Der Fremde (vorher: der Zigeuner)

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
scarlett

Beitragvon scarlett » 08.06.2007, 23:28

Der Fremde

Als der Zigeuner kam
mit seinen Kupferworten
und dunkelfallendem Blick
trug ich mein Herz verschlossen
hinter den Lippen fand er´s nicht

Sein Lachen traf
mein helles Auge
zersplitterte den Tag
und nahm mich mit
über tausend
bunte Scherben
ging ich stumm -
es glühte mein Schritt

In seinem Sonnenzelt
jenseits der tiefen Wälder
und im goldsteigenden Licht
brannte er Lippenschlüsselworte
sowie mein Herz an sich...

Erste Version:

Als der Zigeuner kam
mit seinen Kupferworten
und dunkelfallendem Blick
trug ich mein Herz verschlossen
hinter den Lippen fand er´s nicht –

Sein Lachen traf
mein bebend Auge
zersplitterte den Tag
und nahm mich mit
über tausend bunte Scherben
folgte ich stumm
mit glühendem Schritt –

In seinem Sonnenzelt
jenseits der tiefen Wälder
im frühen goldsteigenden Licht
brannte er Lippenschlüsselworte
und nahm mein Herz an sich...


scarlett, 2007
Zuletzt geändert von scarlett am 12.06.2007, 09:18, insgesamt 3-mal geändert.

scarlett

Beitragvon scarlett » 12.06.2007, 08:20

Liebe Gerda,

merci für die Rückmeldung zu meinem Text.

Gerda Jäger hat geschrieben:Womit ich zu Beginn ein kleines Problem habe, ist das "Als". Denn das hört sich so an, als habe das Lyrich auf den Fremden gewartet. Soll es so sein?


Nein, das soll nicht so sein. Das "als" als temporale Konjunktin soll lediglich das Ganze in der Zeit situieren, bezeichnet den Zeitpunkt, als das alles geschah, nicht mehr und nicht weniger.

Gerda Jäger hat geschrieben:
Was mir später nicht so ganz gefällt sind die Lippenschlüssleworte und nicht nur weil das zusammengesetzte Substantiv mit 6 Silben etwas sperrig wirkt, sondern weil "Lippen" und auch "Schlüssel" wiederholt wird.("Herz" ebenso )
Ich finde dass diese "Lippenschlüsselworte", ein Mittel sein können um das Herz des Lyrich zu gewinnen. Ich sehe keinen Sinn darin, dass das Du, die Lippenschlüsslworte an sich brennt.
(Spielst du auf "Brandzeichen" an ?)


Ja, auch an den "Lippenschlüsselworten" scheiden sich offenbar die Geister.
Genaugenommen wiederholt sich ja Schlüssel nicht, das verschlossen des ersten Verses wird wieder aufgegriffen mit dem Schlüssel.
Ich wollte mit dem Wort eine Art Zusammenfassung, Synthese herstellen.
Das was vorher verschlossen war, wird durch die richtigen Worte geöffnet und somit der Zugang zum Herz frei.
"Brandzeichen" ist ein gutes Wort in diesem Zusammenhang.
Allerdings brennt das Du nicht die Worte an sich sondern das Herz - es brennt - schmiedet, schweißt, findet, stellt her die Worte, durch die ihm ein Zugang erst möglich wird.

Gerda Jäger hat geschrieben:Ich möchte aber zu Vers 2 noch etwas anmerken, denn den habe ich bisher übersprungen.
Was hat es mit dem "vom Auge zersplitterten Tag " auf sich? Für mich hört sich das nach Gefahr - unheilvoll an - will nach dem Eindruck, den ich habe, nicht so recht in den Kontext passen.


Das Lachen zersplittert den Tag - zerstört also die für das lyrIch bisher festgesetzte Ordnung, bricht sie auf.


Gerda Jäger hat geschrieben:Dann ist da der "glühende Schritt", wie habe ich mir diesen vorszustellen? Sind es nicht eher die füße/ oder die Fußsohlen, die brennen? Ich meine Schritt hat auche Bedeutung als Körperteil, aber das wirst du nicht meinen - oder? Gesetzt den Fall du meinst die Bewegung, (den Schritt über die bunten Scherben), wie soll dieser glühen?


Ich meine, daß jeder Schritt, den das lyrIch über die Scherben geht, glüht/brennt/weh tut - aber das sol auch etwas über die Erwartungshaltung/Freude/Ahnung/das Ergriffensein des lyrIch aussagen. Es ist bereits "erglüht", auch wenn es noch "stumm" bleibt.

