Prosalog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

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Foto A.P. Sandor et moi


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Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



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Zuletzt geändert von Nifl am 04.08.2007, 09:08, insgesamt 1-mal geändert.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Klara
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Beitragvon Klara » 21.11.2007, 14:18

Date ausmachen

„Wäre es nicht besser, wenn ein schlechter Film läuft?“, fragt er, „dann würde es nichts ausmachen, wenn wir nichts davon mitbekommen.“ Ich höre sein Lächeln durchs Telefon, es geht mir so dick in den Magen wie sein Blick. Es gibt ein Wort dafür, das ich vermeiden möchte, aber die Symptome sind klar: quälende Appetitlosigkeit; Konzentrationsschwäche; Gereiztheit; Druck hinter den Augen; Fragen und Szenen im Kopf (in Endlosschleife); ein Leben in Wartestellung; große Nüchternheit zwischendurch; nahezu unerträgliche Sehnsucht und: Angst.

Es wäre nicht mal schön, wenn es schön wär. Ach, Ruhe … Obwohl es vorherzusehen war, lange Schatten voraus warf, hatte ich vergessen, dass das so sein kann. Es ist wie mit Schmerzen: Man vergisst sie, auch wenn sie noch so heftig waren, und erst, wenn sie wieder da sind, erinnert man sich gleichzeitig mit der Gegenwart.
Ich hatte vergessen, wie viel Kraft man aufbringen muss, um dem nicht nachzugeben, weil jede Handlung und jede Unterlassung eine Entscheidung bleibt, mit der dazu gehörigen Verantwortung für alle Beteiligten: Es gibt keine Grauzone.

Ich wünschte gegen die Regeln, es gäbe einen Abend im luftleeren Raum. Ohne Vorher und Nachher. Gibt es aber nicht. Es gibt nur Verantwortung. Schuld und Sühne. Nichts dazwischen.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 23.11.2007, 22:24

Wie kann ein einzelner Mensch, ein Tanzlehrer, eine Veranstaltung in einem (teuren!) Stadttheater organisieren, bei der alle Gruppen, die er ausbildet, vortanzen sollen, von den Ballettratten über Jazzdancegruppen und Stepptänzern bis zu Flamencas, wie kann ein einzelner Mensch das alles planen, zum Teil mit den Gruppentänzern auf die Bühne gehen, die Beleuchtung, professionelles Make-up, Kostüme und und und organisieren und am gleichen Abend, gleich im Anschluss an die Tanzschulveranstaltung, auch noch ein längeres Ballettsolo (Vier Jahreszeiten von Vivaldi) tanzen?
Vermutlich gar nicht. Und so ist auch die Stimmung, bei ihm, bei den Tänzern, bei allen. Kein "Viel Glück"-Strahlen, keine Luftküsschen, kein Spucken über die Schulter, in aller Eile hasten kostümierte Frauen und Mädchen aneinander vorbei, nicht einmal Blicke werden getauscht. Einige Eltern, die die Generalprobe auf dem Monitor im Treppenflur verfolgen, ziehen betretene Gesichter. Nichts ist mehr, wie es war.
No tengo lugar, y no tengo paisaje, yo menos tengo patria ... Wo blieb die Alegria?
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Nifl
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Beitragvon Nifl » 24.11.2007, 18:18

Man stelle sich die Party eines Ärzteehepaares vor. Überdies einen Eingeladenen, der nicht absagen kann. Trotzdem hat dieser es seit dem Sommerurlaub nicht geschafft, zum Friseur zu gehen. Er besitzt kein Hemd und seine schwarzen Lederschuhe haben ein Loch in der Sohle. Er verfügt noch über eine gute Stunde Zeit, irgendwie zu improvisieren. HIIILFEEE!
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 25.11.2007, 01:36

Wie genial manche Leute werden, wenn sie Fehler machen! Bei meiner abendlichen Blogrunde stieß ich im Weblog einer Bekannten, die handgestrickte Herrlichkeiten und Krimirezensionen präsentiert, auf folgende Passage:

"G. genießt den Luxus an der Seite ihres leichtlebigen Mannes in vollen Zügen, und ihr Glück scheint vollkommen. Doch dann fängt P. plötzlich an, sich rätselhaft zu verhalten - und als die beiden auf einer Winterreise in einem einsam gelegenen Roman eingeschneit werden, muss G. entdecken, dass sie nur eine Chance hat, wenn ihr ihr Leben lieb ist - Flucht ..."

