o.T. (wie verrückt) aus dem LyDia

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 12.07.2011, 11:45




wie ein amulett trägt sie
den kleinen blauen fleck
unter ihrer kleidung (aus wolken)
versteckt ein traummal
sagte er du hast dich weit
in den stein gelehnt
und strich
beim auseinandergehen (gedanken
über die anziehungskraft
der erde) so sonnig darüber
als hätten sie
eben erst den anfang
ihrer himmel entdeckt

da steht sie nun summend
mit mondschatten unter den augen
vor dem regal mit den zwanzig sorten marmelade
ein früchtehorizont denkt sie, erweitert den traum
um den duft der waldhimbeeren und drückt
die gitter des einkaufswagens an ihre hüfte
um ihn zu spüren, sich zu wecken
in ihrem kleinen blauen fleck
geht das lächeln auf
(wie verrückt)


Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

pjesma

Beitragvon pjesma » 15.07.2011, 20:54

das gefällt mir sehr ...werde später noch ausführlicher darauf eingehen;-)
lg

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 15.07.2011, 21:22

Hach Flora,
wie immer luftig und schwebend, mit nahezu naiver (im Sinne von kindlicher) Phantasie, ein wahrer Rosabausch. Und genau das finde ich manchmal überverlyrikt, versuperpoetisiert. Aber vielleicht bin ich einfach nur zu asphalthaft, und zum Glück rammt uns ja der Einkaufswagen am Ende aus der Waldhimbeersphäre in die Wirklichkeit zurück, erdet uns wieder.
Die Klammer am Ende verstehe ich allerdings in dem Zusammenhang nicht ganz, oder eher gar nicht.

Fast zu schön ...

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 16.07.2011, 01:35

Hallo Flora,

hübscher Kontrast, das 'verrückt' hatte ich in seiner unklaren Hälfte (die andere, o Tom, dem verrückt machenden Sonnenjüngling zugeschrieben) dem Metaphern putzen zugeordnet (du bist weit in den Stein gelehnt - gerückt - verrückt). Finde ich sehr gelungen, verspielt, aber konkret in all seinen Anklängen.

Grüße
Franz

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 16.07.2011, 21:38

Liebe Flora,

danke, dass du den Text für sich eingestellt hast, es war nämlich einfach eine lust und Schönheit und Tiefe ihn zu lesen. Ich liebe, wie er verspielt und doch tief mit der sprache umgeht, erfindet, erspricht, umspricht und den leser sich doch nicht darin verlieren lässt, sondern man spürt, worum es konkret geht. das passt gan hervorragend zur dem blauen Fleck zugeschriebenen Magie...ein text ist ja irgendwie ein genauso auf zeit begrenztes wundenamulett.

Und auch, wenn ich das gefühl kenne: Mir ist dieser Text nicht zu schön.

Eine kleinste Idee: ich würde als Titel nicht nehmen o.T. (wie verrückt) sondern nur: (wie verrückt). es ist perfekt, dass er unten und mittig steht).

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 17.07.2011, 14:08

Hallo ihr Lieben,

danke für eure Rückmeldungen!

Und dir, Lisa, natürlich auch fürs anstupsen. .-)
Lisa hat geschrieben: Eine kleinste Idee: ich würde als Titel nicht nehmen o.T. (wie verrückt) sondern nur: (wie verrückt). es ist perfekt, dass er unten und mittig steht).
Mit dem o.T. wollte ich eigentlich nur deutlich machen, dass kein zusätzlicher Titel über dem Text stehen soll. :)
ein text ist ja irgendwie ein genauso auf zeit begrenztes wundenamulett.
Das gefällt mir sehr.

Hallo Tom,
Tom hat geschrieben:wie immer luftig und schwebend, mit nahezu naiver (im Sinne von kindlicher) Phantasie, ein wahrer Rosabausch. Und genau das finde ich manchmal überverlyrikt, versuperpoetisiert.
Das ist natürlich interessant für mich, und hat mich auch nachdenklich gemacht, dass das bei dir so ankommt, auch im Hinblick auf das "wie immer". So ein bisschen fürchte ich, dass daraus auch eine Erwartungshaltung entstehen kann, die das Lesen "einfärbt"? Ich könnte, auch wenn ich das bei anderen Texten von mir eher nachvollziehen kann, diesen hier weder einer "kindlichen" Phantasie zuordnen, noch sehe ich eine ungebrochene, "rosarote" Aufbauschung darin.
Die Klammer am Ende verstehe ich allerdings in dem Zusammenhang nicht ganz, oder eher gar nicht.
Die Klammer oder den Inhalt? Es ist beiden zugeordnet, wie Räuber schon schrieb, und enthält für mich auch beide Leseweisen des "verrückt".

