Oldenburg

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 14.08.2006, 19:22

Oldenburg

Diese Stadt
in deren Gärten
Bronzefohlen grasen

Schleiereulen schlummern
ihre Krallen in den Wall

Du ahnst das Gewitter
unter ihre Schwingen

Doch über dir
- bloßes Wolkengeflecht

Weit hinter den in Regen stehenden Dobbenwiesen
siehst du die Busse an den Grenzen deiner Kindheit zerschellen

Du bist 15
und rechnest immer noch in Pfennigen

Dein Hab und Gut kennt kein anderes Maß
Und keiner kennt dich

Die Halbwälder
der norddeutschen Tiefebene

wehen Schmerz



*vorher peinlicherweise in statt im (danke an paul für die Grammatiknachhilfe :hut0039: ) edit: 10.9.2006: wieder in "in" geändert nach Diskussion mit carl und scarlett
** zunächst Bronzefohlen äsen (danke scarlett, max und steyk!)
Zuletzt geändert von Lisa am 10.09.2006, 22:24, insgesamt 5-mal geändert.

aram
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Beitragvon aram » 17.08.2006, 03:17

pps.
habe erst jetzt die kommentare gelesen. würde die erste strophe auf jeden fall so stehen lassen und nicht herausheben.

danke für das gedicht,
aram

lichelzauch

Beitragvon lichelzauch » 17.08.2006, 09:58

Hallo,

was ich an diesem Gedicht gleich als besonders gelungen empfand, war, dass es sich mir inhaltlich sofort erschloß, ohne "klar" zu werden (denkt man z.B. an "Kaum zählbare Tage" oder "Vigilien"... da war mein Zugang nur stimmungsmäßig, vielleicht weil hier ein konkreter Bezug ist, keine Ahnung).
Irgendwie (ich weiß auch nicht, wie) schafft es das Gedicht trotz/wegen (?) der in alle Richtungen schießenden Bilder (das hört sich jetzt falsch an) eine unglaublich intensive, persönliche Geschichte zu erzählen...

Konkret: Ich kann verstehen, dass man Probleme mit der ersten Zeile kriegt, aber so als Untertitel/Widmung... hmm, weiß ich nicht, vielleicht auch einfach kursiv...
Aber... seit wann sind das denn wieder die grasenden Fohlen?? Ist wohl zu spät jetzt, aber ich fand das "äsen" so schön, gerade wenn es in einem Park ist - und wenn es in deiner Vorstellung sowieso Rehe waren... ansonsten hatte ich beim ersten Lesen auch kein Problem mit "Bronzefohlen äsen", seltsamerweise, auch wenn es falsch ist - wenn man aber Gewitter irgendwohin ahnen kann, dann... :pfeifen:

Dobbenwiese! http://www.fotocommunity.de/pc/pc/mypic ... lay/922671 Sogar mit Erklärung zum Wort "Dobbe"!

Ansonsten geht's mir ein bisschen wie aram: viele Bilder sind mir ein Mysterium, die dann dennoch "irgendwie" zusammen wirken, das ist wirklich faszinierend... (besonders ab "weit hinter" und das ist trotzdem der beste Teil)

Sollte es noch nicht klar geworden sein, wie toll ich das finde: meiner Meinung das bewegendste Gedicht von dir (also von denen, die ich bis jetzt gelesen habe). Danke!

Liebe Grüße,
l

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 17.08.2006, 15:37

Hallo,

DANKE!

also mit der Formatierung der ersten Passage bin ich mir immer noch nicht einig. Beim Formatieren hätte ich das Problem, dass es mit drei Zeilen etwas seltsam aussieht...und rücke ich sie in eine geht mir die Bedeutung zu stark verloren. Ich habe in word jetzt mal etwas herumprobiert, eine Aufteilung in zwei Zeilen, kursiv gesetzt und kleinere Schriftgröße mit drei Punkten dahinter wäre möglich.

Frage dabei aber: Nun haben schon zwei Leser (Nifl und aram) die Anfangsszene als „positiv“ gelesen – ist das stark missverständlich: Lang soll es heißen: In einer Stadt, in deren Gärten Bronzefohlen grasen und nicht wirkliche Fohlen...also keine echten,...wirkt Bronze vielleicht zu warm? Wie wäre Eisenfohlen? Wäre das deutlicher? Und wird die ungewollte Lesart vielleicht durch das Absetzen noch verstärkt?


