Lyrischer Dialog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 11.08.2006, 17:59

Liebe Schreibfanatiker,

ich möchte hier in diesem vitalen Forum einen "lyrischen Dialog" beginnen. Lyrische Dialoge sind kooperatives Schreiben, Gedichte, die (auf-)einander aufbauen. Das können inhaltliche Bezüge sein, oder es werden Worte des "Vorschreibers" aufgegriffen, oder man übernimmt einfach nur die Stimmung.
Hierdurch entstehen unkommentierte Gedichtfolgen. Die Form bleibt dem Autoren überlassen (zB. ob gereimt oder ungereimt ...)
Würde mich über rege Beteiligung freuen!

Bild
Zuletzt geändert von Nifl am 30.08.2006, 19:10, insgesamt 2-mal geändert.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 03.11.2009, 20:44

Dünkel wird welk
legt sich noch hinein
radiert die Mäntel
Die Alte weiß
„Pechsache wenn“ sagt er
und dreht seine eigene Gurgel um
bis es still ist, so still
und nicht weil es still ist
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 08.11.2009, 18:29

.


              stillebeute

              lehne lang mich in den tag
              fresse frech die stunden
              lauere listig der sekunde
              auf zur jagd der nacht

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 09.11.2009, 11:16

Bild

als man begriff, dass man nichts sagte


da regnete es schon
pfützen schillerten hämisch ... da war etwas
nein ... da war nichts
man dachte nur
dass man seinen namen gehört
der einen rief – fast liebevoll
weiß nichts mehr davon
es ist die geschichte
der gesichter – man tauscht sich aus
täuscht sich – enttäuscht sich
mehr bleibt wohl nicht

man

wohnte in einem haus
voller möbel und licht, das am morgen
durch die rolläden drang
an der wand noch die striche und punkte
die man mit stiften nachgezeichnet
man erschuf sich
zeichen über zeichen
auf dass man nicht verloren geht
auf dass man nicht vergessen wird
wie lächerlich das heute aussieht
wie hohl einem das klingt:

man

ging gemeinsam durch die räume.
da waren es schon wolken
die zogen nicht mehr
vorbei

wieder steht man
auf der straße mit den leeren augen
denn, wer wird den weinen
über dinge, die nur scheinen
es ist nun nacht geworden um uns her
und so sehr man weiß, dass alles vergeht

wie zugeschnürt die kehle
wenn man es begreift

 

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 12.11.2009, 09:13

die geschichte der gesichter . der ursprung der lichter

man macht kein gesicht
(beim photographieren)

den kopierer soll man
ganz unauffällig unter dem arm tragen

und mit der anderen hand
in den himmel zeigen

"soll heute ja noch ganz schön was geben, da oben"
"ja, ja"
"schönen tach noch"
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 12.11.2009, 19:29

gesichtslos

mein wahres gesicht
kennt niemand
niemand niemand
mein zweites gesicht
lege ich niemals ab
niemals niemals
mein erstes gesicht
tarne ich hinter dem zweiten
gute tarnung sehr gute
hinter der angst vor vision

Max

Beitragvon Max » 17.11.2009, 15:05

Tarnung

Nirgends falle ich so wenig auf
wie unter Menschen

Wenn ich mich zusammenreiße
nichts sage
die Blick senke
erkennt mich niemand

Nur selten noch
erwacht der Wolf in mir
Ich schreie jemanden unwillkürlich an
würge ihn
oder trete ihn vors Schienbein

Und bin dann ganz schnell verschwunden

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leonie
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Beitragvon leonie » 17.11.2009, 16:53

Ich trage meine Wunden
innen ein anderes Gesicht

gezeichnet von Worten
die ohne Spur auf der Haut
blieben als filigrane Gespinste

getreten vom Schweigen
in stille Gletscherspalten
und allein auf der Suche

nach dem was meinen Namen
zurückruft zu mir

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.11.2009, 01:17

der wolf in mir
krallt sich den morgen
fletscht seine zähne nicht
beißt aus dem sprung fest zu
bis die nacht ihn besänftigt
die haut sich glättet
ich mich wieder trage

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 20.11.2009, 22:42

Der gute König und das weiße Reh
die rote Wunde im Fell und der Schnee



am zerknickten Häuserhang
lass mich ein Weilchen ruhn

und hören
wie die Stämme meinem Bruder rauschen

in sein Gemüt
habe ich einen Bittbrief geschrieben

denn schließlich
haben wir die Akten selbst zum Sekretär

ach, wär das alles nur nicht so leicht

      die Stühle gehören zum Tisch
      den Vorhang zieht man auf und zu
      allem voran versteht man sich auf die Türen

der König, der König,
sehende Rehe für den König!
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Max

Beitragvon Max » 25.11.2009, 22:30

schwer fiel es dir stets den bruder zu bitten
um geld
sein herz
oder eine erinnerung

schwerer fällt dir nur die bitte an dich selbst
dein geld ist fort
dein herz verloren
und erinnern magst du dich
schon lang nicht mehr

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.11.2009, 00:01

leben gegen erinnerung

in jeder nacht
bittet sie um aufschub
an jedem tag
hangelt sie sich von stunde zu stunde
haarscharf an ihr vorbei
in jeder sekunde
weiß sie um die geliehene zeit
an jedem morgen
bedankt sie sich für das leben
ohne erinnerung

Max

Beitragvon Max » 27.11.2009, 16:59

Sie wollte nie im Krankenhaus sein
wenn es so weit ist

Dann die Nacht
und der Schmerz

Das Anzählen
gegen die Stunden
die Minuten

Um halb vier
ruft sie den Notarzt

Auf dem Weg in die Klinik
schreit sie

All das Warten

Dann endlich der Arzt
Ein Nerv sagt er
sei eingeklemmt

Sie weiß sie wird sterben
aber nicht jetzt
nicht heute

Aufschub

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 27.11.2009, 22:12

Dann endlich der Arzt

Nachbar! Nachbarin!

wein doch keine Tränen in die Steckdosen
das gibt noch nicht mal Stock

Flecken, so ganz kleine Flecken
mit den Vorhängen wehen wir wie Wareinmalmücken

nein, vertu dich, nutz den Strom und ruf beim Doktor an
erzähl von deinen erlösenden Vermutungen
da könnte nebenan jemand mitbekommen haben
dass es dich gibt

Oh heiliger Apparat, oh Wartezimmer zwischen den Zimmern
mir wachsen Märchenfliegenpilze zwischen den Wimpern

Das Material gehört den Ärzten
und unsere Ärzte, das sind wir
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 28.11.2009, 19:04

die wir gerade sehen wollen

wir treten
neben die blume
neben der blume
auf eine andere
vergessend


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