Beitragvon Mucki » 06.12.2007, 02:32
La sopita de la tristessa *
Als ich meine Mama anrufe, wie ich es mehrfach in der Woche tue, ahne ich es. Deshalb auch meine Kontaktaufnahme zu so ungewohnt früher Stunde. Ihr Gesicht baut sich langsam in Pixeln vor mir auf. Zuerst sehe ich ihren Mund. Er zittert nervös. Sie kaut fahrig mit ihren Zähnen auf den Lippen herum. Ihre Unruhe überträgt sich auf mich. Ich lasse es geschehen, sie fließt durch mich hindurch und verschwindet im Äther. Schließlich schaue ich in ihr liebes Gesicht. Meine Mama ist wie Quecksilber. Sie überträgt ihre Lebenslust, ihr Temperament auf andere Menschen, wie kein anderer. Sie ist wie eine warm-sprudelnde Hand, die mich greift und nicht loslässt. Wie oft hat sie mich zum Lachen gebracht, wenn mir zu Heulen war. Da spielen 13.000 km Entfernung keine Rolle.
Wir sehen uns lächelnd an.
Doch ich erkenne in ihren dunklen Augen große Traurigkeit. Vergeblich versucht sie, diese zu verbergen, auch wenn sie genau weiß, dass sie vor mir nichts mehr verbergen kann. Nicht mehr, seitdem es mir das erste Mal bei ihr gelang.
"Mamita, was bedrückt dich?" Sie hantiert an ihrer Kamera herum. Der Mund zuckt noch stärker.
"Alles okay", sagt sie in spanisch. Mama spricht immer in spanisch, ich mal spanisch, mal deutsch. Ich merke es gar nicht. Sie auch nicht.
"Nein, nichts ist okay. Was ist los?" Ich spüre plötzlich sehr starke Kopfschmerzen.
Im gleichen Moment hält sie sich die Stirn, legt sie angestrengt in Falten, fährt sich mit einer scheinbar nebensächlichen Bewegung über ihr langes Haar, als wolle sie es ordnen. Im einst so schwarzen leuchten viele schneeweiße Strähnen. Ich finde sie so wunderschön.
"Worüber zerbrichst du dir den Kopf, dass er dir so wehtut?"
Überrascht guckt sie mich an.
"Woher weißt du?"
"Ich fühle deinen Schmerz, mamita ... "
Sie schweigt. So auch ich, gebe ihr Zeit, das Verdrängen abzuschalten, einfach loszulassen. Minuten vergehen, unsere stillen Blicke bilden die Brücke des Vertrauens für ihre Tränen. Endlich laufen sie ihr über die Wangen. Ich weiß, an wen sie gerade denkt.
"Mamita, schließ deine Augen", flüstere ich. Sie tut es, ohne nachzufragen. Ich gehe in tiefe Konzentration, nehme Kontakt auf, sende ihr Licht, spüre den vertrauten Gänsehautschauer in meinem Scheitelchakra und sehe sie schließlich an, wissend, dass es gelungen ist. Ihr Gesicht verändert sich. Das von Schmerz verzerrte glättet sich langsam, der Mund wird ruhig. Es ist faszinierend, sie zu beobachten, wie sich die Wandlung vollzieht. Sie reißt die Augen auf.
"Wie ist das möglich? Dieser furchtbare Schmerz ist fort, einfach so! Wie machst du das nur?" Immer wieder dieses Staunen bei ihr, obwohl sie schon lange weiß, wieso ich dazu in der Lage bin. Und ich bin glücklich, dass ihr Lächeln nun echt ist.
"Und jetzt koche ich mir noch eine sopita de la tristessa, doppelt hält besser!", ruft sie ausgelassen.
"Was ist da drin?", frage ich neugierig.
"Vor allem Chili, viel Chili!"
Schallend lachen wir beide los, winken uns einen besote zu und jeder geht fröhlich in seinen Tag.
Mucki
06.12.2007
* Süppchen der Traurigkeit