Auf eine blaue Grotte

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Quoth
Beiträge: 1853
Registriert: 15.04.2010
Geschlecht:

Beitragvon Quoth » 09.02.2014, 20:29

Endfassung:
Wie oft ersehnt der Geyst sich eine blaue Grotte,
in der Geborgenheyt Mutter Natur ihm schenckt,
wo kein unzimlich Wort die schöne Stille kränckt
und er nur einem dint: Apoll, dem strengen Gotte.
Hat er sie aufgetan in virtuellen Breytten,
verweylt er gern und sucht erlösendes Ventil
für Lust und Schmertz und Schertz, für Fühlen, heiß und kühl,
umb mit Geschmakes Kraft umb Besserung zu streytten.
Und während andre feyl im Internett sich spreytzen,
mit keynem ihrer Reytz für blöde Augen geytzen,
kann Frauengeyst und -witz hierorts sich keusch entfallten,
mit Anmutt oder Wucht sprachliche Kunst gestallten.
O Grotte, kühl und blau, schenck mir ein Tröpfflein nur
von deynem Lebenstau, erfrische die Natur!


Zweite Version:
Wie oft ersehnt der Geist sich eine blaue Grotte,
in der Geborgenheit Mutter Natur ihm schenkt,
wo kein unziemlich Wort die schöne Stille kränkt
und er nur einem dient: Apoll, dem strengen Gotte.
Hat er sie aufgetan in virtuellen Breiten,
verweilt er gern und sucht erlösendes Ventil
für Lust und Schmerz und Scherz, für Fühlen, heiß und kühl,
um dann mit Geistes Kraft um Besserung zu streiten.
Und während andre feil im Internet sich spreizen,
mit keinem ihrer Reiz’ für blöde Augen geizen,
kann Frauengeist und -witz hierorts sich keusch entfalten,
mit Anmut oder Wucht sprachliche Kunst gestalten.
O Grotte, kühl und blau, schenk mir ein Tröpflein nur
von deinem Lebenstau, erfrische die Natur!

Erste Version:
Wie oft ersehnt der Geist sich eine blaue Grotte,
in der Geborgenheit Mutter Natur ihm schenkt,
wo kein unziemlich Wort die schöne Stille kränkt
und er nur einem dient: Apoll, dem strengen Gotte.
Hat er sie aufgetan in virtuellen Breitten,
verweilt er gern und sucht erlösendes Wentil
für Lust und Schmerz und Witz, für Fühlen, heiß und kühl,
um dann mit Geistes Kraft um Besserung zu streitten.
Und während andre feil im Internet sich spreitzen,
mit keinem ihrer Reitz’ für blöde Augen geitzen,
kann Frauengeist und -witz hierorts sich keusch entfallten,
mit Anmut oder Wucht sprachliche Kunst gestallten.
O Grotte, kühl und blau, schenk mir ein Tröpfflein nur
von deinem Lebenstau, erfrische die Natur!
Zuletzt geändert von Quoth am 16.02.2014, 17:45, insgesamt 3-mal geändert.
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Benutzeravatar
nera
Beiträge: 2216
Registriert: 19.01.2010

Beitragvon nera » 10.02.2014, 14:15

dein text hat mich verführt..........


natur, schenk mir von deinem geist,
ein lebenselixier, wenn ich verwaist
in dieser matrix irre
so ruhelos und endlich kirre
durch endlos weite weiten gleite,
auf unbekannten wogen reite.
kühl die synapsen mir und rede streng fraktur.

und führ, mutter, mich auf thalias spur
in kühle höhlen, blaue grotten.
lass mich dort spüren, lass mich lauschen....

wie männerfeinsinn sich erhebt,
dass mir das weiblich' herz erbebt
wenn lieder sich gen himmel winden.
wo mich beseelt das kluge spotten
sie zärtlich zarte bilder malen
und worte sich zu sträußen binden.

mutter natur, du weise göttin,
laß mich in diesem geiste baden
ich will mich gern daran erlaben
zum dank schenk ich den funkelkranz
aus silbenrythmen, süßen klängen,
aus wohlfeilen bildgesängen.
wir wollen ihn dem gotte widmen
und seiner grotte blauen glanz.


