[M] o.T. (2)

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 15.05.2013, 08:38

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Schnell um das grasende Feuer zu schüren schreibst du zwei Zeilen
über der Weide schwelt Rauch Herz du vergisst keinen Halm.






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Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

carl
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Beitragvon carl » 16.05.2013, 07:42

Hallo Flora,

sehr gelungen: der Liebeskummer als Steppenbrand, der durch das Gedicht noch angefacht wird. Wenn schon die Erfüllung nicht möglich ist, dann wenigstens die komplette Vernichtung!
In der 2. Zeile stört einzig "schwelt" den Rhythmus des Distichons: "schwelt" ist lang. Hier muss eine kurze Silbe hin.

LG, C

Rosebud

Beitragvon Rosebud » 16.05.2013, 22:25

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Zuletzt geändert von Rosebud am 26.06.2015, 16:03, insgesamt 1-mal geändert.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 17.05.2013, 07:43

Hallo Carl,

danke, für die Rückmeldung. Freut mich!
In der 2. Zeile stört einzig "schwelt" den Rhythmus des Distichons: "schwelt" ist lang. Hier muss eine kurze Silbe hin.
Liegt auf dem "schwelt" für dich eine Betonung? Für mein Ohr klingt es stimmig schwingig. :) Wäre denn "steigt" für dich beispielsweise weniger störend, oder müsste es aus deiner Sicht für das Distichon etwas wie "der" sein?



Hallo Rosebud,

schön, dass du nochmal schreibst, und dass der Rhythmus hier für dich aufgeht!
Inhaltlich lese ich darin was ganz anderes als carl, wage mich damit aber nicht nach vorn, weil ich nicht weiß, ob Eure Distichon-Aufgabe auch einen thematischen Aufhänger hat, was ich vermute, wenn ich bei carl das Wort "Liebeskummer" lese.
Nein, inhaltlich gab es keine Vorgabe. (Das jeweilige Monatsthema findest du immer in der Forenansicht ganz oben unter "Der blaue Salon". viewtopic.php?f=134&t=14111) Jetzt bin ich natürlich schon sehr gespannt, wie du liest ... magst du nicht doch erzählen? :nicken:


Liebe Grüße euch beiden
Flora
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RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 17.05.2013, 09:49

Hallo Flora,

ich lese es inhaltlich ähnlich wie carl, das 'schwelt' stört mich nicht, eher das schnell, hier könnte ich mir noch einen markanteren Einstieg vorstellen, denn für mich beisst sich 'schnell' mit dem mählichen Grasen des Feuers, der ruhigen Bewegung des Rests (aber einen passenden betonten Einsilber habe ich auch nicht zur Hand).
Grüße
Franz

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 17.05.2013, 10:00

Mich berührt das persönlich sehr stark, weil es mich an Zeiten erinnert, wo ich glaubte, nicht mehr schreiben zu können (wobei ich jetzt - ehe einer lacht - nicht den Anspruch auf expressives, künstlerisches Schreiben meine, sondern den Anspruch auf den kathartischen Effekt des Schreibens - falls das verständlich ist). Da hat es auch Phasen gegeben, wo jeder Schreibversuch ein verzweifeltes Haschen nach Halmen war.

Aber ich weiß nicht, ob Flora das meinte; bei mir kommt es aus persönlichen Gründen so an.

Grüße von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
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(Ikkyu Sojun)

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 17.05.2013, 10:27

Hallo Flora!

Auch ich hänge ein wenig an dem "schwelt"; aber voll allem inhaltlich. Schwelender, also (luftarm) brennender Rauch - das macht ja erst einmal keinen wirklichen Sinn und muss also bildlich gemeint sein; aber auch da finde ich nirgendwohin?! (Wobei ich, natürlich, ein jämmerlich schlechter Bilderdeuter bin).

