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Prosa-Marathon bis zum 01. Mai 2014
Verfasst: 01.05.2013, 18:48
von Nifl
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Ab Monat Juni ist ein Neueinstieg nicht mehr möglich.
Peng! (Startschuss)
Verfasst: 27.10.2013, 20:31
von allerleirauh
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Verfasst: 28.10.2013, 19:56
von pjesma
Wie lange sie da lag, wusste sie nicht mehr. Irgendwann verspürte sie dass sich etwas in der Umgebung veränderte. Sie spürte eine neue Anwesenheit, nicht allzu weit von sich entfernt, eine unbekannte Präsenz, ein Nichtalleinsein. Ein Etwas das sich ihr leise und zügig näherte. Sie vernahm das kaum zu hörende Knacken der gefrorenen Grashalme unter den unbekannten Schritten. Oder waren es Doppelschritte? Die Geräusche wurden mit jeder Sekunde deutlicher, und Tanja hob ihren Kopf hoch von dem Boden und lauschte angespannt. Das Geraschell war irgendwie verflochten, als würden die vermuteten Bewegungen der Fremden ineinander fließen. Als wären mehr als zwei Beine unterwegs zu ihr. Vier Beine zweier Menschen, sehr darum bemüht nicht wahrgenommen zu werden. Oder vier tierische Beine. Ein Etwas Tierisches in der Nacht!. ..Augenblicklich beschloss sie sich tot zu stellen. Schließlich lag sie immer noch da auf diesem Grund der ihr nicht gehörte; man konnte sie für eine Diebin halten, oder für eine Verrückte, für eine Hexe, wofür auch immer… Sicherlich war es besser, ebenso unbemerkt zu bleiben. Vielleicht wird sie einfach übersehen und das Etwas Wahrscheinlich Tierische verschwindet unerkannt und leise, genauso wie es gekommen war. Ihr Kopf spielte Wahnsinnsszenarien durch. Ein blutrünstiger Wachhund kommt und wird sie gleich zerfleischen, da, direkt neben ihrer ungehorsamen Seele die keinen Finger krumm machte um sie zu beschützen oder zu retten. Oder ein zotteliger grauer Wolf, aus alten Zeiten verblieben…es gab sie viele in dieser Gegend. Weil, womöglich herrschten da in dieser Zeitlosigkeit immer und immer und immer wieder dieselben alten Zeiten, wer konnte das schon sagen, hier, wo alles möglich und unmöglich gleichzeitig zu sein schien? Vielleicht steppten gar noch ein paar Braunbären hungrig und frei herum, die gab es ja auch!
Alle Geschichten von aggressiven Wildschweinen kamen Tanja auf einmal in den Sinn, von brünftigen, angriffslustigen wilden Hirschen und von tollwütigen, nur anscheinend zahmen Füchsen. Obwohl es in gegebener Situation wenig Sinn machte noch mehr Angst zu bekommen und, wie es ihr schien auch kaum noch möglich war, bekam sie sie: mehr Angst. Es fühlte sich in ihrem Nacken an als würden unzählige Ameisen Einzug in ihren Kragen halten, es war ihr kalt und heiß zu gleich und ihre Augen brannten trocken, angestrengt im Dunkeln etwas zu erkennen. Bei der kleinsten Bewegung drohten sie aus ihren Höhlen hinaus zu kullern. Etwas atmete hier im Dunkeln, immer dichter, und es konnte Alles sein. Dann hielt Es plötzlich auf, stand nur noch reglos da in unmittelbarer Nähe und hechelte. Dieses Stehen stellte für Tanja noch eine höhere Stufe der Bedrohlichkeit dar. Sie atmete kaum und ihre eigene panische Denke kam ihr viel zu laut vor. Dieses Stillstehen (!) machte die Lage schwer einschätzbar und ein Rätseln darüber, welche Art der Füße, oder Pfoten, Hufe oder Krallen da stand, war vollkommen unmöglich. Etwas, nicht von dieser Welt- war da.
