Ahabs Lied

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Quoth
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Beitragvon Quoth » 03.02.2016, 13:05

Da liegen sie nun und ruhen sich aus
von ihren riesigen Strecken,
vernarbt und gezeichnet, ein wenig verdreht,
die todesmutigen Recken.

Sie träumen brutalen Krakenkampf
in unergründlicher Tiefe,
von Rückkehr ins wüste Wellengestampf,
dann war es, als ob einer riefe.

Er rief sie zur Rückkehr ins wärmere Meer,
dort warteten ihrer die Kühe,
die Fluken schlugen, sie bliesen Dampf,
und Lust war ihnen die Mühe.

Dann wurde es flacher und flacher, der Sand
des Watts schrubbte kolossale Bäuche,
von Quallen und Muscheln wurden sie nicht satt,
es umfingen sie Algengesträuche.

Da liegen sie nun und ruhen sich aus
von ihren riesigen Strecken,
vernarbt und gezeichnet, ein wenig verdreht,
die todesmutigen Recken.
Zuletzt geändert von Quoth am 03.02.2016, 23:02, insgesamt 1-mal geändert.
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 03.02.2016, 13:33

Hallo Quoth,

da hatte ich sofort die traurigen Bilder der gestrandeten, toten Wale vor Augen, wie es leider zur Zeit öfter geschieht, nicht nur in Chile. Und keiner weiß, was die Ursache ist.
Deine Moritat finde ich sehr gelungen und nachhallend, so wie es sein soll.

Liebe Grüße
Mucki

Kurt
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Beitragvon Kurt » 03.02.2016, 15:04

Oh, das klingt schön. Meine Mutter hat damals immer Gedichte aufgesagt, von denen mir so manch eines ebenso angenehm rüberkam. Ich erinnere mich an den Postillion von Lenau, wo Inhalt und Rhythmik in Einklang waren.
LG Kurt
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so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 03.02.2016, 16:22

Hallo Quoth,
das gefällt mir auch gut, Inhalt und Form harmonieren und es wird gekonnt eine bedrückende Stimmung aufgebaut.
An dieser Stelle:

"von Quallen und Würmern wurden sie nicht satt,"

holpert es in meinen Ohren etwas - täusche ich mich, oder muss die Betonung auf der zweiten Silbe von "wurden" liegen?

Was den Titel angeht, frage ich mich allerdings, ob diese respektvolle Darstellung der Größe und Tragik von Walen ausgerechnet zu deren fanatischem Erzfeind Ahab passt? (Es ist aber auch schon ziemlich lange her, dass ich Moby Dick gelesen habe, und da war es eine kindgerecht abgespeckte Version.)

Viele Grüße
Merlin

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 03.02.2016, 17:17

Kann es sein, dass die Zeile "des Watts schrubbte kolossale Bäuche" etwas zu lang ist? Ich bin keine Rhythmusexpertin, gehe nur nach Gefühl, da stolpere ich immer.
Mir ist bei dieser Strophe überhaupt etwas unbehaglich. Dass die Wale von Quallen und Würmern nicht satt werden, kommt bei mir als wenig gemäße Verniedlichung an. Der Hunger ist das kleinste Problem eines gestrandeten Wals.

Das ist jetzt aber Gemecker auf höchstem Niveau, als Moby-Dick-Fan mag ich das Gedicht sehr.
Grüße von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
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(Ikkyu Sojun)

Quoth
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Beitragvon Quoth » 03.02.2016, 23:01

Vielen Dank, Mucki, Kurt, Mnemosyne, Zefira, für positive Rückmeldungen. Hier sind gerade wieder acht Pottwalbullen gestrandet. So viele Tiere kommen um, aber bei diesen Riesen erschüttert es besonders.
Habe die Würmer schon mal durch Muscheln ersetzt. Meines Wissens beruht ihr Verenden im Flachwasser der Nordsee auch auf der Schwächung durch Hunger, Zefira, denn ihre Hauptnahrung, Kalmare, gibt es dort nicht.
Ahab war ja kein massenmörderischer Buffalo Bill, Mnemosyne, sondern einer, der im Weißen Wal seinen idealen Gegner gefunden hatte. Und einen idealen Gegner liebt man ... Außerdem bin ich überzeugt, dass er sich im Paradies der Walfang-Kapitäne zum Artenschützer geläutert hat!
Ein leichtes Ruckeln im Vers kann vom Vortragenden gut ausgeglichen werden - meine ich. Das passt auch zu dem Genre, in das Mucki meinen Text gesteckt hat: zur Moritat.
Gruß
Quoth
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Zefira
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Beitragvon Zefira » 03.02.2016, 23:08

Soviel ich weiß, werden die Wale von ihrem eigenen Gewicht erdrückt, sobald sie nicht mehr schwimmen. Aber vielleicht irre ich mich auch.
Habe gerade gestern in einem Film gesehen, wie Wale Fischschwärme jagen. In diesem Fall haben sie zu mehreren den ganzen Schwarm ins Flachwasser gedrängt und dann aufgeschnappt. Die Wale haben sich jeweils mit einer ankommenden Welle aufs Ufer geworfen und sind mit der nächsten ankommenden Welle wieder ins Tiefe zurück. Dieser lebensgefährliche Umgang mit den physikalischen Kräften der Strömung wurde mit größter Souveränität und Selbstverständlichkeit vollzogen.

(In diesem Jahr haben die Fernsehbilder und -programme dazu geführt, dass ich am liebsten Tierfilme ansehe.)
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(Ikkyu Sojun)

Quoth
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Beitragvon Quoth » 04.02.2016, 21:13

Zefira hat geschrieben:Soviel ich weiß, werden die Wale von ihrem eigenen Gewicht erdrückt, sobald sie nicht mehr schwimmen.

Ja, und auf den Sandbänken der Nordsee überfällt sie dann auch noch das Niedrigwasser, ein Phänomen, das im Atlantik für sie ja so gut wie gar nicht spürbar wird.

Zefira hat geschrieben:In diesem Jahr haben die Fernsehbilder und -programme dazu geführt, dass ich am liebsten Tierfilme ansehe.

Verstehe ich gut. Sah jetzt zwei Folgen von "Wildes Baltikum" mit Schreiadlern und anderen Raritäten - irre schön.
Gruß
Quoth
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