Es sind so viele interessante Worte, die vielleicht zu sehr schmücken und nicht so sehr Inhalt tragen. Alles in allem lässt mich dieseer Text doch etwas ratlos zurück, nach anfänglicher Einvernahme. :confused:
[/quote]

Das tut mir leid, Gerda, mir erscheint der Text schon durchdacht und das bis auf die Gestaltung der einzelnen Strophen hinein. Das Zersplitterte, die Scherben finden z B in der S2 auch ihren formalen Niederschlag, die gesamte S ist auch formal ganz anders gehalten als die erste und letzte.
Womit du aber sicherlich nicht ganz unrecht hast, ist das vielleicht zu opulente in diesem Gedicht, wie auch schon pandora anmerkte. Aber auch das hat irgendwo seinen Sinn, findet eine Entsprechung, wenn man den ursprünglichen Kontext mitberücksichtigt.

Danke nochmals für die Beschäftigung mit diesem Text und deine HInterfragungen und Anregungen.

Grüße,

scarlett

scarlett

Beitragvon scarlett » 12.06.2007, 08:33

Liebe Elsa,

ich habe mich über deine Zeilen gefreut. Danke dir fürs Lesen meines Gedichtes und für deine Gedanken dazu.

Elsa hat geschrieben:Wenn ich nicht wüsste, dass ein Roma gemeint war, würde ich das hier nicht mehr erkennen können. Daher rätsle ich über die Bedeutung des wohlklingenden Wortes: Kupferworte. Solange es ein "Zigeuner" war, kam ich klar damit, komisch irgendwie. Aber der Fremde lässt mich nicht ran an das Wort.


Völlig richtig, völlig korrekt bermerkt, Elsa, das ganze Gedicht ist mir jetzt irgendwie "verhunzt". Ich werde trotz allem und jetzt erstrecht den "Zigeuner" in der ersten Verszeile wieder einführen, den Titel allerdings nicht ändern.

Elsa hat geschrieben:Was nun, nahm er sie mit oder folgte sie stumm? Das scheint mir ein Widerspruch zu sein.


Das ist ein völlig berechtigter Einwand und ich verstehe jetzt erst auch, was pandora in diesem Zusammenhang gemeint hat (ich hatte pandoras HInweis nur auf das "stumm" bezogen). Natürlich ist das irgendwie ein Widerspruch- ich ändere es in "ging".

Elsa hat geschrieben:Die letzte Strophe bedeutet wohl, dass LyrIch geht tatsächlich mit ihm mit und verbrennt ihr Herz dabei?


Na ja, warum nicht? Wäre auch eine mögliche Lesart....wenn auch nicht die von mir ursprünglich interndierte.

Elsa hat geschrieben:Wobei ich nachdenke, was Lippenschlüsselwörter sein könnten. Ein Schlüssel, der endlich die Lippen des LI öffnetn, nicht wahr? Und damit wird auch das Herz offen. Ich glaube, das meinst du?


Ja, so hatte ich das gedacht.

Über die Verkürzung, deinen Vorschlag zur letzten S werde ich nachdenken, Elsa, er erscheint mir sinnvoll. Zumal ja alle Kommentare irgendwie das Überbordende des Textes angesprochen haben.

Hab lieben Dank und Grüße,

scarlett

scarlett

Beitragvon scarlett » 12.06.2007, 08:44

Liebe leonie,

auch dir ganz lieben Dank fürs Lesen und deine Gedanken zu meinem Text.

leonie hat geschrieben: in der zweiten Fassung würde ich überlegen, ob Du in der ersten zeile das "Dieser Fremde" nicht durch "er" ersetzt. Dann hast Du die Doppelung mit der Überschrift nicht.


Das ist eine gute Idee, allerdings habe ich mich entschlossen, in der ersten Verszeile den Fremden wieder "zurück zu ersetzen".

leonie hat geschrieben:Der Schluss gefällt mir in der ersten Version besser. Jetzt frage ich mich, wie man ein Herz an jemanden oder etwas brennen kann.


Das geht natürlich nicht 1:1, schon klar. Die Idee dahinter ist das binden -aber das war mir zu schwach. Außerdem wollte ich im Bild bleiben (Kupferworte waren es ja am Anfang), und Kupfer kann man schweißen, schmieden, hämmern ... und da war der Schritt zum brennen, hat ja alles mit Feuer zu tun.

Liebe Grüße,

scarlett

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Beitragvon Elsa » 12.06.2007, 08:52

Liebe Scarlett

Elsa hat geschrieben:Aber der Fremde lässt mich nicht ran an das Wort.


Völlig richtig, völlig korrekt bermerkt, Elsa, das ganze Gedicht ist mir jetzt irgendwie "verhunzt". Ich werde trotz allem und jetzt erstrecht den "Zigeuner" in der ersten Verszeile wieder einführen, den Titel allerdings nicht ändern.
Würde ich befürworten. In Wien sagt man auch Zigeuner und es ist nicht abwertend gemeint. Auch die Zigeuner sagen das und nennen sich so im Gespräch, und ich zähle einige zu meinen Freunden aus der Musikszene. Sie sagen es stolz.
"A Zigeina mecht i sei!" :-) sang Andre Heller. Kennst du das Lied?