„Nichts ist von dieser Welt, in einer dunklen Nacht“, der Gedanke schoss Tanja durch den Kopf, sogleich verknüpft mit einem anderen Gedanken: dass das hier eh nicht „diese Welt“ war, sondern eine Ganz Andere, eine unwahrscheinliche und unmögliche, die den Gesetzen des gesunden Menschenverstandes nicht gehorchte.
„Diese Welt hier ist sicherlich das Sterben selbst.“ Ganz bestimmt lag sie irgendwo anders weit weg, schon lange tot, völlig mausetot (!), und das hier war etwas wie die Hölle. Beim besten Willen konnte sie sich nicht darauf konzentrieren sich an den Ort zu erinnern, wo sie lag. Das Hier und Jetzt waren viel zu gegenwärtig. Wo immer und wann immer Hier und Jetzt waren.
„Das ist wahrlich ein einmaliger Scheißendreck und eine unsägliche Panne, zu sterben und tot zu sein- nur damit ich unmittelbar danach sicherheitshalber noch einmal getötet werde! Das ist wie ein Traum im Traum im Traum! Die Hölle, eben!“-und noch bevor Tanja sich innerlich die Frage stellen konnte, ob es je ein Erwachen geben wird aus diesem Alptraum, ertönte hinter ihrem Rücken ein lautes, vergnügtes Prusten der Seele und gleichzeitig berührte sie eine feuchte, kalte, etwas zögernde Hundeschnauze an der Schläfe.
Verfasst: 07.11.2013, 08:32
von Ylvi
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Verfasst: 07.11.2013, 20:24
von Nifl
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Verfasst: 30.11.2013, 01:00
von Zefira
(Hauen und Stechen II)
Als nächstes kam Broslers Rechner an die Reihe. Friedrich hatte ihn bereits auf den Konferenztisch gestellt und hochgefahren. »Bitte nicht über das Hintergrundbild wundern«, bemerkte er, »Brosler hat eine ganze Sammlung solcher Bilder gespeichert.« Das Hintergrundbild zeigte eine Schlachtplatte mit angeschnittener Blut- und Leberwurst in mindestens dreifacher Originalgröße.
»Das ist noch harmlos«, sagte Friedrich. »Es gibt auch Bilder von rohem Fleisch und von Schweinedärmen und dergleichen. Wahrscheinlich hat Brosler die alle reihum benutzt. Wollt ihr zuerst die gute Nachricht hören oder die schlechte?«
»Die schlechte, bitte«, seufzte der Kommissar.
»Keine privaten E-Mails. Null Komma Null. Brosler hatte vier Mailadressen: eine persönliche und eine dienstliche, die ihm der Sender eingerichtet hat, und eine dritte für Spam. Die E-Mails, die ich gefunden habe, drehen sich ausschließlich um berufliche Angelegenheiten. Da geht es um sein Kochbuch, um den Küchenzettel für seine Fernsehsendung und um die Steuer. Außerdem hat er hin und wieder von anderen Köchen Mails bekommen, mit denen er irgendwann mal zusammengearbeitet hat. Aber das beschränkt sich auf Einladungen und Glückwünsche und dergleichen. Hast du schon gehört, der Dingsbums hat einen Preis gekriegt oder ist nach Tokio gegangen und so weiter. Ich habe natürlich alles ausgedruckt, was ich finden konnte. Ihr solltet besser alle bei Gelegenheit einen Blick hineinwerfen, falls ich was übersehen haben sollte.« Er wies auf einen Karton, der unter dem Tisch stand. »Und dann hatte Brosler, wie gesagt, noch eine vierte Mailadresse. Die war für seinen Account bei Ebay. Unser Herr Brosler war ein fleißiger Besucher in der Bucht. Das ist sozusagen die gute Nachricht, da war nämlich wirklich was los.«
Er ließ eine Bilderserie über den Bildschirm des Rechners laufen. »Da, seht ihr. Er hat geboten. In den letzten drei Wochen fast täglich. Weiter bin ich noch nicht zurückgegangen.«
Der Kommissar schüttelte den Kopf. Auf dem Bildschirm waren nacheinander eine Sammlung Schlümpfe, ein Kaffeeservice, ein Stapel Langspielplatten in zerfledderten Kuverts und ein massiver Refektoriumstisch zu sehen. Jemand murmelte: »Was für ein albernes Zeug!«
»Der Tisch hat was!«, meinte Iris.