Rhythmisch, also im Distichon-Sinne, passt "schwelt" dagegen schon, denke ich; trotzdem finde ich auch, dass es bei dreisilbigen Füßen sinnvoll ist, die beiden unbetonten Silben nicht zu unähnlich werden zu lassen, eben auch nicht bezüglich ihrer "Schwere", ihrer zeitlichen Ausdehnung - "schwelt" ist halt doch arg reich an Mitlauten.

Besser passt es als unbetonte Silbe in einem zweisilbigen Fuß, also etwa (nur um mal einen gänzlich unerwünschten Reim einzubauen):

Über der Alm schwelt Rauch Herz du vergisst keinen Halm.

Klingt rein von der Bewegungslinie doch auch sehr schön?! Und ist wahrscheinlich näher an der "reinen Lehre". Aber wie gesagt, ich glaube nicht, dass gegen "Weide schwelt" etwas spricht.

(Den Punkt am Ende würde ich weglassen, du hast ja sonst auch keine Satzzeichen ... Was etwas ist, worüber ich gerade nachdenke. Da schreibe ich mal was zu unter dem anderen Distichon, glaube ich.)

Ferdigruß!
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carl
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Beitragvon carl » 17.05.2013, 11:17

Hi Flora und Ferdi in Kürze:

es geht bei "schwelt" nicht um eine betonte, sondern um eine lange Silbe (also im Gegensatz von z.b "schwillt")
Ferdi hat mit "Alm schwelt" einen Spondeus gezeigt _ _ statt des Daktylus _ uu (= lang-kurz-kurz), aber "Wiese schwelt" ist _ u _ ; me.E. passt das nicht ins Maß des Pentameters, oder doch??

LG, C

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 17.05.2013, 11:34

Hallo Carl,

das hängt davon ab, wieviel vom aus der Antike stammenden Erbe du beim Hexameter und Pentameter zulassen willst ... Da gab es bisher in der deutschen Dichtung alle nur denkbaren Meinungen, von "der griechisch-lateinische Vers baut sich nach Längen und Kürzen auf, also muss der deutsche Vers das auch (natürlich unter Berücksichtigung deutscher Betonungsverhältnisse)" als äußerstes hier bis hin zu "Einer antiken Länge entspricht eine Betonung, einer antiken Kürze eine Nichtbetonung; ansonsten spielt die Silbendauer keine Rolle im deutschen Hexa- / Pentameter" als äußerstes da. Flora ist nahe beim letzteren; du näherst dich ersterem, und da könnt ihr natürlich schwer übereinkommen. Aber vernünftige Verse macht am Ende beides ... (Ich selbst werbe ja immer für eine Mittel-Ansicht: "Im zweisilbigen Fuß sollte die betonte Silbe möglichst nicht nur Nachdruck, sondern auch Dauer haben, im dreisilbigen Fuß sollten die beiden unbetonten Silben von möglichst kurzer Dauer sein". Ich glaube, näher braucht man nicht ran an den antiken Vers - und wenn es mal nicht klappt, dann ist's auch nicht schlimm.)

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Mucki
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Beitragvon Mucki » 17.05.2013, 13:53

Hallo Flora,

mir gefällt dein Distichon sehr. Die erste Assoziation ist auch bei mir Liebeskummer und die komplette Ausmerzung desselben, doch ich finde, dass man es auch wie Zefi lesen kann. Umso besser, dass hier eine Mehrdeutigkeit möglich ist, meine ich.

Saludos
Gabriella

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 19.05.2013, 18:30

Hallo ihr,

danke für die Rückmeldungen! Ich habe über das "schnell" und das "schwelt" nachgedacht. Beides scheint mir jedoch für den Text, bzw. das Bild, das ich vor Augen habe genau zu passen. Auch dein Eindruck Räuber, dass sich da etwas beißt, trifft sehr gut. Insofern kann ich da im Moment nichts ändern. Das schwelt ist vermutlich schwieriger, weil es tatsächlich "unscharf" ist und ich nicht weiß, ob es so auch für den Leser funktioniert. In "schwelt" schwingt für mich etwas "Unverarbeitetes" mit, etwas "untergründig Wirksames", auch Drohendes, aber auch schwebend, Schwaden, das Langsame. Und es klingt auch einfach so, wie ich es sehe. :) Die (Sprach-)Bewegung geht nicht nach oben und verliert sich, sondern bleibt wie Nebel über einer weiten Ebene liegen.

