Freud und Leid

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 24.08.2009, 16:46

Ein Hörnchen von der Sorte Eich
war sommertags an Nüssen reich.

Es dachte bei sich: „Sei nicht dumm
hock nicht nur in der Sonne rum.

Widme deine Taggestaltung
der Vorratshaltung.“

Flugs die Krallen scharf gewetzt
dann durch Wald und Flur gehetzt.

Schon warn die Nüsslein eingegraben
daran im Winter sich zu laben.

Der Sommer ging, der Herbst verstrich
das Land verblich.

Das Hörnchen wackelt durch den Schnee,
die kleinen Pfoten tun ihm weh.

Tiefer noch schmerzt das Vergessen,
Nichts, rein gar nichts gibt´s zu fressen.

Umsonst war aller Sommerfleiß,
Tränensalz taut Eis.

Du in der Stube lass dir sagen:
Dem Tierlein Eich knurrt jetzt der Magen.

Für dich jedoch gibt’s frohe Kunde,
isst Hörnchen du zur Morgenstunde:

Unterm Schnee ruhn in der Krume
Samenkorn von Strauch und Blume

und wo des Tierchens Tränenfluss
wächst später dir ´ne Haselnuss.


Erstfassung:

Ein Hörnchen von der Sorte Eich
war sommertags an Nüssen reich.

Es dachte bei sich: „Sei nicht dumm
und hock nicht in der Sonne rum.

Widme deine Taggestaltung
der Vorratshaltung.“

Flugs warn die Nüsslein eingegraben
daran im Winter sich zu laben.

Der Sommer ging, der Herbst verstrich.
Das Land verblich.

Das Hörnchen wackelt durch den Schnee,
die kleinen Pfoten tun ihm weh.

Doch tiefer noch schmerzt das Vergessen,
denn es hat nichts mehr zu fressen.

Umsonst war sommerlicher Fleiß,
Tränensalz taut Eis.

Du in der Stube lass dir sagen:
Dem Tierlein Eich knurrt jetzt der Magen.

Für dich jedoch gibt’s frohe Kunde,
isst Hörnchen du zur Morgenstunde:

Nah bei des Tierchens Tränenfluss
Wächst später dir ´ne Haselnuss.
Zuletzt geändert von leonie am 26.08.2009, 10:28, insgesamt 2-mal geändert.

Herby

Beitragvon Herby » 25.08.2009, 00:22

Liebe leonie,

... ein garstig Schicksal, das mir dennoch ein Schmuzeln ins Gedicht brachte. Ich habe bisher noch kaum Reimgedichte von dir gelesen, fällt mir gerade ein, oder sind mir da Texte entgangen? Und dich hier unter "Humor und Satire" zu lesen, freut mich besonders, da du hier eher selten mit eigenen Beiträgen zu lesen bist, wenn mich meine Erinnerung nicht äfft.

Ich fände den Text, da er schon durchgängig in Paarreimen gehalten ist, runder, wenn er auch vom Versmaß her einheitlich wäre. Er beginnt mit den ersten beiden Strophen als jambische Vierheber, danach wird's unregelmäßig( III, V, VII, VIII). Magst du da metrisch noch einmal "drüber bügeln"?

So haben wir nun beide das Eich bedichtet. :engel: Ich hatte mich ja vor langer Zeit mit "Tierische Hybris" auch einmal diesem putzigen Wesen gewidmet, vielleicht erinnerst du dich.

Herzliche Nachtgrüße
Herby

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leonie
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Beitragvon leonie » 25.08.2009, 10:37

Lieber Herby,

ich schreibe so gut wie nie Reimgedichte. Aber hier schwirrte mir der zu bedichtende Inhalt schon länger durch meinen Kopf und plötzlich dachte ich mir, dass dies in diesem Fall eine angemessene Form sei.

In III, V und VIII ist der Bruch absichtlich für mein Empfinden erhöht das die Komik (an unserem Sohn getestet, bestätigte sich das auch).

Bei der anderen Strophe klingt es für mich einfach richtig so (woran Du sehen kannst, dass ich Mühe habe, reine Formen durchzuhalten, ich richte mich nach dem Klang, aber meine Ohren scheinen irgendwie seltsam zu sein).

(Hat jemand eine Idee, wie ich es so ändern könnte, dass es stimmt...Ich denke auch nochmal nach)

Dass Du das "Eich" auch bedichtet hast, ist mir völlig entfallen. Ich gehe gleich mal suchen...
(edit: Nee, das ist mir völlig durchgerutscht! Kannte ich noch nicht, vielen Dank für den Hinweis, hat sich zu lesen gelohnt, ein echter herby! :-) )

Ich freu mich, dass Du Dich meldest und ich Dir ein Schmunzeln entlocken konnte: Danke!

Liebe Grüße

leonie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.08.2009, 13:17

Hallo leonie,

das ist ja köstlich und in der Tat ein für dich ungewöhnlicher Text. ,-)
Hat mich sehr schmunzeln lassen.
Die drei kurzen Zeilen lassen mich auch aus dem Rhythmus springen, da fände ich es gefälliger, wenn du diese im gleichen Versmaß wie die anderen gestalten würdest. Vielleicht so:
Widme deine Taggestaltung
der Vorratshaltung.“

Widme deine Taggestaltung
vor allem nun der Vorratshaltung

Der Sommer ging, der Herbst verstrich.
Das Land verblich.

Der Sommer ging, der Herbst verstrich.
Winter zog ein, das Land verblich.

Umsonst war sommerlicher Fleiß,
Tränensalz taut Eis.