»Ganz genau«, bestätigte Friedrich. »Die Sachen sind zwar alle sehr verschieden, haben aber eines gemeinsam: Sie sind für Sammler interessant. Das gilt für alles, worauf Brosler in den letzten Wochen geboten hat. Wollt ihr noch mehr sehen? Alte Stutzuhren, Gruftischmuck, eine Feldstaffelei aus dem neunzehnten Jahrhundert, ein Melkschemel … Nichts davon hat er wirklich gekauft. Er hat sich damit unterhalten, den Preis in die Höhe zu treiben.« Friedrich klopfte mit dem Finger auf den Tisch. »Anfang letzter Woche bekam er den Zuschlag für ein Konvolut alte erotische Postkarten. Braune Sepiadrucke, Zimmermädchen mit Flederwisch und dergleichen. Über achtzig Euro hat er dafür geblecht. Nicht zu glauben. Die Postkarten haben wir übrigens nicht in seiner Wohnung gefunden.«
»Frag mal bei dem Verkäufer nach, ob sie überhaupt verschickt wurden«, schlug der Kommissar vor.
»Da brauch ich nicht nachzufragen, bei Ebay wird die Ware als versendet geführt. Außerdem hat Brosler auch eine Bewertung abgegeben. Er war durchaus korrekt. Ich vermute eher, er wollte das Zeug nicht wirklich haben. Wie gesagt ist er normalerweise kurz vor Ende der Auktion ausgestiegen.« Friedrich unterstrich jeden Satz mit Fingernagelklopfen auf den Tisch. »Ich übertreibe nicht, er hat beinahe jeden Abend stundenlang vor dem Rechner gesessen. Das ist doch bescheuert. Der Mann muss ein Psycho gewesen sein.«
Verfasst: 30.11.2013, 22:27
von allerleirauh
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Verfasst: 30.11.2013, 22:33
von pjesma
Der Atem des Hundes stieß warm in Tanjas Gesicht. Sie hatte die Augen fest zugedrückt und die Hände zu Fäusten geballt in Erwartung, dass da ein Biss kommen wird, ein Angriff. Nichts dergleichen geschah. Der Hund umlief sie; ungeduldig tappte er im Kreiß um ihren Körper und schob sie ganz sanft hie und da mit der Schnauze. Ihre Angst wurde ein bisschen weniger, als das Tier ihr fast zärtlich mit der Zunge über die Wange strich, dennoch verließ sie ihre Haltung nicht, sondern öffnete nur einen Spalt breit die Augen und vernahm die Silhouette des Tieres über sich. Die Farbe des Hundes konnte sie nicht feststellen, nur dass sein Fell ein bisschen gewellt war und im spärlichen Licht des hinter der Wolke aufgehenden Mondes, glänzte. Es war eine auf merkwürdige Art beunruhigende Silhouette, Tanja musste feststellen dass sich ihr aus der Ferne der Erinnerungen ein Bild im Kopf zu erstellen versuchte, ein paar Szenen wie aus einem vergangenen Leben, fremd und vertraut zu gleich ,mit jeder weiteren Sekunde weniger fremd und mehr vertraut. Just in dem Moment als das Tier winselnd und insistierend seine Pfote auf Tanjas Schulter legte, erkannte sie alles: seine Umrisse, seinen Geruch, seine unverwechselbaren langen Krallen und seine rauen trockenen aber trotzdem weichen Ballen. Ihre, sie erkannte ihre Ballen! Tanja erkannte im kurzen Gewinsel die markante Stimme ihrer Hündin von Damals, diesen samtigen, leisen, fast weiblichen Ton, welcher sie schon immer aus jedem gemeinschaftlichen Hundegebell als eine im Chor versteckte und um nicht aufzufallen bemühte Solokünstlerin enttarnte.
