Matt ohne einen Zug

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Kurt
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Beitragvon Kurt » 12.03.2012, 23:49

Am unergründlichem Himmel,
Cirruswolken über dem Gebirgszug;
Züge ohne erkennbares Ziel.
An gleißenden Gleisen
heizt sich der Schotter auf.
In Zugzwang gerät die Eidechse
vor der heran schnaufenden Lok,
welche den Zug zieht,
in dem mein Liebchen
den Lokführer Anton lockt;
halte es für verkehrt,
denn der schafft in einem Zug
vier Schnäpse und drei
Klimmzüge mit Zigarette,
vernachlässigt seine Obacht;
sich Bahnende könnten kollidieren
und Eidechsen entgleisen, die
mit dem Zug zur
Unentschlossenheit.
"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

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Eule
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Beitragvon Eule » 14.03.2012, 10:10

Hallo Kurt, "unergründlich" und "unentschlossen" bilden um diesen Text sinngemäß eine Klammer, sind Start und Ausgang. Nicht zufällig also, dass mir als Leser das Ganze recht unbestimmt, trashig und melodramatisch vorkommt. Als: wars das, soll das etwa alles sein, könnte ich mir eine inhaltliche Fragestellung denken, die oft hinter einer scheinbaren Slapstick-Komik gestellt zu werden scheint. ;-)
Ein Klang zum Sprachspiel.

Kurt
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Beitragvon Kurt » 14.03.2012, 12:43

Hallo Eule, Danke für die Befasse.

Ich habe jetzt nachträglich meine detailierten Erläuterungen wieder rausgenommen. Die braucht es nicht!

Lasse nur noch stehen:

Cirrus kündigen Regen an, die Atmosphäre "heisst" sich auf.
Können hier aber nicht als Zeichen gedeutet werden, weil nichts vorgezeichnet ist.

Lyrich2 ist die Eidechse. (Der Mensch hat ja mehrere Ichs.)

Und der Anton soll sich vorsehen, damit ich :smile: nicht mit
ihm "kollidiere".

Ein entschlossener Kurt
grüßt :mrgreen:
"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 28.03.2012, 09:10

Hallo Kurt,

ein Eidechsenliebchen und ein realer Mann? Entgleisende Eidechsen?? Für mich ist hier im Moment sowohl die Eidechse seltsam "besetzt", ich sehe ja tatsächlich das Tier, als auch die Wortspielerei ziehen/Zug zu sehr überstrapaziert. Ein bisschen weniger davon und dafür menschlicher
(Zum Beispiel:
darauf erhitzt sich ein Mann, eidechsengleich
sieht: Die Lok schnauft heran
)
wäre für mich mehr. Gerade die ersten drei Zeilen würden mir ohne diese betonte "Witzigkeit" gut gefallen.
Am unergründlichem Himmel,
Cirruswolken über dem Gebirge;
Züge ohne erkennbares Ziel.


Das Entgleisen kann ich zwar von der übertragenen Bedeutung hier lesen, klingt auch gut, aber es funktioniert für mich nicht. Ich kann mir einfach keine entgleisende Eidechse vorstellen, nicht mal im übertragenen Sinn, .-) es wirkt einfach lächerlich und zu gewollt. Wenn schon Eidechsenmann, dann möchte ich auch etwas "Eidechsentypisches" sehen, wie das "erhitzen" und am Ende könnte z.B. der Schwanzverlust drohen, bzw. eine Möglichkeit sein. :mrgreen: Sonst kommt mir die Eidechse ziemlich beliebig austauschbar vor.

Ich würde auch die Schachspielerei draußen lassen, vor allem im Titel.

Liebe Grüße
Flora

edit: Das sähe zusammengefasst dann so aus:

► Text zeigen
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Kurt
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Beitragvon Kurt » 28.03.2012, 12:06

Gedichtumänderung (Vorschlag) von Flora:

Am unergründlichem Himmel,
Cirruswolken über dem Gebirge;
Züge ohne erkennbares Ziel.
An gleißenden Gleisen
erhitzt sich ein Mann, eidechsengleich
sieht: Die Lok schnauft heran
welche den Zug zieht,
in dem sein Liebchen
den Lokführer Anton lockt;
er hält es für verkehrt,
denn der schafft in einem Zug
vier Schnäpse und drei
Klimmzüge mit Zigarette,
vernachlässigt seine Obacht;
sich Bahnende könnten kollidieren
und Eidechsen ihren Schwanz verlieren, die
mit dem Hang zur
Unentschlossenheit.

Liebe Flora, Danke für deine Mühen.
Anhand deiner Umänderung des Gedichtes wird mir mal wieder klar, dass der Grat zwischen
Literatur und Trash ziemlich eng sein kann. Eine mannsgleiche Eidechse, die in Gefahr ist, ihren Schwanz zu verlieren; ich bin entrüstet, liebe Flora. Ich mag auch keine Gedichte, die irgendwelche Anweisungen oder Weisheiten enthalten; pfeifen in unserer Bildungsgesellschaft ja bereits die Kleinkinder aus ihren Pampers. Und wenn, dann nur im lakonischen Ton.
Mit deinem Eingriff hast du nun in diesem Gedicht das Spielerisch-Spöttische verwandelt ins Lächerliche. Vielleicht kannst du dich der Eidechse eher nähern mit dem lapidaren Hinweis (Ausspruch) des Lyrichs: „Komme mir vor wie eine Eidechse vor dem problembeladenen Zug.“
Käfer könnten da auch im Gleisbett sein; aber zu einer Eidechse, die sich auf dem Schotter wärmt,
hat man doch eher menschlichen Bezug, oder? Und über den Anton soll in der betreffenden kurzen Zeile eine inwändige Ambivalenz zum Ausdruck kommen.