Kann sein, dass sie diese Sätze vom Klappentext abgetippt hat, ich kenne das Buch nicht. Aber beim Lesen des letzten Satzes wünsche ich heftig, ich hätte es geschrieben.

(Vor Jahren hatte ich mal ein Hörspiel hier liegen, das mir ein lieber Autorenfreund auf MC gezogen und geschickt hat. Es ging darin um einen Mann, der eine Truhe besaß, mit deren Hilfe er in ein Buch gelangen konnte. Er musste sich nur mit dem Buch in die Truhe setzen, und schon war er bei D. Q. in der Mancha, bei Emma Bovary in der Provinz oder bei Oblomow auf der Couch.
Sein Glück endete, als er aus Versehen ein Spanischwörterbuch in die Truhe mitnahm. Das Letzte, was er bewusst wahrnahm, war, dass ihm ein zottiges und hakenzähniges unregelmäßiges Verb über die kahlen Höhen der Sierra hetzte.
Da bin ich dann doch lieber in einem einsamen Roman eingeschneit.)
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

cali

Beitragvon cali » 25.11.2007, 07:29

die mondin hatte mich bestiegen... erzählte mir was von komm lass dich wiegen... doch oben, oben durfte ich nicht liegen... dafür durfte ich in ihren seiten lesen... so... als sei es schon immer so gewesen...


[ ja, dat war ne feine xxl-nacht.... einfach verficktfantastisch....]

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 25.11.2007, 12:53

Traum IV

Heute (6.4.01) habe ich mit Veronika Ferres auf einem morschen Dachboden Fangen gespielt. Ein holländisches Gesicht schaute uns dabei zu. Es ist ein Säugling. Während ich in die Bohlen einbreche, merke ich - weil der Säugling weiter spricht, dass er sich doch nicht an jeden gewöhnen könne - dass seine Konsistenz hart ist, als wäre zuviel Wasser in ihm. Mir kommt der Gedanke an eine Leiche und ich merke, wir teilen die Angst und ich schaue auf die brüchigen Bohlen und muss weinen.
"Ich gebe dir jetzt meine Nummer, aber du musst da nicht anrufen", höre ich und frage: "Was?". Aber er kann es kein zweites Mal sagen vor Stichen im Herzen.
Aber Veronika, die hatte ich wenigstens vergessen.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 27.11.2007, 00:05

In den Frühträumen ist es so, als überschreite man für einen Moment die Grenze, als gelange man kurz ans andere Ufer. Das Waten zurück wird aber jeden Morgen mühsamer.
Weißt du noch, wie wir am Rheinufer Edelsteine gefunden haben?

Die Tage, an denen es nicht hell werden will, sollte man nutzen, um die Lebensarchive fortzuführen. Damit diejenigen, die hinter uns aufräumen müssen, es einfacher haben.

Jetzt verschieben sie wieder die unterirdischen Aparaturen. Du kannst es hören, wenn du dein Ohr ganz fest an den Kanaldeckel (die Erde) drückst.

Lichtmangel.


aus: 'Fragmente'
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Gast

Beitragvon Gast » 27.11.2007, 07:19

die erdschollen gleißen
in der mittagssonne
gleichen die krähen mit altsilber übergossenen skulpturen
wirken kostbarer als sonst
schönen die landschaft
da - sind sie immer
nur erscheinen sie jedesmal anders
tragen je nach tageszeit ein anderes kleid.
im morgennebel wirken sie in abgemilderten rauchgrau
harmlos
des nachts wenn sie im dunkeln verstecken spielen
sich fast unsichtbar machen
unhörbar sind
denke ich manchmal sie wären fort

aber fort ist nur ein wort

©GJ20071127

Rala

Beitragvon Rala » 27.11.2007, 17:38

Wie die Erinnerung aus einem früheren Leben: Ich liege auf der dunkelgrünen Wiese, starr, leblos, um mich herum dunkelgrüne Landschaft, Bäume, Himmel mit Wolken und Abendlicht, starr, leblos, das Einzige, was sich bewegt, ein paar Strähnen meines Haares, die der Wind über die linke Hälfte meines Gesichts wandern lässt und die dabei teilweise mein Ohr freigeben.
Here comes the flood.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 28.11.2007, 17:09

