Wir 2

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
moshe.c

Beitragvon moshe.c » 09.05.2007, 22:44

Wir 2

Als ich endlich still war
spürte ich noch
Sehnsucht
nach Mutter,
den Anfang des Wasserfalls,

hörte noch diesen Menschen
brüllen.

Ich sollte Vater sagen.

Nie wieder sah ich ihn,
aber ahnte
eine warme Hand.

Die Kissen waren hart,
das Brot so trocken
und kein Tag hörte auf.

Kein Tag hörte auf.

Kein Tag hört auf.

Kein Wort hört auf.

Kein Satz, keine Stimme,
nicht ein Krumen fällt zusätzlich
mir zu.

Still bin ich noch
und lausche
nach einer Vogelstimme,
nach einem Wort mehr..........

Nur das bekannte
Rauschen höre ich.

Kannst du
mir vom Meer
singen?
Zuletzt geändert von moshe.c am 10.05.2007, 20:25, insgesamt 1-mal geändert.

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leonie
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Beitragvon leonie » 10.05.2007, 19:56

Lieber moshe,

das ist schön geworden. Es berührt mich sehr. Ich kann nicht viel mehr dazu schreiben. Nie wieder würde ich auseinander schreiben. Und ganz stark finde ich den Zeitwechsel hier, wo Du das Vergangene in die Gegenwart ziehst, hineinnimmst.


Kein Tag hörte auf.

Kein Tag hört auf.

Kein Wort hört auf.



Für mich finde ich ein "Sich-Finden" und eine Sehnsucht zugleich darin.

Liebe Grüße

leonie

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 10.05.2007, 20:25

Liebe Leonie!

Du bringst es auf den Punkt.
Schön, daß du es empfinden kannst.

Das 'Niewieder' trenne ich. Es ist in der Tat besser so.

Mit bestem Gruß

Moshe

Max

Beitragvon Max » 10.05.2007, 20:55

Lieber Moshe,

das ist gut!

Mir gefällt das beinahe Gebestartige an

Kein Tag hörte auf.

Kein Tag hört auf.

Kein Wort hört auf.


aber auch die kleinen Dinge, die du findest und in die Geschichte webst, die Krumen, die Vogelstimem und das Meer. Das könnte ich mir auch gut in der Hörbar vorstellen, oder nicht?

Liebe grüße
max

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 10.05.2007, 21:37

Lieber Max!

Heute ist ein besonderer Tag!

Dir gefällt ein Gedicht von mir, ohne daß du mich fragst, wie es zu verstehen sei.

Wer von uns beiden hat sich verändert?

Natürlich wird es in der Hörbar kommen!

Einen gute Tag wünscht
Moshe

Max

Beitragvon Max » 10.05.2007, 21:39

Lieber Moshe,

ich bin ein Steiln und verändere mich nie ;-).

Liebe grüße
max

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 10.05.2007, 22:04

Lieber Max!

Es ist das Vorrecht der Jugend ein Empfinden zu haben, sich NIE zu verändern.
Es spricht sehr für dich, dieses so zu sehen, denn es bedeutet, daß dir Treue ein hohes Gut ist.

Dennoch ergeben sich Veränderungen im Leben, so wie dir ja auch ein älteres Getränk oft lieber ist, als ein gerade entstandenes.

Selbst Steine verändern sich und werden älter. Jeder Geologe wird dir darüber eine Auskunft geben.

Glaubst du wirklich, daß du in füntzig Jahren noch der Gleiche bist wie heute?

Mein Gedicht hier, hätte ich vor zwanzig Jahren nicht schreiben können, weil mir die Distanz zu den Umständen gefehlt hätte.

Mit liebem Gruß

Moshe

Louisa

Beitragvon Louisa » 13.05.2007, 22:22

*räusper :smile:

(Kennt ihr das hier:)

Das Wiedersehen
Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: „Sie haben sich gar nicht verändert.“ „Oh!“ sagte Herr K. und erbleichte.
(Brecht)


Lieber Moshe,

ich mag Dein Gedicht ebenfalls und möchte die Dinge hervorheben, die mir sehr gut gefallen haben:

nach Mutter,
den Anfang des Wasserfalls,



(Obwohl...müsste es nicht heißen "dem" ? Oder meinst Du gar nicht die Mutter sei der Anfang des Wasserfalls?)


Alle folgenden Stellen ab dieser Strophe hier überzeugen mich auch sehr:

Die Kissen waren hart,
das Brot so trocken
und kein Tag hörte auf.

(und so weiter....)


Bei dem Vater-Abschnitt zuvor ist es mir ein bisschen zu ungenau...mm...ich kann gar nicht genau erklären, was mich daran ein kleines bisschen stört. Aber das sind ja auch nur vier Zeilen...

Sonst ist Dir das sehr gut gelungen, dieses ganze Leben, die Verletzungen und die Familie bis zu eben diesem "Wir", dass fast wie eine letzte Hoffnung wirkt, zu beschreiben.

Schön!

Liebe Grüße!
l

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 13.05.2007, 23:14

Liebe Madame l !

Es ist mir eine Freude diese kleine Episode von Brecht mal wieder zu sehen.

Die Mutter meinte ich nicht explitit als Wasserfall, aber auch.

Der Vater, ja der, hm, der ungenaue, der, der so ungebekannt irgendwie bleibt....

Sollte ich den wirklich verdeutlichen, bei seinem frühen Abschied und niemaligem Wiedererscheinen?
Vielleicht stört ja der Umstand als solches. Aber daran lies sich nichts ändern, so sehr ich es gewünscht hätte.
Man beachte hier eine gewisse Verachtung den Personen gegenüber, die das gleiche Geschlecht mit mir teilen.

[i]-----------------------------------

Liebe Louisa! Ich kann nicht alles verfolgen, hoffe aber sehr, daß du durch alle Prüfungen gut durch bist. Habe Finger gehofft und mein rechter Zeigefinger ist ein wenig wund. Hm?

-------------------------------------[/i]


P.S.: Gibt noch was in der Werkstatt an Weiterführung dazu.

Mit bestem Dank
immer noch die Zitrone

Moshe

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 14.05.2007, 01:17

Lieber Moshe,

großartig, wie du den Kreis von der Geburt - in welchem das LI über sich selbst erst in Ich-Form, dann in dritter Person schreibt - den Bogen über die Beziehung des LIs zum Vater, dann die harte Zeit bis zum Jetzt spannst, um dann am Schluss die Sehnsucht des LIs auszudrücken auf die Zeit vor der Geburt. Das ist klasse.

Kannst du
mir vom Meer
singen?


Wunderbar!
Saludos
Mucki

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 14.05.2007, 13:30

Danke Mucki!

Moshe


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