LG Kurt
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 28.03.2012, 12:59

Hallo Kurt,

Anhand deiner Umänderung des Gedichtes wird mir mal wieder klar, dass der Grat zwischen
Literatur und Trash ziemlich eng sein kann.
Ja. Der Grat ist schmal. Ich nehme an, du siehst dein Gedicht auf der Literaturseite. :o)
Eine mannsgleiche Eidechse, die in Gefahr ist, ihren Schwanz zu verlieren; ich bin entrüstet, liebe Flora. Ich mag auch keine Gedichte, die irgendwelche Anweisungen oder Weisheiten enthalten; pfeifen in unserer Bildungsgesellschaft ja bereits die Kleinkinder aus ihren Pampers. Und wenn, dann nur im lakonischen Ton.
Die Eidechse ist nicht mannsgleich, sondern der Mann sonnt/erwärmt sich dort eidechsengleich. Wenn ich: "Lyrich2 ist die Eidechse." ernst nehmen soll, und nicht als "kommt sich vor wie eine Eidechse", wird dann auch das Liebchen und der Lokführer zur Eidechse?
Kein Grund zur Entrüstung, der Schwanz wächst nach und sollte auch nur veranschaulichen, was mir im Gedicht fehlt, nämlich ein Bezug zur Eidechse. Die Assoziation, dass Eidechsen bei Gefahr ihren Schwanz "verlieren" können, ist denke ich recht naheliegend, auch wenn es nicht erwähnt wird. Wenn dich das entrüstet, würde ich wohl wirklich eine andere Tierart wählen.
Ich sehe auch keinen Anweisungs- oder Weisheitszuwachs?
Mit deinem Eingriff hast du nun in diesem Gedicht das Spielerisch-Spöttische verwandelt ins Lächerliche. Vielleicht kannst du dich der Eidechse eher nähern mit dem lapidaren Hinweis (Ausspruch) des Lyrichs: „Komme mir vor wie eine Eidechse vor dem problembeladenen Zug.“
Nö, das ändert für mich nicht, dass es im Gedicht nicht funktioniert. Und das von dir spielerisch-spöttische intendierte kommt bei mir leider nicht so an. Das mag aber natürlich auch an mir liegen.
Käfer könnten da auch im Gleisbett sein; aber zu einer Eidechse, die sich auf dem Schotter wärmt, hat man doch eher menschlichen Bezug, oder?
Könnte auch Katze, Hund, Maus, Schmetterling, Ameise oder ein Vogel sein. Ich würde aber bei allem dann gerne den Grund für diese "Verkörperung", bzw. das gedankliche Hineinversetzen in dieses Tier im Gedicht sehen und erfahren. Oder eben konsequent aus Tiersicht erzählt bekommen.

Liebe Grüße
Flora
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Kurt
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Beitragvon Kurt » 28.03.2012, 13:58

Flora meint:
„Könnte auch Katze, Hund, Maus, Schmetterling, Ameise oder ein Vogel sein.“

Liebe Flora, nun möchte ich dir doch zunächst eine multi-choisliche Aufgabe stellen:

Welches Tier lebt gerne am Bahndamm?

Katze
Hund
Eidechse
Maus
Schmetterling
Ameise
Vogel

Ich würde auf Eidechse tippen, denn die Kaltblütler finden hier sonnige Wärmeplätze und zahlreiche Schlupfwinkel und auch ein Nahrungsangebot an Spinnen und nahrhaften Insekten.

LG Kurt
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Niko

Beitragvon Niko » 05.04.2012, 19:51

hallo kurt,

schon zu verschiedenen zeiten und mehrfach habe ich dein gedicht gelesen. im grunde mag ich das spielen mit worten. nach meinem empfinden nimmst du dem text die ernsthaftigkeit durch das manchmal fast erheiternde wirken deiner wortjonglierereien. gleißende gleise oder der lokführer lockt.....
wenn ich es richtig verstehe, soll der text schon eine gewisse leichtigkeit haben. hier aber ist es nach meinem empfinden to much.

liebe grüße: niko

Kurt
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Beitragvon Kurt » 05.04.2012, 22:25

Lieber Niko,

wiederholtes Zug-zug, gleißende-Gleisen oder lockt-Lok(führer) sind ja ein gewichtiges Stilmittel in diesem Gedicht und sofort erkennbar. Würde man es halbherzig anwenden, d. h. einige „Züge“ etc. entfernen, dürfte es nicht funktionieren.

LG Kurt
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Niko

Beitragvon Niko » 06.04.2012, 00:54

Würde man es halbherzig anwenden, d. h. einige „Züge“ etc. entfernen, dürfte es nicht funktionieren.


was genau würde nicht funktionieren, kurt?

grüße: niko

Kurt
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Beitragvon Kurt » 10.04.2012, 16:38

Niko, ich würde ja etwas ändern am Gedicht, aber mir ist im Augenblick nicht einsichtig, was. Für mich ist es okay, also lass ich es zunächst mal so. Danke für die Befasse.

LG Kurt
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