Statt grasen hätte ich vielleicht noch weiden anzubieten? Lichel ist das näher an äsen? Für das Fohlen habe ich mich nun fest entschlossen. Da kommt kein Reh mehr in die Tüte :-).

Scarlett: Deinen Vorschlag für das Ende muss ich auch noch überlegen, auf eine Art hat er mir sofort gefallen, auf eine andere Art nicht. Für das Gedicht und den Aufbau wäre es glaube ich raffinierter und gekonnter, vielleicht sogar stimmiger, aber ich möchte eigentlich so ehrlich sein, dass ich den Bogen zur Stadt am Ende nicht mehr ziehe, weil ich dadurch auch der Stadt wieder ihr Recht zugebe, nachdem ich sie für mein Inneres vereinnahmt habe. Denn das ist ja auch ein wenig (sehr) ungerecht (aber unverhinderbar)...ich glaube, ich habe mit diesem Gedicht einfach ein wenig geübt von der völligen hermetik wegzukommen und reale Teile durchschimmern zu lassen. Wahrscheinlich brauche ich noch 100 weitere Gedichte um da eiterzukommen :-)

Gerda: Oldenburg und die Landschaft im Norden ist ja auch eine schöne Landschaft und ich suche immer wieder ihre Nähe (der Stadt eher nicht, aber das Meer, die weite flache Blick die Felder). Trotzdem können Erlebnisse Teile oder manchmal ganz diese Landschaften verändern- ja, man kann auch sagen, vereinnahmen (ich schiebe es ja ein wenig auf die Landschaft, die eigentlich nichts mit mir zu tun hat und doch nicht anders existiert als durch meine Augen).

Lichel: Da bin ich oft mit dem Fahrrad lang gefahren ...Photo erkannt :-)

Max: ich fand diesmal deine Beschreibung besonders wohltuend...es war ein bisschen als hättest du mir beim Schreiben zugesehen, danke!

lichel und aram: der Schluss ist am sicher am reinsten und klingt auch für mich am besten (soll heißen am schönsten und wahr), aber: Er ist auch wieder am verschlossensten oder? Ich bin am Schluss also wieder eingebrochen :smile: . Tja, da heißt es wohl üben!


Hier der Vorschlag? (auch mal linksbündig gesetzt und das Ende nach scarlett gesetzt): was gefällt? was nicht?


Oldenburg
          Diese Stadt in deren Gärten
         Bronzefohlen grasen...


Schleiereulen schlummern
ihre Krallen in den Wall

Du ahnst das Gewitter
unter ihre Schwingen

Doch über dir
- bloßes Wolkengeflecht

Weit hinter den im Regen stehenden Dobbenwiesen
siehst du die Busse an den Grenzen deiner Kindheit zerschellen

Du bist 15
und rechnest immer noch in Pfennigen

Dein Hab und Gut kennt kein anderes Maß
Und keiner kennt dich

Die Halbwälder
der norddeutschen Tiefebene

wehen Schmerz (über die Stadt)
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 17.08.2006, 15:50

Liebe Lisa,
kurzer Kommentar:
Pferde grasen, Kühe weiden.
Bronze ist prima, ich sehe die Fohlen, die braunen auf der Wiese. Eisenpferde? passt garnicht zur Stimmung, auch nicht zur Kindheit.
Norddeutsch würde ich weglassen, man weiß wo Oldenburg ist. (nicht in einer Hochebene in der Schweiz)

mag Moshe

Max

Beitragvon Max » 18.08.2006, 16:43

Liebe Lisa,

der Untertitel ist besser so - gab es Gründe gegen "Dieser Stadt ..."?

Ansonsten bleibt es einfach gut.

Liebe Grüße
max

Béla B

Beitragvon Béla B » 21.08.2006, 08:36

wunderschön lisa! ein kuß auf deine stirn!
bb

ps: die fohlen sind viel sinniger. `äsen´paßt zu `gärten´. wenn du fohlen äsen lassen möchtest, dann lass sie doch äsen!
pps: ich würde das gedicht nicht in zwei (auch optische) teile spalten, denn so rückt die tolle einleitung gegenüber dem nachfolgenden in den hintergrund und grenzt sich ab.

carl
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Beitragvon carl » 23.08.2006, 13:05

Liebe Lisa,

ich will mich an einer Interpretation versuchen:

Den Anfang würde ich so lassen! Er wirkt auf mich wie ein Selbstgespräch "Diese Stadt..." zu dem der Leser als Zuhörer mittendrinn dazukommt.
"Fohlen" muss meiner Meinung nach bleiben, es verbindet sich mit der 15jährigen: In der Literatur stehen häufiger Fohlen für junge Mädchen, die noch etwas unsicher aber voller Energie in einen neuen Lebensabschnitt staksen. "äsen" würde die Scheu betonen, "weiden" die norddeutsche Tiefebne, aber am besten gefällt mit "grasen", weil es sich mit dem Park assoziiert (siehe unten).
"Bronze-" markiert das statische, denkmalartige einer eingefrorenen Erinnerung, einer Stagnation. Zum Märchenmotiv später noch etwas.