Liebe Grüße euch
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 17.07.2011, 19:12

Hallo Flora,

das ist wieder ein FLORA-Text, mit dem ich wenig anfangen kann. Ich gehe davon aus, dass das an der Lyrik-Leserin in mir liegt. Ich möchte dieser Stimme deshalb zum Wort verhelfen, weil hier mehr und mehr geschwiegen wird, wenn Widerstand und Widerspruch sich regen. Und da du selbst immer für Debatte und Widerspruch eintrittst, will ich versuchen, meine Reserve diesem Gedicht gegenüber auszudrücken.

Zur Form:
Bis jetzt hat sich für mich nicht erschlossen, warum du die erste Strophe rechtsbündig, die zweite linksbündig ansiedelst. Es könnte einen Abgrund, einen sich vergrößernden Abgrund, eine sich vergrößernde Spalte, ein sich langsam öffnender Riß sein. Es wirkt auch spielerisch - absolut kein Vorwurf - ein Sichtbarmachen der Textformatierungen, mit denen wir es im Alltag zu tun haben. Letzteren Grund finde ich gar nicht so schlecht. Vorläufig würde ich aber dazu meinen, dass der Text nicht spielerisch genug ist, um dies auszudrücken.





Flora hat geschrieben:


wie ein amulett trägt sie
den kleinen blauen fleck
unter ihrer kleidung (aus wolken)
versteckt ein traummal
sagte er du hast dich weit
in den stein gelehnt
und strich
beim auseinandergehen (gedanken
über die anziehungskraft
der erde) so sonnig darüber
als hätten sie
eben erst den anfang
ihrer himmel entdeckt



Ein Sie und ein Er
Wolkenkleidung darunter ein blauer Fleck wie ein Amulett
du hast dich weit in den Stein gelegt - hinausgelegt ...
er strich so sonnig darüber (Anziehungskraft der Erde)

Mir sind einige Gedanken gekommen, alles Bilder, die mit Mond, Erde, Sonne (vielleicht le soleil) oder der Schatten, der von der Sonne (sie lehnt sich weit in den Stein) geworfen wird ... aber das alles macht mich unschlüssig und verunsichert mich, ohne mir ein sprachliches, poetisches, lyrisches oder sonstwie linguistisch spekulatives Bild zu vermitteln.

Dabei ist die Sprache selbst durchaus verortet. Solche Gedichte stricken sich selbst in die Sprache hinein und bilden eine eigensinnige Oase des Unverständlichen ... wer ihre Sprache versteht, mag dort weilen. Manchmal ergibt sich dann ein Augenblick des Verstehens, auf diesen hoffend, zieht meine Karawane weiter.

zu Strophe 2:

da steht sie nun summend
mit mondschatten unter den augen
vor dem regal mit den zwanzig sorten marmelade
ein früchtehorizont denkt sie, erweitert den traum
um den duft der waldhimbeeren und drückt
die gitter des einkaufswagens an ihre hüfte
um ihn zu spüren, sich zu wecken
in ihrem kleinen blauen fleck
geht das lächeln auf
(wie verrückt)




Obwohl ich mit dieser zweiten Strophe weit mehr Kontakt aufnehmen kann als mit der ersten, bleibt auch hier die aufgehende Rechnung hinter dem Lächeln zurück.

Ratlosigkeit ob meiner offensichtlichen Unfähigkeit solcher Lyrik einen Sinn abzugewinnen, bleibe ich zurück.

Vielleicht kannst du mir erklären, welche Pisten ich hier nicht erkannt habe?
liebe Grüße
Renée

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Eule
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Beitragvon Eule » 18.07.2011, 02:20

Hallo Flora, ohne die Vorposts gelesen zu haben. Der Text fällt natürlich erst einmal durch sein Layout auf.

Ich fange rechts an zu lesen, und überlege, warum Textteile kursiv geschrieben sind. Ich lese sie zusammen, das klingt für mich wie ein Gedicht im Gedicht.

Dann der linke Textabschnitt: Die Textteile scheinen zusammenzuhängen, das letzte in Klammern geschriebene Wort könnte eine Überschrift bedeuten.

Worum geht es ? Es geht um Haut, Aussehen, Sinnlichkeit, Tätigkeiten und gedankliches Abschweifen, könnten eine Art Tagträume sein, einmal mit Partner, einmal alleine. Also vielleicht Lebensaus/ab/schnitte eines weiblichen lI´s. Mit der Überschrift als Fazit.

