Buchtipp Rundbrief Dezember 2013 von allerleirauh
Verfasst: 01.12.2013, 07:22
Rundbrief Dezember 2013
Buchtipp und Besprechung Rundbrief Dezember 2013 von allerleirauh // Cabo de Gata von Eugen Ruge
Im letzten Kapitel seines 2013 im Rowohlt-Verlag erschienenen Romans „Cabo de Gata“ beschreibt Eugen Ruge, wie er in einem andalusischen Fischerkahn einen Rochen beobachtet, der, offenbar als wertloser Beifang zurückgelassen, in einer verdunstenden Meerwasserpfütze verendet. „Nach einigen Sekunden krümmte sich das kleine Tier noch einmal kurz, als versuchte es, sich auf die richtige Seite zu drehen – und starb.“ Der Tod als Schlussakkord. Davon, was vor diesem letzten Aufbäumen eines Lebewesens liegen kann, erzählt das Buch.
Der Ich – Erzähler hat die Nase gestrichen voll von komplizierten Beziehungen und vom Prenzlauer Berg. Er verzweifelt an Verträgen, Versicherungspapieren und Einwohnermeldeämtern. Die bevorstehende Weihnachtszeit deprimiert ihn. Er verkauft daher seine Möbel und lagert die spärlichen Reste seiner Besitztümer beim Vater ein. Am ersten Tag des neuen Jahres nimmt er den Nachtzug nach Barcelona. Die berühmten Attraktionen der Stadt vermögen nicht, ihn zu beeindrucken; es sind allenfalls die Zeitungskioske, die sich morgens entfalten „wie gigantische Schmetterlingslarven“ oder die blinden Losverkäufer, die ihm erscheinen „wie Sklaven einer mächtigen, kriminellen Organisation“, die ihn interessieren können.
Bereits nach einer einzigen Übernachtung beschließt der Suchende, die katalanische Stadt wieder zu verlassen. Zufällig heißt sein neues Reiseziel Cabo de Gata, ein Nachtbus bringt ihn in die andalusische Provinz. Er verweilt dort wohl hauptsächlich aus Bequemlichkeit, mietet sich bei einer mürrischen Witwe ein, liest im nichtbeheizten Zimmer Henry Miller und geht am Strand spazieren. Streunende Hunde, am Ufersaum lebende Vögel („hysterische Tanten“), Flamingos und ein ganzes Panoptikum von Dorfbewohnern leisten ihm, mehr oder weniger stumm, Gesellschaft. Er richtet sich ein, kauft sich Kerzen, Hefte und Stifte und beginnt im Rhythmus eintöniger Tage zu schreiben. Die Zeit fließt träge wie ein Sommerfluss dahin. Am einen Ufer der Mann. Am anderen – immer in Sichtweite – die anderen.
Eines Tages begegnet dem Protagonisten eine rote Katze. Sie gibt ihm auf Katzenart zu verstehen, dass er sich ihr anschließen darf. Das Tier bestimmt die Regeln. Es erscheint, wann immer es ihm beliebt. Es hält sich scheinbar an menschliche Abläufe und Verabredungen, um im nächsten Moment wieder auszubrechen. Dem Mann wird die eigene Situation bewusst: „ … es ist kein Spaß, es ist keine Schreibübung. Es ist kein Stoff für einen Roman.“ Allein, in der Gesellschaft der Katze wird er ruhiger und gelassen: „Und eines Abends, als das Licht aus ist, als die Welt nur noch ein großes, schwarzes Schnurren ist, habe ich das Gefühl, dass die Zeit – endlich – stillsteht.“
Der Frühling kommt nach Cabo de Gato, mit ihm strömen Tagesausflügler und Urlauber in den Ort und der Einsame entdeckt, dass die Katze trächtig ist. Der Sommerfluss beginnt wieder schneller zu fließen. Der Mann beschließt nach anfänglichen Bedenken, für die Katze zu sorgen. Einmal mehr hat er die Rechnung ohne sie gemacht. Energisch wehrt sie seinen Versuch, sie zu berühren, ab: „Dann sehe ich sie, trotz ihres gewaltigen Bauches, auf den Sims des kleinen Badezimmerfensters springen – und weg war sie.“ Sie kommt nicht zurück. Ein Abschied für immer. Auch davon erzählt das Buch. Es gibt Begegnungen im Leben, die schicksalhaft sind. Und es gibt Entscheidungen, die man, so sehr man sie denn im Nachhinein auch bereuen mag, nicht rückgängig machen kann.
Man verbringt im Leben viel Zeit damit, sich zu orientieren, zu suchen und auch zu finden. Wenn jemand 123 Tage lang probiert, einen Roman zu schreiben, dies aber nicht zuwege bringt, ist man fast geneigt, von Zeitverschwendung zu reden. Oder aber davon, dass man in dieser Zeit mit Hilfe einer Katze (und diverser anderer Kreaturen) etwas Entscheidendes über das Leben lernen kann. Wie der ich-Erzähler im Buch. Einen klugen Roman kann man zu einem späteren Zeitpunkt schreiben, wenn die Erinnerung in der Lage ist, die Ereignisse in der Rückschau zu einem weisen, lebendigen Ganzen zu verbinden.