moldawische schwestern

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Perry

Beitragvon Perry » 02.04.2007, 15:34

2. Fassung:
moldawische heimat


nicht weit von der festung / saßen sie
schwestern zwischen erinnerungen / alles blühte
ringsherum

von ihrer stadt am nistru / sprachen sie
von vaters dominanz / mutters stille
ihren wilden brüdern

über die flucht mit der eisenbahn / redeten sie
die legende vom weißen storch / den neuanfang
im fernen land

im hohen gras, schwarzerde / spielten sie
noch einmal fangen / in ihren wäldern, codrii
bevor sie heimfuhren in die fremde


1. Fassung:

moldawische schwestern


am hohen ufer, frühling / nicht weit von der festung
saßen sie zwischen erinnerungen / alles blühte
ringsherum

von ihrer stadt am nistru / sprachen sie
von vaters dominanz / mutters stille
ihren ungestümen brüdern

über die flucht nach deutschland / redeten sie
die legende vom weißen storch, hoffnung / den neuanfang
im fernen land

im hohen gras, schwarzerde / spielten sie
noch einmal fangen / in ihren wäldern, codrii
bevor sie zurückfuhren in die fremde


*) Die Stadt heißt Soroca. Der zentrale Teil Moldawiens, wird umgangssprachlich auch Codrii („die Wälder“) genannt.
Zuletzt geändert von Perry am 22.04.2007, 23:46, insgesamt 1-mal geändert.

Niko

Beitragvon Niko » 18.04.2007, 00:16

hallo perry!
am ende der strophen steht jeweils: sprachen sie - redeten sie - spielten sie. das hätte ich auch in der ersten strophe so gemacht. zb so:

am hohen ufer, frühling zwischen erinnerungen / saßen sie
nicht weit von der festung / alles blühte
ringsherum

die legende vom weißen storch lässt mich rätselnd über den sinn zurück." im hohen gras / schwarzerde" da ist mir das "schwarzerde" wie hingeknallt. ein gegensatz zum hohen gras, der mich verwirrt, weil ich nicht weiß, was die schwarzerde so als wort da will. zb: "im hohen gras der schwarzerde" fänd ich ok. aber meinst du das auch?

ansonsten gefällt mir das gedicht. es ist stimmungsvoll und "schwingt" zu mir.

lieben gruß: Niko

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leonie
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Beitragvon leonie » 18.04.2007, 10:12

Lieber Manfred,

auch für mich bleibt einiges rätselhaft: die legende vom weißen storch, schwarzerde. Trotzdem kommt die Stimmung gut rüber, finde ich. Man kann die Schwestern (komisch, in meiner Vorstellung sind es drei) vor sich sehn. Die Formulierung "saßen zwischen erinnerungen" gefällt mir sehr.

Liebe Grüße

leonie

scarlett

Beitragvon scarlett » 18.04.2007, 12:59

Lieber Manfred,

der storch gilt als glückssymbol. Eine antike legende erzählt die geschichte, dass der storch seinen greisen vater ernähre, was ihn zum symbol der kindesliebe machte. Meinst du das?

Es würde evtl sogar sinn machen, dann wäre es so zu lesen, dass die moldawischen schwestern in der fremde bleiben, um somit die unterstützung der familie daheim zu sichern.

Unabhängig davon gefällt mir deine Idee sehr gut - allerdings stören mich die striche beim lesen, bremsen mir zu sehr den lesefluß.