„Ada?“ wisperte sie leise und ungläubig und hob den Kopf hoch. Jetzt konnte die Hündin ihre Aufregung nicht mehr bremsen, sie sprang um sich, drehte sich im Kreiß und stieß unzählige kleine Laute gen Himmel aus, die allesamt miteinander verbunden waren mit beinah menschlichfreudigem Geheule wegen des Wiedersehens. Es war eine kleine Wiederfindungsmelodie in der Nacht, eine Klage und ein Jubel zu gleichen Teilen, mit allen beinhalteten Vermissen und Vorwürfen wie auch mit allen Glücksgefühlen und Verzeihunge; zu der sich die Tanja mit einem Kloß im Hals gesellte. Sie sprang auf, richtete sich auf ihren Knien auf und schloss das aufgeregte Tier in ihre Arme. Sie vergas die Seele und die Nacht und den Tod und alle Sprachen, sie heulte und lachte gleichzeitig, küsste das dicke Winterfell der Hündin und berührte liebevoll alle gutbekannten Narben: die Ritze am weichen plüschigen Ohr, am Hinterbein, an der Schnauze. Sie vergrub ihr Gesicht in den langen lockigen Halshaaren der Hündin und spürte ihr stellenweiße verfilztes Fell an der eigenen Haut; und ja, wie früher, vor beinahe dreißig Jahren, waren da auch jetzt ein paar dicke Zeckenblasen zwischen den Augenbrauen des Tieres, welches so gerne frei und ungebunden nachts durch die Wälder zog. Nichts davon störte Tanja, kein Filz und keine Zecken, kein Floh konnte ihr jetzt die Freude stehlen. Sie war einfach nur selig und ganz bei sich und so wenig alleine wie ein Lebewesen nur sein kann. Ein vergleichbares Einssein mit sich selbst und einem anderen Wesen empfand sie noch nie, und genau so, wie sie sich in diesem Moment der Frage nicht stellen wollte- wie kommt es, wie kam es , dass ihr ein menschliches Wesen noch nie so nahe war und kam wie dieser schlichter Vierbeiner -, vermied sie sich auch der Frage auszuliefern - wie es bloß möglich sein konnte dass ein Hund über dreißig Jahre lebte? Tanja verwarf die ganze Logik auf einmal und schmiss sie über Bord. Möglich ist, was ist. Logisch ist, was ward.
„Und du bist. Wir sind’s, nicht wahr?“ wisperte sie blickend in runde Hundeaugen.
