das Geschenk

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 04.03.2006, 11:29



Wattig wabert Müdigkeit
mühsam Wort an Wort sich reiht
langsam dehnt sich Zeitgefüge
in die Wahrheit schleicht die Lüge

Stimme zu geben dem gedachten
ist nicht möglich nur zu betrachten
wie stets immer wiederkehrt
was mich sachte nur belehrt

Will mich selbst nicht leiten
lasse mich so gerne gleiten
in die Trance des Innehaltens
lasse mich, mich selbst behalten

Schon das erste laute Wort
verändert diesen friedlichen Ort
verwirrt ist die Logik der Wunderwelt
wenn die Sprache sie erhellt

Drum lasse ich die Stimme schweigen
wiege mich im Gedankenreigen
frei und ohne Widerspruch denken
das werd ich mir heute schenken

Max

Beitragvon Max » 04.03.2006, 11:59

Lieber Smile,

mit dem Inhqlt des Gedcihts kqnn ich schon etwas anfangen, nur scheint mir, dass er eventuell besser transportiert wuerde, wenn du vielleicht auf den Reim ganz verzichten wuerdest. Gerade der von Dir gewaehlte Paarreim, zusammen mit dem Metrum, das auch noch gelegentlich etwas holpert, hat etwas einschlaeferndes ... sorry.

Liebe Gruesse
Max

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 04.03.2006, 13:39

Danke für den Kommentar. Vielleicht ist die Form dem Inhalt angepasst. Ist doch schön, wenn sich eine Müdigkeit weitertransportiert hat.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 18.11.2016, 14:22

Ein wunderbares Gedicht, finde ich.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 18.11.2016, 15:32

Oh, da hast du aber wieder tief gegraben, Klimperer. 10 Jahre ist das her, kommt mir vom Schreiben her eher vor, wie ein Jahrhundert. :a045: An den Einstieg kann ich mich sogar noch erinnern ... vielleicht sollte das Gedicht auch darauf reduziert sein.
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Niko

Beitragvon Niko » 18.11.2016, 18:28

Liebe Ylvi,
(immer überlege ich, was Ylvi ist. Etwas nordisches? Ein fantasy-name? Ich weiß es nicht. Eigentlich auch egal, aber ich denke unsinniger Weise über soetwas nach...wollts auch nur erwähnen. Mehr nicht!)

Dein Gedicht mag ich inhaltlich sehr. Metrisch jedoch gibt es manche Schwachstelle. Ich zeige es mal auf

Wattig wabert digkeit
mühsam Wort an Wort sich reiht
langsam dehnt sich Zeitgefüge
in die Wahrheit schleicht die Lüge

Die erste Strophe ist perfekt. Die Metrik absolut rund!

Stimme zu geben dem gedachten
ist nicht möglich nur zu betrachten
wie stets immer wiederkehrt
was mich sachte nur belehrt

In der zweiten Strophe geht's dann los. Der Leser hat ein versmaß, das er aus der ersten Strophe mitnimmt und verliert es gleich mit dem ersten wort der zweiten Strophe. Das "zu" ist zu viel und haut die Metrik weg.

Will mich selbst nicht leiten
lasse mich so gerne gleiten
in die Trance des Innehaltens
lasse mich, mich selbst behalten

Hattest du in der ersten Strophe de vierhebigen vers als Maß, und nach der Verunsicherung in der zweiten Strophe, kommst du jetzt in der ersten Zeile der dritten Strophe zum dreihebigen versmaß. Gleitest dann in Zeile zwei wieder in die vierhebigkeit. Toll finde ich das sehr gelungene betonen von "mich" und "selbst" durch das gelungene einsetzen der worte zu den hebungen.


Schon das erste laute Wort
verändert diesen friedlichen Ort
verwirrt ist die Logik der Wunderwelt
wenn die Sprache sie erhellt

In dieser Strophe verrutschen die hebungen, der Text bekommt gerade in der Zeile vier eine unwucht. Das verrutschen der Metrik in der zweiten Zeile ist unauffällig genug, um bestand haben zu können. Der Unterschied zu Zeile drei wird hoffentlich durch mein markieren sichtbar. Zwei senkungen treten in der dritten Zeile auf statt der sonst gesetzten einfachen Senkung. Auch in Zeile zwei hast du bei fried-lich-en zwei senkungen.

Drum lasse ich die Stimme schweigen
wiege mich im Gedankenreigen
frei und ohne Widerspruch denken
das werd ich mir heute schenken

Wieder ist es die erste Zeile, die mich rauswerfen. Du beginnst mit einer Senkung statt mit einer Hebung. War es in der vorigen Strophe noch zum Teil hinnehmbar, wird es hier - für mich - zuviel der Unruhe. In der zweiten und dritten Zeile sind wieder zwei hebungen....

Ein gutes gedicht, dem ich durch Glättung der reime mehr fluss erlauben würde!

Herzlichst - Niko

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 19.11.2016, 20:26

Hallo Niko,

danke fürs genaue Hinschauen! So eine Rückschau hat schon auch ihren Reiz, auch wenn ich bei diesem hier zusammenzucke. Du hast natürlich recht, was das Metrum anbelangt ... nur ist das Gedicht für mich so weit weg, dass mein Feilen sehr drastisch ausfällt. Ich würde das Metrum nicht fortsetzen wollen, sondern bewusst brechen nach der ersten Strophe. Und das Geschenk würde heute nicht mehr so offen herumliegen. .-)


den holzwurmspuren folgen

wattig wabert müdigkeit
mühsam wort an wort sich reiht
langsam dehnt sich zeitgefüge
in die wahrheit schleicht die lüge.

ein streichholz anzünden

und still



Liebe Grüße
Ylvi :)
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)


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