wintersonne (vorher: novembersonne)

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
scarlett

Beitragvon scarlett » 25.11.2008, 23:12

:pfeifen:
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Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 26.11.2008, 14:17

Liebe Monika,

das unerhörte Ticken der Zeit gefällt mir ausnehmend gut, in seiner doppelten Bedeutung, das ist wirklich ganz stark.
Mit dem Tulpenglas kann ich nicht so viel anfangen und ich persönlich hätte einen anderen Rhythmus angelegt, im Großen und Ganzen finde ich es aber durchaus überzeugend, stimmig und bildhaft

xanthi

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 26.11.2008, 21:57

Liebe scarlett,

ich finde den Rhythmus gerade toll angelegt und ich finde, dass dieser Text darüber hinaus die richtige Dosierung an Wortneuschöpfungen etc. hat - das gefällt mir wirklich sehr gut! Am stärksten finde ich den Auftakt

gewiss
es liegt noch schonung in der luft


und es geht auch ganz toll weiter:

die gräber sind nur die der andern


und

davongekommen ist das jahr



und ich
leg meine wünsche mir in falten


das finde ich minimal standardlyrischer und eigentlich ist die aussage und bewegung schon durch die zeile vorher für mich rund - man könnte sie streichen, allerdings möchte ich den doppelbezug des "und ich" zu oberer und unterer Zeile nicht missen - was meinst du denn hier mit falten? Der Bildkontext ist so anders - vielleicht ließe es sich ersetzen (...)

noch eine pusteblume vielleicht

nur rein silbenanzahlmäßig ist pusteblume vielleicht für den Rhythmus noch nicht ideal?

auch zittergras und honigklee
margeriten tausendfach


ich lasse mir die drei "florazeilen" wohl gut gefallen -kann mir aber auch vorstellen, dass sie auf andere zu ästhetisch/ästhetisiert wirken - und an eine Lyrik erinnern, die schon ihre Zeit hatte (besonders das Zittergras lässt mich schon stark an Bachmann denken und der "Ton" des Gedichts unterstützt das). Vielleicht könnte man durch die Streichung des "tausendfach" etwas die Stärke rausnehmen.


die beiden schlusszeilen sind durchaus gesichert und in den text integriert, im Vergleich zu den restlichen finde ich sie aber so konkret: die abgeschnittenen Blumen im tulpenglas anstelle der Blumen des Jahres - so als würde man die geheime, wispernde Sprache der vorherigen Bilder des Textes etwas für einen "banaleren" (und sei es nur weil realistisch gebundeneren) Schluss entzaubern. (das unerhört trägt stark dazu bei, weil es explizit spricht)

Zudem finde ich, dass du in


die zeit steht still - und tickt


nicht ganz eingefangen hast, was du sagen möchtest: du fast ja darin die Vergänglichkeit: zwischen Stille/Stillstand und doch Weiterlaufen - aber sprachlich klingt für mich die Beschreibung "stillstehen" und "ticken", vor allem in Anbetracht des kräftigen Duktus vorher, noch nicht getroffen. Ich weiß nicht, ob der Text diesen eindeutigen Schluss braucht: der Auftakt sagt das doch schon (weil das aber so stark evoziert wird)

Na ja, das waren jetzt wieder so viele Anmerkungen, dass verloren geht, dass ich den Text wirklich sehr genossen habe - aber irgendwie geht mir das oft mit deinen Texten so, dass sich das so ausdrückt :-) (die Kommentare geraten immer viel länger als geplant).

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

DonKju

Beitragvon DonKju » 27.11.2008, 17:24

Hallo Scarlett,

wie meist bei Dir ein schön poetischer text, der mir gut gefällt; ein bißchen holprig finde ich die strophe, wie nannte sie Lisa doch gleich der "drei florazeilen" - mein vorschlag :

noch eine späte pusteblume
auch zittergras und honigklee
und margeriten tausendfach

auch wenn's ein "füllwort" mehr ist, find ich's dann irgendwie runder

mit liebem gruß von bilbo

Max

Beitragvon Max » 28.11.2008, 20:42

Liebe Scarlett,

ich habe keine der anderen Kommentare gelesen, kann also darauf nicht eingehen.

Ich mag den Ton des Gedichts zu Anfang. Das ist ein Ton, der Dir gehört, aus dem ich Dich auch bekannt sprechen höre.