Verfasst: 03.12.2013, 18:35
von Ylvi
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Verfasst: 11.12.2013, 18:28
von Nifl
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Verfasst: 26.12.2013, 01:47
von Zefira
(Tortellini)
Drei Tage nach dem Mord schien es dem Kommissar, als sei man noch keinen Schritt weiter gekommen. Er selbst hatte mit zwei Kollegen eine umständliche Befragung bei Brösels Nachbarn durchgeführt, an allen Wohnungstüren des Hauses geklingelt, viele seltsame Menschen kennen gelernt, schweigsame und klatschsüchtige, neugierige und in sich gekehrte Leute. Niemand konnte etwas zur Aufklärung des Falles beitragen. Brösel war ein ruhiger Mieter gewesen, der so gut wie nie Gäste gehabt hatte. Eine junge Frau aus dem Erdgeschoss hatte einmal – mit einer Flasche Wein unter dem Arm – abends bei ihm geklingelt, weil sie hoffte, Kochunterricht zu erhalten. Konkret ging es um die Zubereitung frischer Tortellini. Sie schaffte es einfach nicht, »dass die Teigdinger beim Kochen zubleiben«. Brösel hatte erst nach mehrmaligem Klingeln geöffnet. Laut Aussage der jungen Frau hatte er einen roten Kopf und machte einen abwesenden Eindruck. Er bat sie nicht einmal herein, sondern empfahl ihr mit dürren Worten, sich an das Kühlregal bei Tegut oder Denn’s zu halten, und machte ihr die Tür vor der Nase zu. »Vielleicht war er nicht allein«, mutmaßte die Zeugin, »jedenfalls machte er den Eindruck, dass er nicht gestört werden wollte.«
Gerade an jenem Abend hatte er – wie sich aus den Daten in seinem Rechner leicht erschließen ließ – bei Ebay auf einen alten, wahrscheinlich kaputten Bandwebstuhl geboten und sich, nachdem er den Preis auf fast achthundert Euro hochgetrieben hatte, buchstäblich in letzter Minute zurückgezogen. Aus seiner Sicht war der Abend ein voller Erfolg gewesen.
Obwohl es wahrscheinlich gar keine Rolle spielte, war der Kommissar an diesem Tortelliniproblem hängen geblieben. War Brösel ein Pastakoch gewesen? Er befragte die Regieassistentin Gabriele erneut. Brösel, stellte sich heraus, hatte allgemein kein Händchen fürs Italienische gehabt. Er mochte den Geschmack von Olivenöl nicht und hatte mehrmals (in privatem Rahmen) geäußert, die als so gesund gepriesene mediterrane Küche sei »was für Weicheier«. Dies berichtete Gabriele bei einem informellen Treffen in der Kantine des Fernsehstudios. Der Kommissar hatte sie zum Essen eingeladen, und zufällig gab es gerade an diesem Tag Tortellini – mit Ricottafüllung, in Sahnesauce schwimmend und, nach Gabrieles Meinung, hoffnungslos zerkocht.
»Natürlich hat Brösel nicht vor laufender Kamera die italienische Küche niedergemacht«, erklärte sie und stocherte in der fetten Sauce herum. »Ich kann mich erinnern, dass er einmal in der Sendung Ossobuco alla milanese gekocht hat, und das war wirklich lecker. Aber viele der klassischen mediterranen Rezepte waren ihm zu kohlehydratlastig. So was wie diese Tortellini hier, das war für ihn Babyfutter. Sogar, wenn es anständig zubereitet war«. Unlustig schob sie den Teller weg. »Spielt das denn eine Rolle? Haben Sie noch keinen richtigen Verdächtigen?«
»Wir verfolgen mehrere Spuren«, entgegnete der Kommissar zugeknöpft und spießte ein Salatblatt auf. »Aber es ist alles schwieriger, als ich dachte. Herr Brosler hat ein bemerkenswert zurückgezogenes Leben geführt. Ich habe mir das ganz anders vorgestellt, er ist doch sowas wie ein Star gewesen.«
Gabriele bedauerte, nichts über Broslers Privatleben zu wissen. »Er war ein paarmal mit uns in der Oper, daran kann ich mich gut erinnern. Unser Tonmeister ist ein großer Wagner-Fan. Brösel und ich sind hin und wieder mitgegangen. Aber ich könnte nicht behaupten, dass Brösel viel davon verstanden hätte. Ich mag den Tristan und den Parsifal, und er mochte den Holländer und den Ring, also mehr die fetzigen Sachen, aber er war bestimmt kein Intellektueller. Im Gegenteil, manchmal war er richtig stolz darauf, dass er von so vielen Sachen keine Ahnung hatte.«
Alle Spuren liefen ins Leere.
