UND WENN JEMAND KOMMT

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
moshe.c

Beitragvon moshe.c » 08.07.2006, 22:00

Und wenn jemand kommt
und sagt: Diskrepanz.

Und wenn jemand kommt
und sagt: Mittelalter
in deinem Kopf.

Jemand sagt: Zukunft und Jetzt und Hier.

Und wenn jemand kommt
und sagt: Nein.

Jemand sagt: Doch, und: Wir wissen.

Und wenn jemand kommt
und sagt: Utilitaristisch.

Jemand kommt, sagt: Wissen und Glauben!

Und wenn jemand kommt.....

aram
Beiträge: 4509
Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 05.08.2006, 03:15

hi moshe,

für mich ist das einer deiner besten texte, oder besser gesagt einer derer, die mich ungemein ansprechen, wo jedes wort passt und an der richtigen stelle steht.

außerdem ist der text durchaus interpretationsoffen, was ich wichtig finde - d.h., obwohl eine entsprechende antwort keineswegs beliebig ist, wird auch keine bestimmte suggeriert.

was ich nocht nicht verstehe ist der bezug 'experimentelle lyrik' - du hast ja schon was erwähnt, woraus ich schließe - es geht dir dabei mehr um den inhalt?

...was die resonanz in foren betrifft sprichst du ein 'kritisches' thema an - auf der ebene, auf der in foren vor allem 'geredet' wird, gibt es zu vielen guten texten fast nichts zu sagen.

aram

p.s. in deinem fall kommt dann noch dazu, dass du so viele beiträge postest, dass ich mich gar nicht auf alle einlassen kann, und tatsächlich gefahr laufe, für mich bemerkenswertes zu übersehen.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 05.08.2006, 15:43

Lieber Last,
kannst du mal sagen wie und wo du unverstanden bleibst?

moche.c

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 05.08.2006, 15:55

Hallo Aram,

ja, ich meine vor allem den inhaltlichen Aspekt.

Ja, ich schrieb in der letzten Zeit wirklich sehr viel, war schon fast eine Schreiborgie. Derzeit ist fast ganz Pause und ich griff und greife auf altes Material zurück mit erstaulicher Resonanz.
Derzeit überlege ich, mich etwas mehr zu konzentrieren, aber meine Kreativität ist sehr bockig, die will immer so frei auf der Wiese rumspringen. Auch frage ich mich manchmal, wie das zu meinem Alter passt. Scheint aber im Kinderbuch-Bereich wiederum geradezu ideal.

So long

moshe.c

Last

Beitragvon Last » 06.08.2006, 13:10

@Moshe: Meistens in Diskussionen und ausgedrückt durch den Satz: "Ich verstehe nicht."

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 06.08.2006, 13:17

Bitte Last,
schreib mir doch mal wo genau, damit ich nicht alles durchsuchen muß, vieleicht per PN. Es interesssiert mich echt.
moshe.c

Herby

Beitragvon Herby » 06.08.2006, 14:07

Hallo moshe,

es hat etwas gedauert, aber mittlerweile habe ich mir aus dem Internet Kants Essay Was ist Aufklärung besorgt und kann so hoffentlich etwas fundierter als in meiner letzten Antwort auf deinen Text eingehen. Dennoch bitte ich dich bei meinen Zeilen zu berücksichtigen, dass ich kein Philosoph oder Kantkenner bin. Ich will es aber mal versuchen.

Was mich beim Lesen deines Gedichtes an Kants Text denken ließ, ist die Grundsituation, die du darstellst: Jemand kommt und sagt / behauptet / fordert etwas. Bei Kant heißt es:

"Nun höre ich aber von allen Seiten rufen : r ä s o n n i e r t n i c h t ! Der Offizier sagt : räsonniert nicht, sondern exerziert ! Der Finanzrat : räsonniert nicht, sondern bezahlt ! Der Geistliche : räsonniert nicht, sondern glaubt !"

Einen Unterschied zu deinen Versen sehe ich jedoch darin, dass in dieser Textstelle das kritisierte Verhalten der Adressaten explizit benannt wird, während es in deinem Text implizit enthalten und vom Leser gedanklich zu ergänzen ist. Wenn ich dich richtig verstanden habe, möchtest du einerseits diejenigen kritisieren, die sich zu dem aufschwingen, was Kant im folgenden Zitat als Vormünder bezeichnet, und andererseits jene, die im Zustand einer selbstverschuldeten Unmündigkeit verharren:

"Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen |2| (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben ; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen."