Ungewöhnlich und gut geschrieben, finde ich.
Ein Klang zum Sprachspiel.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 18.07.2011, 14:14

Hallo Renée,

Ich möchte dieser Stimme deshalb zum Wort verhelfen, weil hier mehr und mehr geschwiegen wird, wenn Widerstand und Widerspruch sich regen. Und da du selbst immer für Debatte und Widerspruch eintrittst, will ich versuchen, meine Reserve diesem Gedicht gegenüber auszudrücken.
:daumen: Das finde ich gut und danke dir dafür.

Ich könnte mir vorstellen, dass ein Zugang zumindest zur grundsätzlichen Bewegung des Gedichtes tatsächlich das ist, was du dich als erstes fragst, was nämlich die Setzung bedeutet. Nur suchst du wie mir scheint häufig bei Lyrik in einem Außenkontext, was den Blick vom Text, den Worten selbst weg zu etwas anderem hinlenkt. (Das ist vielleicht dann auch in deinem Schreiben ein Grund, warum ich auch oft ratlos vor deinen Texten stehe?) Vielleicht sind meine Gedichte wirklich, wie du so schön sagst "eigensinnige Oasen", die aber natürlich nicht unverständlich sein sollten. Meine Intention wäre jedoch, dass man im Text selbst die Antworten finden kann.

Hier wäre die andere Leseweise des "wie verrückt" (im Sinne von an einen anderen Ort, auf eine andere (Traum-)Ebene gerückt, jenseits der "Norm" ... ) vielleicht ein erster Anhaltspunkt? Es sind zwei Seiten, zwei Zeiten, zwei "Orte", die aber über die Menschen miteinander verbunden sind, ineinander hineinsprechen, sich aufeinander auswirken und beziehen.
Wenn du das Lächeln nicht verstehst, scheint mir das auch ein Hinweis darauf zu sein, dass dir die gezeigten Personen hier sehr "wesensfremd" sind und auch das ein "Hindernis" für ein intuitives Verstehen sein könnte?

Ich weiß nicht, ob meine Antwort dir nun irgendwie weiterhelfen konnte?

Hallo Eule,

danke für die Rückmeldung, freut mich! :)


Liebe Grüße euch
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

eve
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Beitragvon eve » 18.07.2011, 17:00

Liebe Flora!

Ein wunderschöner Text, der wunderschöne Assoziationen weckt!

Mit einem Lächeln im Gesicht

Eve

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 18.07.2011, 17:59

Hallo Flora,

langsam gewinne ich unserer Auseinandersetzung mehr als Interesse ab. Es ist nicht immer bequem, sich einer anderen Schreibweise zu öffnen und eine Sprache zu entziffern, der man selbst aus utti quanti Gründen nicht ausgesetzt war, aber in diesem Fall glaube ich, etwas von der eigenen Sprachlogik noch hinzu zu lernen.

Mich interessiert, was du über das Außen und das Innen sagst. Wo wäre bei dir das Innen, wo das Außen. Dein Text (um genauer zu sein, dieser hier, denn es ist nicht bei jedem deiner Texte so) läßt mich als Leser nicht hinein. Ich könnte ebenso sagen, ich gehe nicht hinein. Wie man aber jemanden dazu bringt mitzugehen, das ist die Frage des Textes überhaupt. Und wir wissen beide genau, dass das Mitgehen / Mitziehen noch keinen dauerhaft mitreißenden Text macht, dass die vielen AUßEN eben doch eine sehr große Rolle spielen.

Der Kontext des Textes macht letzten Endes den Text dann, wenn der enge (macnhmal engstirnige) Kontext sich verflüchtigtt hat. Jenes leichte Mitgehen hat trügerische Qualität. Mitgehen ist ein Stück weit auch Mitläuferschaft ...