Jetzt zum Gebrauch der Verben:
Sie sind sehr expressionistisch, werden vom Kontext mit einer anderen Bedeutung als der umgamgssprachlichen überlagert:
Krallen werden in den Wall geschlummert statt geschlagen!
Ein Gewitter unter die Flügel geahnt statt geschoben...
Aus den Kommentaren entnehme ich, dass es Absicht ist, beim 1. Lesen habe ich das nämlich überlesen bzw. für Schreibfehler gehalten.
In diesem Kontext ist "äsen" nicht fehl am Platz, obwohl Pfered nicht äsen.
Auch Dobbenwiesen können in Regen stehen (wie in Flammen), wenn damit ein Plural gemeint ist, etwa in folgendem Sinne:
"Weit hinter den in Schauern stehenden Dobbenwiesen"
Ich glaube nämlich, dass nicht der nieselgraue Alltag gemeint ist, sondern dass hier etwas verschleiert wird, wie die Schleier der Nachtgespenster nahelegen!
Dazu eine Anmerkung: Wenn Du, Lisa, Sprache über den üblichen Sinn hinaus gebrauchst (was ja auch mit Aufgabe eines Gedichtes ist), müsste das sprachliche Mittel zwei-, besser dreimal wiederholt werden, damit es als stilbildend wirkt und der Leser es als solches erkennt. Ich bewge mich als Interpret sonst ins frei Phantastische, wenn ich sage:
Das lyrische Ich lässt die Dinge, die Landschaft etwas für sich aussprechen, dass es niemals sebst sagen würde!
Und gleichzeitig versucht es diese Spur zu vertuschen.

Erst beim dritten Lesen ging mir nämlich das ungeheuerliche, das sublim gewaltsame der Eulen auf, die lautlos bei Nacht ihre Krallen in den Schlaf treiben!
Und niemand anders legt ihnen die wahnsinnige Spannung eines Gewitters zur stillschweigenden Verwahrung unter die Flügel als:
das lyrische Ich selbst!
Erst durch das Alarmsignal der Busse aufgeschreckt, die als zweite Entsprechung und Bestätigung dieses Gewaltaktes an der Grenze (unbedigt Singular!) zur Kindheit zerschellen, aufgeschrekt aus dem wehmütig melancholischen Erinnerungston des Gedichts, habe ich dann die Ungeheuerlichkeit der beiden vorangehenden Bilder wahrgenommen!
All das, was der Reise- und Lesetourist von Oldenburg weiß und sieht, die netten Gassen und die Kneipen und die südliche Lebensart und das blaue Wolkengeflecht: das wird in Busse gepackt und an der einen Grenze zwischen heute und damals zerschmettert!
Eine Grenze, die der Tourie natürlich auch nicht hat und deshalb das "nette" Oldenburg auch nicht so sieht wie das lyrische Ich.
Beim 3. Lesen vermittelt sich mir die ganze Wut des lyrischen Ichs, die in diesen Bussen einmal aufblitzen darf!
Die den viel tieferen Schmerz der Krallen überdeckt, die immer noch tiefer ins Dunkel des Unbewußten dringen.
Darüber weht nun die allgemeine Melancholie der Tiefebene...
So liest sich der Eingang als Märchenmotiv, bei dem die Statuten im Park des Schlosses in Wirklichkeit durch einen Fluch versteinerte Lebewesen sind.

Liebe Lisa, ein goßartiges Gedicht, gespeist aus einem Trauma an der Schwelle zum Erwachsenwerden!
Ich schlage es für die Anthologie vor...

Liebe Grüße, Carl

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 30.08.2006, 13:31

Lieber carl,

deine Rückmeldung hat mich – wieder einmal berührt – danke für diese nahe Lesart des textes. Ich will diesmal versuchen, nicht sprachlos zu bleiben.