Wenn mein Verständnis deiner Intention soweit richtig ist, stellt sich mir die Frage, warum dein Gedicht die Unmündigkeit des Menschen und seine Ursachen ( Faulheit und Feigheit ) nur implizite behandelt und nicht konkret benennt.
Zu letzteren heißt es bei Kant:

"Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, u. s. w. : so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann ; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen."

Meines Erachtens nach haben die Ursachen selbstverschuldeter Unmündigkeit anno 2006 ( ergänzt um die Quellen unserer heutigen Zeit wie Technik, Medien z.B. ) noch ebenso Bestand und Gültigkeit wie im Jahre 1783. Sollte dies zutreffen, wäre der Prozess der Aufklärung noch längst nicht beendet, das Motto Sapere aude als Programm auch über unsere Tage zu schreiben.
Und auch die folgenden berühmten Anfangszeilen des Kantschen Essays gelten in meinen Augen heute wie damals:

"A u f k l ä r u n g i s t d e r A u s g a n g d e s M e n s c h e n a u s s e i n e r s e l b st v e r s c h u l d e t e n U n m ü n d i g k e i t. U n m ü n d i g k e i t ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. S e l b s t v e r s c h u l d e t ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen".

Abschließend noch einmal meine Frage an dich und deinen Text:
Warum konzentriert sich dein Text auf die Vormünder und überlässt die Darstellung und Kritik der Unmündigkeit der gedanklichen Ergänzung des Lesers?

So, jetzt habe ich mich aber weit genug auf das für mich so glatte und brüchige Eis der Philosophie vorgewagt. Ich hoffe, ich habe mich nicht verschliddert und falls doch, bin ich jederzeit dankbar, wenn ich auf Gedankenfehler aufmerksam gemacht werde.

Ich wünsche dir und Orit einen friedlichen Sonntag!

Liebe Grüße
Herby

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 06.08.2006, 14:26

Lieber Herby!

Erstmal vielen Dank für deine Bemühungen.
Ein oder zwei Tage werde ich mir Gedanken machen und dir ebenso ausführlich antworten.
Vorab aber eine PN.

MlG

Moshe

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 09.08.2006, 14:03

Hallo Herby,

nun aber:
Vorweg: Mich mit Kant zu vergleichen berührt mich nicht unangenehm, wenngleich es sich bei dem Text von ihm nicht um Philosophie handelt, sondern um ein zeitkritisches Essay, das in Art und Form seiner Zeit gerecht wird.

Auf der Suche nach einer guten Antwort an dich hätte ich ein ganzes Buch schreiben können, deshalb versuche ich mich mit Stichpunkten.

Es ist richtig: Die Aufklärung ist reichlich stecken geblieben, ja im Moment scheint sie eher auf dem Rückzug zu sein und manchmal komme ich mir wie im Mittelalter vor. (Dazu noch eine PN)

Persönlich: Recht frühzeitig (bin 68er) habe ich mich davon verabschiedet zu meinen, wenn ich einem Polizisten einen Stein an den Kopf werfe, würde ich dessen Meinung zum Besseren wenden, oder gar eine revolutionäre Tat begangen haben. Überhaupt wurden mir Demonstrationen bald suspekt, nicht nur wegen dem latenten Gewaltpotenzial, sondern auch wegen der egozentrischen Selbstdarstellung einzelner oder Gruppen, und sehr viel Wirkung sehe ich da heute auch ncht mehr.
Mein Weg war und ist der des konkreten Einsatzes (zweieinhalb Jahre Sahara in Marokko, bzw. im Polisario-Gebiet; Fluchthilfe und Freikauf zu DDR-Zeiten; und anderes mehr), was sich auch in meinem beruflichen Leben ausdrückt, und ganz besonders dort.
Kleine Schritte sind in meinen Augen der Weg. Nun möchte ich meinen Beruf gegen den des Schriftstellers tauschen, denn damit habe ich eine viel breitere Wirkung. Wenn z.B ein Gedicht von mir in einer Literaturzeitschrift mit einer Auflage von 1000 Exemplaren erscheint, so lesen vielleicht 500 Personen mein Gedicht. Wenn von diesen vielleicht 50 sich solche Fragen stellen, wie du es bei meinem Gedicht machst, dann habe ich die Gedanken von 50 Personen erreicht. Wenn von diesen vielleicht 10 eine Änderung oder Erweiterung in ihren Gedanken vornehmen können, dann habe ich in 10 Personen etwas erreicht. Diese 10 Personen werden in Gesprächen und im Handeln wirken, was wiederum andere erreicht und bewegt. Tja, thats it.

