Im Dezember

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Lydie

Beitragvon Lydie » 09.01.2010, 17:06

Im Dezember jagt der Tod
über die Dächer meines Lebens,

wild flüsternde Horde,
wen wird sie holen,

wer wird zum Überraschungssieger
im grossen Preiss der Abberufenen?

Die einen stellen Lichter in's Fenster,
bereiten sich für Krippe und Kind,

in mir träumen flackernd Gesichter,
mein Herz wandert im Zwischenreich.

Wie der Wetterhahn auf dem Turm,
friert das Verlassene in mir,

eisern und einsam,
dreht es sich mit dem Wind.

Im Dezember suche ich Lichter
für Friedhof und Grab,

meine Uhr geht nach,
heidnisch meine Pfade,

ehe die längste Nacht
sich zu neuem Tag wendet.

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 13.01.2010, 09:19

Guten Morgen,

das ist sehr bildhaft und fast ein wenig erschreckend.

Liebe Grüße
Marlene

DonKju

Beitragvon DonKju » 13.01.2010, 17:17

Hallo Lydie,

das sind nun eine Menge Bilder, so daß ich mich frage, ob eine Beschränkung nicht möglich und sinnvoll wäre, auch wenn ich hierzu leider keine konkreten Vorschläge unterbreiten kann. Auf jeden Fall würde ich aber die in meinen Augen etwas abgehackt klingende Schlusspassage überdenken :

"...
heidnisch sind meine Pfade,

ehe die längste Nacht
sich dem neuen Tag zuwendet."

Das wäre meine Idee zu derselbigen, vielleicht einen Nachdenker wert ?

Liebe Grüße dazu vom Hannes

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 20.01.2010, 09:42

Guten Morgen,

die Schlusspassage klingt vielleicht ein wenig abgehackt, aber das macht sie m. E. realer und dadurch glaubwürdiger. Hier geht es um den Zyklus des Werdens und Vergehens in einer archaischen Zeit. Glatt und ebenmäßig verläuft ein solcher Zyklus kaum.

Schönen Tag noch.
Marlene

Lydie

Beitragvon Lydie » 21.01.2010, 00:53

Hallo!

Marlene, das freut mich zunächst einmal einfach, dass du dich meinem Text zuwendest. Und:

"Hier geht es um den Zyklus des Werdens und Vergehens in einer archaischen Zeit. Glatt und ebenmäßig verläuft ein solcher Zyklus kaum."

Ja, so ist es. Und mit dem "fast auch ein wenig erschreckend", das ist auch so. Ich habe gedacht, es ist fast ein Halloween-Gedicht. Kontrastprogramm zu Weihnachten. Und gleichzeitig der längsten Nacht damit ganz nah.

Lieber Hannes,

Das stimmt bestimmt mit "der Menge Bilder". Mir wurde von einer Freundin schon das Stichwort "barock" angehängt, und ich habe immer gedacht, da ist auch was dran. Was nun die Schlusspassage betrifft, ist es für mich wichtig, dass die Nacht selbst sich wendet und zum neuen Tag wird und nicht "nur" die Nacht sich etwas bzw. dem neuen Tag zuwendet.

Freut mich immer dich zu lesen. Und ein frohes Jahr dir!

Lydie

Herby

Beitragvon Herby » 21.01.2010, 20:42

Hallo Lydie,

ein gewaltiges Wortgemälde zeichnest du da, das gleich mit einem furiosen Auftakt beginnt und zum Schluss hin ruhiger wird.

Es gibt eine Stelle, bei der ich hängen bleibe, und zwar gleich zu Anfang:

Lydie hat geschrieben:Im Dezember jagt der Tod
über die Dächer meines Lebens,

wild flüsternde Horde,
wen wird sie holen,


Zunächst wird der Tod (Singular) erwähnt, dann ist übergangslos von einer Horde die Rede, die einen Plural impliziert, sich aber auf den Tod/Singular beziehen muss, da die Dächer als Bezugswort keinen Sinn ergeben. Diesen Wechsel finde ich sprachlich und bildlich nicht ganz gelungen.
Zudem bringe ich an dieser Stelle das Wort "wild" nur schwer mit dem Verb "flüstern" zusammen, eher schon mit "schreien", zumal ja von einer Horde, also einer großen Menge, die Rede ist. Das bekomme ich auch bildlich nicht zusammen.

Lieben Gruß,
Herby

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 22.01.2010, 09:20

Guten Morgen,

ich glaube, Lydie spricht hier von der sog. Wilden Jagd aus der germanischen Mythologie. Die Begleiter der Göttin Hel (es gibt auch andere Namen, später wurde sie Frau Holle) traten in der Tat so auf, wie im Gedicht geschildert.

Liebe Grüße
Marlene

Herby

Beitragvon Herby » 22.01.2010, 13:53

Guten Mittag Marlene,

ich danke dir für die Erhellung, das hatte ich nicht gewusst (ich fürchte, in Mythologie bin ich noch schlechter, als ich es zu Schülerzeiten in Mathe war :-) ).

Nur, das Wissen um die inhaltlichen Hintergründe ändert für mich eigentlich nichts an den von mir angesprochenen sprachlichen Punkten bzw. Haken.

Lieben Gruß
Herby

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 22.01.2010, 22:02

Hallo Herby!

Na ja, die wilde Jagd besteht ja aus Toten, wenn ich mich recht erinnere, so dass die von dir empfundene "Übergangslosigkeit" nach ein wenig Einlesen ins Thema eigentlich vergangen sein müsste. Lohnt auch, spannendes Thema, das... Habe ich nicht letztes Jahr einen Fantasy-Roman gelesen, wo die Jagd eine nicht mal so sinnfreie Rolle spielte? Ich glaube :-)

Hallo Lydie!

Also "barock" ist nicht das Wort, das mir hier einfallen würde... Sagen wir mal, das Gedicht hat etwas mehr Körperlichkeit als der Salon-Durchschnitt ;-) So gesehen gefällt es mir auch. Bei der "wilden Horde" fällt mir allerdings ein Terence-Hill-Western ein :-)

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Lydie

Beitragvon Lydie » 29.01.2010, 00:11

Hallo!

Die Bildlogik hat ja ihre eigenen Gesetze. "Der Tod" ist ja fast schon ein Bild, und die Bilder, die diesen dann wieder ausdrücken, sind noch einmal vielfältig. In meinem Fall ist das von Innen heraus so entstanden, dieses Bild der wilden Horde für den Tod. -Danke, Marlene, das mit der germanischen Mythologie wusste ich nicht, aber es passt schön!-
Dass eine Horde wild flüsternd unterwegs ist, ist für mich nicht unstimmig, auch nicht in Bezug auf den Tod. Er hat ja gerade diese "rücklings" Seite, etwas, das nicht unbedingt offen ausgefochten wird, sondern einen "hinterrücks" ereilen kann.

Nett, deine Terence-Hill-Assoziation, Ferdi. Bang. Bang.

Lydie


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