,,

Niko

Beitragvon Niko » 10.02.2014, 15:53

Warum diese Rechtschreibungsfehler, ggeschätzer Kollege?

Quoth
Beiträge: 1853
Registriert: 15.04.2010
Geschlecht:

Beitragvon Quoth » 10.02.2014, 17:29

Hallo Nera, vielen Dank, dass ich Dich verführen durfte - aber ich glaube, Du nimmst mich auf den Arm! Wobei ich zugeben muss, dass Dein lässiges, gleichsam unabsichtliches Reimen mich an Louisa erinnert - und das heißt, es gefällt mir! Stimmt, mein barocker Doppelgänger hat ein bisschen viel hineingepackt in seine Hymne - Mutter Natur, Apoll usw. - aber immerhin hat er auf die Musen verzichtet, es ist ihm schwer genug gefallen, aber es gibt auf sie nur grauenvolle Reimwörter.

Lieber Niko, die Rechtschreibfehler sind Bestandteil der barocken Maske, die ich mir, der 5. Jahreszeit gemäß, aufzusetzen erlaubt habe, aber da sie Dich stören, habe ich sie in einer Zweitversion entfernt, um auf die Weise vielleicht an Dein geschätztes Urteil zu kommen!

Mit Gruß und Dank für Befassung - nein, Nera, das war mehr, Du hast Dich auf meinen Text eingelassen!
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 10.02.2014, 20:40

Ich hatte, lieber Quoth, aus den Duplikaten die Vermutung abgeleitet, dass nicht du dem Salon entsunken warst, sondern im Gegenteil du ihn dir zur blauen Grotte abgetaucht vorstellst. Ich fand den Text sehr amüsant, handwerklich fein gezimmert. Die Dopplungen selbst scheinen mir im Rahmen des Simplizissimus-Stils zulässig, kamen aber etwas zu geballt daher.
Grüße
Räuber

Benutzeravatar
nera
Beiträge: 2216
Registriert: 19.01.2010

Beitragvon nera » 10.02.2014, 23:53

ich nehm doch nicht auf den arm, höchstens den text, aber nur ein ganz klein wenig.aber dein text nimmt ja auch ein wenig auf den arm. ganz wunderbar finde ich das "keusche entfalten" und das "erfrische die natur". :) wieso gibts auf musen nur scheußlige reimwörter? ach und ja; das keusch hat mich natürlich auch gereizt und dann hab ichs ganz vergessen im eifer des gefechts.
ich freu mich natürlich wenn meine reimerei lässig rüberkommt. ich bin komplett aus der übung, aber ich mags nicht gern so aufgeräumt nach bestimmten schemata.
also: sehr gern gelesen und sehr gern darauf gereimt! dankeschön!

Quoth
Beiträge: 1853
Registriert: 15.04.2010
Geschlecht:

Beitragvon Quoth » 11.02.2014, 11:24

Hallo RäuberKneißl, vielen Dank für das "handwerklich fein gezimmert", ja, ein brauchbarer Wortzimmermann möchte ich sein, nach Höherem steht mir nicht der Sinn! Ich glaube, ich werde zu dem "Simplizissimus-Stil" zurückkehren in der Orthographie, irgendwie gehört sie dazu - und ist dann ja eben nicht falsch, sondern alt! Und ehrwürdig!