»Wir haben nichts«, sagte der Kommissar zu Friedrich, »rein gar nichts. Nur dieses merkwürdige Kammdingens, mit dem man ihn erstochen hat. Und die Chipkarten … was ist denn übrigens dabei herausgekommen?«
Friedrich zog seinen Notizblock heraus und klappte ihn auf. »Das ist allerdings interessant. Das Fernsehstudio hat achtundsiebzig Chipkarten ausgegeben. Wir haben alle Inhaber aufgetrieben und befragt. Alle hatten ihre Chipkarten parat, obwohl einige erklärten, dass sie nie im Parkhaus parken. Einige kommen mit dem Rad zur Arbeit, wenn es nicht gerade Schusterjungen regnet, und einige fahren immer Bus. Auf jeden Fall konnten alle ihre Karte vorzeigen, und nicht einer hat zugegeben, dass er (oder sie) jemals die Karte verliehen hätte. Na ja, ob man darauf viel geben kann … Bei der Volkshochschule hat sich jedenfalls ein ganz anderes Bild ergeben. Dort wurden hundertzwanzig Chipkarten ausgegeben, und die Sekretärin hat mir gesagt, das sei ein festes Kontingent, obwohl sie gar keine hundertzwanzig festen Mitarbeiter haben. Es scheint dort eine Menge Leutchen zu geben, die ein oder zwei Semester Kurse geben und eine Chipkarte kriegen, dann werden die Kurse eingestellt, die Kursleiter kommen nicht mehr, geben aber auch die Karte nicht zurück, obwohl die Sekretärin sie immer wieder brieflich dazu auffordert, das behauptet sie jedenfalls. Aktuell gibt es nicht mehr als fünfzig aktive Mitarbeiter, die ihre Karte benutzen. Alle anderen sind quasi Karteileichen, und wo die Karten inzwischen gelandet sind, weiß niemand.«
Verfasst: 30.12.2013, 21:33
von pjesma
Alsbald merkte sie, dass die Hündin etwas von ihr erwartete. Tanja stand jetzt, mit einer Hand an die holprige kalte Rinde eines Zwetschgenbaumes angelehnt, die andere Hand lag auf der Stirn des Tieres. Nur sie, die Bäume und Ada. Und die jetzt erneut mondscheingebadete Nacht. Die Stelle an der die Seele lag, war leer, das Graß zertreten, was ihr keine Sorge mehr bereitete- jetzt, mit dem weichen zuversichteinfließenden Plüschohr der Hündin unter den Fingern. Sie schmunzelte kurz über das durchgelegene Gras, ein Artikel den sie irgendwann gelesen hatte, fiel ihr ein, in dem behauptet wurde, dass eine Seele in etwa 23 Gramm wiegen sollte. Es fanden sich natürlich irgendwo irgendwelche Erbsenzähler die nichts netteres zu tun hatten, als wie die Geier um eine arme baldzusterbende Sau zu warten, dass sie auf der Waage stirbt, damit sie das Vorher und Nachher feststellen können und groß rauskommen. Nun, von wegen 23 Gramm, dachte Tanja, ganz schön plattgewälzt, das Gras. Eine fette Seele, wohl, die meinige.
Die Hündin stupste sie ungeduldig mit der Schnauze und schob sie alle paar Sekunden sanft mit der Flanke zur Seite. Tanja wusste nicht recht in welche Richtung sie sich bewegen sollte . Eindeutig aber wollte Ada, dass sie sich endlich bewegt; sie rempelte sie mit dem Schulterblatt und peitschte sie mit dem Schwanz. Tanja schritt vorsichtig in Richtung des Pfades auf dem milderen Gefälle, aber gleich stellte sich ihr die Hündin in den Weg. Sie versuchte das Tier zu umgehen, aber schon stellte sich ihr dieses erneut in den Weg. Dann versuchte sie in Richtung Kirche zu laufen, das verhinderte die Hündin auch, mit Gebelle. Zur Schule? Das war es auch nicht, die Hündin drehte sich um die eigene Achse, sprang auf der Stelle und schnaufte aufgeregt, als würde sie fragen : Verstehst du mich wirklich nicht, oder willst du mich nur nicht verstehen? Dann rannte sie plötzlich, winselnd , und verschwand im Schatten der Bäume in Richtung des steileren Gefälles, und tauchte nach kurzer Zeit wieder im Licht des Mondes auf, bei Tanja, welche jetzt zu begreifen anfing, dass der steile Weg nach unten, zum Dorf, der Weg war, den die Hündin für sie ausgewählt zu haben schien.