Gesellschaft: In meinen Augen arbeiten Gesellschaften weitgehends nicht in Richtung Aufklärung. Ich nehme mal das Beispiel Schule und spreche von meinen Erfahrungen, die aber wohl heute nicht wirklich sehr viel anders sein dürften.
Warum gibt es keinen Unterricht über Gesetze, über Justiz, das Bürgerliche Gesetzbuch mit seine Auswirkungen im Alltag, über Rechte in diesem Sinne?
Warum gibt es keinen Unterricht über Medizin?
Warum gibt es keinen Unterricht über den Umgang mit den Medien?
Warum gibt es keinen Unterricht über Psychologie?
Warum fehlt so viel Begabtenförderung und ist es eher angestrebt gleiche 'Eier' in Güteklassen zu produzieren?
Warum gibt es Religionsunterricht, aber keinen Unterricht darüber, wie man einen anderen Menschen konkret liebt? (UFF)
Warum gibt es keinen Unterricht zum Umgang mit Geld?
Usw.
Alles Gebiete, die Heiligtümer berühren und Partikular-Interessen.
Bitte antworte nicht mit Da und Dort über Sandkörnchen. Wo ist die Linie?

Zum Gedicht: Ich denke nun habe ich es leicht, denn ich schreibe implizit, weil ich keine Gegnerschaft möchte, sondern Menschen erreichen will, die Aufklärung noch nicht verinnerlicht haben. Wie Aram sehr gut schreibt: Bedeutungsoffenheit! Da kann man bei sich selbst anknüpfen. Und ich will Leserschaft.
Gedichte lesen ist eine sehr zufällige und sehr freie Angelegenheit. Provokantes gibt es insgesamt genug. Du brauchst nur eine Tageszeitung aufschlagen oder in einen Buchladen gehen. Und was ändert sich? Als ich aus der Sahara wieder rauskam und mir den ersten SPIEGEL kaufte, hatte ich sofort den Eindruck, als wäre keine Zeit vergangen.
Bei meinem Theaterstück werde ich etwas anders vorgehen, etwas. Aber ein Kettensägemassaker wird es auf gar keinen werden.

Ich hoffe, daß es mir gelungen ist meine Haltung darzustellen

Mit liebem Gruß

moshe.c

P.S.: Über Philosophie und tiefere Weltsicht schrieb ich hier nicht. Der Begriff 'Selbstverschuldet' gfällt mir bei Kant nicht.

Last

Beitragvon Last » 11.08.2006, 18:41

Hallo Moshe,

ich denke (deine Ausführungen unbeachtet) mein Gedicht "Im Labor" geht auf seine Art in eine sehr ähnliche Richtung :confused:

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 11.08.2006, 20:43

Hey Last,

hm, ich finde es sehr Subjektiv, aber irgendwo.....

Kannst du nicht ein wenig Butter an de Fische machen, bezüglich der Richtung?

Auf jeden Fall schlafe ich drüber. :cool:

Moshe

Last

Beitragvon Last » 12.08.2006, 09:59

Hallo Moshe,

deine Zeile "Jemand kommt, sagt: Wissen und Glauben!" und meine "„Weiter“,/denken sie dann/ ohne Andacht." stehen sich fast 1 zu 1 gegenüber. Weiterhin "Und wenn jemand kommt/ und sagt: Mittelalter/ in deinem Kopf." und "Diese Typen/ spielen sich/ nach den Regeln/ der Akademiker// Wecker um die Ohren." haben auch starke Gemeinsamkeit. "Sie drehen das Licht ab,/ bevor sie gehen" Steht auch mit seiner Licht-Dunkel-Metaphorik in Kontext mit der Aufklärung und dem heutigen Umgang mit selbiger. "noch ein/ Plausch/ mit der Wache/ am Nachtschalter." Geht über Eigenverantwortung auf die moralische Ebene, was du durch "Und wenn jemand kommt/ und sagt: Utilitaristisch." machst.

Ich empfinde es hier so, als ob wir zwei sehr ähnliche Gedichte geschrieben haben, die sich sehr verwandt sind. Wobei der große Unterschied ist, dass du das Abstrakte, das Theoretische, ein Art zu denken beschreibst, während ich einen Charakter-/Menschentyp beschreibe, der so denkt. Dein Gedicht ist sozusagen das, was dahintersteckt.

Bei weiterem Interesse ---> PN :smile:


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