Gern gelesen.

lg,scarlett

Perry

Beitragvon Perry » 18.04.2007, 15:44

Hallo Niko,
erst einmal vielen Dank, dass du diesen Text -der mir persönlich sehr viel bedeutet- vor dem "Versinken" gerettet hast.
Die Legende vom weißen Storch bezieht sich auf die Stadt und erzählt, dass ein Storch während einer Belagerung, die Eingeschlossenen mit Trauben versorgt haben soll. Er ist also ein Symbol der Hoffnung.
Den Vorschlag zu den Zeilenenden greife ich gerne auf, manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Die eingefügten Worte "Schwarzerde" und "Codrii" sind bewusst eingestreute Begriffe, die den Heimatbezug stärken sollen, denn im Gras und in Wäldern spielen kann man an beliebigen Orten.
LG
Manfred

Hallo Leonie,
freut mich, dass dir diese Heimatssehnsuchtsgedanken gefallen haben. Die Schwestern, denen ich diese Zeilen gewidmet habe, sind nur zwei, aber in deiner Fantasie dürfen es ruhig auch drei sein (lächel).
Danke und LG
Manfred

Hallo Scarlett,
deine Deutung des weißen Storches würde auch gut passen. Die Schreibart mit den Schrägstrichen (Virgel) wird zugegebenermaßen eher selten verwendet, hat aber den Sinn die zu lesenden Zeilenumbrüche zu markieren, trotzdem ein beabsichtigtes Textbild, hier die gleichförmigen Zeilenenden "saßen sie, redeten sie etc., zu ermöglichen.
Danke für deine Einschätzung und LG
Manfred

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 22.04.2007, 13:41

Lieber Perry,

ein ungewöhnlicher Perrytext, oder? Ich habe ihn gern gelesen, vor allem den erzeugten Ton empfinde ich dem Thema gegenüber als angemessen und durchgängig gelungen (soweit ich da folgen kann).


Ich würde einzig überlegen den Titel zu ändern. Klar, er muss seinen Verweis behalten (sowohl den persönlichen, als auch den historischen), aber wirkt er auf mich humoresk, was er doch nicht tun soll (ehrlich gesagt denke ich an Prostituierte oder sowas Zweideutiges in diese Richtung (gerade durch den Plural)). Meinst du, da gibt es eine Alternative? Eine "gesichertere" Variation vielleicht?

Dann stört mich noch das vereinzelte Komma im ersten Vers, so allein wirkt es seltsam gegen die "Striche" (die ich mag), ich würde es streichen oder durch einen Slash ersetzen?

Und dann würde ich noch neuanfang oder hoffnung streichen (zu viel erklärt in der Dopplung), eher neuanfang, weil der nächste Vers dann besser anbindet).

Ansonsten für mich sehr nah und ernst und gelungen!

Liebe Grüße,
Lisa

Peinlicherweise wollte ich noch anmerken, dass an ungestüm mit h schreibt, aber das stimmt ja gar nicht - was für ein Lebensirrtum ;-).
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Gast

Beitragvon Gast » 22.04.2007, 14:00

Lieber Manfred,

ein so ganz anderer "Perrytext", meine ich

Ja, und ich möchte dir sagen, einer, dessen Ton mir sehr gefällt.

Da ist nichts künstlich Gestelztes sondern ein weicher Fluss drin, mit dem du die Atmosphäre eingefangen hast.
Zum Titel hat Lisa schon etwas geschrieben, dem ich zustimmen möchte, wenngleich ich auch nicht Prostituiierte habe denken müssen.

Liebe Sonntagsgrüße
Gerda

Perry

Beitragvon Perry » 22.04.2007, 23:05

Hallo Lisa,
danke für dein genaues Lesen und deine Eindrücke.
Was die verwendeten Kommata anbelangt, die trennen die in den Text eingestreuten Ergänzungen ab. Während ich auf Frühling und Hoffnung vielleicht verzichten könnte, möchte ich mich von Schwarzerde und Codrii wegen des Heimatbezuges nicht trennen.
Am Titel habe ich auch lange überlegt, bisher aber keine Alternative gefunden.
LG
Manfred

Hallo Gerda,
ja ein etwas anderer Schreibstil, den ich dem Thema angepasst gewählt habe. Es freut mich, dass er dir gefallen hat. Ich sehe im Titel auch keinen Bezug zum leichten Gewerbe, aber so richtig originell ist er auch nicht.
Danke und LG
Manfred

Nachtrag: Mittlerweile habe ich eine neue Fassung geschrieben!

