Es ist spät, viel zu spät

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Perry

Beitragvon Perry » 01.05.2007, 17:41

Es ist spät, viel zu spät


Im Glas ein Rest Shiraz
ausgeblutete Trauben
Messer und Gabel
gekreuzt auf dem Teller

Morgen beginnt ein neuer Tag
was sollte ihn hindern
Die Welt stand auch nicht still
als du gingst


1. Fassung:

Es ist spät, viel zu spät


Im Glas ein Rest Shiraz
ausgeblutete Traubenmaische
Messer und Gabel
gekreuzt auf dem Teller

Morgen beginnt ein neuer Tag
was sollte ihn hindern
Das Leben machte auch keine Pause
als du gingst
Zuletzt geändert von Perry am 03.05.2007, 09:54, insgesamt 1-mal geändert.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 02.05.2007, 20:27

Lieber Perry,

die Spanne, die der Titel umfasst, gefällt mir sehr gut. Auch denke ich, dass der Text seine Aussage klar rüberbringt:

Gekreuztes Besteck: lyr. Ich ist noch nicht fertig/hat noch nicht genug gespeist (übertragen gelesen), das Du aber ist schon vorher gegangen bzw. (s.u.) die eigene Zeit ist vor Beendung des "lebens"mahles zuende.

Logisch frage ich mich, ob das Fortgehen nicht doppelt erzählt wird? Denn die nicht entstandene Pause des Lebens wird ja als Vergleich herangezogen...die Pause müsste aber, handelte es sich um einen am Esstisch noch vor Mahlende sitzen gelassenen Menschen, jetzt erst einsetzen? Oder bezieht sich das ganze auf "Tod" und jetzt ist das lyr. ich dran und schon einige Zeit früher das Du?

Über die Formulierung "machte auch keine Pause" würde ich noch nachdenken, ich glaube, man könnte die Aussage noch etwas poetischer erzählen - "hielt nicht inne?" oder etwas noch anderes? ein neues Bild vielleicht?

"Morgen beginnt ein neuer Tag, was sollte ihn hindern" finde ich sprachlich schlicht und sehr gelungen.

Insgesamt mag ich an diesem Text von dir, dass deine Art Bilder durchzuziehen nicht zu dominant wirkt - das Bild sticht nicht so stark hervor, dass es zu stark ist, um übertragen gelesen zu werden, vermisse aber auch ein wenig ein "wirklich" berührt werden...

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Max

Beitragvon Max » 02.05.2007, 21:01

Lieber Perry,

mein erster Eindruck war schon gestern: Das gefällt mir und nicht nur, weil in den ersten Zeilen gleich ein Shiraz steht ;-).
Was mir besonders eindrücklich ist, ist dass Du die Anzeichen des Vergehens und die Anzeichen für ein "Weiter" immer wieder im Text auftauchen lässt, so bei

ausgeblutete Traubenmaische


(fürs Vergehen) und

Messer und Gabel
gekreuzt auf dem Teller


für ein Weiter (jedenfalls liegen sie dann bei uns so ;-) ).

Zwei Kleinigkeiten:
Bei
ausgeblutete Traubenmaische

frage ich mich, ob es der Trauben bedarf - man würde doch sonst auch keine andere Maische damit verbinden - oder umgekehrt könnte vielleicht die Maische weg, dann wird es eleganter.

Bei
Morgen beginnt ein neuer Tag


habe ich gleich gefragt: wenn es "spät, viel zu spät" ist - und das nicht nur für das Zusammen, das im gedicht auch beschreiben wird, dann ist die Frage, ob das Morgen auch ein Morgen ist oder nicht schon eher ein Heute. Wäre "bald" auch ok?

Liebe Grüße
Max

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leonie
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Beitragvon leonie » 02.05.2007, 22:09

Lieber Manfred,

mir gefällt das auch, nciht nur, weil es mir wieder einmal Gelegneheit gab, eine Wissenslücke zu füllen (trinke halt lieber Bier).
Ich habe bei dem gekreuzten Besteck auch noch an gekreuzte Klingen gedacht.

Gern gelesen

leonie

Perry

Beitragvon Perry » 03.05.2007, 08:22

Hallo Lisa,
danke fürs "mögen" des Textes und deine ausführliche Auseinandersetzung mit ihm. Der Titel deutet schon ein wenig an, das es zwei Sichtweisen gibt. Eine, die das Bild eines Abschieds nach einem Abendessen zu malen scheint und eine tiefergehende, die den Tod eines geliebten Menschen beklagt. Das "ausgeblutet" und "gekreuzte Besteck" sollen Hinweise auf das "zu spät" geben.
Was den nüchternen Ton angeht, ist es die scheinbar distanzierte und ironische Art des Lyrichs sich mit seinem Schmerz und dem Schicksal auseinander zu setzen.
Deine Anregung zur "Pause" werde ich gerne überdenken.
LG
Manfred

Hallo Max,
danke auch dir fürs genaue Lesen. Die ausgeblutete Traubenmaische habe ich neben der Symbolik für die verlorene Liebe deshalb so ausführlich beschrieben, weil vermutlich nicht jeder sofort Shiraz als Wein einordnen kann und Maische auch bei bei Bier etc. verwendet wird. Ich denke aber gerne nochmal über eine Verdichtung nach.
Das gekreuzte Besteck bedeutet nach Knigge, das der Gast noch nicht fertig gegessen hat, hier kann es übertragen vielleicht bedeuten, dass das Lyrich den Abschied/Verlust noch nicht verarbeitet hat und deshalb das Morgen/Schicksal anklagt. Für das Lyrich scheint es ein Morgen zu geben, doch für die verlorene Liebe ist es "viel zu spät."
LG
Manfred

Hallo leonie,
danke für deine Einschätzung. Ja, gekreuzte Klingen wären vielleicht auch eine Interpretation, die den inneren Kampf des Lyrichs zwischen Schmerz und Einsicht symbolisiert.
LG
Manfred

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 03.05.2007, 10:32

Lieber Perry,

Version 2 gefällt mir gut...warum hast du das "maische" gelöscht? (Ich glaube, mir gefällt das aber so).

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

scarlett

Beitragvon scarlett » 03.05.2007, 10:46

Hallo Manfred,

die 2. Version empfinde ich als rundum gelungen!

Die Idee mit dem gekreuzten Besteck ist toll - immer wieder habe ich mir gedacht, welch "normale" fast banale Erscheinung des Alltags und was für eine Wirkung erreicht dieses Bild in einem entsprechenden Kontext!

Liebe Grüße,

scarlett

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 03.05.2007, 10:48

Lieber Manfred,

eine gelungene 2. Fassung.

Dass die Welt nicht still stand ist viel eleganter als die Pause.

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

Perry

Beitragvon Perry » 03.05.2007, 20:53

Hallo Lisa,
danke fürs Feedback. Den Vorschlag die Maische wegzulassen habe ich als Anregung von Max gerne aufgenommen.
LG
Manfred

Hallo Scarlett,
danke für deine Bestätigung und LG
Manfred

Hallo Elsa,
ja ich fand auch, dass die Welt (des Lyrich) es besser trifft, als eine Pause des Lebens.
Danke fürs "gelungen" und LG
Manfred

Max

Beitragvon Max » 03.05.2007, 21:15

Liebe Lisa,

*lac h* eben: ICH habe vorgeschlagen, die Maische wegzugießene ;-) Wie konntest Du das denn übersehen?

liebe Grrüße
max


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