Hat das eine Bedeutung, wenn ich jedes einzelne nie mit der Hand tippe, wie man sich einen Pullover für den Winter strickt (wenn ich das wenigstens könnte):

nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie
nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie
nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie
nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie
nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie
nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie
nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie
nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie
nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie
nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie nie



Kühlt es mir das Herz. Zäumt es die Zeit. Sagt es etwas über den Luftzug, der die Blätter der Platanen ... --. Ach, hör auf.

Man sollte einen Gedicht schreiben, in dem man den Wunsch in seine Schranken weist, wie man auch einen Scheißhaufen in seine Schranken weist (Gott verdammt, ganze Beamtenapparate beschäftigen sich damit). Dieses „nie“, mir scheint das ist das einzige, wovon mir die Wiederholung nicht ekelt (aber gegraust hat sie schon einmal, einmal ja).
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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eva
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Beitragvon eva » 30.11.2007, 14:15

dochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdoch

das doch fühlt sich doch nicht so kraftvoll schleichend an wie das nie
aber ich muss diesem nie etwas kraftvolles eindeutiges entgegensetzen, sonst wird es mir nicht gelingen, diese geschichte zu stemmen.
nur das nie kenne ich schon so lange, es verwässert sich manchmal, aber es ist von zäher schleimiger konsistenz, die sich letzt lich doch in irgendwelchen ritzen festgesetzt hat, die ich nicht vermutet hatte. ungedeckte fugen.

dochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdochdoch

vielleicht muss ich neue muster erfinden, die die alten überdecken, sich einmischen, dazwischen schieben hinein fressen, bis ich schließlich nicht mehr weiß, dass dies neue eigentlich ein altes war, das ich nur frisch gestrichen hatte. aber wenn der putz einen winzigen moment bröckelt, schwächelt es doch noch drunter hervor.

doch noch doch doch doch doch doch doch doch doch doch doch doch doch doch doch doch doch doch doch doch doch doch doch doch doch

möglich wäre, dass es luft brauchen könnte, dazwischen. die atemlosigkeit die mich treibt, ist ein altes nieprodukt. das nie heizt des tempo an wie verrückt, weil ich es doch noch überholen können möchte. wenigstens einmal in diesem leben. aber dann falle ich erschöpft zurück und am ende des marathons steht das nie, wie bei hase und igel, und wußte es schon lange wieder besser. aber wenn ich dieses mal stehen bleibe und inne halte und schaue, schaffe ich es vielleicht endlich