Zum Anfang: Dein Verweis, dass der Anfang ein Selbstgespräch sei, hat mich entgültig überzeugt, den Anfang stehen zu lassen wie er steht, ich habe da lange geschwankt, einfach, weil mir beides relativ möglich erschien. Ich glaube, ich arbeite gerade noch daran, herauszubekommen, wie ich diese Passagen allgemein sprachlich in dem Text einlasse. Vielleicht ergibt sich das erst nach und nach. Selbstgespräch trifft es für mich aber sehr, weil es auch ein „bewusstes“ (im Sinne von trotzig) Ausgrenzen von anderen Perspektiven beinhaltet.

Auch beim grasen gebe ich dir recht, besonders, da du den Bezug zum Park erwähnst, mir ist nämlich wichtig, dass man keine Vorgärten damit assoziiert. Auch die Verbindung von äsen und „scheu“ hat mir noch mal gezeigt, dass das bewusst schief Idyllische dadurch wohl nicht klar genug wird.

Allgemein überlege ich an dieser Stelle, weil ja einige die Passage „positiv“ idyllisch gelesen habe, dort entweder noch mit einem adjektiv zu arbeiten oder mit einem „anstatt“, was gewagt wäre, aber zu dem gewagtem „gewitter unter ihre Schwingen zu ahnen“ passen würde, also vielleicht:


Diese Stadt
in deren Gärten
öde (tote, starre???) Bronzefohlen grasen

Oder

Diese Stadt
in deren Gärten
Bronzefohlen
anstatt grasen


Ich weiß, das wäre wieder sehr waghalsig....aber eigentlich gefällt es mir. Bitte hier Rückmeldung von anderen auch!

Mit dem „im“ und „in“ bin ich jetzt (scarlett, du hattest das in ja auch geschützt?) verunsichert...ich will sagen, dass ...ja, wie wenn ich sage: Der Baum, der Tisch der Mann wird nass vom Regen, wobei es ein starker Regen ist. Im Regen stehen sagt man ja auch im übertragenen Sinne...achherje, hier bin ich nun unentschlossen, tendiere aber immer noch zu im.

Was du zu dem Gebrauch der Verben schreibst, gefällt mir, ja, du hast für mich die Nuance gut getroffen – und das beim ersten Lesen der Verdacht eines Tipp- oder Schreibfehlers auftaucht macht mir nichts, das macht auch der Kontext hier. Stände der text in einem Buch mit dem Titel: „Wichtige Texte der Weltliteratur zur ergötzenden Interpretation bereitgestellt“ und stände darunter ein wichtiger Name, würde es sicher keiner für Unabsichtlichkeit halten. Eine Lisa in einem Lyrikforum kann allerdings (und das völlig zurecht! Siehe im/in :mrgreen:, ich meine das ernst!) schon mal so anmuten, als sei das unabsichtlich, weil mir eben auch Dinge unabsichtlich passieren.

Mit der Unterteilung in Touris und lyr. Ich und die verschiedenen Wahrnehmungen bin ich dagegen nicht ganz einverstanden, wenn du mich darauf auch darauf gebracht hast, diesen Unterschied nachzuspüren, den ich da kennzeichne...es ist nämlich eher der eigene Blick des lyr. Ich’s auf die vielleicht zunächst schön zu nennenden Orte in der Stadt – ein wenig das pendeln zwischen lieben, verwunschen sein, zuhause und hassen...die Schwere spüren...aber du hast recht, es wird auch nach gewünscht, diesen Blick nach außen zu tragen, um anderen es zu zeigen – (entgegenwirken der Zeile: Und keiner kennt dich)


Dazu eine Anmerkung: Wenn Du, Lisa, Sprache über den üblichen Sinn hinaus gebrauchst (was ja auch mit Aufgabe eines Gedichtes ist), müsste das sprachliche Mittel zwei-, besser dreimal wiederholt werden, damit es als stilbildend wirkt und der Leser es als solches erkennt. Ich bewege mich als Interpret sonst ins frei Phantastische, wenn ich sage:
Das lyrische Ich lässt die Dinge, die Landschaft etwas für sich aussprechen, dass es niemals sebst sagen würde!
Und gleichzeitig versucht es diese Spur zu vertuschen.


Carl, ich finde finde diese Anmerkung sehr stark und hilfreich, ichs timme dir voll zu!, ich versuche daran wirklich noch mehr zu arbeiten, ich springe noch zu sehr in den Bildern umher, letztlich schreibe ich die Texte für seinen noch stärkeren Aufbau auch zu schnell – ohne „genauere Überprüfung“ der Bildabfolge, des Gebrauches...du hast absolut recht...

