht in gekürzter From.

Liebe Abendgrüße
Gerda

Perry

Beitragvon Perry » 12.07.2007, 23:37

Hallo Gerda,
freut mich, dass dich die Stimmung des Textes berühren konnte.
Danke fürs Gefallen und LG
Manfred

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 16.07.2007, 15:09

eine kindheitserinnerung? wenn "ja" dann gut.

gruß
chiqu.

Max

Beitragvon Max » 16.07.2007, 20:27

Lieber Perry,

das sind gute Bilder, sehr gelungen.

Bei der letzte Strophe frage ich mich, ob sie nicht auch

bis auf unsere Häupter
Asche fiel


heißen könnte, für mich klänge das stärker.

Liebe Grüße
Max

scarlett

Beitragvon scarlett » 16.07.2007, 21:12

Hallo Manfred,

da kann ich mich meinen Vor-Schreibern ;-) nur anschließen.

Diese Zeilen haben mich sehr angesprochen und tief berührt.

Danke für dieses Gedicht!

s.

P.S. Max`Vorschlag würde ich überdenken, der hat was, Perry, das Ende wäre wohl wirklich noch um eine Nuance stärker.

Perry

Beitragvon Perry » 16.07.2007, 22:17

Hallo ihr Lieben,
danke für euere zustimmenden Worte. Der Grund für die gewählte Reihenfolge liegt in der Lautfolge Gemäuer / Häupter am Ende der letzten beiden Strophen.
LG
Manfred


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