wie

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
pjesma

Beitragvon pjesma » 18.01.2016, 20:12

ich führe mein gesicht gassi
früher ein windhund verkommen nun zum boxer
wir wedeln dezent mit den schwänzen
als wären uns die ohren nicht zurechtgeschnitten
und wie
geimpft, gechippt und entwurmt
laufen wir unauffällig
bei fuß den gesellschaftlichen konventionen
noch erwünscht und willkommen
wir winseln ja auch nicht
wie
das hundeleder auf der trommel gestreckt
so imprägniert ist mein gesicht
mit knigge, rücksicht und partikulären sitten in einer teils geordneten welt
uns kann keiner was
alles prallt von meinem standardlächeln ab
es ist mir
wie
eingewachsen
wie
der knopf am regenschirm dem regenschirm
ich spanne mein gesicht auf
wie
nylonseide über die dünnen drähte
und so leuchten wir geübt durch den regen
das gesicht und ich
strahlen den ganzen langen weg nach hause
immer
wie immer
(gut, und dir?)
und erst zu hause hinter verschlossenen türen
entgleiten wir dem bogen zittrig aufatmend
wie
in zeitlupe
zwei
trächtige tropfen
von der nase einer meisterhaft tarnenden
venezianischen maske
fallen wir endlich
auf das parkett
auf die hausschuhe
auf den weggestreiften büstenhalter
und werden uns einig und roh
wie
die wahrheiten
sind wund
und weich
wie
das rosafleisch unter einer abgerissenen kniekruste
und wie
absolut sicher eingesperrt in der unerträglichkeit
schwören wir
beim nächsten mal auszubrechen
beim gassi gehen
genau in dem zustand
wie wir jetzt da zerfließen
unansehnlich
trüb
und leicht melancholisch
gradeaus von der leine weg
auf gottesgnade
wie
ein tollwütiger fuchs
wie
ein wilder elefant
ohne herde
wie
ein löwe
mit zahnweh

wie

wie

wie
Zuletzt geändert von pjesma am 23.01.2016, 16:20, insgesamt 2-mal geändert.

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eva
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Beitragvon eva » 19.01.2016, 07:46

ich schreibe nicht als textarbeiterin. aber ich grüße dich, von manchem satz angetroffen, und verneige mich vor dem vertrauten zustandsbericht. mögen dir alle boxer verzeihen, es grüßt der löwe mit zahnweh (gut, und dir?)
Jetzter wird's nicht. D. Wittrock

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birke
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Beitragvon birke » 19.01.2016, 17:36

wie jetzt?!
ich mags, mags, mags, sehr!
erst allein mit uns, lüften wir die maske.
ein leidenschaftlicher text!
lg,
birke
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

https://versspruenge.wordpress.com/

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.01.2016, 17:37

...
Zuletzt geändert von Mucki am 30.05.2016, 14:42, insgesamt 1-mal geändert.

pjesma

Beitragvon pjesma » 19.01.2016, 17:49

och danke euch vom herzen...ich hab lange wochen, was, monaten, literarischen unproduktivität hinter mir...hab angefangen gar angst zu haben dass es nie wieder kommt :-(....war einiger zeit teil fremdes traumes anstadt mein eigener zu träumen ;-)
lg!

Kurt
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Beitragvon Kurt » 20.01.2016, 19:03

Ja, pjesma, ein Text, der meinen Geschmack trifft, mit, ich sag ma ganz allgemein gesprochen Hohn bzw. Spott. Differenziert darauf eingehen ist nicht meine Berufung.

LG Kurt
"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

Quoth
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Beitragvon Quoth » 21.01.2016, 08:27

Hallo Pjesma,
ein wütender Text der Auflehnung gegen die gesellschaftlichen Konventionen, aber auch von der heimlichen Verzweiflung geprägt, dass all die Auflehnung umsonst sein wird: Das lyrische Ich wird eben auch in Zukunft den Konventionen brav bei Fuß laufen und nicht brüllen wie ein Löwe mit Zahnweh – diese letzte lustige Übertreibung hat mich drauf gebracht, dass es eine Auflehnung ist, die im Kern bereits resigniert.
„zurechtgeschnitten“ (in einem Wort), „bei Fuß“ lautet das Hundekommando, und ich würde es mit dem Dativ benutzen, also „den gesellschaftlichen Konventionen bei Fuß“, „teils geordneten“ (in zwei Worten), „hinter verschlossenen Türen“ (den streichen), "entgleiten wir dem Bogen" - welcher Bogen ist gemeint?, „in Zeitlupe“ (der streichen), „und absolut sicher eingesperrt“ (hier würde ich das wie streichen) …
Absolut lustige Vorstellung, die Menschen in einer Großstadtstraße würden ihre Masken abstreifen und einander ihr „wahres“ Gesicht zeigen. Ich fürchte, das lyrische Ich wäre erschrocken, was es alles von den anderen zu sehen bekommt!
Gruß
Quoth (der gleich mit Hund geht)
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

pjesma

Beitragvon pjesma » 23.01.2016, 16:21

danke kurt, danke quoth für die reparaturen , habs geändert
lg

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 06.02.2016, 12:47

Liebe pjesma,

ich mag den Text auch, Sprache und Thema gehen mich an. Am Anfang ist es mir ein wenig zu viel Hundevergleich, richtig komme ich in den Text hier erst hinein:

wie
der knopf am regenschirm dem regenschirm
ich spanne mein gesicht auf
wie
...