Die Strophe

noch eine pusteblume vielleicht
auch zittergras und honigklee
margeriten tausendfach



leitet einen thematischen Wechsel ein. Woher nun die Blumenthematik kommt, weiß ich nicht, auch nicht ganz, was die Aufzählung bewirken soll. Sie wirkt auf mich seltsam uneinheitlich. Da ist erst die kindlich-unschuldige Pusteblume, dann das poetische Zittergras, das auch ohne den ebenso poetischen Honigklee leben könnte und schließlich die Margeriten profan wirken lässt. Und würde nicht in der allerletzten zeile ein 'Tulpenglas' auftauchen, so würden wir damit die Blumen auch auf Nimmerwiedersehen wieder verlassen.

Ich plädiere für ein blumenfreies Gedicht, das auf mich noch tsärker wirken würde.

Liebe Grüße
max

Mucki
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Beitragvon Mucki » 05.12.2008, 11:42

Liebe Monika,

gewiss
es liegt noch schonung in der luft

die gräber sind nur die der andern

davongekommen ist das jahr
und ich
leg meine wünsche mir in falten


Bis hierhin finde ich dein Gedicht ganz wunderbar. Ich frage mich, ob es die restlichen Zeilen tatsächlich noch braucht. Ich würde nach "falten" enden. Wenn es dir wichtig ist, dass doch noch ein Wunsch nicht "eingefaltet" wird, dann würde vielleicht ein Satz reichen, nämlich der erste:

noch eine pusteblume vielleicht

da die Pusteblume für mich das Wünschen so gut ausdrückt und man sich bildlich vorstellt, wie LI sie in der Hand hält, pustet und sich dabei etwas wünscht. Die übrigen Zeilen sind nach meinem Empfinden nicht mehr nötig. Ein offenes Ende fände ich hier gelungener.
Soweit meine Gedanken zu deinem Gedicht.
Saludos
Mucki

scarlett

Beitragvon scarlett » 12.01.2009, 18:59

Hallo,

mit dem Abstand einiger Wochen und nach intensiver Auseinandersetzung mit dem Text, hat er einige Änderungen erfahren, die ich jetzt zeigen will. Auch möchte ich noch auf die Kommentare hier eingehen.

Das Wichtigste: die „floralen Zeilen“ bleiben.
Die sind mir sehr wichtig und auch im Text insofern verankert, als sie eben die (metaphorisch umschriebenen) Wünsche des LI darstellen. Sie sind es, die „eingefaltet“ werden, in Falten gelegt werden, was nichts anderes bedeutet, als dass LI sie auf diese Art festhalten, ja fast schon geheimhalten, bewahren möchte.

Außerdem verbinde zumindest ich damit auch etwas „Kleines“, „Zartes“, (es sind also kleine, zarte Wünsche) was sich einfalten/zusammenfalten lässt und wenn man sich die Art der Pflanzen ansieht, dann wird das auch unterstützt (es sind ja keine Rosen, Mimosen, Chrysanthemen ... diese Blumen würden ganz andere Konnotationen freilegen).

Den gewählten Blumen ist gemeinsam, dass sie eigentlich als Unkraut gelten und dass sie trotzdem (deswegen?) sehr resistent sind. Das Zarte, mitunter Fragile habe ich bereits erwähnt.
Zudem bringt der Honigklee eine weitere Konnotation, die im Zusammenhang mit Wünschen durchaus passt: süß, zäh, klebrig. (siehe: fest-halten).

Der Einstieg ist jetzt ein wenig anders gestaltet, ebenso der Schluss.
Ich habe das Ticken und das Tulpenglas ersetzt – auch wenn es vielleicht origineller war als die jetzige Variante, hattet ihr schon recht, das ticken und stillstehen waren nicht so gut.

Warum die „pusteblume“ rein „silbenanzahlmäßig“ nicht so gut sein soll, verstehe ich nicht.
Ich weiß ja nicht, wie ihr das Gedicht lest: ich mache eine kleine Pause vor dem „vielleicht“ (als wäre da ein komma, das aber nicht da steht, weil ich gänzlich auf Interpunktion verzichtet habe) und somit rutscht es fast in einen Atemzug zum Zittergras.

Schließlich habe ich den Titel geändert, er passt mir besser zum Thema.

Ich hoffe, ihr könnt mir nachsehen, dass ich mich so lange nicht geäußert habe.

Habt Dank für eure Anmerkungen, Ideen, Gedanken ...

Grüße,
scarlett


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