Lieber aram an dieser Stelle: ich glaube das ist auch der wichtigste Punkt, auf den ich bei dir eingehen möchte – ich hoffe, dass ich in Zukunft an der Verknüpfung und dem Aufbau des Textes noch stark arbeiten werde, auch wenn du letztlich schon um Teil von dem Text ergriffen wirst, denke ich, dass ich daran noch arbeiten kann und muss. Auch wenn ich eine gewisse Indifferenz sicher immer beibehalten werde, denn von ihr „bin ich geprägt“...danke an dieser Stelle auch für all deine Ausführungen...interessant ist auch, welche Passage du als „saugut“ kennzeichnest...die wohl am offensten und ehrlichsten (in meinen Augen aber auch am wehleidigsten, womit ich mich sehr schwer tue ;-) )....ich glaube auch solche Ausdrücke muss ich noch ausarbeiten...wobei ich persönlich ja die pfennige am mir am nächsten finde :-)

Erst beim dritten Lesen ging mir nämlich das ungeheuerliche, das sublim gewaltsame der Eulen auf, die lautlos bei Nacht ihre Krallen in den Schlaf treiben!
Und niemand anders legt ihnen die wahnsinnige Spannung eines Gewitters zur stillschweigenden Verwahrung unter die Flügel als:
das lyrische Ich selbst!
Erst durch das Alarmsignal der Busse aufgeschreckt, die als zweite Entsprechung und Bestätigung dieses Gewaltaktes an der Grenze (unbedigt Singular!) zur Kindheit zerschellen, aufgeschrekt aus dem wehmütig melancholischen Erinnerungston des Gedichts, habe ich dann die Ungeheuerlichkeit der beiden vorangehenden Bilder wahrgenommen!


Ja! Da kann ich wirklich nur „ja“ sagen. Hilfst du mir auf die Sprünge, warum es für dich Singular heißen muss? Für mich sind es durchaus mehrere grenzen, ganz verschiedener Art, die unterschiedlich stark reflektiert sind und unterschiedlichen Anspruch und Niveau haben...aber ich wäre mehr als gespannt, warum unbedingt eine Grenze?

Lieber carl, tausend dank!

Lieber bela: dir natürlich auch für das Lob, das tut sehr gut!


PS: Hast du eigentlich gesehen, dass dein Totenbuch den zweiten Platz bei der letzten Wahl gemacht hat? Ich mag den text wirklich sehr!

carl
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Beitragvon carl » 01.09.2006, 10:22

Liebe Lisa,

ja, ich hab's gesehen: Ich freue mich sehr, dass das Totenbuch so vielen was sagt!! Danke!

Zu "Oldenburg":
Den Anfang geschrieben als "... diese Stadt" könnte noch deutlicher machen, dass der Leser hinzukommt zu einem (Selbst-) Gespräch.

Zum Idylleverdacht: er wird spätestens bei den zerschmetterten Bussen richtiggestellt! Der Plural "in deren Gärten Bronzefohlen grasen" zeigt auch von Anfang an, dass es sich um eine Metapher handelt und nicht um einen konkreten Sinneseindruck (auch, wenn es ein "Vorbild" als Anlass gibt). Für mich hatte es schon beim 1. Lesen was Statisches, Eingefrorenes. Ich würde es dem Leser nicht zu bequem machen (und wenn schon, dann "anstatt grasen").

Es heiß gramatikalisch richtig "im Regen stehen" weil "Regen" nicht als Plural gebraucht wird. Aber meiner Meinung nach triffst Du mit dem Plural etwas Wesentliches:
"Weit hinter den in Regen[schleiern] stehenden Dobbenwiesen
siehst du die Busse an den Grenzen deiner Kindheit zerschellen"
Du siehst die Busse zerschellen durch den heftigen Regen hindurch.
Der verschleiert aber auch etwas von dem Geschehen!
Du hast die "Schleiereulen" vielleicht nicht bewusst verschleiert, aber dein Gedicht sagt und verschleiert eben auch.
Vielleicht kannst Du ja prüfen, ob an meinem Empfinden was dran ist.
Wenn ja, solltest Du es noch mehr herausarbeiten, etwa im Sinne von "Regenschleiern".
Zweitens müsstest Du um des Gedichtes willen prüfen, ob es alle Deine differenzierten Empfindungen zu Oldenburg tragen soll, oder ob Du etwas zuspitzen kannst (selbst wenn dadurch autobiographisches verlassen wird).
Dann gibt es aber nur eine relevante Grenze:
die von dem lyr. Ich heute zu dem unschuldigen Mädchen damals, dessen Besitz in Pfennigen gezählt wird und das niemand kennt (auch das lyr. Ich nicht).