Lieben Gruß am Morgen,
ELsa
Schreiben ist atmen

scarlett

Beitragvon scarlett » 12.06.2007, 09:12

Lieber Max,

in keiner meiner Zeilen wird "despektierlich" über die Vertreter dieser Gruppe geredet, im Gegenteil.
Und ich frage nochmal, wie schon im letzten posting an dich, wo siehst du die Klischees? Du hast den "dunkelfallenden" Blick als "glühenden Blick" oder so ähnlich gelesen - dazu habe ich was geschrieben. Ich sehe darin überhaupt kein Klischee - vom "glühenden Schritt" des lyrIch ist die Rede.
Und es ist davon die Rede, daß dieser Fremde Zugang zum lyrIch findet über eine besondere Sprache, über Worte.

max hat geschrieben:(jedenfalls sehe ich keine Distanz, kein ironisches Arbeiten oder dergleichen).


Nein, das kannst du auch nicht sehen, da es in keinster Weise intendiert war, Ironie hat in diesem Fall hier nichts verloren.

max hat geschrieben:Ich kenne Strittmatters Gedicht "Der Zigeuner kommt nicht" nicht, aber ich verspreche Dir, dass mich bei einer solchen Kritik kein Name, schon gar nicht "Strittmatter" abhält :-).


Strittmatters Gedicht trägt nicht diesen Titel, aber das tut eigentlich auch nichts zur Sache. Ich wollte damit nur anführen, dass es sehr wohl Beispiele gibt (und deren noch mehr), in denen in keinster Weise dieses Wort abwertend oder diskriminierend verwendet wird. Es kommt ja wohl schon auch noch auf den Zusammenhang, den Inhalt drauf an.
Außerdem würde es mir sicherlich auch nicht einfallen, in einem anderen als dem "literarischen" oder "poetischen" Sprachgebrauch dieses Wort zu verwenden.

Es war mir trotz allem sehr wichtig, mich mit den geäußerten "Bedenken" auseinanderzusetzen - das hatte ich zwar vorher auch schon, so ist das ja nicht, ich bin ja auch nicht grad von gestern. :smile:
Trotzem bleibe ich zwar bei dem geänderten Titel, aber in der ersten Verszeile kehre ich zum Ursprünglichen zurück, da sonst das ganze Gedicht keinen Sinn mehr macht.

Liebe Grüße,

scarlett

P.S. Es sind nicht "ziehende Gauner" sondern höchstens "fahrendes Volk" - schon ein Unterschied, meinst du nicht? ;-)
Zuletzt geändert von scarlett am 12.06.2007, 09:16, insgesamt 1-mal geändert.

scarlett

Beitragvon scarlett » 12.06.2007, 09:15

Ja, liebe Elsa, das kenne ich und noch einige mehr... ;-)

Danke für deinen Zuspruch und deinen Blick auf diese "Problematik", der sich offensichtlich mit meinem deckt!

Grüße,

scarlett

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 12.06.2007, 10:37

Hallo Scarlett!

Ich denke, die letzte Fassung ist es :smile: "Fremd" im Titel, "Zigeuner" im Text ist genau richtig. Und auf das "bebend" zu verzichten, war sicher auch die richtige Entscheidung ("O bebe, meine Seele / o taumle, mein Verstand / ich fühle, wie sich nahet / des kalten Todes Hand" - :mrgreen: Fällt mir da immer ein, ist aus einem Comic). Die "Problematik" ist in meinen Augen nicht wirklich eine.

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

scarlett

Beitragvon scarlett » 12.06.2007, 11:04

Hallo ferdi,

schön, das freut mich, daß das Gedicht für dich jetzt besser rüberkommt.
Und ja, du hast sicher recht damit, daß die "Problematik" nicht wirklich eine ist ... :)

Ich danke dir für die Rückmeldung!

Liebe Grüße,

scarlett

Max

Beitragvon Max » 12.06.2007, 20:57

P.S. Es sind nicht "ziehende Gauner" sondern höchstens "fahrendes Volk" - schon ein Unterschied, meinst du nicht? ;-)


Liebe Scarlett,


vermutlich ist das mein Fehler. Ich kannte nur die herkömmliche (aber wohl falsche) Ableitung "Zigeuner = Zieh-Gäuner= ziehende Gauner". Nun findet Wikipedia (sic @Mucki) es käme aus dem Ungarischen cigany und da ich nur 3 Wörter Ungarisch spreche und auch Wikipedia die Übersetzung nicht kennt, bin ich damit draußen ....

Danke für den Hinweis.

Liebe Grüße
max

scarlett

Beitragvon scarlett » 12.06.2007, 23:21

Welche drei Wörter sind das denn Max? :-)

scarlett


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