Das Außen und das Innen als Kern ...

liebe Grüße
Renée

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 20.07.2011, 10:27

Hallo Renée,

Mich interessiert, was du über das Außen und das Innen sagst. Wo wäre bei dir das Innen, wo das Außen.
Immer dann, wenn man als Erklärung auf etwas anderes verweisen muss, als den Text selbst, wäre das für mich ein Außen.
Der Kontext des Textes macht letzten Endes den Text dann, wenn der enge (macnhmal engstirnige) Kontext sich verflüchtigtt hat.
Das habe ich nicht verstanden. Sollte es heißen, dass sich der Text auch losgelöst vom persönlichen Kontext des Autors bewähren können muss, für sich stehen können muss, stimme ich dir völlig zu.
Jenes leichte Mitgehen hat trügerische Qualität. Mitgehen ist ein Stück weit auch Mitläuferschaft ...
Auch hier verstehe ich nicht so ganz, auf was du hinauswillst und auf wen oder was du "jenes leichte Mitgehen" hier beziehst, oder was für dich der Unterschied zum "mitreißen" wäre, was eine andere Wertigkeit, Qualität darzustellen scheint?
Das Außen und das Innen als Kern ...
Wenn das Außen im Text eingearbeitet ist, ist es ein Innen. :)
(Ich springe mal rüber zu deinem Text "Unterboden", der vielleicht ganz gut geeigent ist, um zu zeigen, was ich damit meine.)

Hallo Eve,

das freut mich. :-)

Liebe Grüße euch beiden
Flora
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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 21.07.2011, 02:49

Flora hat geschrieben: So ein bisschen fürchte ich, dass daraus auch eine Erwartungshaltung entstehen kann, die das Lesen "einfärbt"?


Ich bin überzeugt davon, dass hier im Forum ganz stark nach Autoren gelesen und auch gewertet wird. Ich jedenfalls tue das. Mit dem Autor verbinde ich aus dem Abgleich mit eigenen Werten heraus eine gewisse Konformität, einen gemeinsamen Erlebnishorizont, eine gewisse Gefühlstiefe, oder eben nicht. Deswegen lese ich manche immer wieder, andere wiederum nicht mehr. Da finde ich auch gar nix Schlimmes bei, wenn man Favoriten für sich findet und entsprechend sortiert. Ich kauf ja auch nicht jedes Buch.

So ist es auch, wenn ich mir einen deiner Texte vorknöpfe. (Viele habe ich einfach nur gelesen/genossen, oder einfach abgewunken, weil zu weit draußen, und nix dazu geschrieben).

Freund Oldy hat neuerlich in Bezug auf die Photographie etwas Interessantes von einem Photographen gepostet, nämlich dies, dass die Empfindung eines Betrachters einem Kunstwerk gegenüber mehr über den Betrachter aussagt als über die Qualität des Kunstwerks selbst, man sich deswegen als Künstler nicht unbedingt selbst hinterfragen sollte, nur weil jemand was sagt, sondern eher den Betreffenden. Andersrum, so man als Betrachter zu lesen imstande ist, sagt aber auch das Kunstwerk ne Menge über den Künstler aus. So lese ich (hier im Forum) viele Texte eigentlich zweitrangig der Aussage des speziellen Textes wegen, sondern eher aus der Neugierde heraus, den Autor zu durchleuchten. Was für ein Mensch muss man sein, um solch einen Text zu schreiben? Gibt es eine Nähe zu diesem Menschen?

Befangenheit/Erwartungshaltung ist da nicht nur nicht auszuschließen, sondern eher Grundvoraussetzung, um sich einem Künstler zu nähern, und somit auch Verständnis für sein Werk zu entwickeln ...

Die Burg, die du um dich baust, Frau Winter, ist zum Beispiel gläsern. Da hilft auch kein fremder Name. Sehnsüchte, Ängste, Unerfülltheit, weiß der Geier was, alles nicht so versteckt, wie du vielleicht denkst. Du bildest Hülsen, ich kacks direkt raus, aber durchschaubar sind wir alle. Wollten wir dies nicht, entblößten wir uns nicht. Tun wir aber.
Man muss nicht glauben, dass Vorhänge vor Hitze schützen. Nur vor Licht.