Hallo Nera, ja, das Keusche, das vergisst man leicht - oder verdrängt es gar? Es gibt wohl kaum ein unpassenderes Wort zur Zeit - wo nun auch Lars von Trier die Feuchtgebiete erobert ... Ich bin sicher, Du könntest mehr Hingereimtes basteln, das durchaus gefällig wäre, studiere mal Louisas letzte Werke - sie war eine Meisterin darin und wird es hoffentlich wieder werden! Vielleicht findest Du erneut einen Aufhänger. Musen, Busen, schmusen und Blusen - das ist doch wirklich unsäglich! Medusen und Drusen gingen noch, aber schon Pampelmusen sind nur noch ein Witz ... :-)
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Benutzeravatar
nera
Beiträge: 2216
Registriert: 19.01.2010

Beitragvon nera » 11.02.2014, 21:58

hi quoth
die pampelmusen schmußen mit den busen der musen unter deren blusen. das können die drusen gar nicht verknusen: "ei, das sind doch flusen"hört man sie rußen, zur freude der medusen... ok, aber albern sind ja nicht die wörter, sondern wie man sie verwendet.aber gerade die musen machen es eigentlich leicht, weil man sich ja auch eine passende raussuchen kann.
ich muss gestehen, dass es mich für mich sehr viel einfacher ist, etwas albernes oder ironisches, eine parodie oder etwas lustiges zu reimen. einen text mit etwas mehr tiefgang oder einem ernsten thema in reimen zu produzieren finde ich sehr schwierig und dazu fehlt mir wirklich meist die muse und die ideen sind im moment auch etwas mager.
lg

Benutzeravatar
ferdi
Beiträge: 3260
Registriert: 01.04.2007
Geschlecht:

Beitragvon ferdi » 12.02.2014, 00:39

Hallo Quoth,

ich würde das lassen mit dem "Simplitissimus-Stil". Das wirkt nicht alt und ehrwürdig, sondern eben doch einfach nur: falsch. Alte Sprache in Gedichten nachmachen zu wollen, wirkt so gut wie immer falsch, denn am Ende steht ein Mischmasch, das weder in der einen Richtung - die der heutigen Sprache - noch in der anderen Richtung - der der älteren Sprachstufe - irgendwie überzeugen kann. Eigentlich kann man so etwas nur machen, wenn man wirklich gute Kenntnisse dieser alten Sprachstufe hat, und dann einen Text vollständig in dieser Sprache(!) schreibt. Und dann stellt sich die Frage: wer liest denn dann einen solchen mittelhochdeutschen Text, beispielsweise?! Nein, derlei stehe ich sehr misstrauisch gegenüber.

Formal gesehen passt zu einem Barock(?!)-Sonett auch gar nicht die Paarreime der Terzette - höchst unüblich, wenn überhaupt vertreten, damals; genauso wie die wechselnden Reime in den Quartetten.

Von da her würde mir ein heutiges Sonett, das nur eine Ahnung von Bezügen in die alte Zeit vermittelt, wesentlich besser gefallen als dieses Stück hier, das für mein Empfinden alles durcheinander wirft.

Gruß,

Ferdi
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Quoth
Beiträge: 1853
Registriert: 15.04.2010
Geschlecht:

Beitragvon Quoth » 12.02.2014, 12:32

Hallo Ferdi, da bist Du ja! Habe ich Dich aus dem Park gelockt? Dass Du literarische Formen der Vergangenheit außerordentlich gut kennst und zum Teil auch benutzt, ist Dein gutes Recht, ich gehe aber völlig anders damit um, und ich würde mich freuen, wenn Du das auch akzeptieren könntest. Ich suche mir heraus, was ich gebrauchen kann, ordne es auch um - ich bleibe ich selbst unter der angenommenen und keinesfalls perfekten Maske, während Du, wenn Du Hexameter schreibst oder Biedermeierdichtung nachahmst, bis an die Grenze der Verwechselbarkeit und Selbstaufgabe vordringst. Das hat den Reiz der Virtuosität - aber das ist auch alles.

Hallo Nera,
das ist völlig verständlich, der Reim ist seit Wilhelm Busch, Christian Morgenstern, Eugen Roth und Robert Gernhardt fast völlig in den Bereich des Humors und der Satire hinübergewandert, ja, er ist geradezu ein Inbegriff dessen geworden, was man in ernster Lyrik nicht mehr lesen will. Der letzte (wenn ich mich recht erinnere), der erhabene ernste Reime "konnte", war Großmeister Rilke, zum Teil edles und ausgefallenes Zeug ("aber" und "Kandelaber"), aber mir ist, als ob er auch wirklich den Topf gründlich ausgekratzt hätte. Da ich aber Rhythmus und Reim in der Sprache liebe (im Rap erleben sie ja eine Wiederauferstehung), benutze ich eine regressive Maske, zu der auch die andere Orthografie mit ihren Konsonantenverdoppelungen gehört, die ich sehr mag. Sie hat Matthias Koeppl 1972 zu seinem "Starckdeutsch" angeregt.