Umsonst war sommerlicher Fleiß,
Tränensalz taut auf das Eis.


Ob das mit den jambischen Vierhebern stimmt, möge ein des Reimens Kundiger beurteilen. ,-)

Saludos
Mucki

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 25.08.2009, 13:26

Hallo Leonie!

Ja, die grausame Natur - für die einen so, für die anderen so ;-) Gern gelesen! Deine Reime finde ich prima - mach sowas doch mal öfter... Wohlgemerkt: Nicht statt deiner sonstigen, wunderbaren Verse, sondern zusätzlich :-)

Ich schreibe mal ein wenig Detailkram, ok? Vom ersten Lesegrfühl her sind mir die Verse ein wenig zu "leer", ich habe den Eindruck, das der Inhalt auch prima auf drei statt auf vier Hebungen liefe? Warte mal, ich probiere das mal spontan:

Ein Hörnchen der Sorte Eich,
Im Sommer an Nüssen reich,

Dachte sich: „Sei nicht dumm
Und hock nicht tatenlos rum:

Widme die Taggestaltung
Der Vorratshaltung.“

Flugs waren die Nüsslein vergraben,
Im Winter sich daran zu laben.

Der Sommer ging, es verstrich
Der Herbst: das Land verblich.

Das Hörnchen durchwackelt den Schnee,
Die Pfötchen tun ihm weh,

Doch tiefer noch schmerzt das Vergessen:
Nichts, gar nichts! hat's zu fressen,

Umsonst des Sommers Fleiß -
Tränensalz taut Eis.


Ok, da hakt es dann - für den Rest sehe ich's auf die schnelle nicht :-) Dein Grundvers war ja, wie Herby anmerkte:

x X / x X / x X / x X

Ich habe es jetzt in diesen umgeschrieben:

(x) X / x (x) X / x (x) X / (x)

Eine Hebung weniger, dafür eine gewisse Freiheit bei der Füllung der Senkungspositionen; Das macht den vers auch lebendiger (ich finde es schon etwas störend, dass bei dir immer Verspaar und Satz zusammenfallen). Aber das wichtigste ist, finde ich, dass die Hebungen jetzt stärker von sinntragenden Silben besetzt sind. Nimm eine Zeile, die ich gar nicht verändert habe:

Doch tiefer noch schmerzt das Vergessen

Auf deinem Metrum liest sie sich

Doch tiefer noch schmerzt das Vergessen

noch und das auf den Hebungspositionen, aber ein so mächtiges Wort wie schmerzt in der Senkung - da fühle ich mich unwohl :sad: Auf meinem Metrum läuft der Vers so:

Doch tiefer noch schmerzt das Vergessen

Hm, mir zumindest scheint das stimmiger :-) Aber jetzt mal ganz konkret zu deinem Text. Metrisches Bügeln , wie Herby das so schönt nennt, scheint mir nicht in allzugroßem Umfang nötig?! Bei

Umsonst war sommerlicher Fleiß

würde ich mich wohler fühlen mit etwas wie

Umsonst war aller Sommerfleiß

oder so (wieder die Sache mit der Hebungsbelegung ;-)), aber das ist auch nur am Rande wichtig. Den Vers

denn es hat nichts mehr zu fressen

solltest du aber auf jeden Fall noch ändern, finde ich; Gar nicht mal so sehr des Metrums wegen, aber von den acht Silben bestehen die ersten sechs aus einsilbigen, inhaltsfreien "Grammatikwörtern"; das raubt auch dem stärksten Vers die Substanz meinem Empfinden nach ;-)

Inhaltlich würde ich auch noch etwas loswerden wollen: Die Verknüpfung des "Eich-Schicksals" mit dem "Stubenhocker" finde ich noch nicht ganz überzeugend herausgearbeitet. Vielleicht lohnt es sich, da noch eine Strophe zu ergänzen?! Un vielleicht einen Haselstrauch wachsen zu lassen statt einer Haselnuss? Fände ich jedenfalls einleuchtender ;-)

Ferdigruß!
Zuletzt geändert von ferdi am 25.08.2009, 17:27, insgesamt 1-mal geändert.
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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leonie
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Beitragvon leonie » 25.08.2009, 15:18

Ach Du meine Güte, da habe ich mir ja was eingebrockt! Ich weiß schon, warum ich selten reime :-) .

Mucki und ferdi, vielen Danke für Eure Rückmeldungen und Vorschläge! Da muss ich mich in Ruhe dran setzen, vielleicht schaffe ich es heute abend, sonst vermutlich erst Donnerstag.

Auf jeden Fall freue ich mich über Lob und Kritik. (ferdi, Du Schmeichler, der erste Absatz ging ja runter wie Öl... :-) ).

Liebe Grüße

leonie

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leonie
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Beitragvon leonie » 26.08.2009, 10:26

So, ich habe jetzt einen zweiten Versuch eingestellt, es im "tragischen" Teil aber bewusst bei den Brüchen gelassen, weil ich das witziger finde.
Kann der ein oder andere noch einmal sein metrisch geschultes Augen hinübergleiten lassen?

Ferdi, ich habe mir Deine Version abgespeichert, für eine evtl. endgültige Version.
(Den Viererrhythmus habe ich schon mehr in mir, das mit den drei Hebungen kommt dann später...Du musst bedenken, dass ich sozusagen noch in der Grundschule bin,was dieses Thema betrifft)

Besser so? Oder schlechter?

Liebe Grüße und dankt nochmal für Eure Anregungen!

leonie


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