Faun
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 21.07.2011, 10:10

Hallo Tom,

bei diesem Thema kommen wir sicher nie zusammen.
Ich bin überzeugt davon, dass hier im Forum ganz stark nach Autoren gelesen und auch gewertet wird. Ich jedenfalls tue das.
*Wuaaaaahhhhhh* Ich hoffe du täuschst dich. Ich versuche jedenfalls das bewusst zu vermeiden.
Mit dem Autor verbinde ich aus dem Abgleich mit eigenen Werten heraus eine gewisse Konformität, einen gemeinsamen Erlebnishorizont, eine gewisse Gefühlstiefe, oder eben nicht. Deswegen lese ich manche immer wieder, andere wiederum nicht mehr. Da finde ich auch gar nix Schlimmes bei, wenn man Favoriten für sich findet und entsprechend sortiert. Ich kauf ja auch nicht jedes Buch.
Natürlich hat man Vorlieben was Stil, Sprache, Thematik etc. anbelangt. Aber wenn ich nur lesen würde, mit was ich konform gehe, fände ich das ziemlich engstirnig. Ich hoffe, ich kann mir da eine gewisse Offenheit bewahren, um meinen Erlebnishorizont auch übers Lesen erweitern zu können und mich auch der Auseinandersetzung zu stellen.
So ist es auch, wenn ich mir einen deiner Texte vorknöpfe. (Viele habe ich einfach nur gelesen/genossen, oder einfach abgewunken, weil zu weit draußen, und nix dazu geschrieben).
Darfst gern beim genießen und auch beim abwinken kommentieren. .-)
Freund Oldy hat neuerlich in Bezug auf die Photographie etwas Interessantes von einem Photographen gepostet, nämlich dies, dass die Empfindung eines Betrachters einem Kunstwerk gegenüber mehr über den Betrachter aussagt als über die Qualität des Kunstwerks selbst, man sich deswegen als Künstler nicht unbedingt selbst hinterfragen sollte, nur weil jemand was sagt, sondern eher den Betreffenden. Andersrum, so man als Betrachter zu lesen imstande ist, sagt aber auch das Kunstwerk ne Menge über den Künstler aus.
Von psychologischen Betrachtungen auf der einen oder anderen Seite halte ich überhaupt nüscht. Selbst bei Autoren, die autobiographisch schreiben, oder hinausposaunen wie "wahr und echt" das alles ist, oder meinen ihren Text damit rechtfertigen oder unterfüttern müssen, bin ich höchst skeptisch. Wenn ich über seine Kunst etwas von diesem Menschen sehen soll, dann auch nur, wie er sich gesehen haben möchte. Und am Text ändert es auch nichts. Ich glaube gerade hier im Forum wäre es gut, wenn man sich auf die Texte konzentriert und diese analysiert und nicht die Autoren und Kommentatoren.
So lese ich (hier im Forum) viele Texte eigentlich zweitrangig der Aussage des speziellen Textes wegen, sondern eher aus der Neugierde heraus, den Autor zu durchleuchten. Was für ein Mensch muss man sein, um solch einen Text zu schreiben? Gibt es eine Nähe zu diesem Menschen?
Nochmal *wuahhhhhh* Mir stehen die Haare zu Berge. Ich lese Texte der Texte wegen und hoffe und denke, damit bin ich hier nicht allein. Ich möchte weder jemanden durchleuchten noch durchleuchtet werden.
Befangenheit/Erwartungshaltung ist da nicht nur nicht auszuschließen, sondern eher Grundvoraussetzung, um sich einem Künstler zu nähern, und somit auch Verständnis für sein Werk zu entwickeln ...
Befangenheit und Erwartungshaltung sind für mich Aspekte, die ich natürlich auch nicht ausschließen kann, aber immer wieder kritisch hinterfragen möchte. Ich denke sie stehen einem oft genug gründlich im Weg und versperren die Sicht. Ich will mich Kunstwerken nähern, nicht Künstlern. Und Verständnis fürs Werk sollte durch eine Auseinandersetzung mit dem Werk möglich sein.
Die Burg, die du um dich baust, Frau Winter, ist zum Beispiel gläsern. Da hilft auch kein fremder Name. Sehnsüchte, Ängste, Unerfülltheit, weiß der Geier was, alles nicht so versteckt, wie du vielleicht denkst. Du bildest Hülsen, ich kacks direkt raus, aber durchschaubar sind wir alle. Wollten wir dies nicht, entblößten wir uns nicht. Tun wir aber.
Ich gebe zu "Hülsen" in Bezug auf meine Texte zu lesen ärgert mich ziemlich. Aber wenn ich das aufgreife, würde ich sagen, weder Hülsen, Burg- noch Scheißtexte eignen sich für Wahrsagerei oder ein psychologisches Profil des Autors und egal, wie nackig du dich machst (will ich nicht wissen), kann (und will) ich trotzdem nicht in dich reinschauen. "Durchschaubarkeit" halte ich für eine weit verbreitete Illusion, der man gerne und meist recht selbstgefällig aufsitzt, die aber meist mehr über den "Schauenden" verrät, als über den "Beschauten". :o))
Ich denke dieser Ansatz an Texte heranzugehen ist nicht sehr belastbar. Und ich vermute, dass sogar Sam da ausnahmsweise nicht weit von meiner Meinung entfernt ist und es dir bei ihm, oder auch Lisa, oder sämtlichen Krimi-/Thrillerautoren ... schwer fallen wird, diese Sicht konsequent durchzuhalten.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)


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