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 23.04.2007, 11:56

Lieber Perry,

die Überarbeitung finde ich durch und durch gelungen - ich hätte die geänderten Stellen in der Erstfassung so nicht filtern können, aber jetzt, wo sie anders sind, finde ich es noch gelungener!
Nur das hohe Ufer würde ich wieder einfügen - empfinde ich als starkes Bild! Was wurde gegen es vorgebracht?

(Das mit den Kommata habe ich durch dich jetzt verstanden!)

Zum Titel: Ich glaube, meine (seltsame) Assoziation kommt einfach durch den Plural und durch "Schwestern", ...Moldawische Heimat finde ich zwar schon gesicherter, ich mochte an dem alten Titel aber, dass er sagt, dass es nicht um die heimat des lyr. Ichs geht, sondern um Verwandtschaft...dieses Verwandtschaftsverhältnis macht die "Wehmut" stärker für mich...ich könnte den neuen Titel glaube ich voll akzeptieren, wenn du vor "schwestern" ein "meine" setzen würdest? Wie wäre denn das?

Diesen Text würde ich gern mal von dir gelesen hören...

(übrigens wollte ich doch gar nicht, dass du dich von schwarzerde und Codrii trennst? Halte ich für sehr gelungen?)

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Perry

Beitragvon Perry » 23.04.2007, 15:27

Hallo Lisa,
deine Zustimmung freut mich. Die Anregung "meine Schwestern" kann ich allerdings nicht aufnehmen, weil es sich nicht um ein Verwandtschaftsverhältnis, sondern nur um ein Bekanntschaftsverhältnis handelt (lächel). Das "hohe" Ufer habe ich wegen des "hohen" Grases am Schluss geopfert. Vielleicht lässt sich die Wiederholung ja auch umgekehrt vermeiden.
Danke und LG
Manfred
PS: Was eine Hörversion anbelangt, mal schauen wo mein Mikro liegt (grübel).

Max

Beitragvon Max » 23.04.2007, 21:13

Lieber Perry,

an diesem Text (und ja ich stimme Lisa und Gerda zu, es ist ein ungewöhnlicher, aber ein sehr guter Perry) gefält mir seine wahrhaftigkeit und auch sein Thema, das mich persönlich anspricht, sehr gut.

Dies Sprache ist einfach und erzählt dennoch intensiv vom Erlebten.

Bei einigen Berstandteilen Deines Gedichts wüsste ich gerne besser, um was es sich handelt. Die Legende vom weißem Stroch hast Du ja schon erklärt, was aber Codrii ist, weiß ich nicht (aber ich wüsste es gern, denn ich glaube Dir gern, dass es den Bezug zur beschriebenen Heimat stärkt) und auch Schwarzerde kenne ich nicht - ein Ortsname? Übrigens finde ich, das "Schwarzerde" wirklich abrupt auftaucht, könnte man das nicht etwas glatter an den Rest des textes binden?

Auf eine Lesung dieses schönen Textes wäre ich auch sehr gespannt.

Liebe Grüße
max

Perry

Beitragvon Perry » 23.04.2007, 22:45

Hallo Max,
danke für die Lorbeeren. Wenn der Inhalt trägt, braucht es keine große lyrischen Verrenkungen (lächel). Nein, es steckt schon viel lyrische Kopfarbeit drin, die ja bekanntlich dann gut ist, wenn sie sich nicht aufdrängt. Die eingestreuten Begriffe sind eigentlich selbsterklärend bzw. nicht notwendig, um den Text zu verstehen. "Schwarzerde" steht für den fruchtbaren Boden und Codrii sind die Wälder. Letzeres hatte ich in der Fußnote ja erklärt.
LG
Manfred

Max

Beitragvon Max » 24.04.2007, 12:26

Lieber Perry,

enstchdulige, die Fußnote habe ich glatt übersehen, da ich ganz auf die zweite Version konzentriert war.

Übrigens ist gerade bei einem reichen Inhalt die Kopfarbeit umso noitwendiger, da dann die Kunst ja im Auswähöen und Weglassen besteht.

Liebe Grüße
Max


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