doch?
Jetzter wird's nicht. D. Wittrock

Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.12.2007, 02:32

La sopita de la tristessa *

Als ich meine Mama anrufe, wie ich es mehrfach in der Woche tue, ahne ich es. Deshalb auch meine Kontaktaufnahme zu so ungewohnt früher Stunde. Ihr Gesicht baut sich langsam in Pixeln vor mir auf. Zuerst sehe ich ihren Mund. Er zittert nervös. Sie kaut fahrig mit ihren Zähnen auf den Lippen herum. Ihre Unruhe überträgt sich auf mich. Ich lasse es geschehen, sie fließt durch mich hindurch und verschwindet im Äther. Schließlich schaue ich in ihr liebes Gesicht. Meine Mama ist wie Quecksilber. Sie überträgt ihre Lebenslust, ihr Temperament auf andere Menschen, wie kein anderer. Sie ist wie eine warm-sprudelnde Hand, die mich greift und nicht loslässt. Wie oft hat sie mich zum Lachen gebracht, wenn mir zu Heulen war. Da spielen 13.000 km Entfernung keine Rolle.
Wir sehen uns lächelnd an.
Doch ich erkenne in ihren dunklen Augen große Traurigkeit. Vergeblich versucht sie, diese zu verbergen, auch wenn sie genau weiß, dass sie vor mir nichts mehr verbergen kann. Nicht mehr, seitdem es mir das erste Mal bei ihr gelang.
"Mamita, was bedrückt dich?" Sie hantiert an ihrer Kamera herum. Der Mund zuckt noch stärker.
"Alles okay", sagt sie in spanisch. Mama spricht immer in spanisch, ich mal spanisch, mal deutsch. Ich merke es gar nicht. Sie auch nicht.
"Nein, nichts ist okay. Was ist los?" Ich spüre plötzlich sehr starke Kopfschmerzen.
Im gleichen Moment hält sie sich die Stirn, legt sie angestrengt in Falten, fährt sich mit einer scheinbar nebensächlichen Bewegung über ihr langes Haar, als wolle sie es ordnen. Im einst so schwarzen leuchten viele schneeweiße Strähnen. Ich finde sie so wunderschön.
"Worüber zerbrichst du dir den Kopf, dass er dir so wehtut?"
Überrascht guckt sie mich an.
"Woher weißt du?"
"Ich fühle deinen Schmerz, mamita ... "
Sie schweigt. So auch ich, gebe ihr Zeit, das Verdrängen abzuschalten, einfach loszulassen. Minuten vergehen, unsere stillen Blicke bilden die Brücke des Vertrauens für ihre Tränen. Endlich laufen sie ihr über die Wangen. Ich weiß, an wen sie gerade denkt.
"Mamita, schließ deine Augen", flüstere ich. Sie tut es, ohne nachzufragen. Ich gehe in tiefe Konzentration, nehme Kontakt auf, sende ihr Licht, spüre den vertrauten Gänsehautschauer in meinem Scheitelchakra und sehe sie schließlich an, wissend, dass es gelungen ist. Ihr Gesicht verändert sich. Das von Schmerz verzerrte glättet sich langsam, der Mund wird ruhig. Es ist faszinierend, sie zu beobachten, wie sich die Wandlung vollzieht. Sie reißt die Augen auf.
"Wie ist das möglich? Dieser furchtbare Schmerz ist fort, einfach so! Wie machst du das nur?" Immer wieder dieses Staunen bei ihr, obwohl sie schon lange weiß, wieso ich dazu in der Lage bin. Und ich bin glücklich, dass ihr Lächeln nun echt ist.
"Und jetzt koche ich mir noch eine sopita de la tristessa, doppelt hält besser!", ruft sie ausgelassen.
"Was ist da drin?", frage ich neugierig.
"Vor allem Chili, viel Chili!"
Schallend lachen wir beide los, winken uns einen besote zu und jeder geht fröhlich in seinen Tag.

Mucki
06.12.2007


* Süppchen der Traurigkeit

Gast

Beitragvon Gast » 10.12.2007, 00:05

2007/1917 9.12

Heute wärst du 90 Jahre alt geworden. Hier sitze ich und denke an deinen 80zigsten, den wir alle gefeiert haben. Deine Kinder, alle noch glücklich verheiratet, waren mit ihren Partnern dabei und deine fünf Enkelkinder.
Wie gut, dass du das erleben konntest.

Vor ein paar Wochen habe ich zum ersten Mal begriffen, was der Krieg für dich gewesen sein muss, denn ich habe gesehen, wie schön du warst und wie offen dein Blick als junges Mädchen auf den alten Bildern. Bevor, der Krieg zwei deiner Brüder, und den dritten eine unheilbare Krankheit dahinraffte.

Du warst nicht mehr dieselbe. Das schreibt sich leicht, aber ich habe es auf Fotos gesehen. Der verschleierte nach innen gewandte Blick, die ausgemergelte Gestalt, als du mich, deine Erstgeborene später auf dem Arm hieltest.
In deinen Augen hatte sich das Leid eingenistet, Dein Lachen war später (und du konntest es ja wieder) nie mehr so unbeschwert.

Ich denke heute ganz besonders an dich.

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Elsa
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Registriert: 25.02.2007
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Beitragvon Elsa » 10.12.2007, 09:23

Seit bald 6 Wochen bist du tot. Nach langem und schweren Leiden, er hat gesiegt, er hat dich zernagt mit seinen Zangen. Und du warst so jung! Du hast Monate davor unsere tiefe Freundschaft zerbrochen, dich abgetrennt von der einstigen Nähe. Du tatest es mit Absicht! Wolltest, dass ich wütend statt traurig bin.

Und nun bist du gegangen. Mach's gut, Wanderer, wo immer du auch sein magst.
Schreiben ist atmen


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