Für mich lebt das Gedicht von der Spannung des Unaussprechlichen, Bedrohlichen, das unbewusst ist bzw. vom lyr. Ich vertuscht wird und doch der Aussenwelt in den Mund gelegt: ein Ariadne-Faden, der nicht aus dem Labyrinth führt, sondern hinein, bis an die verschlossene Tür, hinter der der Minotaurus haust.

Da passt auch der für mein Empfinden sehr konventionelle Schluss mit den Schmerz wehenden Wäldern sehr gut: Vielleicht kennst Du Kretschmers Ausführungen zur 107(?). Beethovensonate aus dem Dr. Faustus, warum er (Beethoven) keinen 3. Satz geschrieben hat? Nach den Ereignissen im 2.Satz!!? "... und das Stück eilt mit einer beliebigen Wendung zum Schluss..."

Liebe Grüße, Carl

Gast

Beitragvon Gast » 01.09.2006, 10:38

Liebe Lisa,
dieses Gedicht gefällt mir immer besser, je öfter ich es lese. Ich glaube, dass est überhaupt, das Beste an einem Gedicht überhaupt ist, wenn man es immer mehr lieben kann und das etwas haften bleibt.
Dafür danke ich dir.

Dir, lieber Carl,
danke ich für die aufschlussreichen Kommentare, die ich gern und aufmerksam aufgenommen habe.
sie runden das Gedicht auf eine Art ab, die sehr bewundere.

Liebe Grüße
Gerda

scarlett

Beitragvon scarlett » 01.09.2006, 15:17

Liebe Lisa,

zunächst mal: dein Gedicht gefällt mir immer noch sehr gut - ich lese es immer und immer wieder und bin erstaunt, was ich da so noch alles zwischen den Zeilen finde!

Nein, linksbündig gesetzt gefällt es mir nicht so gut - und eine Ergänzung des "Endes" find ich so, wie sie dasteht, dann doch irgendwie nicht so toll- ich denke, es ist vielleicht doch nicht nötig.

Und ja, ich favorisiere eindeutig und nach carls Ausführungen erstrecht das in Regen... ich empfinde es genau wie carl, konnte es nur nicht in Worte fassen.

Liebe Grüße,

scarlett

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Beitragvon Lisa » 10.09.2006, 22:32

Hallo,
erst jetzt habe ich mich etnschieden: ich habe das "in" wieder übernommen. Danke scarlett und carl, ihr habt es aus mir heraus gefunden - es muss in heißen...carl, du hast es genau erfasst.

scarlett: ich denke mit dem Ende hast du auch recht...danke!


Wenn ja, solltest Du es noch mehr herausarbeiten, etwa im Sinne von "Regenschleiern".
Zweitens müsstest Du um des Gedichtes willen prüfen, ob es alle Deine differenzierten Empfindungen zu Oldenburg tragen soll, oder ob Du etwas zuspitzen kannst (selbst wenn dadurch autobiographisches verlassen wird).



Das kann ich nicht. Ich werde die Auseinandersetzung in mehreren Gedichten versuchen. Dieses hier muss auf der Verdichtungsebene bleiben, auf der es ist, es ist nur ein Versuch...

Auch kann ich die Grenzen nicht in grenze ändern, auch wenn ich nicht mal begründen kann, warum (wir könnten darüber noch diskutieren?) - ich denke an gefühlte Himmelsrichtungen und Wünsche, die nach und nach absterben...es ist ja ein stufrnweises Älterwerden...

Ganze liebe grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

scarlett

Beitragvon scarlett » 11.09.2006, 09:59

Liebe Lisa,

es freut mich, daß du nun wohl endgültig zu deinem Gedicht gefunden hast (oder das Gedicht zu dir :-) )!

Es ist einfach gelungen!!!

Gruß,

scarlett

carl
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Beitragvon carl » 11.09.2006, 15:34

dem kann ich mich nur anschließen...
Glückwunsch zur Wahl zum Text des Monats!

Liebe Grüße, Carl


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