An der Weide hänge ich nicht so sehr, die Alm wäre mir aber zu bergig und reimig. :-) Dann eher "Trift", was mir auch inhaltlich sehr gefallen würde, wobei das ein ziemlich ungebräuchliches Wort ist und von daher vielleicht etwas zu sehr herausstechen würde?

über der Trift schwelt Rauch Herz du vergisst keinen Halm.

Was meint ihr?

Inhaltlich ist es für mich offen. Ich kann es auch wie Carl lesen und es freut mich, dass es so aufgeht. Wobei das Grundmotiv für mich nicht unbedingt "Liebe" sein muss. Der Ausgangspunkt war schon stärker auf die Fragen des Schreibens bezogen.
Zefi hat geschrieben:sondern den Anspruch auf den kathartischen Effekt des Schreibens
Das ist ein sehr interessanter Aspekt für mich. Das "Herz du vergisst keinen Halm." wäre für mich dabei der Drehpunkt, da es denke ich auf zwei Weisen gelesen werden kann?
Ferdi hat geschrieben:(Den Punkt am Ende würde ich weglassen, du hast ja sonst auch keine Satzzeichen ... Was etwas ist, worüber ich gerade nachdenke. Da schreibe ich mal was zu unter dem anderen Distichon, glaube ich.)
Der Punkt am Ende soll einen gewollten Abschluss verdeutlichen. Da soll ein Punkt gesetzt werden. (Zefi schrieb unter dem anderen Distichon, bei dem der Punkt fehlt, etwas sehr Feines dazu.) Ich arbeite gerne mit Zeichensetzung, wenn das aber hier zu verspielt ist, oder nicht nachvollziehbar, kann der Punkt auch weg. Würde mich aber sehr interessieren, was dein Nachdenken zu Tage gebracht hat!

Gabriella hat geschrieben:mir gefällt dein Distichon sehr. Die erste Assoziation ist auch bei mir Liebeskummer und die komplette Ausmerzung desselben, doch ich finde, dass man es auch wie Zefi lesen kann. Umso besser, dass hier eine Mehrdeutigkeit möglich ist, meine ich.
Freut mich! Ja, so sehe ich das hier auch.

Liebe Grüße euch
Flora
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Rosebud

Beitragvon Rosebud » 19.05.2013, 22:37

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Zuletzt geändert von Rosebud am 26.06.2015, 16:02, insgesamt 1-mal geändert.

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 20.05.2013, 00:50

Hallo Flora,

du kannst ja im Hexameter auch "weidende" schreiben (wird natürlich etwas "ei"-lastig, der Gute), und im Pentameter "Über dem Gras" ... Oder einfach alles so lassen und die formale Anregung mitnehmen für's nächste Distichon.

Ferdigruß!
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 20.05.2013, 09:35

Hallo Rosebud,

danke für deine Leseweise! Ja, so kann man es sicher auch lesen. Und deiner Büdde komme ich wohl auch nach. ;-)

Hallo Ferdi,

Ferdi hat geschrieben:du kannst ja im Hexameter auch "weidende" schreiben (wird natürlich etwas "ei"-lastig, der Gute), und im Pentameter "Über dem Gras" ... Oder einfach alles so lassen und die formale Anregung mitnehmen für's nächste Distichon.
Die beiden zu tauschen, passt für mich nicht. Ja, dann werde ich es wohl so machen und die Anregungen einfach mitnehmen. Dank dir.

Liebe Grüße euch
Flora
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