Ich finde den Vergleich Mensch/Hund schon etwas ausgeleiert und einige Vergleiche sind auch so konkret (gechippt, hundeleder), dass sich nichts auftut, es wirkt auf mich sprachlich überzogen. Ich würde hier ganz oder zumindest drastisch kürzen. Aber ich denke, du möchtest auf den Teil nicht verzichten, auch weil er der wütenste Teil ist, bevor die trauernde Wende nach innen kommt.

Dann wieder gibt es ganz tolle Kompositionen, etwa die Passage mit den zwei trächtigen Tropfen, du beschreibst ihren Fluss so eingehend, dass ich es vor mir sehe als Bild. Auch den Schluss mit den Tieren finde ich sehr gelungen.

Überprüfen würde ich aber noch einmal die Perspektive -- der Wechsel zwischen Ich und Wir ist einerseits spannend und interessant, aber zugleich auch fragwürdig: Ist das nicht bloß Selbstmitleid, das das Ich da zu einem Wir stilisiert, um hinter verschlossener Tür wenigstens noch wahr zu sprechen und so doch wieder echt zu sein? Spricht es nicht lieber über andere sich selbst zu, als jemand anderen anzuschauen? Die venezianische Maske abzunehmen, diese Referenz auf ein altes Bild, zeigt z.B., dass auch dieses Verhalten eingeübt, praktiziert ist, und fällt damit für mich mit dem Maske aufhaben zusammen, ist also nichts anderes als das. Das Absetzen der Maske ist für mich zugleich ein Aufsetzen der Maske -- womit die Maske die ganze Zeit dran ist. Wenn es denn eine Maske ist. Ich glaube jedenfalls nicht daran, dass da in uns etwas so klar Getrenntes ist: eine Maske und das Dahinter.

All diese Kritik besteht zwar, zeigt aber hoffentlich auch, dass der Text mich interessiert!

Liebe Grüße
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

pjesma

Beitragvon pjesma » 06.02.2016, 18:25

hi lisa, danke für die beschäftigung mit dem gedicht. hm, ja, anfang....nicht dass ich es nicht kürzen würde, wüßte ich aber nicht wie "kürzen", zur not dann evt lieber ganz rausschmeißen, ich denke drüber noch nach, eine ersatzstrofe müsste dann her. komisch wie die leute es unteschiedlich empfinden, ich zbsp finde das gen ende abgeschwächt, diese tiere....hab sie dreimal gelöscht und wieder eingesetzt....was die perspektive angeht, hm, finde ich jetzt keine gravierende fehler....ich meine, vllt hab ich etwas auch falschrübergebracht....ich und mein gesicht sind zwei verschiedene sachen. ich ist gesichtslos und ist wahr, und gesicht ist nützliche erscheinung die eingesetzt wird oder (endlichdheim) nicht mehr. selbstmitleid auszudrücken war jetzt nicht unbedingt meine intention, mehr die müdigkeit, übersättigung, gelangweiltsein mit ständigem muss zum lächeln, höfflichkeit, etikette....anspannung, halt.
ich guck noch mal drüber nach einiger zeit, danke dir :)
lg, pjesma

Quoth
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Beitragvon Quoth » 09.02.2016, 18:05

An der Hundepassage am Anfang missfällt mir eigentlich nur die Zeile "früher ein windhund, verkommen nun zum boxer". Windhunde sind ebenso herausgezüchtete Künstlinge wie Boxer, und letztere schätze ich charakterlich außerordentlich, sie sehen verknautscht aus, sind aber tolle Begleiter und Kameraden ...
Einer mir neuen Realie bin ich in dieser Passage begegnet: dem "hundeleder auf der trommel". Ich habe nachgeforscht und bin hier auf diese Passage gestoßen:
Anfang des 20. Jahrhunderts war Hundeleder für bestimmte Artikel, wie beispielsweise hochwertige Handschuhe, durchaus noch gefragt. - Der Luftsack des böhmischen Dudelsacks wird traditionell auch aus Hundefell hergestellt. Die Stigmatisierung des Hundefells hat in den letzten Jahrzehnten vermehrt zu einer Hinwendung zu Ziegenfell für das Instrument geführt, dennoch werden sie auch weiterhin ebenfalls aus Hundefell gearbeitet. In Brasilien werden Hundefelle, insbesondere die der Dackel, zum Bespannen einer bestimmten Reibetrommel, der Cuíca, verwandt.