Nneee, ne, meine liebe…da geh ich nicht hin. Das kannst du vielleicht ohne Mühe, du bist ja Hund. Aber ich nicht, sicherlich nicht! Es ist dunkel, es ist holprig, es ist steil…es ist unmöglich. Ich will nicht da lang.
Doch, bellte die Hündin insistierend.
Tanja schüttelte den Kopf. Willst du denn dass ich mir alle Knochen breche? Es kommt nicht in Frage, es würde ewig dauern, bis ich mich nach untern durchtaste. Nein!
Ada knurrte sie an. Noch nie knurrte sie Ada an, und als Tanja sie überrascht und etwas traurig anschaute, winselte diese verschämt, mit der Rute zwischen den Hinterbeinen eingeklemmt…und wagte dann doch ein wütendes kurzes verzweifeltes Gekeife von sich gen Himmel zu geben.
Es schien ihr sehr wichtig zu sein.
Nun gut, sagte Tanja und schritt unbegeistert unter den Baumschatten zu dem Pfad. Ada folgte ihr, nun zufriedengestellt und gehorsam, atmete laut. Am Pfadanfang angekommen, beschloss Tanja das Gefälle ganz vorsichtig, seitlich zu betreten, und auch nicht direkt mittig auf dem Pfad, sondern mehr am Rande, damit sie rechtzeitig spürte, sollte sich ihr der eine oder anderere Stein unter den Füßen lösen und sie sich an die Gebüsche krallen konnte die am Rande wuchsen. Als sie ihren Fuß auf den Weg stellte, rannte die Hündin wild jaulend los und schubste Tanja aus dem Gleichgewicht, somit sie sich blitzschnelle um 90 Grad drehen musste, um nicht hin zu fallen… Ohne Sicht und Plan lief Tanja das Gefälle runter, immer schneller, rannte sie, mit immer größeren Schritten! Ihre Füße verdrehten sich gelegentlich, und doch, immer als sie gerade dachte, dass sie beim nächsten Schritt ganz sicher fallen wird und in tausend Stücke zerschellen, fanden sie wundersamerweise wieder halt und trugen sie weiter, immer weiter. Die Lichter im Dorf, schon sichtbar geworden, bebten vor ihren Augen und es schien ihr fast so als würde sie fliegen, gäbe es nicht diese Kieselsteine die um ihre Schuhe flogen. Tanja sauste ins Tal begleitet mit begeistertem Gejodel der Hündin (na warte mal, dachte sie noch) und dann kam der Moment der kommen musste. Sie stolperte. Sie stolperte und noch im Fall, im hohen Bogen, denkend, dass das jetzt wirklich das Ende sein müsste, erblickte sie am unteren Ende des Weges bedeutsam grinsend die Seele mit breit offenen Armen stehen.
Sanft fiel sie hinein.
Und als sie ihre Augen wieder öffnete, stand ein junger Paketbote mit besorgtem Gesichtsausdruck über ihr, die so auf den Ladenfließen mitten in Hortensien lag, betröpfelte ihr Gesicht mit dem abgestandenen Wasser aus der Gießkanne und wiederholte unentwegt: „Mein Gott, mein Gott. O mein Gott. Mein lieber Gott!“
Ada war nicht da, stellte Tanja traurig fest. Nur der einsame Hund auf eine der oberen Etagen bellte immer noch.
Verfasst: 31.12.2013, 15:06
von allerleirauh
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Verfasst: 02.01.2014, 16:19
von Nifl
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Verfasst: 05.01.2014, 19:34
von Ylvi
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