Gruß Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Benutzeravatar
fenestra
Beiträge: 1369
Registriert: 21.06.2009
Geschlecht:

Beitragvon fenestra » 12.02.2014, 18:28

Lieber Quoth,

das ist eine feine Huldigung an diese virtuelle blaue Grotte - so lese ich es jedenfalls. Vielen Dank dafür! Zwar kommt es altmodisch daher und verklärt sicher so manches, aber ich finde es durchaus in sich stimmig. Bei den Rechtschreibeigenheiten habe ich auch erst gestutzt, weil ich "Wentil" z.B. überhaupt nicht kannte, aber du wirst es sicher besser wissen. Ich bin ein Fan von "Starckdeutsch", habe das Bändchen auch hier liegen.

Viele Grüße
fenestra

P.S.: Natürlich kann man Muse auch auf Hypothenuse reimen. Auf meine vor Jahren einmal in einem Forum geäußerte Frage nach der männlichen Form der Muse habe ich immer noch keine befriedigende Antwort erhalten. Aber deine Grotte hat mich dennoch zu einem Grotten(schlechten?)text angeregt.

Quoth
Beiträge: 1853
Registriert: 15.04.2010
Geschlecht:

Beitragvon Quoth » 12.02.2014, 19:13

eine feine Huldigung an diese virtuelle blaue Grotte

das hört der Wortzimmerer gern, vielen Dank, fenestra. Freut mich auch, dass Du das Starckdeutsche liebst - und für die wenigen, die es noch nicht kennen, hier eine Kostprobe (den Orthografen ins Stammbuch):


Matthias Koeppl:
Ünnschpirattatzjaun

Vüll drr Deuchtar ötwosz deuchtn,
plöllt iss ühm nöcht immbar leuchtn,
dönn di Ünnschpirattatzjäun
kimmt nöcht su vnn gontz arleun.
Nömmnßtde Vaibur, Wuin, Kesungg, -
wörrstde tschlaupp tarvunn ont krunck!
Zicharste Ünnschpirattzjurrn
kimmt vnn Bür müdd Dappulkurrn


Macht Durst!
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Benutzeravatar
nera
Beiträge: 2216
Registriert: 19.01.2010

Beitragvon nera » 12.02.2014, 22:00

hallo quoth

brecht, benn, kästner, bachmann; nur ein paar beispiele an dichtern, die auch wunderbar"ernst" gereimt haben. ich kenne auch ein gedicht von karl kraus, das ich sehr mag, -gereimt! also weitermachen! es macht spass deinen text zu lesen und auch sich davon verführen zu lassen!
lg

ps: danke für den tip mit dem starckdeutsch-rext. kannte ich nicht.

Niko

Beitragvon Niko » 12.02.2014, 22:33

geschätzter kollege,

ein allgemeinmediziner, der keine ahnung von plastischer chirurgie hat, sollte nicht zum op-besteck greifen....

die dopplungen vielen auf. meine dopplung sollte nicht ironisch daherkommen, es war schlicht ein schreifehler, da mit diesem verflixten schmachtfon auf die schnelle geschrieben.
mit speziellen reimschemen bin ich fremd, aber fremdele damit mitnichten. der schreibstil gefällt mir. wobei ich grotte - gotte ein bisschen simpel als reim finde. aber nu...

also ums kurz zu machen: ich hab keine ahnung von dem zeugs, es dennoch gern gelesen. aber ein urteil - nein...-dazu fehlt mir die kompetenz.

beste grüße: niko, rheinländer im niedersachsen-exil. wusste garnicht, dass karneval herrscht


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 65 Gäste