Außerdem habe ich gelernt, dass Hundeleder beliebt war wegen seiner fehlenden Poren (Hunde haben keine Schweißdrüsen) und dass der Import von Hundhäuten und deren Verarbeitung in der EU heutzutage verboten sind.
Lisa, Du bemängelst an dieser Passage, dass einige Vergleiche so konkret seien, "dass sich nichts auftut". Eine interessante Kritik! Wann tut sich bei einem Vergleich was auf - wann nicht?
Du hast schon im Titel deutlich gemacht, Pjesma, dass Dein Text auch vom "Elend des Vergleichens" (Peter Handke) handelt, ja, das tut er in der Tat, er führt das Vergleichen ad absurdum, man mag es als poetische Technik zum Schluss nicht mehr gut leiden. Was soll diese ganze Wiewirtschaft? Sind Dinge, Menschen, Tiere, ist nicht alles zuerst einmal es selbst? Hunger nach Identität, nach Authentizität, ihn entdecke ich als unausgesprochene Aussage in dem Gedicht.
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

pjesma

Beitragvon pjesma » 09.02.2016, 21:47

spannend wie immer, quoth :-), danke...(überzüchtet sind ja alle, die hunde, aber windhund ist elegant und boxer..hm, nur treu---auch ein vergleich gleich am anfang des gedichtes...wobei ich am liebsten kleine buldogen mag, die haben charakter und eine von sich selbstüberzeugung die sie entweder zu helden oder witzfiguren macht...ich lieeebe die!)
lg

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 15.02.2016, 21:02

Lieber Quoth,

An der Hundepassage am Anfang missfällt mir eigentlich nur die Zeile "früher ein windhund, verkommen nun zum boxer".


Ich glaube, dass das Bild und seine Bedeutung hier dem Text außer Kontrolle geraten ist, weil der ganze Kontext, den du anspricht, in dem Moment vergessen ist, ich habe es schlicht so gelesen, dass das Gesicht früher schlanker war, und glaube auch, dass es so gemeint ist.

Zum Hundeleder: Da hast du einen schönen Zweig gefunden, aber mein Gefühl beweifelt, dass diese Bezüge bewusst gesetzt sind, es sollte einfach nur lyrischer klingen als Halsband.

Lisa, Du bemängelst an dieser Passage, dass einige Vergleiche so konkret seien, "dass sich nichts auftut". Eine interessante Kritik! Wann tut sich bei einem Vergleich was auf - wann nicht?


Hm, gute Frage, die ich nicht allgemein beantworten kann. im vorliegenden Fall ist es für mich einfach der Gang ins Detail, wodurch der Vergleich seiner Wirkung beraubt wird, zum Beispiel gibt es doch dieses Bild von der Höllenküche (ich hab so Bilder im Kopf, wo der Teufel/Hexen? inmitten von Feuer und brodelnden Töpfen wirtschaftet), wenn ich da nun anfinge, das Inventar heranzuziehen, um den Vergleich wirksamer zu machen, etwa:

- die Pfannen der Fettleibigkeit
- das Kohlestück der Verzweiflung
- der Löffel der Sünde
- das Hinkebein des Verrats

... dann würde darüber doch das Gefühl, mit dem Bild etwas gesagt zu bekommen, verschwinden? Mir geht es jedenfalls so. Ein Bild kann natürlich detailliert/ausführlich beschrieben werden, um stärker zu wirken, aber so in Einzelteile zerlegt und jedes Einzelteil steht für ein Teil der Bedeutung - das macht es für mich profan.

(Wichtig: Es mag Fälle geben, die dieser Feststellung nicht gehorchen .-) )

Liebe Grüße
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

pjesma

Beitragvon pjesma » 15.02.2016, 21:21

hi lisa, an diese stelle
"Zum Hundeleder: Da hast du einen schönen Zweig gefunden, aber mein Gefühl beweifelt, dass diese Bezüge bewusst gesetzt sind, es sollte einfach nur lyrischer klingen als Halsband." hört es sich ein bisschen an als wüste ich nicht was ich mache und ich es eh geschnörkelt mag und hab das einfach nur manieristisch eingefügt, anstatt zbsp einem gipsengel ;-. dem ist es nicht so...da es sich in diesem gedicht um eine tägliche anspannung handelt, ein zivilisiertes gesicht zu wahren, "schläge" mit fassung einzustecken....und da ich mein gesicht als hund darstelle, der mir gehört aber eigentlich nicht mein wahres ich ist...so ist mein gesicht, meine wangen also angespannt, hundeleder auf die die getrommele fällt die dann von meinem standardlächeln abprallt--- wie auch immer, ich hab das gefühl dass mein gedicht hier nicht transportiert hatte was ich wollte, da es keiner so verstanden hat...also wohl thema verfehlt ;-). was die wiederholungen angeht, da GEHT es um wiederholung, tag in tag in tag in tag....meines erachtungs haben wiederholungen schlechte chancen für steigerungsmöglichkeiten...die flachen meistens ab...
lg, pjesma


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